Protocol of the Session on April 13, 2000

denn Gewalt ist etwas Schreckliches und das sollten wir ganz deutlich machen.

Meine Damen und Herren, wir haben am 23. Februar 2000 in einer gemeinsamen Sitzung des Innen- und des Rechtsausschusses sowie des Ausschusses für Gesundheit, Soziales, Familie, Frauen, Jugend und Sport eine umfangreiche Experten- und Expertinnenanhörung zu dem Thema „Situation von Opfern häuslicher Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern und Möglichkeiten ihres Schutzes“ durchgeführt. Das heißt, der Landtag hat das Thema Ihres Antrages bereits als eigenen wichtigen Auftrag begriffen und ist bereits einen Schritt weiter als Sie. Während Sie nur die Landesregierung auffordern, einen Landesaktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen zu erstellen, könnten Sie eigentlich anhand der Anhörung bereits eigene inhaltliche Vorstellungen eines derartigen Konzeptes erarbeitet haben. Aber das fehlt in Ihrem Antrag.

(Heike Lorenz, PDS: Können wir das nicht gemeinsam machen, alle drei Fraktionen?)

Ich denke, vielleicht ist es auch sehr mühsam, die Beiträge der Experten und Expertinnen auszuwerten und daraus konkrete Vorschläge für die Landesregierung abzuleiten. Aber es ist notwendig und wichtig und ich glaube, das sollte die Aufgabe sein. Zu den Inhalten eines Landesaktionsplanes fehlen in Ihrem Antrag sämtliche notwendige Angaben.

Besonders merkwürdig in diesem Zusammenhang ist Ihr Vorschlag zu werten, dass auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen lesbische Frauen in den Aktionsplan der Bundesregierung aufzunehmen seien. Da drängt sich die Frage der Definition auf. Ich denke, Frauen sind hier Frauen. Die UN-Definition des Begriffes „Häusliche Gewalt“ unterscheidet nicht zwischen gleichgeschlechtlichen oder heterosexuellen Partnerschaften. Im Gegenteil, sie setzt noch einmal eine sexuell bestimmte Gemeinschaft voraus. Sie definiert die häusliche Gewalt gegen Frauen als „jede Art geschlechtsspezifischer körperlicher, seelischer und sexueller Misshandlung, die innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft verübt oder versucht wird“. Damit ist zum Beispiel auch die Gewalt gegen alte Frauen oder lesbische Frauen in häuslichen Gemeinschaften mit erwachsenen Kindern umfasst. Das, denke ich, sollte man auch wirklich noch mal deutlich machen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umfasst alle Frauen.

(Beifall Heike Lorenz, PDS)

Ihr Antrag ist in dieser Hinsicht überflüssig. Ich meine hier insbesondere den Punkt 2. Abgesehen davon muss Ihr Antrag eigentlich doch ein Schlag ins Gesicht der Gleichstellungsbeauftragten der Landesregierung sein,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Soll die das etwa alles richten? Ich bitte Sie!)

ist es doch ihre Aufgabe, die Frauenpolitik innerhalb der Landesregierung zu koordinieren. Und nun soll sie noch nicht einmal den geforderten Landesaktionsplan erstellen dürfen?

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Ich glaube, es ist vielleicht etwas überspitzt, aber es liegt hier Wahres drin.

Im Übrigen stellt sich die Frage, ob wir einen derartigen Aktionsplan eigentlich brauchen. Notwendig ist es meines Erachtens nach, nicht einen weiteren Plan zu erstellen, sondern konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Aus dem Konzept der Bundesregierung geht hervor, dass die Bekämpfung von Gewalt in einem komplexen Zusammenhang erfolgen muss und es nicht ausreicht, vereinzelte punktuelle Maßnahmen zusammenhangslos nebeneinanderher laufen zu lassen.

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Die Schwerpunkte liegen dabei in den Bereichen Prävention, Recht, Kooperation zwischen Institutionen und Projekten, Vernetzung von Hilfsangeboten, Täterarbeit, Sensibilisierung von Fachleuten und Öffentlichkeit, internationale Zusammenarbeit.

Diese Erkenntnis ist in Mecklenburg-Vorpommern nicht neu. 1998 wurde das Landesmodellprojekt CORA e.V. gegründet, welches genau die von der Bundesregierung jetzt für notwendig erachtete Gewaltbekämpfung im komplexen Zusammenhang verfolgt. Das ist wirklich zu begrüßen.

