Herr Rehberg, die Landesregierung ist einer der gleichberechtigten Partner in diesem Bündnis neben den Interessenvertretern der Wirtschaft und der Arbeitnehmer. Ich habe noch nicht beobachtet, dass die letzteren beiden mit Handschellen hingeführt worden sind.
Diesen freiwilligen und gemeinsamen Charakter des Bündnisses dürfen wir nicht vergessen bei aller gebotenen politischen Diskussion. An einen Tisch gesetzt haben sich die Partner aus einem gemeinsamen Interesse der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in Deutschland, in Mecklenburg-Vorpommern. Und dies sollte auch unser Interesse hier und heute sein und nicht die Show und der Spaß.
Es geht um meine Generation und die, die jünger sind als ich, die einen Arbeitsplatz suchen in diesem Land, und es geht um meine Kommilitoninnen und Kommilitonen, von denen ich der Einzige bin, der in Mecklenburg-Vorpommern eine Arbeit hat. Und ich will zumindest, dass sich das ändert.
Der Landesregierung kommt in diesem Bündnis eine doppelte Rolle zu. Zum einen ist sie als politischer Interessenvertreter der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet Moderator des Prozesses zu sein, zum anderen jedoch auch als Motor verpflichtet. Und als Motor wird sie zu Recht durch den Landtag in die Pflicht genommen, dem Landtag hilfreiche Gesetzgebungsinitiativen vorzulegen und mit den durch uns zur Verfügung gestellten finanziellen und personellen Ressourcen wachstumsorientierte, beschäftigungspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen. Das Bündnis will sich künftig auf folgende Schwerpunkte konzentrieren: erstens Qualifizierungsoffensive, zweitens Standortoffensive, drittens EU-Osterweiterung. Auch die Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung sowie die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Jugendliche werden weiter im Mittelpunkt des Bündnisses stehen.
Es mehren sich inzwischen auch in Mecklenburg-Vorpommern die Branchen, die Facharbeitermangel beklagen. Nicht nur in der IT-Technik oder im Tourismus werden kaum ausreichend Nachwuchskräfte gefunden, auch die Biotechnologie meldet sich nun zu Wort. Und zunehmend mehr Berufszweige des verarbeitenden Gewerbes suchen dringend Facharbeiter. Die Ausbildungsoffensive ist daher eine richtige und notwendige Maßnahme, aber sie ist eben nur eine Seite der Medaille. Herr Rehberg sprach die andere Seite schon an. Das sind die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen, kurz gesagt, auch die Wirtschaftskraft unserer Unternehmen. Wenn trotzdem Fachkräftemangel herrscht bei der hohen Jugendarbeitslosigkeit in diesem Land, dann ist dies doch ein Indiz dafür, dass es in den Arbeits- und noch mehr in den Entlohnungsbedingungen in den Unternehmen nicht stimmt.
Entschuldigung, ich sage nur, was mir an Ihrer sachlichen Kritik gefallen hat, weil sie stimmt. Wenn Ihnen auch das nicht passt, Herr Rehberg,
dass sie kritisiert wird, und es Ihnen auch nicht passt, wenn man mal sagt, dass das stimmt, was Sie sagen, …
Sie fordern eine sachliche Diskussion und wenn man sachlich diskutieren will, machen Sie Polemik, rufen dazwischen.
(Barbara Borchardt, PDS: Richtig! Sie wollen nur die Bühne. – Angelika Gramkow, PDS: Das wollen sie ja auch nicht.)
Es geht den Unternehmen im Wettbewerb inzwischen so, dass sie ihre gut ausgebildeten Fachkräfte verlieren. Deshalb haben sie schon Angst, ihre eigenen Kräfte vorzubilden, weil sie dann so gut ausgebildet sind, dass sie schneller und leichter auf die Arbeitsplätze in Westdeutschland abwandern. Diesen Prozess müssen wir stoppen und deshalb müssen wir uns ganz intensiv darum kümmern, die Wirtschaftskraft unserer Unternehmen zu stärken und die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass der ruinöse Wettbewerb, der stattfindet, eingeschränkt wird.
