Protocol of the Session on October 19, 2000

(Angelika Gramkow, PDS: Mann, hab’ ich mir das acht Jahre lang gewünscht!)

Ein Standort, der verhältnismäßig weit zurückliegt, braucht andere Förderstrukturen als zum Beispiel eine Region, die vom Wohlstandsniveau her schon fast das Niveau der schwächsten westdeutschen Gebiete erreicht hat. Insofern, meine Damen und Herren, besteht in Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor ein ausgesprochen hoher Förderbedarf. Es kommt aber nicht nur auf das absolute Fördervolumen an, sondern es sind auch die mittel- und langfristigen Folgen von verschiedenen Maßnahmen, zum Beispiel auf das regionale Beschäftigungsniveau, zu beachten. Oftmals war es in der Vergangenheit nämlich leider so, dass im Rahmen der Investitionsförderung der Einsatz von Kapital im Vergleich zur Arbeit relativ begünstigt wurde. Auf Dauer kann dieses sogar die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindern, was wohl kaum als erwünschter Zweck zu bezeichnen ist. Natürlich, meine Damen und Herren, braucht eine moderne Volkswirtschaft, die hochproduktiv sein will, eine bestimmte Kapitalausstattung. Ob allerdings damit der Produktivitätsrückstand aufgeholt werden kann, scheint mir fraglich, denn in unserer Wirtschaft liegt es doch eher an bestimmten Absatzschwierigkeiten unserer Unternehmen in der Bundesrepublik, aber auch darüber hinaus.

Wir sollten daher verstärkt darüber nachdenken, wie die bisherige Investitionspolitik in ein Konzept der Regionalförderung eingebunden werden kann, und dieses, glaube ich, kann zum Beispiel innerhalb einer modifizierten Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ erfolgen, sei es bei der Auswahl der förderfähigen Branchen oder in gewissen Grenzen auch hinsichtlich der Auswahl der förderfähigen Gebiete. Zusätzlich könnte das Konzept um die Förderung von Humankapital derart erweitert werden. Ansätze hierzu sind bereits vorhanden. So ist es seit 1999 möglich, anstelle der Investitionsausgaben die Löhne für Mitarbeiter, die im Rahmen einer Erstinvestition eingestellt werden, zu bezuschussen.

Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten werden in den neuen Ländern über viele Programme gefördert. Die Förderintensität ist dabei deutlich höher als im Westen. So wird etwa die Hälfte der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in den neuen Ländern mit öffentlichen Mitteln finanziert, in den alten Bundesländern nur zu etwa zehn Prozent. Doch, meine Damen und Herren, offensichtlich ist es nicht gelungen, ostdeutsche Unternehmen in Forschungs- und Entwicklungsnetzwerke einzubinden. Zudem hatte die Forschungs- und Entwicklungsförderung der gewerblichen Wirtschaft nicht nur forschungspolitische Aufgaben, denn durch den Zusammenbruch der Industrie nach der Wende drohte auch die

gesamte Industrieforschung einzubrechen. Man hat daher auch aus beschäftigungspolitischen Gründen eine externe Industrieforschung aufgebaut, die bis heute aufgrund mangelnder Marktorientierung die unternehmerischen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nicht ersetzen kann. Daher sollte nach unserer Ansicht die Bildung von Forschungs- und Entwicklungsnetzwerken innerhalb der gewerblichen Wirtschaft gestärkt und angesichts enger werdender finanzieller Handlungsspielräume über einen Abbau im Bereich der Zuschussförderung von Projekten nachgedacht werden.

Um die Förderung weniger selektiv auszurichten und dem Mangel an Risikokapital wirksamer zu begegnen, sollte ein Schwerpunkt im Bereich der Kapitalhilfen für technologieorientierte Unternehmen liegen. Nach wie vor ist es eben ein maßgeblicher Engpass vieler mittelständischer Unternehmen bei uns im Land, dass sie keinen Zugang zu Wagniskapital haben. Da erscheint es mir im Rahmen einer zukunftsorientierten Mittelstandsförderung besonders erforderlich, Beteiligungskapital für Existenzgründer und mittelständische Unternehmen bereitzustellen. Auch hier halten sich mögliche Verzerrungen in sehr engen Grenzen und zudem kann es sich unser Land überhaupt nicht leisten, dass gute Ideen gegebenenfalls daran scheitern, dass potentielle Kreditgeber – aus welchen Motiven auch immer – eine zum Teil nicht nachvollziehbare Risikoaversion an den Tag legen.

Auch im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik muss leider nach zehn Jahren konstatiert werden, dass viele gut gemeinte Ansätze nicht das Ergebnis erzielt haben, welches ihre Verfechter vorausgesagt hatten. Oftmals war und ist es auch noch so, meine Damen und Herren, dass lediglich offene Arbeitslosigkeit verdeckt wird, keine marktgerechte Qualifikation vermittelt wird und wurde sowie mit Lohnsubventionen eine Konkurrenz zum ersten Arbeitsmarkt geschaffen wurde und auch noch immer wird.

