Protocol of the Session on March 8, 2001

(Martin Brick, CDU: Noch mal!)

Nee, nee. Ich habe gezählt. 15 zu 17 ist das Abstimmungsverhältnis. Insofern ist der Antrag abgelehnt worden.

(Lorenz Caffier, CDU: Was? – Harry Glawe, CDU: Da müssen wir noch mal jeden durchzählen. – Dr. Armin Jäger, CDU: Da bin ich mir aber nicht so sicher.)

Beanstandet jemand die Zählung? Wir können gerne noch ein paar Mal zählen. Wird beanstandet?

(Harry Glawe, CDU: Wir ver- trauen Ihnen, Herr Präsident.)

Bitte?

(Harry Glawe, CDU: Wir vertrauen Ihnen.)

Gut, ich danke für das Vertrauen.

(Heiterkeit bei Angelika Gramkow, PDS)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Zivilprozessreform, auf Drucksache 3/1932.

Antrag der Fraktion der CDU: Zivilprozessreform – Drucksache 3/1932 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Born von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Born. Und geben Sie Herrn Born Platz zum Reden, etwas Ruhe.

(Angelika Gramkow, PDS: Also Platz hat er genug.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung eine umfassende Justizreform zum Ziel gesetzt. Die Reform soll schrittweise durchgeführt werden. Am Anfang soll danach die Reform des Zivilprozesses stehen.

Nun haben wir mit Justizreformen in diesem Land ja so unsere eigenen Erfahrungen. Es ist noch gar nicht allzu lange her, als in diesem Land mit großen Ankündigungen eine Strukturreform in Gang gesetzt wurde und, soweit sie den Bereich der Justiz betraf, zu umfangreichen Änderungen führte. Es wurde uns damals in Aussicht gestellt, das alles diente dazu, um Kosten zu sparen, um die Justiz und die Gerichtsverfahren bürgernäher zu gestalten.

(Unruhe bei den Abgeordneten – Glocke des Präsidenten)

Nun, wenn man das jetzt mit einigem zeitlichen Abstand mal ganz kritisch sich ansieht, dann wird man sehr schnell feststellen, dass von diesen sehr optimistischen Ankündigungen leider nicht sehr viel geblieben ist.

Die Verfahrensdauer hat sich natürlich nicht verkürzt, die Bürgernähe ist nicht eingetreten, sondern, im Gegenteil, da die Entfernung zu vielen Gerichten eben größer geworden ist, ist klar, dass die Bürger weitere Wege zurückzulegen haben. Und das, was im Vordergrund stand, nämlich Kosteneinsparungen, wenn Sie sich das genau anschauen, werden Sie auch feststellen, das Gegenteil ist der Fall.

Die Zivilprozessordnung stammt in ihrer Ursprungsfassung aus dem Jahre 1877. Und, völlig unstreitig, alle, die sich einmal ein bisschen damit befasst haben, werden es bestätigen, es ist diese Zivilprozessordnung eine der großen kodifikatorischen Leistungen eines deutschen Gesetzgebers, eine Prozessordnung, die noch heute auch an internationalen Maßstäben gemessen als vorbildlich angesehen werden kann. Natürlich muss man auch sagen, so alt die Zivilprozessordnung ist, so alt sind die Bemühungen um eine Reform. Das kann bei einer Materie, die für denjenigen, der damit in Berührung kommt, oftmals bis hin zur existenziellen Bedeutung geht, auch kaum anders sein. Aber ich habe bewusst eben auf das Datum des In-Kraft-Tretens der Zivilprozessordnung hingewiesen, um auch deutlich zu machen, dass, wenn man sich eine Reform dieser Prozessordnung vornimmt, man dann besonders sorgfältig vorgehen muss und dass das auf keinen Fall dadurch ersetzt werden darf, das sorgfältige Vorgehen, dass man sich Ansprüche auf die Fahnen schreibt, die eigentlich völlig an der Materie vorbeigehen.

