Ich möchte jetzt nicht eingehen auf den Strukturwandel, der sich im Bereich der Landwirtschaft in den letzten
40 Jahren ergeben hat. Darüber gibt es sehr umfangreiche Statistiken. Ich möchte aber wirklich darauf verweisen, dass die Einkommen im Allgemeinen in der Landwirtschaft weiter sinken und dass über 50 Prozent der Einkommen der Landwirtschaft aus Ausgleichszahlungen und Subventionen stammen. Dabei liegen sie circa 30 Prozent unter den Einkommen von vergleichbaren Berufsgruppen. Das ist die gegenwärtige Situation. Und ich sage hier, dass die Agenda für die Kräfte in Wirtschaft und Politik ein voller Erfolg ist, die auf die Globalisierung und Liberalisierung der Agrarmärkte setzen, um ihre Profite weiter zu maximieren.
Alle bisherigen Versuche, durch Marktordnungen und Preispolitik, durch Förderpolitik und Umverteilungen zugunsten wirtschaftlich benachteiligter Gebiete, durch Außenschutz und langfristige Handelsverträge Einfluss auf die Marktkräfte zu nehmen und ihre zerstörerische Wirkung auf das soziale Gefüge zu mildern, werden in Frage gestellt. Die Existenz, so der Europäische Bauernverband, von circa 4 Millionen Bauernhöfen in Europa ist mit diesen Beschlüssen gefährdet.
Während die USA für das Wirtschaftsjahr 2000 nach meiner Kenntnis die Flächenbeihilfe um circa 11 Milliarden US-Dollar erhöht hat, betragen die Belastungen, die die deutsche Landwirtschaft zu tragen hat, nach Schätzung des Deutschen Bauernverbandes durch die Agenda circa 3 bis 5 Milliarden DM. Einbezogen sind darin allerdings die Folgen der Haushalts- und Steuerpolitik der Bundesregierung. Man muss kein Hellseher sein, um die Folgen dieser Politik für die Agrarbetriebe, für die landwirtschaftlichen Arbeitsplätze und die Entwicklung der ländlichen Räume vorauszusehen. Besonders schmerzlich ist dabei, dass fast eine halbe Milliarde D-Mark bei der landwirtschaftlichen Sozialpolitik auf den Gebieten Alterssicherung und Krankenversicherung eingespart werden sollen.
Auch die Hoffnungen auf eine Verbesserung dieser Situation durch die Öko-Steuer war eine Illusion, weil die Familienbetriebe zwar die Belastungen aus der Öko-Steuer, aber keine Einsparungen bei Lohnnebenkosten erreichen können. Fast alle Berufsgruppen werden entlastet, außer die der Landwirtschaft. Außerdem hatte es – und das halte ich für ein sehr gefährliches Signal – bei der Erstattung der Gasölbeihilfe doch die exemplarische Einführung von Obergrenzen gegeben, die es eigentlich bei der Gestaltung der Agenda 2000 zu verhindern galt.
Meine Damen und Herren! Völlig ungeeignet – und das ist ein weiteres, sehr wichtiges Problem, das hier immer wieder hervorgehoben werden muss – sind die Regelungen aus GATT und der europäischen Agrarpolitik, insbesondere mit der Agenda 2000, wenn es darum geht, das sich zuspitzende Problem des Hungers in der Welt zu lösen. Bei der Orientierung auf die Weltmarktöffnung für die Agrarproduktion wird vorgerechnet, dass bei wachsender Weltbevölkerung die Agrarmärkte wachsen und sich neue Absatzchancen ergeben. Wie jedoch der Preisverfall bei der Tierproduktion in den vergangenen Monaten zeigt, ist für die Agrarpreise nicht der natürliche Bedarf, sondern die kaufkraftfähige Nachfrage bestimmend. Und noch nie, solange die Europäische Union existiert, wurde die Senkung der Erzeugerpreise an die Verbraucher weitergereicht. Deshalb ist das profitorientierte Konzept der Agrarpolitik nicht geeignet, den Hunger auf der Welt wirksam zu bekämpfen. Nahrungsgüter werden in Verbindung mit dem steigenden Hungerproblem eher als Druckmittel eingesetzt, um politische Auffassungen
durchzusetzen. Hauptakteure in diesem Geschäft sind die großen Chemie- und Nahrungsmittelkonzerne. Die Probleme, die in der so genannten Dritten Welt durch diese Politik entstehen, sind bekannt.
Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf einige konkrete Auswirkungen der Agenda 2000 zu sprechen kommen, wie sie auch die Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern treffen. Am stärksten sind in unserem Land der Ackerbau, also die Marktfruchtbetriebe, betroffen, denn im Einzelnen heißt dies, dass die Interventionspreise für Getreide in zwei Schritten um insgesamt 15 Prozent gesenkt werden und die Flächenausgleichszahlungen für Ölsaaten und Öllein in drei Schritten an das Prämienniveau bei Getreide herangeführt werden und die Referenzquote für die obligatorischen Flächenstilllegungen bis 2006 auf 10 Prozent festgelegt ist.
Das führt im Bereich der Marktfrucht zu Ertragsausfällen. Beim Marktfruchtbau kommt es in Mecklenburg-Vorpommern zu Einkommensausfällen von circa 160 Millionen DM jährlich. Die Ackerbaubetriebe sind am stärksten betroffen, je höher ihr Anteil an Agrarkulturpflanzen ist und je höher die Getreideerträge sind, denn damit steigt eigentlich der Verlust, der sich aus der Getreidepreissenkung ergibt. Ich möchte das mal beispielsweise vorrechnen: Bei einem Ertrag von fünf Tonnen Getreide pro Hektar beträgt der Verlust bei 15-prozentiger Preissenkung 16 DM je Tonne, während sich schon bei acht Tonnen Ertrag – und viele Betriebe in unserem Land liegen weitaus darüber – der Ausfall bei 40 DM je Tonne ungefähr manifestiert.
Auch auf dem Rindfleischmarkt sieht die Agenda relativ komplizierte Regelungen vor, die aber am Ende darauf abzielen, den Rindfleischpreis um circa 20 Prozent abzusenken. Es sollen die Tierprämien schrittweise erhöht werden und außerdem gibt es ab dem Jahr 2000 für alle Rinderkategorien Schlachtprämien, die direkt an die Landwirte ausgezahlt werden.
Trotzdem – und das ist der Ernst der Situation –, zusammenfassend verlieren die Marktfruchtbetriebe durch die Agenda bei der jetzigen Arbeitskräftestruktur circa 16.000 DM je Arbeitsplatz, während sie in den Veredlungsbetrieben, also Futterbaubetrieben mit Tierproduktion, immerhin noch circa 8.000 bis 10.000 DM Einkommenseinbußen je Arbeitsplatz zu verzeichnen haben.
Die Agenda 2000 wird also den Arbeitskräfteabbau in der Landwirtschaft nicht verlangsamen, sondern im Gegenteil beschleunigen. Deshalb sollte das Land versuchen, hier erstens in der Form dagegenzusteuern, dass insbesondere Betriebe mit Tierproduktion und mit Bereichen, die von der Europäischen Union nicht reglementiert werden, ausgeweitet werden. Und zweitens sollte auf keinen Fall hinter den jetzt schon, ich sage ausdrücklich, katastrophalen Beschlüssen des Berliner Gipfels zurückgegangen und den Landwirten weitere finanzielle Belastungen auferlegt werden. Ich sage abschließend ein berühmtes Dichterwort: „Wehret den Anfängen!“
Ich bitte Sie, dem Antrag auf Drucksache 3/1218 zuzustimmen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Beide Punkte des vorliegenden Antrages lösen bei mir erhebliche Verwunderung aus. Neben einer Reihe von national gemachten Problemen für die Landwirtschaft treffen die unter deutscher Präsidentschaft im März 1999 gefassten Beschlüsse alle Bauern der Europäischen Union gleichermaßen schwer. Mittlerweile decken sich auch die durch den Beirat der Bundesregierung errechneten Belastungen mit denen des Deutschen Bauernverbandes.
Zur Landesregierung: Nachdem landeseigene Institutionen landauf und landab den Landwirten die Auswirkungen der Agenda zu erklären versuchen und dabei durchaus nüchtern die Dinge betrachtet haben, wird es also der Landesregierung sehr leicht fallen, denke ich, diesen Punkt zu beantworten.
Unverständlich bleibt, warum Ihr Antrag jetzt kommt, nach Jubelgesängen von Landesregierung und Koalitionsabgeordneten, die sogar Vorteile für MecklenburgVorpommern ausgemacht haben wollten,
Haben Sie etwa kalte Füße bekommen, muss ich fragen. Grund dafür gibt es allerdings genug, aber dazu werde ich mich dann später äußern.