Es liegt auf der Hand, dass all dieses dazu führt, dass Maßnahmeteilnehmern eher eine Stigmatisierung droht. Und die ersten Gerichtsurteile sind schon gefallen, wo es eine Beleidigung darstellt, wenn man zu einem Polizisten ABM-Kraft sagt. Also, es liegt auf der Hand, dass den Maßnahmeteilnehmern eher eine Stigmatisierung droht, weil sie zu lange in einem falschen Arbeitsmarktsegment suchen. Zusätzlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Anreize zur Mobilität und zur Arbeitsaufnahme eher vermindert als erhöht werden, über Gewöhnungseffekte möchte ich hier ganz schweigen.

Von einer Brückenfunktion zwischen dem zweiten und dem ersten Arbeitsmarkt kann schon lange nicht mehr gesprochen werden, leider. Eine Umwandlung von ABM, da, wo es möglich ist, in öffentliche Aufträge und eine stärkere Gewichtung von Vergabe-ABM gegenüber Regie-ABM scheinen ein Weg, diesem Missstand wenigstens ansatzweise wirksam zu begegnen, zumal dieses auch beispielsweise für die öffentliche Hand im Allgemeinen und für die Kommunen im Besonderen eine hilfreiche Maßnahme sein könnte. Generell sollten aber ABM nur dann eingesetzt werden, wenn alle anderen Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik wie Qualifizierung, Existenzgründung und Zeitarbeit keinen Erfolg versprechen.

(Beifall Gesine Skrzepski, CDU – Rudolf Borchert, SPD: Ist doch schon Praxis, Herr Riemann.)

Das ist eben nicht Praxis. Das ist eben nicht Praxis. Da können Sie sich mit dem ehemaligen Bürgermeister von Koserow unterhalten, wie dort in den ABM-Gesellschaften gewirtschaftet wird! Man sucht nicht die Vergabe-ABM, man sucht die direkte ABM und lehnt Projekte ab,

(Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

die sich in diesem Bereich von den Kommunen befinden, weil man damit natürlich seine eigene Existenz sichert. Unterhalten Sie sich mal mit Herrn Hilpert in Koserow, der wird Ihnen das bestätigen!

(Götz Kreuzer, PDS: Ja, das Land ist aber ein bisschen größer.)

Ich habe auch noch andere Erfahrungen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aber Koserow ist immerhin das Zentrum des Landes, weil da ein Bürgermeister amtiert, der Riemann heißt.)

Unbestritten dürfte sein, dass es ohne eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur im Wettbewerb um Neuansiedlungen auf Dauer keine zählbaren Erfolge geben kann. Die Berichte zu den gesamtwirtschaftlichen unternehmerischen Anpassungsfortschritten in Ostdeutschland bezeichnen die Lücke in der Infrastruktur als eines der größten Defizite der neuen Bundesländer. Ihre Modernisierung muss deshalb auch nach 2004 oberste Priorität haben. Hier erscheint mir ein konzeptioneller Änderungsbedarf, vor allem im Bereich der kleinräumigen Infrastruktur, erforderlich. Das hat auch der Wirtschaftsminister so im Finanzausschuss bestätigt.

Die Erfahrung zeigt, dass oft die tatsächlichen Ausgaben das Fördervolumen bei weitem überschreiten. Im Umkehrschluss heißt dieses aber dann nichts anderes, als dass die tatsächliche Lenkungswirkung eher als gering zu veranschlagen ist. Somit erscheint es uns sinnvoll, die Chance zu nutzen, die problematische Mischfinanzierung vor allem im Rahmen der Investitionshilfen nach Artikel 104 a Grundgesetz abzubauen und diese Mittel ungebunden – ich sage das ganz bewusst – den Ländern zu gewähren. Dafür böte sich an, die Investitionshilfen für die neuen Bundesländer in den vertikalen Bund-Länder-Finanzausgleich zu integrieren. Dieses würde den Gestaltungsspielraum der einzelnen Regionen deutlich erhöhen, und auch die Debatten über die Verwendungsbreiten von bestimmten Programmen wären dann weitestgehend überflüssig beziehungsweise sie bräuchten dann mit dem Bund nicht mehr in der bisherigen Form geführt und verhandelt zu werden.

Meine Damen und Herren, dies alles sagt noch nichts über die Höhe der notwendigen Mittelausstattung aus, aber der vorgeschlagene Weg würde den Handlungsspielraum unseres Landes und aller neuen Bundesländer, aber auch unseren eigenen Handlungsspielraum hier im Landtag erhöhen.

Im Rahmen der Gesamtproblematik spielt selbstverständlich die anstehende Neuregelung des Länderfinanzausgleiches eine herausragende Rolle. Nicht alle Aspekte können im Rahmen meiner Ausführungen die ihnen gebotene Aufmerksamkeit erlangen. Daher möchte ich auf einige von uns als besonders dringlich angesehene Sachverhalte eingehen.

