Protocol of the Session on March 7, 2001

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf werden die Vorschriften über barrierefreies Bauen erweitert. Im November 2000 ist eine Anhörung mit Vertretern aller betroffenen Bereiche durchgeführt worden und am 22. Februar 2001 konnte der Gesetzentwurf abschließend beraten werden. Die mitberatenden Ausschüsse – Innenausschuss, Finanzausschuss und Sozialausschuss – haben die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfes empfohlen.

Zeitweise gab es hinsichtlich der Auslegung der Konnexitätsregelung zwischen dem Ministerium für Arbeit und Bau und dem Innenministerium unterschiedliche Positionierungen. Beide Ministerien haben nunmehr Übereinstimmung erzielt, dass der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern nicht unter die strikte Konnexitätsregelung des Paragraphen 4 Absatz 2 und nicht unter Paragraph 91 Absatz 2 der Kommunalverfassung fällt. Die in der geplanten Änderung der Landesbauordnung vorgesehenen Anforderungen an die Barrierefreiheit in Schulen stellen keine Übertragung einer neuen Aufgabe dar, sondern lediglich eine Standarderhöhung für die Erfüllung einer bestehenden Aufgabe, die von der Konnexitätsregelung der Kommunalverfassung nicht erfasst wird.

Es sei auch an dieser Stelle erwähnt, dass der Landesrechnungshof in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass das Konnexitätsprinzip hier nicht zutreffend ist, dass eine Kostenfolgeabschätzung nicht notwendig ist und dass der Entwurf abschließend beraten werden kann.

Die wichtigsten Aussagen der Sachverständigen anläss

lich der umfangreichen Anhörung enthält der Ihnen auf Drucksache 3/1387 vorliegende Bericht.

Meine Damen und Herren! Der Ausschuss für Bau, Arbeit und Landesentwicklung empfiehlt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, bei zwei Enthaltungen der Oppositionsfraktion, den Gesetzentwurf mit den beschlossenen Anpassungen, Änderungen und Ergänzungen anzunehmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Vielen Dank, Herr Baunach.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Da es dazu offensichtlich keinen Widerspruch gibt, ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Nehring-Kleedehn von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Uns liegt heute der überarbeitete Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern vor. Genauer geht es um den Paragra

phen 52, dem ich mich auch bei meinen Ausführungen inhaltlich etwas mehr widmen werde.

In diesem Paragraphen sind die Vorschriften zum so genannten barrierefreien Bauen enthalten. Absicht der Koalitionsfraktionen ist es, diese so zu erweitern, dass damit behinderten Menschen die Benutzung und Inanspruchnahme von Gebäuden verschiedenster Art erleichtert werden soll. Ich gehe davon aus, dass niemand unter uns ist, der diese grundsätzliche Intention nicht für begrüßenswert hielte und nicht nach Wegen und Möglichkeiten suchen würde, um diese zu realisieren. Meine Fraktion hat auch im Rahmen der Ausschussberatung von Anfang an deutlich gemacht, dass parteiübergreifend ein hohes Interesse besteht, hier zu Fortschritten zu kommen. Dieses werden wir auch heute deutlich machen, indem wir den vorliegenden Gesetzentwurf nicht in Bausch und Bogen ablehnen werden.

Nach meiner Auffassung haben die Beratungen um die Auswertung der Anhörung aber auch ergeben, dass wieder einmal der Teufel im Detail steckt und dass unzureichend berücksichtigt wurde, dass der Kreis der von der Änderung Betroffenen weit über die Gruppe der Behinderten hinaus geht. Dieses kommt im Entwurf nicht genügend zum Ausdruck und deshalb werden wir ihm auch nicht zustimmen können. Ich möchte im Folgenden genauer darauf eingehen.

So sehr die Neufassung des Paragraphen 52 den Interessen der Behinderten zugute kommen mag, was sich in der Praxis erst noch herausstellen wird, die Folgen betreffen einen weit größeren Kreis von Personen und Institutionen, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Ich denke an die Einrichtungen des Hotel- und Gaststättengewerbes, dessen Verband auf die für seine Mitglieder nachteiligen Folgen ausdrücklich hingewiesen hat. Leider zeigt sich auch hier wieder einmal, dass es offensichtlich das Bestreben der Koalitionsfraktionen ist, der heimischen Wirtschaft ein weiteres Beschwernis aufzubürden.

