Protocol of the Session on January 31, 2001

Aber nun hat der Deckel vom brodelnden Topf abgehoben. Schwerin steht vor der Entscheidung, Sparten zu schließen, das Orchester zu verkleinern. Personal wird auf jeden Fall abgebaut. Rostock will ganz auf das Theater verzichten, weil die kommunalen Schulden die Stadt erdrücken. Das Vorpommern-Theater kann sich auch nur noch mit Haustarifen helfen, die privatrechtliche Organisationsform macht es möglich. Auch die Fusion von Mecklenburg-Strelitz und Neubrandenburg, die ja hier immer so hoch bejubelt wird, ist mit Personalabbau und damit mit einem Verlust an attraktiven Angeboten verbunden. Theaterverträge sind ein Mittel zur Verwaltung des Mangels an reell verfügbaren Mitteln, aber nicht Ausdruck einer künstlerischen Neuordnung der Theater- und Orchesterlandschaft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion zeigt sehr wohl, dass wir uns mit der Materie nicht nur einmal auseinander gesetzt haben …

(Die Abgeordnete Sylvia Bretschneider meldet sich für eine Anfrage.)

Nach meiner Rede gerne.

… und dass uns wider Erwarten Materialien zugänglich sind, die uns auch eine ernsthafte Auseinandersetzung möglich machen. So sind wir zum Glück nicht auf die Interpretation von Gutachten durch den Kulturminister wider Willen angewiesen, der, wie nicht anders zu erwarten war, die positive Evaluierung der Theaterverträge durch die Gutachterin als Indiz für die Richtigkeit seiner Moderationsbemühungen wertete.

Bezeichnend für die Pressekonferenz vom letzten Montag war auch, dass den anwesenden Journalisten nur Auszüge, nur statistisches Material zur Verfügung gestellt wurde und die Pressemitteilung eine geschönte Zusammenfassung der Expertise darstellt,

(Harry Glawe, CDU: Weniger ist mehr. – Wolfgang Riemann, CDU: So macht das die Landesregierung. Es geht immer vorwärts.)

in der zwar die Bestätigung der Theaterpolitik partiell Eingang fand, die Kritik aber gänzlich ausgespart wurde. Das ist, meine ich, unseriöse Informationspolitik, die auch von der Gutachterin aufgegriffen wurde, die sich wiederum in ihrem mündlichen Vortrag auf eben diese Kritikpunkte konzentrierte. Daher wäre es durchaus wünschenswert, wenn der Kulturminister die vollständige Expertise dem Landtag zur Verfügung stellen würde, damit sich jeder ein Bild machen kann, vor allem im Vergleich zur Unterrichtung des Kultusministers auf Drucksache 3/1564.

Meine Damen und Herren! Wie wir seit letztem Montag wissen, geht die Expertise über die Würdigung der tatsächlichen Theaterpolitik des Ministers hinaus. Besonders die kritischen Punkte der Expertise, die im Widerspruch zum Bericht der Projektgruppe stehen, verdienen eine besondere Würdigung. Ansonsten hätten wir die 104.000 DM anderweitig sinnvoller einsetzen können.

(Wolfgang Riemann, CDU: Für die Theater am besten. – Angelika Gramkow, PDS: Können Sie das untersetzen?)

Diese Expertise empfiehlt dem Land, der Landesregierung, dem Kulturminister wider Willen, aus der moderierenden Rolle herauszutreten und eine gestalterische Funktion zu übernehmen. Dieses Gutachten sagt auch, dass die gegenwärtigen Strukturen bei gleichbleibenden Finanzierungsvoraussetzungen nicht zu halten sind. Demnach vertritt der Kulturminister wider Willen den Standpunkt, dass Mecklenburg-Vorpommern weiterhin mit einer Fusion hier und dort, einem Theatervertrag hier und dort das 4-Regionen-Modell, das sich vornehmlich inhaltlich aus dem 4-Standorte-Modell von 1992 speist, mit Mehrspartenhäusern aufrechterhalten kann. Und das Gutachten sagt, dass hier und da durch Fusionen und Theaterverträge die eine oder andere Mark oder, formulieren wir es sachgerechter, der eine oder andere Euro gespart werden kann. Aber ein Defizit wird mit dieser Politik nicht vermieden,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist das Problem.)

ein Defizit, meine Damen und Herren, das wir ohnehin schon seit 1998 vor uns her schieben. An dieser Stelle widerspreche ich dem Gutachten, denn die Deckelung des Landeszuschusses provoziert geradezu ein solches, da die theatertragenden Kommunen von Jahr zu Jahr weniger in der Lage waren, dieses Defizit zu kompensieren.