Eingangs muss mit aller Entschiedenheit das Konzept des so genannten Wettbewerbsföderalismus zurückge

wiesen werden. Frau Gramkow, hier könnten Sie eigentlich mal klatschen,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU – Beifall Rudolf Borchert, SPD)

dass ich mit aller Entschiedenheit den Wettbewerbsföderalismus im Rahmen des Länderfinanzausgleiches zurückweisen möchte.

(Zuruf von Ministerin Sigrid Keler)

Die in diesem Rahmen vorgeschlagenen Alternativen scheinen hinsichtlich ihrer fiskalischen und, Frau Keler, auch hinsichtlich ihrer ökonomischen Konsequenzen nicht hinreichend klar und ausgereift zu sein. Die behaupteten lokalen Wirkungen und die Wachstumseffekte sind empirisch nicht unterfüttert. Und die zentrale Frage, ob mehr Mittel für die Geberländer die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erhöhen würden, wie es der Rückgriff auf Anreizwirkungen suggeriert, meine Damen und Herren, diese Frage muss offen bleiben.

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass ein fairer Wettbewerb zwischen den Ländern nur dann möglich ist, wenn die Startvoraussetzungen einigermaßen gleich verteilt sind.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aber, Herr Riemann, warum erzählen Sie das nicht Herrn Stoiber?)

Und davon, Herr Dr. Schoenenburg, kann wohl allen Ernstes nicht gesprochen werden.

(Zuruf von Ministerin Sigrid Keler)

Herr Stoiber redet manchmal für sein Land und damit gegen unser Land.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ach!)

Und Frau Wagenknecht spricht auch manchmal für die PDS und damit auch gegen die PDS.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Wie das? Wie das?)

Wir wollen uns da nicht streiten, nicht?!

(Zurufe von Barbara Borchardt, PDS, und Gabriele Schulz, PDS)

Davon kann wohl allen Ernstes nicht gesprochen werden!

(Angelika Gramkow, PDS: Aber hübsch, hübsch ist sie.)

Die derzeit erfolgende hälftige Einbeziehung der Gemeindesteuern ist wenig überzeugend und sachgerecht.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Also wenn die Ministerpräsidentin von Bayern wäre, also das wäre wunderbar. Ich würde nur noch Bayrischen Rundfunk hören.)

Die Notwendigkeit, die Kommunen zu berücksichtigen, ergibt sich daraus, dass die Gemeinden Teile der Länder sind. Und diese wiederum haben für eine aufgabengerechte Finanzausstattung zu sorgen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das ist ‘ne ganz Kluge und ‘ne ganz Schöne.)

Deshalb, meine Damen und Herren, kann nur bei einer Betrachtung der Länder und ihrer Kommunen zusammen

genommen die finanzielle Leistungsfähigkeit von Regionen miteinander verglichen werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil sehr kritisch zu dem hohen Volumen der Bundesergänzungszuweisungen geäußert und in diesem Zusammenhang klargestellt, dass der horizontale Finanzausgleich auf dieser Ebene nicht fortgesetzt werden darf. Um Missverständnisse zu vermeiden: Damit sind nicht die Ergänzungszuweisungen für die teilungsbedingten Sonderlasten gemeint. Insbesondere aber bei der Fehlbetragsbundesergänzungszuweisung scheint ein sehr starker Nivellierungsgrad vorzuliegen. Insofern scheint es uns sachgerecht, diese vollständig abzuschaffen und im Gegenzug den Umsatzsteueranteil der Bundesländer um mindestens drei Prozentpunkte zu erhöhen.

Abschließend möchte ich Sie noch einmal ausdrücklich um Zustimmung zu den von uns gemachten Vorschlägen bitten. Wir hatten Überweisung beantragt. Dann können wir uns auch über diesen Antrag noch einmal unterhalten.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Nee, nee, wir stimmen gerne zu.)

Die Zustimmung ist auch deshalb wichtig, weil das Hauptziel für uns dabei ist, die Finanzkraft MecklenburgVorpommerns dauerhaft sicherzustellen, ohne diese mit gänzlich unrealistischen Forderungen zu untersetzen. Weiter gilt es, den eigenen Handlungsspielraum drastisch zu erhöhen, um die spezifischen Probleme unseres Landes besser und gerechter lösen zu können, die Akteure vor Ort, das heißt, hier der Landtag in seiner Exekutive, aber auch in den Städten und Gemeinden. Dort wissen die Leute am besten, was gut für dieses Land ist. Und das zukünftige Förder- und Finanzierungsinstrumentarium im Rahmen des Aufbau Ost sollte diesem auch Rechnung tragen. Darüber hinaus sollte alles daran gesetzt werden, die Effizienz und Effektivität aller Maßnahmen zu erhöhen, so dass sich in absehbarer Zeit ein wirklich selbsttragender Aufschwung bei uns entwickeln kann. Dieser Antrag möchte hierzu in Form von Denkanstößen einen Beitrag leisten. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU)

War doch sachlich, ne?

Danke, Herr Riemann.