Und dann meine ich, auch diese Sichtweise ist eine sehr interessante. Nun fahren wir doch viele tausend Schiffe, die nach langen Jahren in Diensthaltung wohl nur noch in den Häfen sicher lägen. Die Welthandelsflotte ist mit vielen Risikoschiffen, teilweise Risikomannschaften sowie risikogenötigten Kapitänen auf Druck skrupellosen Wettbewerbs behaftet. So sind die Tatsachen! Auch wir als baltischer Anrainerstaat sind vor Havarien nicht gefeit. Insbesondere Öltanker bilden das höchste Gefährdungspotential für die Ostsee und gerade für unsere tourismusausgerichtete Region, Mecklenburg-Vorpommerns Küste.
Meine Damen und Herren, so ähnlich hätte ich vor dem Datum 29.03.2001 unseren Koalitionsantrag begründen wollen.
Erste Aussage. Der Ihnen vorliegende 10-Punkte-Entschließungsantrag gilt ohne die zugespitzte Dramatik der letzten Tage voll inhaltlich weiter.
Zweite Aussage. Die jetzt aufgewachte Hektik und der oppositionelle Aktionismus sind nicht angemessen, da wir
Nomen est omen. Ausgerechnet der friedliche und junge Doppelhüllentanker muss in der Baltic sea – dem ±ÐÛâØÙáÚÞÕ ÜÞàÕ, das kennen Sie alle noch –, der Ostsee, eine Katastrophe auslösen. Kein antiker Name wie „Pallas“ oder ein romantischer wie „Erika“, nein, ein sachdienlicher wie „Ostseefrachter“ wird zu unserem Schicksal.
Dabei ist die Brisanz auch für Deutschland und die Ostsee wenigstens zehn Jahre alt. Es wurde eben schon darauf hingewiesen, nicht erst seit zwei Jahren gibt es die Ostsee, seit sie Herr Thomas entdeckt hat.
und das schnelle Handeln der US-Amerikaner vor zehn Jahren und der Weltmacht blieb es unangefochten, für ihre Küsten im Pazifik und Atlantik zu handeln. International hat sich aber leider kaum etwas bewegt. Damit meine ich die Internationale Maritime Organisation, auf die auch wir angewiesen sind. Wir sind nicht die Weltmacht Amerika und wir haben mehrere Anrainer in der Ostsee, die nicht einmal EU-Mitglied sind.
Was mich, meine Damen und Herren Abgeordnete, tief bewegt, ist die persönliche Ohnmacht als Betroffener und die Ohnmacht aller betroffenen Behörden und Gremien gegenüber den Ursachen von Tankerunfällen und Ölkatastrophen. Und ich sage es noch einmal mit Nachdruck: Die Freiheit der Meere als freies Navigationsrecht, ob schon 400 Jahre Völkerrecht und in der Pariser Seerechtsdeklaration 1856 anerkannt und in der Genfer Seerechtsdeklaration von 1958 erneut bestätigt, ist das Haupthindernis in der zügigen Durchsetzung moderner Regularien im Seeverkehr. Und solange Reeder und Verlader Billiganbieter und Substandardschiffe, schlecht ausgebildete Mannschaften, unzureichend qualifizierte Brückenbesatzungen, zu hohe Geschwindigkeiten und uralte nautische Karten nutzen, kommen wir nicht weiter. Meine Grundforderung ist daher, doch endlich die Freiheit der Meere zu deliberalisieren. Das klingt geschraubt und nicht modern, ist aber der Schlüssel für geordnete, überwachte und kontrollierte Seefahrt überhaupt.
Die Seeschifffahrt sollte endlich den relativ besseren Vorschriften der Luftfahrt, die etwa 100 Jahre alt sind, folgen
die zu Erfolgen der Raumfahrt und vielen anderen führten, kommt? Aus der griechischen antiken Seefahrt! Steuerkunst, nichts anderes verbirgt sich dahinter. Und das ist heute ein Desaster, eben antik. Und auch Kapitänsgilden müssten selbst ihre so genannte seemännische Praxis, die mit diesem Mare liberum, der Freiheit der Meere, gekoppelt ist, auf den Prüfstand stellen. Auch das passiert momentan.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, in diesen Wochen läuft die maritime Unfallbekämpfung mit Ölaufnahme, Ölbeseitigung, Rettungs- und Tötungsaktionen, Kadaverbeseitigung von Seevögeln. Und da sprechen selbst Biologen, ein Herr aus Kiel, von geringen Umweltauswirkungen. Ungeheuerlich!
