Oder aber sollten etwa die Herren Merz und Glos in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Recht haben und sozusagen die CDU-Landtagsfraktion an ihrem Gängelband führen, wenn sie sagen, dass die PDS-Regierungsbeteiligung die Ursache für den Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern sei?!
(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, das ist klar. – Zuruf von Peter Ritter, PDS)
Ich sage Ihnen, ich habe mir beispielsweise am 14. September 2000 eine Pressemitteilung aus Thüringen durchgelesen, in der mein Kollege Köckert, Innenminister in Erfurt, sagt, in Thüringen gebe es immer mehr Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Allein in den ersten sechs Monaten 2000 seien 687 rechtsextremistische Vergehen verfolgt worden, 133 Fälle mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Meine Damen und Herren, in Mecklenburg-Vorpommern haben wir vom 01.01.1999 bis 31.08.1999 1 8 0 Straftaten in diesem Bereich gehabt, im Vergleichszeitraum des Jahres 2000 127 – ein Rückgang. Und ich sage Ihnen, die Maßnahmen, die die Landesregierung begonnen hat, können offensichtlich so falsch nicht sein, auch dann, wenn selbstverständlich jede einzelne Straftat eine Straftat zu viel ist.
Wir haben mit der Regierungsübernahme im November 1998 in der Landespolizei durch den MAEX-Erlass einige Polizeibeamte, mehr als 30 insgesamt, für den besonderen Einsatz gegen Rechtsextremismus und Jugendgewalt eingesetzt.
Wir haben durch den so genannten Konzert-Erlass klargestellt, wie die Ordnungsbehörden der Kommunen gemeinsam mit den Polizeidienststellen getarnte rechtsextremistische Musikveranstaltungen unterbinden können. Der Bäderdienst ist deutlich ausgerichtet auf das Thema Rechtsextremismus in den Sommermonaten. Wir haben ein Programm der Landesregierung zur Kriminalitätsprävention soeben in dieser Woche verabschiedet. Außerdem haben wir dem Landesrat für Kriminalitätsvorbeugung eine Geschäftsstelle gegeben und dieser Geschäftsstelle einen eigenen Haushalt und so weiter. Ich will nur noch erwähnen, dass wir eine Reihe von Broschüren als konkrete Handreichungen herausgebracht haben.
Ich sage noch einmal ganz klar: Wir werden mit aller Konsequenz jedwede Form des Rechtsextremismus und
der Jugendgewalt in diesem Lande zurückdrängen. Der Staat wird mit Klarheit und mit Deutlichkeit sein Gewaltmonopol unmissverständlich vertreten. Er wird nicht zögern, hier entschlossen vorzugehen.
Das Defizit, das ich als Innenminister in MecklenburgVorpommern derzeit sehe, liegt nicht unbedingt im Bereich der Strafverfolgungsbehörden, bei Polizei oder etwa beim Verfassungsschutz, meine Damen und Herren, das Defizit liegt in unserer Gesellschaft, in der junge Menschen davon auszugehen scheinen, dass das Umbringen von Obdachlosen nicht scharf geächtet, sondern vielleicht sogar eher still befürwortet wird.
Meine Damen und Herren, die latente fremdenfeindliche, intolerante, gewaltbereite Stimmung im Land und darüber hinaus – nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern tatsächlich ist dies eben leider inzwischen ein europäisches Problem geworden –, die bei Kindern und Jugendlichen zum Ausdruck kommt, ist das Defizit, ist das Thema, um das es uns Demokraten gemeinsam gehen muss.
Die Ursachen hierfür liegen teilweise in der DDR, teilweise natürlich in der Umbruchszeit und teilweise auch in anderen Bereichen. Frau Gramkow, ich will meine Auffassung zu Ihrem Zitat aus der Verfassung der DDR, die DDR sei kraft Verfassung antifaschistisch gewesen, auch mitteilen. Ich meine, die Frage ist durchaus zu stellen, ob die DDR sozusagen in ihrer Gesellschaft tolerant war, ob sie fremdenfreundlich war, ob sie humanistisch war. Oder aber es ist durchaus die Frage zu stellen, ob der verordnete Antifaschismus in der DDR nicht eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Phänomen des Nationalsozialismus eher verhindert hat. Die Frage darf man ja wohl stellen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Angelika Gramkow, PDS: Das ist auch völlig berechtigt. – Zuruf von Dr. Berndt Seite, CDU)
Und ich meine, sie muss auch gestellt werden. Ich erinnere mich noch an die Skinheadbewegungen in den achtziger Jahren – da war ich Pastor an der Müritz –, vielleicht Sie auch, Herr Dr. Seite,
im damaligen Landkreis, in dem wir gelebt haben, oder auch an die Vorgänge mit Skinheads an der Berliner Zionskirche. Das war zur DDR-Zeit, nur es war sozusagen nicht die veröffentlichte Meinung. Man durfte dieses Phänomen in der DDR-Zeit jedenfalls öffentlich und offiziell nicht diskutieren. Ich erinnere mich auch an die Diskreditierung der Solidarnosc-Bewegung mit teilweise antipolnischen Untertönen, die wir in den achtziger Jahren erlebt haben.
