nämlich die Thesen Luthers, die Ablösung des katholischen Glaubens als alleinige Form der Religionsausübung durch den Protestantismus. Das war eine wahre Reform,
was mir einige Kollegen meiner Fraktion vielleicht nachsehen mögen. Aber die Einführung einer schulartenunabhängigen Orientierungsstufe ist keine Reform, zumal die in sie gestellten Erwartungen mittlerweile nachweislich nicht erfüllt werden können. Ich gehe das vielleicht einmal argumentativ durch:
Erstens. Die PDS behauptet, dass nach Klasse 4 die Prognosesicherheit für die Schullaufbahn unsicherer ist als nach Klasse 6.
dass gemeinsamer Unterricht in den Klassen 5 und 6 den Grad an sozialem Lernen erheblich befördert. Beide Argumente sind von der Schulpädagogik widerlegt.
(Angelika Gramkow, PDS: Herr Vierkant, an uns beiden sieht man doch, dass das stimmt. – Heiterkeit bei Dr. Margret Seemann, SPD)
Gut, wir beide sollten uns vielleicht auch nicht den wissenschaftlichen Anspruch geben, die haben sicherlich wesentlich objektiver daran gearbeitet.
(Angelika Gramkow, PDS: Wir sind Ergebnis dessen. – Dr. Margret Seemann, SPD: Aber wir können alle lesen und schreiben. – Heiterkeit bei Peter Ritter, PDS)
Ich kenne eine ganze Reihe von Kollegen in den alten Bundesländern, die in meinem Alter wesentlich stärker und besser qualifiziert sind.
(Dr. Margret Seemann, SPD: Ich fühle mich ganz gut qualifiziert. – Zuruf von Hannelore Monegel, SPD)
Ich möchte dabei gleich zu Beginn der fachlichen Argumentation eine Schulpädagogin aus Mecklenburg-Vorpommern zitieren. Frau Professor Eckerle von der Universität Rostock schreibt in einem beachtenswerten Aufsatz über die Orientierungsstufe: „Entwicklungspsychologisch argumentierende oder auf Reifungsprozesse gegründete Erwartungen, daß mit zwölf Jahren eine andere Phase der geistigen Entwicklung erreicht sei als mit zehn, sind zwar in der Schule nach wie vor anzutreffen, aber wissenschaftlich nicht bewährt.“ –
Frau Professor Eckerle, Anmerkungen zu Problemen der Orientierungsstufe, Rostock, 28.04.1999. Für Interessenten hätte ich die Internet-Adresse da.
Hier möchte ich schon im Vorfeld die Frage der Prognosesicherheit in Zweifel ziehen, jedenfalls in der Form, in der Sie die Befürworter der schulartenunabhängigen Orientierungsstufe ins Feld führen. An Erkenntnissen diesbezüglich mangelt es nicht.
Lassen Sie mich weitere zitieren. Das ist übrigens auch der Grund, warum die CDU heute längere Redezeit beantragt hat. Fachliche Diskussionen brauchen eben mehr Zeit. Und wir sollten uns diese Zeit nehmen, bevor Sie dann in den nächsten Tagen wieder in die neue Runde einsteigen.
In einer Studie der Professoren Roeder und Schmitz vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin „Der vorzeitige Abgang vom Gymnasium“ aus dem Jahr 1995 ist die Frage der Prognosesicherheit nach der Grundschule ein elementares Problem. Das ist schon ein etwas aktuelleres Datum als 1971. Diese Studie stellt auf Seite 7 grundsätzlich fest, dass „das Grundschulzeugnis und die darauf beruhende Grundschulempfehlung für den Besuch eines Gymnasiums beziehungsweise einer anderen Schulform eine beträchtliche prognostische Validität im Hinblick auf den Schulformwechsel [haben].“
Die Studie des Max-Planck-Institutes wurde im Wesentlichen durch bisher unveröffentlichte Untersuchungen von Frau Dr. Köster-Bunselmeyer angeregt, die als leitende Oberschulrätin in Hamburg tätig ist. Sie kristallisiert das Element des alleinigen Elternentscheidungsrechts zur Schullaufbahn als das eigentliche Problem heraus, das darin gipfelt, dass nicht wenige Schüler am Gymnasium beschult werden, die dort eigentlich nicht hingehören. Das führt wiederum dazu, dass adäquat zur integrierten Gesamtschule auch an Gymnasien viele Elemente der Binnendifferenzierung eingeführt werden müssen, obwohl dies nie Sinn und Zweck des Gymnasiums war und ist.