(Irene Müller, PDS: Das ist doch Quatsch!)

Wem damit langfristig geholfen sein soll, bleibt wohl das Geheimnis der Koalitionäre. Wir finden auch an dieser Stelle ein erstes Indiz für das handwerkliche Defizit dieses Entwurfs.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Haben Sie das noch nicht begriffen?)

Vielleicht geben Sie mir nachher, Frau Dr. Seemann, noch eine Nachhilfestunde.

Er kann zum Beispiel die Frage nicht beantworten, wie mit der Problematik zukünftig zu verfahren ist, dass es keine Abstimmung mit den Gesetzen und Gesetzgebungsvorhaben auf Bundesebene gegeben hat. Ich denke da nur an das Gaststättengesetz und die Musterbeherbergungsverordnung. Im Übrigen sei noch ein kleiner marktwirtschaftlicher Exkurs gestattet. Wenn denn die Nachfrage von Behinderten nach Dienstleistungen dieses Wirtschaftssektors so ungemein groß wäre, dann hätten die jeweiligen Unternehmen und Einrichtungen doch von sich aus genügend Anreize, entsprechende bauliche Maßnahmen und Veränderungen vorzunehmen,

(Irene Müller, PDS: Darum geht es doch nicht!)

da sie dann ja mit höheren Umsatzerlösen rechnen können. Dieser Prozess wäre aber auch im Rahmen der

bestehenden Regelungen ohne weiteres möglich gewesen. Hinzu kommt, dass wir es hier mit einem Zielkonflikt zwischen den Belangen des Denkmalschutzes

(Irene Müller, PDS: Denkmal- schutz wird gar nicht berührt.)

vor allem in den Stadtkernen und den Belangen der Behinderten zu tun haben. Vieles, was unter denkmalpolitischen Erwägungen sachgerecht erscheint, steht den Absichten des Gesetzentwurfes entgegen. Ungeklärt bleibt die Frage, wie in altbaulich geprägten Innenstädten zukünftig mit Aspekten der Plätze, der Besitzverhältnisse, der Kosten, ja der Gestaltung an sich umgegangen werden kann und soll. Eine Antwort enthält der Gesetzentwurf eben nicht, sondern spielt vielmehr die Interessen der Betroffenen gegeneinander aus und lässt große Teile davon sogar im Regen stehen, Frau Dr. Seemann. Ich habe große Zweifel, ob Sie dem Anliegen der Behinderten dauerhaft damit nicht eher einen Bärendienst erweisen. Es ist nämlich nicht so, dass man, wenn man etwas schwarz auf weiß hat, damit getrost nach Hause gehen kann und sich daraus ein Rechtsanspruch ergibt.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Aber ohne Gesetze geht’s doch nicht.)

Indem sie sich darauf konzentrieren, wie künftig in deren Sinne gebaut werden muss, produzieren Sie solche Erschwernisse, dass sich die Frage stellt, ob dann überhaupt gebaut wird.

(Irene Müller, PDS: Es geht nicht ums Bauen für Behinderte, sondern für Menschen.)

Und wollen wir das?

Meine Damen und Herren! Anstatt neue verschärfte Vorschriften einzubauen, wäre es vernünftiger gewesen, über sachgerechte Modifizierungen bereits existierender Förderprogramme finanzielle Anreize zu setzen, die es einem Bauherren erleichtern würden, barrierefrei im Sinne des neuen Paragraphen 52 zu bauen. Ich bin sicher, man hätte solche Änderungen implementieren können, ohne die öffentlichen Haushalte über Gebühr zu belasten, zum Beispiel über zinsverbilligte oder gar zinslose Darlehen. Deutlich glaubwürdiger als durch das phantasielose Festschreiben von Regeln hätte das Land hierdurch seinen Willen zur Verbesserung des Alltages der betroffenen Personenkreise bekunden können. Dazu waren Sie, meine Damen und Herren von PDS und SPD, aber aus Gründen, die sich mir hier noch nicht erschlossen haben, nicht bereit. Stattdessen nichts als neue Vorschriften und Verordnungen von oben durchgepaukt und sich dann noch schamlos mit dem Mäntelchen des Sozialen zu umhüllen.