Wenn man sich die an dem Projekt CORA derzeit beteiligten Stellen ansieht, nämlich allein 22 Organisationen und Institutionen auf Landes- und kommunaler Ebene, und die Liste der 16 Experten und Expertinnen betrachtet, die vor den Landtagsausschüssen angehört wurden, fragt man sich, warum Sie für die Erstellung Ihres Aktionsplanes allein die Landesarbeitsgemeinschaft Frauenhäuser, die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten und das Interventionsprojekt CORA einbeziehen wollen. Darüber hinaus frage ich mich, warum Sie die Verantwortlichen der Fraktionen einbeziehen wollen, wenn doch die Landesregierung aufgefordert wird, einen Aktionsplan zu erstellen. Hier sollte wieder einmal die Verantwortlichkeit von Regierung und Landtag vermischt werden. Ich sehe das etwas anders.

Die Ziele des Interventionsprojektes CORA sind unter anderem Sensibilisierung von Fachleuten, Öffentlichkeit und Politik, Entwicklung und Erprobung kooperativen Handelns der beteiligten Institutionen, Erweiterung des gesetzlichen Handlungsspielraumes von Polizei und Justiz, Gewaltprävention, Verbesserung der Kooperationsmöglichkeiten der verschiedenen Beratungs- und Schutzeinrichtungen durch langfristige finanzielle Sicherstellung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit haben wir eigentlich schon einen Aktionsplan. Derzeit ist das

Projekt auf den Bereich Rostock beschränkt. Allein die dort gemachten Erfahrungen wären aber ausreichend, um konkrete weitere Maßnahmen gegen häusliche Gewalt einzuleiten. Ich schlage vor, beantragen Sie, das Projekt landesweit auszuweiten

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

und die Schlussfolgerungen des CORA-Projektes, wie sie uns in der Anhörung des Landtagsausschusses vorgestellt wurden, in die Tat umzusetzen. Dazu gehören zum Beispiel:

Direktionsverfügungen der Polizeidirektionen bei Einsätzen zu häuslicher Gewalt

gesonderte Fortbildungsveranstaltungen für Polizeibeamte zum Thema häusliche Gewalt der Landespolizeischule

Einrichtungen von Sonderdezernaten „Häusliche Gewalt“ bei den Staatsanwaltschaften

Aufbau und Erhalt eines flächendeckenden Netzes an Hilfsangeboten wie Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Notrufe, Therapieeinrichtungen und anderes

Erweiterung der polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten

Eine Bemerkung zu den Frauenhäusern: Es ist hier wirklich zu überlegen, wie die Struktur sich ändern muss, um sie zu erhalten. Hier sollten wir wirklich Aktion zeigen. Allerdings weise ich darauf hin, dass die meisten Vorschläge mit dem Zusatz enden: „Hier müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden.“ Vielleicht sollten Sie also vorher abklären, wie viel Haushaltsmittel die Finanzministerin bereit ist in das Thema Gewalt gegen Frauen zu investieren. Ich fürchte, dann wird klar, dass es zu mehr nicht reicht als zu einem Aktionsplan. Das Ziel Ihres Antrages lautet also „Worte statt Taten“ und das sollte nicht so bleiben.

Ich möchte betonen, dass meine Fraktion das Thema der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sehr unterstützt.

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Ihren Antrag werden wir aber ablehnen, weil er dem Ziel meiner Meinung nach und der Meinung der Fraktion der CDU nach nicht gerecht wird. Deswegen werden wir zu diesem Thema in der nächsten Landtagssitzung entsprechende Anträge einbringen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU – Andreas Bluhm, PDS: War das eine Drohung?)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Staszak von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Frau Staszak.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Gewalt und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder wurde von der zweiten Frauenbewegung, wie Frau Koburger sagte, aus der Tabuzone geholt. Wir Frauen hier in unserem Bundesland, in einem der neuen Bundesländer, haben uns schon an den runden Tischen mit diesen Themen beschäftigt und haben diese hier aus den Tabuzonen herausgeholt. Das möchte ich hier noch mal sagen. Und ich scheue mich auch nicht, Ihnen zu sagen, dass ich mich seit 1990 mit diesem

Thema beschäftige. Ich habe das erste Frauenhaus in Rostock und habe auch Beratungsstellen gegen sexuellen Missbrauch auf den Weg gebracht. Deshalb ist natürlich, wie Sie sich vorstellen können, mir dieses Thema wirklich ganz tief bekannt und es sitzt auch unter meiner Haut.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Harry Glawe, CDU: Sehr gut, Frau Staszak.)