Natürlich, die Eingangs- und Erledigungszahlen der Amts- und Landgerichte und auch des Oberlandesgerichts bei uns im Land Mecklenburg-Vorpommern sind, was die Durchschnittszahlen angeht, ganz passabel, aber, das lässt sich gar nicht bestreiten, manche Verfahren dauern für die Betroffenen schlicht zu lang. Und hier gilt natürlich auch, dass gutes Recht schnelles Recht sein muss. Aber wenn man zu lange Verfahrensdauern im Einzelfall beklagt, dann muss man schon sehr sorgfältig analysieren, warum dauern diese Verfahren so lange. Und dann kommt man sehr schnell zu dem Ergebnis, dass all dieses, was hier mit dem Reformvorhaben angestrebt wird, keineswegs dazu angetan ist, die Zivilprozesse bürgerfreundlicher zu gestalten und zu einem schnelleren, verlässlichen und guten Recht zu führen.

Seit etwas mehr als einem Jahr ist die geplante Zivilprozessreform in der rechtspolitischen Debatte und sie droht nun gegen die überwältigende Mehrheit der Fachwelt von der rot-grünen Bundesregierung durchgezogen, besser wäre es wohl zu sagen, durchgeprügelt zu werden. Obwohl bereits der Referentenentwurf der Bundesjustizministerin auf einhellige Ablehnung gestoßen ist, haben die Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, instrumentalisiert von der Bundesjustizministerin, im Juli vergangenen Jahres einen nur geringfügig veränderten Gesetzentwurf zur Zivilprozessordnung in den Bundestag eingebracht, dem ein paar Monate später, nämlich am 1. Dezember 2000, ein nahezu identischer Entwurf der Bundesregierung in den Bundestag folgte, und das, obwohl die Richterschaft in Mecklenburg-Vorpommern, ja, in Deutschland insgesamt diese Reform der Zivilprozessordnung nachdrücklich ablehnt, ebenso wie nahezu die gesamte Anwaltschaft. Dies übrigens ist auch eine Besonderheit. Da gehört schon sehr viel zu, dass man beide großen Berufsgruppen so gegen sich aufbringt. Normalerweise ist meistens eine der beiden ganz zufrieden, wenn es um Änderungsvorschläge geht. Das ist auch nicht verwunderlich, da die eine Berufsgruppe zuerst

daran denkt, wie sie die Dinge schneller erledigen kann, und die andere möglicherweise auch das eigene Einkommen mit im Hinterkopf haben dürfte. Deshalb, man muss sich das schon auf der Zunge zergehen lassen, dass sowohl die Richterschaft als auch die Anwaltschaft einen solchen Reformansatz schon nachdrücklich ablehnen.

Und auch die gesamte Rechtswissenschaft lehnt diese Reform ab. Der 63. Deutsche Juristentag in Leipzig hat sich klar gegen diese Reform ausgesprochen. Die Wirtschaft und die Verbraucherverbände lehnen diese Reform ab – auch eine bemerkenswerte Konstellation! Und, meine sehr verehrten Damen und Herren auf der halblinken Seite, es wird Sie vielleicht überraschen, dass die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen auch nicht für diese Reform ist. Mich überrascht es nicht, weil in dieser Arbeitsgemeinschaft eben auch Fachleute zusammengeschlossen sind, die einmal, wenn Sie sich das genau angucken, ohne die parteipolitische Brille, schlicht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass diese Reform in keiner Weise dem Rechtsstaat dienlich ist.

(Dr. Klaus-Michael Körner, SPD: Nun verschweigen Sie aber die Hälfte.)

(Dr. Klaus-Michael Körner, SPD: Nun ver- schweigen Sie aber die Hälfte, Herr Born.)

Dann können Sie ja die andere gleich hinzufügen und dann gucken wir mal, ob es dann besser wird.

(Heiterkeit bei Dr. Christian Beckmann, CDU)

Der Bundesrat hat am 10. November 2000 im Rahmen der Stellungnahme gemäß Artikel 76 Absatz 2 Grundgesetz den Entwurf der Bundesregierung abgelehnt und genau die Punkte, die in unserem Antrag in den Ziffern 2 bis 11 formuliert sind, bemängelt und die Bundesregierung zur Streichung dieser Bestimmungen aus ihrem Gesetzentwurf aufgefordert. Ich bitte Sie herzlich, die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, sich diese Punkte 2 bis 11 anzusehen. Sie entsprechen, wie gesagt, dem, was der Bundesrat auch als streichnotwendig ansieht.