Herr Minister Holter, bei anderen ideologisch geprägten Losungen wie „Jugend baut“ und Ähnlichem gelingt es Ihnen, wenigstens Mittel zur Verfügung zu stellen. Hier aber, wo es wirklich wünschenswert, sachgerecht und möglich gewesen wäre, haben Sie geschwiegen. Ein Ruhmesblatt war es nicht und so entpuppt sich ein „gut gemeint“ als das Gegenteil von „gut“. Oder hatten die Koalitionsfraktionen wieder einmal die begründete Befürchtung, von der Finanzministerin zurückgepfiffen zu werden, wie das ja bei der Frage der kommunalen Finanzausstattung mittlerweile Usus ist? Da ist es dann doch viel einfacher und bequemer, die Kosten auf Dritte abzuschieben, und die sollen dann mal sehen, wie sie damit zurechtkommen. „Wer nicht hören will muss fühlen!“, das ist Ihr Motto. Ich sage Ihnen ganz klar, eine solche Politik

der finanziellen Verschiebebahnhöfe lehnen wir an dieser Stelle entschieden ab.

(Andreas Bluhm, PDS: Nur an dieser Stelle?)

Nein, nicht nur an dieser Stelle, Herr Bluhm.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Andreas Bluhm, PDS)

Herr Bluhm, ich glaube, ich brauche Ihnen keinen Exkurs zu geben, was es heißt, Investitionen zu machen oder keine Investitionen zu machen.

(Andreas Bluhm, PDS: Ja.)

Investitionen durchzuführen heißt Arbeitsplätze zu schaffen, heißt Steuereinnahmen, heißt Entlastung der öffentlichen Haushalte und so weiter. Das Umgekehrte in diesem Fall ist im Moment an der Tagesordnung. Und es ist eine Verhöhnung der Abgeordneten, wenn es dann im Punkt „D. Kosten“ der Drucksache 3/1947(neu) heißt, und ich zitiere wörtlich: „Der Umfang der Mehrkosten für Bauherren und die Kosten auf die Anpassung bestehender sozialer Einrichtungen und öffentlicher Gebäude lassen sich nicht ermitteln.“

Wenn dieses Beispiel Schule machen sollte, dann können wir zukünftig auf diesen Punkt in Gänze verzichten, frei nach dem Motto: Was kostet die Welt, wir haben es ja. Und in diesem Zusammenhang sage ich Ihnen, wir haben es in vielen Bereichen eben nicht. Und schon aus Gründen der Selbstachtung kann ich als Abgeordnete nicht einem Gesetz zustimmen, über dessen Folgekosten ich von der Exekutive im Unklaren gelassen werde.

Nun weiß ich sehr wohl, dass es recht schwierig ist, für jede einzelne in Frage kommende Baumaßnahme einen exakten Kostenvorschlag zu ermitteln. Dass sich aber das Finanzministerium und das Ministerium für Arbeit und Bau nicht in der Lage sehen, wenigstens grobe Schätzungen als Orientierungsgröße zu präsentieren, finde ich schon enttäuschend, und das ist mit meinem Selbstverständnis von Informationspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag nicht in Einklang zu bringen.

Mit einer löblichen Ausnahme waren die Abgeordneten der SPD und PDS im Bauausschuss leider auch nicht bereit, einen in der Sache völlig berechtigten Hinweis eines Anzuhörenden – nämlich der WIRO (Wohnen in Rostock) – aufzugreifen, der zum Inhalt hatte, dass eine pauschale Forderung nach barrierefreien Erdgeschosswohnungen bei konsequenter Umsetzung zu einem Angebot an größeren und damit teureren Wohnungen führen werde, zumal die jeweils darüber liegenden Wohnungen darüber konstruktiv korrespondieren.

Die jetzt vorgesehene Regelung führt unter Umständen dazu, dass Eigentümer von Wohngebäuden mit mehr als drei oberirdischen Geschossen unabhängig vom tatsächlichen Bedarf behindertengerechte Wohnungen vorhalten müssen. Aus gutem Grund hat meine Fraktion daher den entsprechenden Passus im Paragraphen 52 Absatz 7 Satz 1 ändern wollen, der die Anforderungen hinsichtlich des barrierefreien Bauens in Wohngebäude auf solche mit mehr als vier oberirdischen Geschossen begrenzen wollte. Auch mit diesem Antrag konnten wir deutlich machen, wir sind zu konstruktiver Mitarbeit am Gesetz bereit, allerdings muss das Verhältnis von Wünschbarkeit und Machbarkeit beziehungsweise Tauglichkeit ausgewogen sein und bleiben.

