Ich darf auf Erfahrungen in Großbritannien hinweisen. Sie haben es auch schon getan, Herr Thomas, ich will jedoch einen anderen Akzent setzen. Wissenschaftliche Studien in Großbritannien zeigen, dass, nachdem 85 Prozent aller dortigen Städte über Videoüberwachungsanlagen verfügten und enorme Anfangserfolge verzeichnet wurden, Videoüberwachungsmaßnahmen mit der Zeit einen großen Anteil ihrer Wirkung eingebüßt haben. Eine Erkenntnis war, dass die Maßnahmen ständig auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen waren und lageangepasst modifiziert werden mussten, weil Straftäter schnell gelernt haben, mit der Situation umzugehen, und ihre Vorgehensweise auf die neue Überwachungstechnik sehr schnell abgestellt haben.
Deswegen will ich für unsere Landespolizei in Mecklenburg-Vorpommern Folgendes zusammengefasst sagen: Die offene Videoüberwachung wird als ein Instrument zur Gefahrenabwehr, aber längst nicht als das einzige oder gar als das wichtigste in Mecklenburg-Vorpommern angesehen.
Die Polizeibehörden sind eigenständig in der Lage, die geltenden gesetzlichen Vorschriften anzuwenden, ein Programm – wessen auch immer, CDU-Programm oder sonstige politische Programme – für die Landespolizei ist hierfür gar nicht erforderlich. Und deswegen rate ich auch, den Antrag abzulehnen, meine Damen und Herren.
Zentrale Herausforderung für die Polizei ist es, das Kriminalitätsproblem als Flächenproblem in unserem Bundesland in den Griff zu bekommen. Das ist ja insbesondere auch eine Diskussion, die von der Gewerkschaft der Polizei hinlänglich geführt wird. Es gibt keinen herausgehobenen permanenten und dauerhaften Kriminalitäts
schwerpunkt. Das erschwert die Arbeit der Landespolizei – leider will ich nicht sagen – erheblich. Insbesondere ist die Gedenkstätte Wöbbelin, wenn ich das hier noch einmal sagen darf, nicht der Kriminalitätsschwerpunkt in Mecklenburg-Vorpommern.
Herr Thomas, Sie haben bei dem vorherigen Tagesordnungspunkt über die Stellung des Innenministers Timm vor der Landespolizei Ausführungen gemacht. Ich will Ihnen verraten, dass ich, als ich Ihren Antrag mit Polizeibeamten besprochen habe, feststellen musste, man konnte ein Lachen nicht unterdrücken. – Ich bedanke mich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat aus der „Schweriner Volkszeitung“ vom 22. März dieses Jahres beginnen. Dort kann man wörtlich lesen: „Ähnlich wie in der umstrittenen Fernsehserie Big Brother können Mieter in Rostocker Hochhäusern Mitbewohner und Besucher unerkannt auf dem heimischen Bildschirm beobachten. Ob der Nachbar mit heimlicher Freundin kommt, oder die Frau von nebenan sturzbetrunken die Schlüssel nicht mehr findet, alles kann von Überwachungskameras an der Haustür und über Kabelnetz live ins Wohnzimmer übertragen werden.“ So weit das Zitat.
Meine Damen und Herren, hier handelt es sich nicht um eine Science-Fiction-Fiktion oder um eine Neuauflage aus Orwells Roman „1984“, nein, dieses war Realität in einem Stadtteil von Rostock. Ich sage sehr deutlich, Orwells Vision des „Big Brother is watching you“ darf und wird nicht zum Alltag in unseren Städten werden. Ich erkläre hier zur Ehrenrettung der Rostocker, damit aus diesem Hohen Hause nicht ein falsches Licht auf die Bürger unserer größten Landeshauptstadt geworfen wird –
(Unruhe bei einzelnen Abge- ordneten der SPD, CDU und PDS – Heiterkeit bei Heidemarie Beyer, SPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Na, na, na, na! – Zurufe von Heidemarie Beyer, SPD, und Ministerin Sigrid Keler)
Entschuldigung, ich korrigiere mich wie folgt –, dass aus diesem Hohen Hause kein falsches Licht auf die Bürgerinnen und Bürger der größten Stadt dieses Landes geworfen wird: In Rostock gibt es keinen Nachbarn, der mit heimlicher Freundin kommt, und auch keine Frau von nebenan, die sturzbetrunken die Schlüssel nicht mehr findet.
Meine Damen und Herren, ich bin mir bewusst, dass man mit solchen Beispielen vorsichtig umgehen muss. Sie könnten vorschnell als Totschlagargument gegen Videoüberwachung benutzt werden. Auf der anderen Seite sollte man aber auch nicht mit den Horrorszenarien einer angeblichen Kriminalitätsentwicklung arbeiten, denn diese bergen die Gefahren von hysterischen Angstdiskussionen in sich. Was wir bei diesem Thema brauchen, meine Damen und Herren, ist eine differenzierte Debatte, und dies vor allem vor dem Hintergrund seit Jahren rückläufiger Kriminalität in unserem Lande.
Aber nun ist es wohl wieder einmal so weit. Die CDU greift ein Thema der inneren Sicherheit auf. Aber Ihr Antrag ist in der Sache untauglich, so, wie wir das von Ihnen, meine Damen und Herren, leider in der vergangenen Zeit und auch heute wieder erlebt haben. Ich will den Kollegen der CDU an dieser Stelle sagen, warum der Antrag unzureichend ist, um nicht zu sagen, schlecht ist.