Sie können jetzt natürlich sagen, die Bundesratsentscheidung war nicht einstimmig, immerhin habe es Änderungsanträge einiger Bundesländer gegeben, woran sich das Land Mecklenburg-Vorpommern auch beteiligt habe, die eine ZPO-Reform im Grundsatz bejahen, aber noch mal im Detail eine Nachbesserung der Bundesregierung anmahnen. Aber sagen Sie bitte mal ganz ehrlich, das war doch auch keine Zustimmung zur Reform, verehrter Herr Justizminister, sondern lediglich der Versuch der SPDregierten Länder, sich geschickt aus der Affäre zu ziehen, um nicht offen gegen die Bundesjustizministerin Frau Däubler-Gmelin und ihren Gesetzentwurf stimmen zu müssen. Oder sehen Sie das etwa anders? Jetzt müsste ich eigentlich den Arbeits- und Bauminister fragen, denn der war derjenige, der in dieser Bundesratssitzung das Land Mecklenburg-Vorpommern vertreten hat. Das ist insofern bemerkenswert, weil Sie, wenn Sie sich die Bundesratsdebatte einmal angucken und sich den erlauchten Rednerkreis dort zu Gemüte führen, feststellen werden, dass sich zumeist sogar die Regierungschefs persönlich zu dieser Reform, und zwar mehr oder weniger durchweg kritisch geäußert haben. Und das zeigt eben auch die Bedeutung dieser geplanten Reform, aber auch die Bedeutung des Zivilprozesses für unser rechtsstaatliches Zusammenleben.

Aber wenn diese Landesregierung die Ablehnung schon zum Ausdruck bringen wollte, dann hätte sie besser noch die Finanzministerin Frau Keler in der Bundesratssitzung rotieren lassen sollen, denn unsere Finanzministerin hat allen Grund, diese Reform abzulehnen. Die geplante Zivilprozessreform bedeutet für die Justizhaushalte der Länder eine Mehrbelastung mit immensen Kosten.

(Ministerin Sigrid Keler: Das haben wir doch auch gemacht.)

Jaja, ich habe ja gesagt, wenn man das ganz offen ablehnen will im Bundesrat, wäre das noch besser gewesen, weil natürlich die zusätzlichen Kosten, wenn man sie nur mal ganz kurz hier ansprechen will, ein entscheidender, wenn auch keineswegs der einzige Kritikpunkt bei dem ganzen Reformvorhaben sind. Allein durch die Zuweisung der landgerichtlichen Berufung an die Oberlandesgerichte entstehen erhebliche finanzielle Mehrbelastungen. Damit die Oberlandesgerichte die zusätzliche Arbeit – immerhin gab es in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 1999 an den Landgerichten 1.737 Eingänge an Berufungsverfahren, dagegen beim Oberlandesgericht nur 1.320 Berufungseingänge – schaffen können, müssen die bei den Landgerichten eingesetzten Berufungsrichter an die Oberlandesgerichte versetzt werden, was Stellenhebungen voraussetzt, ganz zu schweigen von dem anfallenden Trennungsgeld und eventuellen Umzugskosten. Darüber hinaus wird durch die Vertiefung der Tatsachenfeststellungen in erstinstanzlichen Verfahren der Personaleinsatz intensiver. Hinzu kommen bei uns in unserem großflächigen Land auf jeden Fall erhöhte Prozesskostenhilfeausgaben wegen der weiteren Entfernung zum Oberlandesgericht Rostock.

Und, meine Damen und Herren, wie diese Mehrkosten finanziert werden sollen, ist für das Land natürlich völlig ungeklärt. Für den Bund ist es geklärt. Der sagt schlicht und einfach, Mehrkosten sind im Einzelnen nicht feststellbar und wenn, dann müssen sie selbstverständlich die Länder tragen. Ja, es heißt im Gesetzentwurf der Bundesregierung, „das Gesetz führt zu keinen zusätzlichen Belastungen der Haushalte von Bund und Ländern“. Ende des Zitats! Das heißt im Klartext, die Bundesregierung sieht sich in keinerlei Verantwortung, sich an den Mehrkosten zu beteiligen, die ausschließlich bei den Ländern entstehen.