Dieses System von Leistungs- und Förderkursen an einem Gymnasium ist aber keine angemessene Lösung des Problems „Schulformwechsel“, so Frau Köster-Bunselmeyer, sondern eher eine administrative Überreaktion, die die Situation der vom Schulwechsel betroffenen Schüler kaum nachhaltig verbessern dürfte, nachzulesen auf Seite 2 der MPI-Studie.
Gleichzeitig kommen Roeder und Schmitz auf der Basis einer Berliner Untersuchung aus dem Jahre 1985 unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus den 70er Jahren auf Seite 5 zu dem Schluss, dass, „... jedenfalls... die sechsjährige Grundschule in Berlin nicht zu einer wesentlichen Verbesserung der Schullaufbahnlenkung oder beratung geführt [hat].“ – ein weiteres Argument zur Prognosesicherheit, das Ihnen in der grundsätzlichen Aussage übrigens jeder Lehrer bestätigen wird.
Die durch Roeder und Schmitz erhobenen Daten zeigten, dass bei den Stichproben bei Schülern, die keine Gymnasialempfehlung aus der Grundschule mitbrachten, 34 Prozent das Gymnasium nach Klasse 6 wieder verließen, dagegen traf das bei Schülern mit gymnasialer Empfehlung nur auf knapp acht Prozent zu, siehe Seite 107 der Studie. Roeder und Schmitz ziehen aus dieser Tatsache die Schlussfolgerung, dass „... der Zusammenhang zwischen Grundschulempfehlung und Schulerfolg statistisch selbstverständlich höchst signifikant ist, und zeigt, dass das Urteil der Grundschullehrer valide und beachtenswerte prognostische Informationen enthält.“ – nachzulesen auf Seite 40.
Die Schullaufbahnempfehlung der Grundschule – und das wissen Sie auch ganz genau – beschränkt sich nicht nur auf die Zensuren des Zeugnisses. Die Lehrer, die über vier Jahre mit den Kindern gearbeitet haben, sind ebenso in der Lage, die allgemeine Leistungsdisposition der Schüler einzuschätzen, wie auch die Bewertung mündlicher und schriftlicher Mitarbeit im Unterricht, um das Verhalten in das Urteil der Schullaufbahnempfehlung einfließen zu lassen.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern können wir davon ausgehen, dass die Prognosen zu mindestens 90 Prozent zutreffend sind. Eine höhere Prognosesicherheit werden Sie auch nach Klasse 6 kaum erreichen.
Der „Rheinische Merkur“ stellte unlängst fest, dass es zahlreiche Studien des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung – einige sind zitiert worden – und des Institutes für Pädagogische Psychologie der Universität München gibt, die genügend Daten gegen einen gemeinsamen Unterricht nach der 4. Klasse liefern.
Entgegen der Annahme der PDS ist die Treffsicherheit bei den Schullaufbahnen nach der 6. Klasse noch ungenauer als nach der 4. Klasse.
Sie vernachlässigen in einer fatalen Weise die verzerrenden Einflüsse der Vorpubertät auf die Leistungsfähigkeit der Kinder nach der 6. Klasse.
(Angelika Gramkow, PDS: Das habe ich aber gestern in der Elternversammlung von meinem Sohn, der in der 6. Klasse ist, ganz anders erlebt.)
Auch das wird Ihnen jeder Schulpraktiker bestätigen. Die Intelligenzentwicklung klafft bei heute zehnjährigen Kindern so weit auseinander, dass sie mit gemeinsamem Unterricht mehr Schaden als Nutzen anrichten.
(Dr. Margret Seemann, SPD, und Andreas Bluhm, PDS: Falsch. – Angelika Gramkow, PDS: Das ist falsch.)
Hier verursachte Mängel können sie im weiteren Bildungsweg kaum ausgleichen. Auch das zeigt die TIMSS im Vergleich von Bayern und Nordrhein-Westfalen