Da fordern Sie die Landesregierung auf, bis zum 31.01.2001 ein Konzept für den offenen Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen an Kriminalitätsschwerpunkten in öffentlichen Räumen vorzulegen.
Sie fordern die Landesregierung zu etwas auf, wozu sie vor nicht allzu langer Zeit im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage aus der CDU-Fraktion schon Stellung bezogen hat. Dort heißt es, dass die Sicherheitslage im Lande ständig beobachtet werde und ein zusätzliches Konzept für den Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen nicht erforderlich sei. Die CDU jedoch, unbelehrbar, wie sie nun einmal ist, will ein Konzept. Trotzig wird also im Landtag getreu dem Motto beantragt: Wir wollen aber trotzdem ein Konzept, auch wenn es nicht sinnvoll ist.
Damit haben Sie die Peinlichkeit dieses Antrags aber leider noch nicht beendet. Denn die CDU will mit ihrem Antrag auch noch erreichen, dass drei Modellprojekte an Kriminalitätsschwerpunkten durchgeführt werden. Auch dazu hat die Landesregierung in ihrer Antwort auf die oben genannte Kleine Anfrage Folgendes unmissverständlich und wörtlich ausgeführt: „Derartige Kriminalitätsschwerpunkte,“ – ich zitiere jetzt aus der Antwort der Landesregierung – „also örtlich eng begrenzte Bereiche des öffentlichen Raumes, an denen vermehrt Straftaten begangen werden und die sich deshalb für eine offene Videoüberwachung eignen, gibt es derzeit in Mecklenburg-Vorpommern nicht.“ Ende des Zitates.
Meine Damen und Herren, ich kann der Landesregierung nur beipflichten und möchte noch hinzufügen, abscheuliche Straftaten mit rechtsextremistischem und menschenverachtendem Hintergrund, die unser Land in diesem Jahr so bewegt haben und damit Einfluss auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung haben, sind eben nicht an Kriminalitätsschwerpunkten begangen worden. Der Minister führte dazu bereits aus. Oder ist beispielsweise die Kirche in Ahlbeck ein solcher Kriminalitätsschwerpunkt?
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie handeln wie folgt: Sie fragen die Landesregierung in einer Kleinen Anfrage nach Kriminalitätsschwerpunkten. Die Landesregierung teilt Ihnen in der Antwort mit, dass es solche in Mecklenburg-Vorpommern nicht gibt.
Sie fordern anschließend die Landesregierung auf, an eben diesen nicht existenten Kriminalitätsschwerpunkten drei Modellprojekte durchzuführen. Ich glaube, meine Damen und Herren, Ihr Verhalten muss man nicht verste
Weil dieses Thema aber in den vergangenen Jahren und Monaten so heftig diskutiert wurde, will ich dies zum Anlass nehmen, klarstellende Worte für die SPD-Fraktion zu sagen:
Erstens. Die SPD-Fraktion steht hinter den Beschlüssen der Innenministerkonferenz vom Mai dieses Jahres zu den Videoüberwachungsmaßnahmen. Das bedeutet vor allem, wir sehen in dem offenen Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen – und jetzt wird es wichtig und entscheidend – an Kriminalitätsschwerpunkten im öffentlichen Raum
ein geeignetes Mittel, um die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben im Rahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wirksam zu unterstützen. Eine Maßnahme!
Zweitens. Wir müssen der Bevölkerung aber auch vermitteln, dass solche Videomaßnahmen auch zu einer gewissen Verhaltenskontrolle der Bevölkerung führen können. Ich verweise auf mein Eingangszitat.
Damit wir uns klar verstehen: Videoüberwachung kann ein geeignetes Mittel sein, um polizeiliche Arbeit zu unterstützen, insbesondere in Großstädten kann ein solches Mittel eingesetzt werden.
Herr Thomas, es kann ja durchaus sein, dass dieses in Leipzig angezeigt war, wie Sie es gesagt haben, das will ich gar nicht bestreiten. Aber in Mecklenburg-Vorpommern haben wir eine andere Situation.
Wie Sie allerdings – wie dies der Abgeordnete Thomas am 8. November erklärt hat – Kfz-Diebstähle in Rostock mit dem Mittel der Videoüberwachung verhindern wollen, ohne die Technik flächendeckend einzusetzen, Herr Thomas, das bleibt wohl Ihr Geheimnis.
Meine Damen und Herren, wir unterstützen die Position und Arbeit des Innenministers und seiner Beamten. Wir würden es begrüßen, wenn die CDU durch sachgerechte Anträge im Landtag Gleiches tun würde.
Der vorliegende Antrag ist kein Beitrag zur Stärkung der inneren Sicherheit und wird deshalb von der SPD-Fraktion abgelehnt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Herr Thomas sich schon die Mühe gemacht hat, den Beginn meiner Rede zu zitieren, bin ich doch eigentlich ganz konkret bestärkt darin, dass ich mit diesem Beginn richtig liege. Und ich glaube, das Auftreten von Herrn Thomas hier in diesem Hohen Hause sowohl gestern als auch heute hat das deutlich gemacht.