Das Verfahren zum Punkt 2 halte ich für falsch, umständlich und zeitaufwendig. Es ist einzig Aufgabe des hiesigen Landwirtschaftsministers und, wie ich meine, auch der kürzeste Weg, mit seinen Bundeskollegen zu intervenieren, wenn es Zweifel an der Selbstverständlichkeit der Umsetzung der Beschlüsse geben sollte. Mittlerweile ist mir durch Ihre Pressemitteilung, Herr Minister, bekannt, dass es auf der Agrarministerkonferenz zu diesem Thema einen Beschluss gegeben hat. Da frage ich mich dann überhaupt, wozu dieser Antrag noch sein soll.
Es gibt Tatsachen, die man hier nicht unerwähnt lassen sollte. Neben dem Abhandeln der Kofinanzierung, die auch die Osterweiterung einfacher gestaltet hätte, neben vielen versteckten Obergrenzen, wie Plafonds oder verschiedene Prämiengrenzen, die bis heute noch nicht aufgeteilt sind, war ohnehin – das wissen wir alle – eine Überprüfung des Agrarteils der Agenda, eigentlich der ganzen Agenda, für das Jahr 2003 vorgesehen. Sie hätten überblicken müssen, dass dies offensichtlich zum Abschied von der Agenda genutzt werden wird.
Noch vor einem Jahr stand ein umfassendes Konzept der Finanzplanung von 2000 bis 2006, aber jetzt zeigt sich immer deutlicher, dass die Berliner Gipfelbeschlüsse überarbeitet werden müssen. Die Deutsche EU-Budgetkommissarin Schreyer hat dies deutlich gemacht. Sie hat sich redlich bemüht, anlässlich des Haushaltes nicht den Abgesang von der Agenda zu verkünden. Aber auch sie weiß ganz genau, dass diese Zahlen nicht mehr haltbar sind, ganz im Gegenteil zu dem, was sie Ihnen, Herr Minister, gesagt haben will, wie ich der Pressemitteilung entnehme. Die Schönrechnerei der Regierungschefs hat sich
als Bärendienst erwiesen. Was der Öffentlichkeit in Berlin als großer Erfolg verkauft wurde, ist jetzt eigentlich nur noch Makulatur.
Die Nachbesserung ist gewiss und sicher auch die Folge, das müssen wir beachten, politischer Zwänge. Man verhandelt jetzt statt mit sechs mit 13 Beitretern, die alle an die Fleischtöpfe der EU wollen. Danach fehlen dann – einmal schlecht gerechnet – 25 Milliarden DM pro anno.
Vollendete Tatsachen zeigen, dass die Spielregeln des EU-Budgets gründlich umgekrempelt werden. Und das haben Sie, wie ich Ihrer Pressemitteilung auch entnehme, offensichtlich erkannt. Das wissen Sie, wenn ich das richtig interpretiere.
Sie müssen ganz einfach zur Kenntnis nehmen: Negativausgaben, also unrechtmäßige Agrarsubventionen, fließen nicht mehr in den Agrarhaushalt zurück, denn das sind immerhin 3 Milliarden DM pro Jahr, sondern werden dann insgesamt im gesamten EU-Haushalt verbraten – ein simpler Buchungstrick und massiver Angriff auf die EUAgrarreform. Und jährlich sollen 600 Millionen DM aus dem Agrarbudget zugunsten der Kossovo-Hilfe umgeschichtet werden, nicht Bosnien-Hilfe, wie in Ihrer Pressemitteilung steht. Dieses Thema ist noch längst nicht vom Tisch.
Es gibt die Kürzung der Lagerkostenzuschüsse für Getreide, die ist beschlossen, und ebenso eine Verschärfung der Interventionskriterien bei Getreide zur diesjährigen Ernte. Beides zusammen sind noch einmal eine halbe Milliarde D-Mark. Dabei hat die Bundesregierung – und das ist zu beachten – sich der Stimme enthalten und nicht einmal bemüht, Partner für eine Mehrheit im Sinne unserer Landwirte zu suchen. Landwirte können nun mal nicht mit dem Wetter konkurrieren. 20 Prozent der Getreideernte ist betroffen und Billigimporten ausgesetzt.
Verehrte Damen und Herren! Dies und anderes macht Ihnen offensichtlich Angst, ich gebe zu, mir persönlich auch erhebliche Sorgen.