Wie bereits gesagt, diesem Anliegen haben Sie sich leider verweigert. Ideologie und Starrköpfigkeit haben wieder einmal die Oberhand über Vernunft und Sachverstand erhalten. Bis hinein ins Absurde wurde die Konfrontationsstrategie der Koalitionsfraktionen allerdings getrieben, als es darum ging, die Problematik der grundsätzlichen Umsetzbarkeit der Vorschriften zu behandeln. So wiesen mehrere Anzuhörende darauf hin, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe „nicht nur geringfügige Änderungen der Gebäude“ im Paragraphen 52 Absätze 3 und 5 sowie „unverhältnismäßig hoher Mehraufwand“ im Paragraphen 52 Absatz 9 einer Konkretisierung bedürften. Und nun frage ich mich natürlich: Hätte es nicht auch im Interesse der Koalitionsfraktionen gelegen, hierbei noch Änderungen vorzunehmen? Was kann man sachlich dagegen haben, an dieser Stelle für mehr Rechtssicherheit zu sorgen und in Verbindung damit ein Unterwandern der Vorschrift zu vermeiden? Ich glaube aus der Anhörung entnommen zu haben, dass dieses ein wichtiger Ansatzpunkt der Betroffenen gewesen ist, Rechtssicherheit aus einem Gesetz zu erlangen. Ich kann es schlicht nicht nachvollziehen, dass Sie sich selbst diesem Anliegen verweigert haben. Es zeigt sich, was von der Opposition kommt, muss schon per Definition falsch sein, möge es auch noch so sehr im Interesse der Sache liegen.

Im Zuge der Beratungen wurde leider auch nicht der Frage näher nachgegangen, ob das derzeitige Hauptproblem im Zusammenhang mit dem barrierefreien Bauen nicht vielleicht doch in einer unzureichenden Anwendung der jetzt noch existierenden Regelung besteht. Ich hätte von der Landesregierung erwartet, dass sie diesbezüglich den Landtag oder wenigstens den Fachausschuss darüber unterrichtet, wie sich die Situation aus Sicht der Landesregierung darstellt. Auch hier ist zu konstatieren: Fehlanzeige. Anstatt sich erst einmal über den Ist-Stand zu verständigen, der ja beispielsweise auch von den einzelnen Landkreisen recht unterschiedlich aufgefasst wird, werden jetzt gleichsam mit der ideologisch verbrämten Brechstange Änderungen vorgenommen, die über das Ziel hinausschießen. Ich kann in diesem Zusammenhang nur hoffen, dass die Ausnahmeregelung nach Paragraph 52 Absatz 9 möglichst großzügig gehandhabt wird.

Ungeklärt bleibt auch der Hinweis seitens des Städteund Gemeindetages, dass Festlegungen zur baulichen Barrierefreiheit auch für Menschen mit Sinnesschädigungen, Kommunikationseinschränkungen und Mobilitätsbeschränkungen gelten sollen. Was aber nützen die Bestimmungen in den Absätzen 6 und 7 beispielsweise einem sehbehinderten Menschen, ja sie können sich sogar als nachteilig für ihn herausstellen. Was zum Beispiel dem Rollstuhlfahrer nützt, ich denke da an das Absenken oder Aufheben von Kanten,

(Irene Müller, PDS: Es gibt eine Vereinbarung auf drei Zentimeter!)

kann sich für den sehbehinderten Menschen als zusätzliches Problem herausstellen.

Ich habe dieses so, Frau Müller, in der Anhörung vernommen.

Wiederum spielen Sie hier verschiedene Behindertengruppen gegeneinander aus, was ich für recht billig halte. Eine befriedigende Antwort auf diesen Zielkonflikt haben Sie ebenfalls bis heute nicht gegeben.

Wenn man aber die weniger konkreten Regelungen des Absatzes 1 auf diese Gruppe anwendet, sind die sich in