(Angelika Gramkow, PDS: Wer hat das denn eigentlich im Finanzausgleich gedeckelt? Waren Sie das?)

Meine Damen und Herren! Das war auch der tatsächliche Hintergrund der Theaterfusion …

(Angelika Gramkow, PDS: Ja, jetzt auch ehrlich. Sagen Sie, wie Sie dazu kommen!)

Ich komme noch darauf, Frau Gramkow.

Das war auch der tatsächliche Hintergrund der Theaterfusion von Mecklenburg-Strelitz und Neubrandenburg. Nicht die Ensembles wollten sich zusammenschließen, meine Damen und Herren, sondern es bestand der Zwang zum Zusammenschluss, da beiden theatertragenden Kommunen das Wasser bis zum Hals stand. Es ging schlicht um die Existenz der Philharmonie, des Mehrspartentheaters Neustrelitz und des Kammertheaters Neubrandenburg. Im Gegensatz zum Abbau des Neustrelitzers Orchesters 1994 haben die Fusionspläne heute keinen künstlerischen Hintergrund. Die gleichen Kulturpolitiker, die heute die Theaterverträge und Fusionspläne der Landesregierung wohlwollend begleiten, hätten mich 1994 für den Abbau des Neustrelitzer Orchesters am liebsten gesteinigt, obwohl es damals künstlerisch nachvollziehbar war, innerhalb von 30 Kilometern nicht zwei volle Orchester vorzuhalten.

(Dr. Klaus-Michael Körner, SPD: Was wissen Sie davon denn überhaupt? – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Dieses Problem der künstlerischen Abgrenzung und Profilierung besteht heute nicht und das, meine Damen und Herren, macht genau heute den Unterschied zu 1994 aus. So ist das also, was damals verdammt wurde, ist heute recht und billig.

(Zuruf von Lorenz Caffier, CDU)

Aus diesem Gegensatz wird deutlich, dass sich der Kulturminister nicht von künstlerischen Bedürfnissen und von den Bedürfnissen des Publikums leiten lässt, sondern vom Spardiktat der Finanzministerin.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, natürlich.)

Man kann sich gesund sparen, aber hier passiert genau das andere, wir sparen kaputt, was vorhanden ist. Dabei hilft es auch nicht, die Verantwortung dem Parlament zuzuschieben.

(Zuruf von Siegfried Friese, SPD)

Wenn Sie, sehr geehrter Herr Bildungsminister, dies tun, dann vergessen Sie bitte nicht zu erwähnen, dass Sie und Ihre Fraktionen in der Koalitionsvereinbarung die Höhe des kommunalen Finanzausgleiches festgeschrieben haben, Frau Gramkow, und damit auch einer Dynamisierung der Theaterfördermittel schon 1998 bei Regierungsantritt einen Riegel vorgeschoben haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Es muss doch aufhö- ren, dass die Kommunen das selber finanzieren. Was soll denn diese Spiegelfechterei?)

Also, meine Damen und Herren, hören Sie auf, die Verantwortung hin und her zu schieben!

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Genau aus diesem Grund fordern wir schon seit 1998, die Theaterfördermittel – Herr Friese, ich sage es, auch wenn Sie es nicht hören wollen – aus dem FAG wieder herauszunehmen, damit Sie als Kulturminister Wirkungsmöglichkeiten haben, Herr Kauffold.

(Siegfried Friese, SPD: Können Sie das mal etwas genauer ausführen? Wie sollte das denn aussehen?)