Denn es stellt sich die Frage: Welche Aufgabe kommt denn der Politik, dem Staat bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zu und wo kommen sie her? Es geht also um die Instrumente und Verfahren. Im Ziel sind wir uns einig. Auch die CDU diskutiert ja inzwischen das Ziel der Vollbeschäftigung, wie wir der „Süddeutschen Zeitung“ vom 27. Juni dieses Jahres entnehmen konnten. Nur nebenbei bemerkt: Wenn die PDS vor wenigen Jahren dieses Ziel auch nur in den Mund genommen hat, wurde gleich nach dem Verfassungsschutz gerufen.
Vielleicht treten wir, die politisch Verantwortlichen, auch mal in ein Bündnis für Arbeit ein, und das zuvörderst in der Art und Weise unserer Diskussion zu dem Thema.
Das Ziel ist also klar definiert. Der Streit beginnt aber schon bei der Bewertung der Lage und deren Ursachen.
Wie immer: Für die Regierung ist das Glas halb voll, für die Opposition halb leer – die übliche Rollenverteilung, in der auch Mecklenburg-Vorpommern bisher keine Ausnahme macht. Ich trete für einen ehrlichen Politikstil ein. Die Lage ist schlimm in diesem Land. Das Wirtschaftswachstum ist nicht ausreichend. Die Arbeits- und Hoffnungslosigkeit haben wir noch nicht beseitigt in diesem Land. Und ja, Herr Seidel, ich bin über das Verhalten der Deutschen Bahn AG genauso wütend wie Sie. Ich bin genauso wütend über die Verschwendung von Wirtschaftsfördermitteln. Wir sprachen gerade am Mittwochabend über den Bericht des Untersuchungsausschusses. Wir befinden uns in Mecklenburg-Vorpommern nun mal in der Situation eines Ertrinkenden. Unser Strampeln hält uns gerade so über Wasser,
(Beifall Rainer Prachtl, CDU – Ministerin Sigrid Keler: Das kann doch nicht wahr sein! – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)
und hoffen auf jedes Schiff in der Ferne, ob es Airbus heißt oder BMW, und wir geben uns ernsthaft Mühe, diese zu erreichen, und wir rufen nach Hilfe.
Aber wir müssen auch in dieser schlimmen Situation versuchen, aus den unterschiedlichen Strohhalmen ein Floß zu flechten. Und wir müssen damit leben, dass jedes Niesen auf den Börsenparketten oder OPEC-Banketten uns weiter zurückwirft, als uns ein Jahreshaushalt des Landes Mecklenburg-Vorpommern überhaupt voranbringen kann. Wir müssen den Mangel verwalten und zugleich die Zukunft gestalten.
Dieser Spagat tut weh und droht auch manchmal, das Land zu zerreißen. Und er tut dieser Landesregierung genauso weh wie allen anderen. Aber hier ist niemand im Parlament, der sich selber aus der Verantwortung für die Situation in Mecklenburg-Vorpommern nehmen kann. Das gilt für alle Seiten des Hauses. Wirtschaftspolitisch sitzen wir alle im Glashaus und sollten aufhören, mit Steinen um uns zu werfen.
Welche Instrumente stehen uns denn real zur Verfügung? Da ist zuerst der – entschuldigen Sie, Frau Finanzministerin – kümmerliche Landeshaushalt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Ministerin Sigrid Keler: Der ist nicht kümmerlich! – Heiterkeit und Unruhe bei Abgeordneten der CDU)
(Unruhe und Heiterkeit bei Abgeord- neten der CDU – Sigrid Keler, SPD: Herr Neumann, dann haben Sie es nicht begriffen, das System.)
das uns zur Verfügung steht, nicht als Staat in der Lage sein, die Arbeitslosigkeit in diesem Land zu beseitigen.
(Sigrid Keler, SPD: Nein, wir ertrinken auch nicht, Herr Neumann! Herr Neumann, wir ertrinken auch nicht.)