Und deswegen, meine ich, ist durchaus die Frage zu stellen, wo in unserer Geschichte Ursachen für den jetzigen Ausbruch von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit liegen.
Das war nur ein Aspekt. Es gibt sicherlich vielfältige andere Ursachen: Mangelnde Konfliktfähigkeit in unseren Familien, aber auch Schulklassen und anderen Gruppen, insbesondere Jugendgruppen, Andersdenkende und Anderslebende werden nicht als Bereicherung, sondern eher als Bedrohung empfunden, die Frage, nach welchen Erziehungsprinzipien wir selbst – und wir selbst erziehen uns – zu DDR-Zeiten erzogen worden sind,
all das sind meiner Meinung nach Fragen, die berechtigt gestellt werden dürfen. Aber ich sage auch, es gibt keine Entschuldigung – mit einem Hinweis, auf welche Ursachen im Einzelnen auch immer – für Straftaten eines Ausmaßes, die in keiner Weise hier in diesem Land und darüber hinaus geduldet werden dürfen.
Meine Damen und Herren, ich will auch sagen, dass ich mich in meiner Arbeit als Innenminister vom christlichen Menschenbild leiten lasse. Dieses Menschenbild hat solche Elemente wie Vergebung und Neuanfang. Und deswegen ist es mein Ansatz, auch Jugendlichen im rechtsextremistischen Milieu eine Chance zum Neuanfang zu geben, auch dann, wenn sie straffällig geworden sind.
Und deswegen sage ich, wir dürfen diese Jugendszene nicht tolerieren, wir dürfen sie nicht akzeptieren, aber wir sind herausgefordert, sie kritisch zu integrieren in diese Gesellschaft und ihre Zukunft. Wir können nicht 30 Prozent der Jugendlichen in unserer Gesellschaft verloren geben. Das wäre aus meiner Sicht für diese Demokratie der Untergang.
Und, meine Damen und Herren, weil uns wissenschaftliche Untersuchungen sagen, dass 30 Prozent der Jugend anfällig sind für fremdenfeindliche, rassistische, rechtsextremistische Ideologien, Gedankengänge und Symbole, meine ich, sind wir alle herausgefordert, an diesen Voraussetzungen des demokratischen Gemeinwesens gemeinsam zu arbeiten. Hier sind die Polizei, die Staatsanwaltschaft sowie der Verfassungsschutz völlig überfordert, bei dieser Herausforderung allein Präventionsarbeit machen zu wollen.
Und das, meine Damen und Herren, zeigt mir auch sehr deutlich, dass wir in diesem Bundesland, in dem wir derzeit von 800 bekannten gewaltbereiten Personen im Bereich der Skinheadszene ausgehen müssen, klar und unmissverständlich durch die Polizei, durch die MAEXEinheiten Flagge zeigen müssen, in dieser Gesellschaft offensichtlich einen Consensus haben, der bestimmte Straftaten in diesem Milieu eben gerade nicht ächtet. Das ist die Herausforderung, vor der wir Demokraten gemeinsam stehen.
Ich will es abschließend so sagen: Es gibt ein Defizit, es gibt eine gewisse Überzeugung bei rechtsextremistischen Straftätern, dass ihre Handlungen in dieser Gesellschaft geduldet oder möglicherweise sogar heimlich befürwortet werden. Und dagegen müssen wir gemeinsam vorgehen, auf allen Ebenen, wo wir dieses machen können, und das nenne ich Präventionsarbeit. Da gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten und letztlich ist jede einzelne Möglichkeit immer dann besser, wenn man sie ergreift, als darüber zu lamentieren, was man nicht macht. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vier Bemerkungen zur abgelaufenen Diskussion, zum einen zum Redebeitrag von Frau Schnoor. Frau Schnoor, Kleingeistigkeit bleibt jetzt von mir hier unkommentiert.
Zweitens. Wir haben als Fraktion sehr ernsthaft darüber nachgedacht, ob wir eine namentliche Abstimmung zu unserer Entschließung durchführen wollen. Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass wir die Methoden, die die CDU sonst an dieser Stelle anwendet, diesmal nicht praktizieren.
Dritte Anmerkung. Im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe muss das Werte- und Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen gestärkt werden. Dafür lassen Sie uns gemeinsam ein Signal setzen, bei allem Streit und bei allen Unterschieden.
Und viertens meine Aufforderung und Bitte an die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion: Bei diesem Thema darf es eigentlich keinen Fraktionszwang geben. Haben Sie den Mumm und stimmen Sie unserer Entschließung gemeinsam zu!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)
Die Fraktionen der PDS und SPD haben in Bezug auf ihren Antrag auf Drucksache 3/1487 Abstimmung in der Sache beantragt. Seitens der Fraktion der CDU ist jedoch im Rahmen der Debatte beantragt worden, diesen Antrag zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss zu überweisen. Der Überweisungsantrag geht dem Antrag auf Abstimmung in der Sache vor. Deshalb lasse ich zunächst über diesen Überweisungsantrag abstimmen.
Wer der Überweisung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/1487 zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Vielen Dank.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/1487. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Gibt es Stimmenthaltungen? – Vielen Dank. Damit ist der Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/1487 mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und PDS bei