Und dass der Arbeitsminister die ZPO-Reform – ich hoffe, er hat sich damit auseinander gesetzt – möglicherweise aus einem ganz anderen und gar nicht so negativ gefärbten Blickwinkel sehen könnte, wäre aus zwei Gründen einleuchtend: Erstens könnten und müssten mehr Richter eingestellt werden, um den Mehraufwand zu bewältigen. Wenn man das nicht will, dann führt das zwangsläufig zu einer erheblichen Verzögerung der Verfahren. Und zweitens könnten und müssten Sie in Rostock ein neues und größeres Oberlandesgericht bauen, denn das soll nach den Plänen der Bundesregierung allein zuständig für Berufungs- und Beschwerdeverfahren werden, also auch für die Berufungen und Beschwerden gegen die Urteile der Amtsgerichte, für die bisher außer bei den Familiensachen die Landgerichte zuständig sind. Aber ich weiß nicht, ob das von denjenigen, die das alles befürworten, auch bis zu Ende durchdacht wurde.

Hier in Schwerin würde beispielsweise weniger Platz für die Zivilgerichtsbarkeit beim Landgericht benötigt wer

den. Der frei werdende Platz könnte möglicherweise gut vom Justizministerium mitgenutzt werden. Doch was passiert dann mit dem geplanten Neubau des Justizministeriums für 20 Millionen DM? 500.000 DM sind es allein in diesem Jahr, die im Haushalt eingestellt sind. Was wäre, wenn die Zivilprozessreform in der jetzigen Form zur Realität werden würde? Es wäre schon ein finanzielles Desaster! Aber, meine Damen und Herren, was da in Berlin entschieden würde, müssten wir hier im Land ausbaden. Und ich glaube, das ist den meisten hier noch gar nicht richtig bewusst geworden. Sicher, die Reform des Zivilprozessrechts ist Bundesrecht, aber in erster Linie und fast ausschließlich sind die Länder davon betroffen, ja aber noch mehr die Recht suchenden Bürger, was letztlich das Entscheidende ist.

Was das Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Ländern angeht, so ist dieses langsam bestürzend. Natürlich gibt es immer wieder gegensätzliche Interessen. Dass aber eine Regierung ein Reformvorhaben durchziehen will, das auf den Widerstand aller Justizminister stößt – Herr Minister Sellering, ich bin wirklich gespannt, ob Sie nachher dieser Reform dann doch positive Züge abgewinnen wollen gegen den Widerstand der Landesjustizminister, ich habe bisher aus keinem Land gehört, dass es dem jetzigen Reformvorhaben in der geltenden Fassung zustimmen könnte –, ist wirklich erschreckend! Auf die Interessen der Länder wird hier keine Rücksicht genommen. Es wird versucht, sie einzukaufen. Nun, ich brauche nicht an das anrüchige Verfahren bei der Steuerreform zu erinnern.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Was heißt hier anrüchig, Herr Dr. Born? Alles sehr nützlich für das Land.)

Es dürfte allen noch plastisch im Gedächtnis sein, insbesondere Ihnen, verehrte Abgeordnete von der PDS. Herr Dr. Schoenenburg, Ihnen ist das ganz besonders gut in Erinnerung, denke ich.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ja, das stimmt wohl wirklich. Deshalb ist es eben auch nicht anrüchig.)

Ich möchte Sie nur eindringlich davor …

(Ministerin Sigrid Keler: Das hat Sie getroffen.)

Nein, nein. Herr Dr. Schoenenburg bereichert nur immer durch seine Zwischenrufe die Debatte in der Weise, dass man dann gleich auf die Argumente sehr schön eingehen kann.

(Monty Schädel, PDS: Nur nicht zu viel Lob!)

Deshalb sage ich Ihnen, verehrter Dr. Schoenenburg, ich möchte Ihnen nur dringend empfehlen, Sie sollten hier sehr aufpassen, dass Sie bei der Nepper- und Schleppertour von Frau Dr. Däubler-Gmelin – und die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass sie auf Reisen geht, um die Justizminister auf Linie zu bringen – nicht gegen Versprechungen, welcher Art auch immer, nachher als Land Mecklenburg-Vorpommern, dann in Form des Justizministers, klein beigeben!

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ja, wollen wir doch mal sehen, was sie zu bieten hat!)

Sie haben als Erstes …

Ja, was sie zu bieten hat, steht ja in diesem Reformgesetzentwurf, und das ist sehr erschreckend, was sie zu bieten hat,

(Heiterkeit bei Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Na, das kann es ja noch nicht sein.)

ganz egal, was sie dann noch dazupacken will!