Sie haben heute keine Kundschaft mehr, denn die Kundschaft, die Sie wort- und tatenreich begleiten wollen, die ist seit 1997 die Kundschaft des Herrn Innenministers.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bleiben wir bitte bei den Wahrheiten. Der Theatervertrag zwischen Neubrandenburg und Neustrelitz ist noch kein Vertrag zwischen den betroffenen Ensembles. Die theatertragenden Kommunen sahen sich zur Vertragsschließung gezwungen, da – und das wäre die bedauerliche Alternative gewesen – das Mehrspartentheater, bereits auf ein Minimum geschrumpft, hätte ganz geschlossen werden müssen. Was ist eigentlich an dieser Praxis beispielgebend?

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das frage ich mich auch.)

Die künstlerische Fusion muss erst noch vollzogen, Spielpläne und Inszenierungen abgestimmt werden. Darin liegt die eigentliche Herausforderung, die noch nicht bewältigt ist.

Meine Damen und Herren! Ich werde den Eindruck nicht los, dass die besondere Herausforderung der künstlerischen Zusammenführung mehrerer Theaterstandorte allein den theatertragenden Kommunen überlassen wird. Die dürften aber damit überfordert sein.

(Dr. Armin Jäger, CDU: So ist es.)

Dass sie dies sind, das zeigen gerade Beispiele wie Rostock und mit Abstrichen auch Schwerin.

(Angelika Gramkow, PDS: Dann scheinen Sie die Situation nicht zu kennen.)

Ich sehe die Gefahr, dass die konsequente Kommunalisierung der Theater, der Theaterstruktur zur Provinzionalisierung der Theater- und Orchesterstruktur führt.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Bloß nichts damit zu tun haben.)

Diese Feststellung treffe ich ohne Vorwurf an die betroffenen Kommunen,

(Siegfried Friese, SPD: Wer hat denn die Provinzionalisierung eigentlich eingeleitet?)

denn der Vorwurf geht eher in die Richtung Landesregierung, die nach wie vor kein eindeutiges Bekenntnis zu ihrer kulturpolitischen Gesamtverantwortung abgelegt hat.

(Unruhe bei Siegfried Friese, SPD, und Harry Glawe, CDU)

Mit Bekenntnissen allein ist es nicht getan. Verantwortung, meine Damen und Herren, muss auch wahrgenommen werden. Reden alleine reicht nicht. Den Reden müssen Taten folgen.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige Worte sagen, warum ich mich vehement für die Wahrnehmung

der Verantwortung durch die Landesregierung einsetze. Die Bedeutung der Theater geht weit über diese selbst hinaus und das ist bei Vorrednern auch schon angesprochen worden. Circa 20 Prozent der Besucher sind Touristen. Theater und Orchester sind noch ein Aushängeschild für unser Land, von denen wir eigentlich viel mehr bräuchten. Was hier aber betrieben wird, bewirkt genau das Gegenteil. Das Institut für kulturelle Infrastruktur in Sachsen führte im vergangenen Jahr eine Untersuchung zu „Kultur im ländlichem Raum“ durch, übrigens eine nachahmenswerte Analyse. Empirisch belegt kommt diese Studie dann zu folgendem Schluss: „Die Summe der Urteile über eine Region, also das Image, wird durch die Bewohner und Besucher immer auch und vor allem im Sinne von Kultur- und Freizeitwert betrachtet.“ So nachzulesen in „Kultur im ländlichen Raum“, erschienen in Leipzig im Jahr 2000, auf Seite 37.

Es sind die viel zitierten weichen Standortfaktoren, an denen Sie sich gerade durch Konzeptionslosigkeit versündigen. Für infrastrukturelle Entscheidungen sind auch kulturelle Faktoren entscheidend. Gerade Technologieunternehmen mit hochqualifiziertem Personal fragen diese Faktoren nach. Und, meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass auch die Stadt Schwerin bei BMW mit dem Staatstheater geworben hat.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja natürlich.)

Peinlich wird allerdings die Sache, wenn die Stadt bald ohne Orchester dastehen würde. Wir hoffen aber alle, dass es nicht so kommt.