Deshalb habe ich auch schon vor dem Plan der Bundesregierung, den ich sehr begrüße, weil zum ersten Mal, wie auch meine Vorrednerinnen sagten, hier ein umfassendes Konzept zur Gewaltbekämpfung auf den Weg gebracht wurde, das Modellprojekt auf den Weg gebracht, weil ich natürlich immer mit diesem Thema befasst bin. Das Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder ist ein frauenpolitisches Thema, mit dem man sich immer beschäftigen muss. Jetzt ist es so, dass wir ein ganzes Ende weitergekommen sind, und das freut mich natürlich, aber Sie werden gleich sehen, dass wir da große Hilfe und Unterstützung auch aus dem Parlament gebrauchen, um das wirklich gut zu machen.

Gewalt gegen Frauen ist sehr vielfältig. Ich denke da nur an den großen Bereich der häuslichen Gewalt und den Bereich des Frauenhandels. Natürlich gibt es auch Gewalt gegen Männer, Frau Holznagel, aber das ist prozentual ein so kleiner Anteil,

(Dr. Margret Seemann, SPD: Jawohl.)

dass ich darüber hier nicht reden möchte. Es sind weit über 95 Prozent Frauen, den diese Gewalt angetan wird. Deshalb, denke ich, müssen wir über diesen kleinen Teil nicht reden. Natürlich finden wir das auch nicht richtig.

Der Bericht der Gewaltkommission von 1990 stellt erstmals offiziell fest, dass Gewalt in der Familie die in unserer Gesellschaft am häufigsten ausgeübte Gewalt ist. Das ist ja vielen bis dahin überhaupt nicht so bekannt gewesen. Ich sage es Ihnen hier noch mal, obwohl ich es schon ein paarmal gesagt habe: Eine Studie vom Kriminologischen Institut Hannover hat ergeben, dass jede siebente Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung wurde, davon zu drei Vierteln in einer engen sozialen Beziehung. In 22 Prozent aller Scheidungen wird Gewalt als Scheidungsgrund angegeben.

Um Gewalt gegen Frauen wirkungsvoll zu bekämpfen, bedarf es natürlich eines umfassenden Gesamtkonzeptes, denn es muss um strukturelle Veränderungen gehen, nicht nur um vereinzelte punktuelle Maßnahmen. Ein solches Gesamtkonzept hat die Bundesregierung mit dem Aktionsplan nun vorgelegt.

Ein solches Gesamtkonzept schließt natürlich auch die Zuständigkeitsbereiche der Länder und Kommunen ein. Deshalb ist es erforderlich, dass in den einzelnen Bundesländern Pläne zur Umsetzung des Bundesaktionsplanes, die so genannten Landesaktionspläne, erstellt werden. Da ist in Mecklenburg-Vorpommern schon sehr viel Vorleistung gebracht worden.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das scheint Frau Holznagel nicht begriffen zu haben.)

Das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen war und ist auch ein Schwerpunkt meiner bisherigen sechsjährigen Arbeit hier als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Landesregierung gewesen und ist es noch.

Sie wissen, dass es in Mecklenburg-Vorpommern ein flächendeckendes Netz von institutionell geförderten Frauenhäusern, dass es Frauennotrufe, mehrere Beratungsstellen für von sexueller Gewalt betroffene Frauen und Kinder gibt, dass es ein Zeuginnenbegleitprojekt gibt, es gibt sogar ein Mädchenhaus in Rostock, was vielen vielleicht gar nicht bekannt ist. Alle haben natürlich Geldschwierigkeiten, muss ich mal so sagen. Und ich muss immer wieder versuchen, mit dem bisschen Geld, was ich habe, diese Projekte am Leben zu halten. Da muss ich sagen, die Damen und Herren Abgeordneten im Sozialausschuss haben natürlich immer unterstützend gewirkt, dafür möchte ich Ihnen auch danken, und immer sehr viel Verständnis parteiübergreifend gehabt.

1998 wurde von mir also das Interventionsprojekt CORA – schon erwähnt: Contra Gewalt gegen Frauen – als Modellprojekt in Rostock initiiert. Ziel des Projektes ist es, den Frauen vor Gewaltdelikten im sozialen Nahraum besseren Schutz und bessere Hilfe zu gewährleisten sowie diese Gewaltanwendung zu sanktionieren. Dies soll erreicht werden durch:

eine verbesserte Kooperation der beteiligten Institutionen

die Nutzung des persönlichen Ermessensspielraumes von Mitarbeitern bei Polizei, Justiz und Ämtern

die konsequente und frühzeitige Umsetzung und Anwendung geltenden Rechts

die Erweiterung des gesetzlichen Handlungsspielraumes von Polizei und Justiz