Es zeigt, wie absolutistisch und undemokratisch das Beschluss- und Gesetzgebungsverfahren der EU an dieser Stelle ist – ich würde sagen, einfach unverschämt und willkürlich. Man muss also keine prophetischen Gaben haben, um vorauszusehen, dass die von Ihren unfundierten Jubelgesängen begleiteten Beschlüsse von Berlin zumindest an Verlässlichkeit zu wünschen übrig lassen und dass sich das angesichts des Bundesagrarberichts im Landwirtschaftsgesetz ausgewiesene Ziel der Landwirtschaft, an der allgemeinen Einkommensentwicklung zu partizipieren, als nicht erreicht darstellt.
Nehmen Sie zur Kenntnis: 40.000 Personen haben in Deutschland 1999 die landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit aufgegeben.
Das Unternehmensergebnis je Vollarbeitskraft liegt 27 Prozent unter dem gewerblichen Vergleichslohn. Weitere 3 Prozent Einkommenseinbußen 1999 sind laut Eurostat in der Landwirtschaft ohne die erste AgendaStufe entstanden. Und der Versuch der Landwirte des Ausgleichs durch Produktionssteigerung hat einfach zu noch mehr Überangebot und Preisverfall geführt.
Meine Damen und Herren! Nun ist er da, Ihr Antrag. Ich hoffe, nicht zu spät. Ich kann mich sachlich in Teilen damit durchaus identifizieren. Der Weg zum gewünschten Ziel ist allerdings falsch und zeitaufwendig. Warum erst ein Bericht? Warum über den Bundesrat? Ich meine, es muss sofort gehandelt werden. Das ist zum Teil auch erfolgt, wie ich erfahren habe. Was Sie mit Ihrem Antrag wollen, ist, sich nun nach vielen Beruhigungspillen auch noch ein Feigenblatt zu verschaffen. Und das lassen Sie mich mal mit Brecht kommentieren:
„Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär’s nicht gern? Doch leider sind auf diesem Sterne eben Die Mittel kärglich und die Menschen roh.“
Wir wollen, dass die Agenda 2000 möglichst unbürokratisch umgesetzt wird. Wir wollen durchaus Kurskorrekturen. Wir brauchen in Europa statt einer Prämienwirtschaft à la Funke oder Fischler wieder eine stärker marktorientierte Politik. Wir wollen mehr nationale und regionale Spielräume in der Agrarpolitik. Wir sind für eine nationale Kofinanzierung der landwirtschaftlichen Direktzahlungen. Nur so können der EU-Agrarhaushalt nachhaltig entlastet, der zu hohe deutsche Nettobetrag zur EU gesenkt und die Osterweiterung der EU ohne Nachteile für unsere Bauern finanziert werden. Wir wollen, dass die EU bei der WTO-Runde hart im Interesse der europäischen Landwirtschaft verhandelt, einen ausreichenden Außenschutz sowie unsere hohen Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutzstandards absichert. Dafür gibt es allerdings wenig Signale. Darum hoffe ich, dass Ihr langer Marsch durch die Illusionen nun beendet ist. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Eben kam ich mir tatsächlich vor wie bei „Wünsch Dir was“. Insofern sind wir jetzt hoffentlich auf den Boden der Realitäten zurück
und insofern denke ich mal, dass wir uns einig sind in den zwei Forderungen dieses Antrages. Erstens geht es um die komplexe Betrachtung der Beschlüsse der Agenda 2000 auf die wirtschaftliche Situation der Agrarwirtschaft. Und es geht zweitens um die Einhaltung der Berliner Beschlüsse vom 24./25. März 1999 zum Agrarteil der Agenda 2000.
Zum ersten Punkt: Wenn ich hier und auch draußen im Lande schon häufiger die harten Konsequenzen aus den Agenda-Beschlüssen und deren Haushaltsentwicklung dargelegt habe, will ich es gerne noch mal wiederholen, damit es denn hoffentlich auch endlich jedem klar und bewusst ist. Ich bitte allerdings um Verständnis, wenn ich in Anbetracht meiner kurzen Redezeit – und ich will das hier auch nicht wer weiß wie in die Länge ziehen – nur einen Teil der Zusammenhänge darstellen möchte.
Wichtig ist nach wie vor Folgendes: Dieses Reformwerk war notwendig innerhalb der Europäischen Union. Herr
Scheringer, mit der Planwirtschaft sind wir auch an die Grenzen gestoßen. Selbst wenn wir uns darüber einig sind, dass gerade in der Frage der Europäischen Agrarleitlinie auch planwirtschaftliche Elemente ganz klar Einzug gehalten haben, kommen wir an diesem Reformwerk im Sinne der europäischen Erweiterung nicht vorbei.