… dass deutsche Seeämter hinsichtlich der in Stapeln vorliegenden Akten über die Havarien der letzten Jahre für Seeunfalluntersuchungen nicht gefragt waren, dass derzeitig ausreichende Kenntnisse über die tatsächlichen Unfallursachen fehlen, dass Simulationsuntersuchungen über das Manövrierverhalten großer und tiefgehender Schiffe in speziellen Seegebieten fehlen – Kadet-Rinne –, dass Eckpunkte für ein vorbeugendes und unfallbezogenes maritimes Managementsystem seit über zehn Jahren Forderungen dieses Deutschen Nautischen Vereins sind – fast vergeblich bis heute.
Wie sieht es nun auf den Küstenmeeren und auf hoher See aus? 90 Prozent des Welthandels realisiert die Schifffahrt mit zwei Milliarden Tonnen Öl und einer Welttonnage von 50 Prozent. Jährlich werden Verluste von 230 Schiffen mit etwa einer Million Bruttoregistertonnen und 1.000 Menschen registriert. Die Ursachen sind zu 60 bis 80 Prozent, so sagen Fachleute, menschliches Fehlverhalten und Kommunikationsprobleme. Und ich erinnere an das, was unser Wirtschaftsminister heute hier auch gesagt hat: Es gibt natürlich keine hundertprozentige Sicherheit, aber die 60 bis 80 Prozent menschlichen Fehlverhaltens, die können wir senken, und daran müssen wir arbeiten.
Zweitens wird der wirtschaftliche Druck auf Kapitäne und Schiffsbesatzungen zur Außerachtlassung von Sicherheitsbestimmungen angeführt. Da Änderungen und Verschärfungen von Regelungen auf See nur international vereinbar sind und nicht durch einen Beschluss in diesem Landtag –
das muss in der CDU auch mal verinnerlicht werden –, muss man erforderliche Mehrheiten in der IMO besitzen.
Nun ist die Europäische Gemeinschaft dank des Drucks aus Frankreich – „Erika“ lässt grüßen, darüber haben wir ja auch schon des Öfteren im vorigen Jahr gesprochen – zu Änderungen willig, verfügt aber zurzeit nur über 15 Prozent der Welttonnage, allerdings nach der Erweiterung der Gemeinschaft über 27 Prozent in der IMO, und wäre damit dann der größte Interessenvertreter der maritimen Wirtschaft. Dann kann es einen Ruck geben in den internationalen Regularien.
Die Ostsee passieren 200 Millionen Tonnen Güter im Jahr, davon 50 Millionen Tonnen Mineralöl. Im Verkehrsschwerpunkt westliche Ostsee sind 60.000 Schiffe im Jahr gezählt worden, davon 75 Prozent Tanker.
Interessant ist aber, dass von 148 Mitgliedern der IMO 95 Prozent zur Welthandelsschiffstonnage zählen, darunter aber alle Billigflaggen. Weiter werden aber 35 Prozent der Welttankerflotte von EU-ansässigen Firmen betrieben, die vorzugsweise auf Flaggen wie Liberia, Panama, Zypern, Malta und die Bahamas ausgewichen sind, da die hohen Betriebs- und Personalkosten in der EU nicht wettbewerbsfähig sind. Das Recht der friedlichen Durchfahrt in den Meeren und die garantierte Dienstleistungsfreiheit der Europäischen Gemeinschaft müssen in die Revision.
Meine Damen und Herren, und nun zu dem Antrag, der mit Dringlichkeit auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Wir haben uns dagegen nicht gestemmt. Herr Thomas, haben Sie das auch mal zur Kenntnis genommen?
(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Ach, nicht doch! – Götz Kreuzer, PDS: Er war doch gar nicht mehr da. Als es um die Sache ging, war er doch gar nicht mehr da!)
Der Abgeordnete Thomas hat vor einigen Wochen – er hat das Datum auch genannt, ich glaube, 12. März – in außerparlamentarischer Initiative und Weise reagiert, außerparlamentarisch, obwohl Abgeordneter, eine so genannte Warnemünder Erklärung in einer Versammlung verabschieden lassen, die mit viel Getöse am 30.03.2001 als, ich zitiere, „Sofortmaßnahmen Ostseesicherheit“ vorgestellt wurde, und jetzt und heute hier unter dem bereinigten Stichwort „Ostseesicherheit“. Sie haben selbst gemerkt, dass „sofort“ fehl am Platz ist. Hier taucht also diese Warnemünder Erklärung wieder auf in den neun Punkten.
Es sind keine Sofortmaßnahmen, weil es keine Sofortmaßnahmen geben kann. Es geht nur über lange Verhandlungen, weil ich alle mit an Bord nehmen muss. Abgesehen von der Selbstbeschmutzung des Abgeordnetenstatus, wenn Parlamentarier ihre Tätigkeit und den Rahmen ihrer Tätigkeit als Debattierklub bezeichnen – ich habe das auch heute hier wieder gehört –,
könnte uns die gestrige Selbstentblößung in unwürdigster Form mit verendeten und verölten Seevögeln eher davon abraten, die legale Opposition überhaupt ernst zu nehmen.