Protocol of the Session on March 16, 2000

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Vielleicht fahren Sie erst mal in die alten Bundesländer und gucken sich an, was da passiert! – Glocke der Vizepräsidentin)

aufgebaut werden, damit Mecklenburg-Vorpommern die gleichen Fehler noch einmal begehen kann.

Und, Herr Bluhm, was Sie machen wollen mit Zukunft von Schule in Mecklenburg-Vorpommern nur an diesem einen Punkt und jetzt diese augenblickliche Diskussion über fehlende Fachkräfte im IT-Bereich – überlegen Sie doch mal wirklich, ob dieses so zusammenpasst!

(Beifall Jörg Vierkant, CDU)

Überlegen Sie dieses auch an Kleinigkeiten der Reduzierung im naturwissenschaftlichen Bereich, im Wahlpflichtbereich zugunsten von Kunst und darstellendem Spiel!

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Also Japan hat keine Probleme. – Andreas Buhm, PDS: Und Japan hat ein gemeinsames Schulwesen bis zur Klassenstufe 9, Herr Rehberg, nicht, ja, ja?! – Angelika Gramkow, PDS: Und in den USA ebenfalls. – Andreas Bluhm, PDS: Ja, eben, eben. – Heiterkeit bei Siegfried Friese, SPD)

Herr Bluhm, ich denke, erst einmal sind wir in Deutschland und da sollten wir uns zuerst fragen, wirklich erst einmal fragen, ob es richtig ist, nicht mal nach Niedersachsen zu gucken, wo man parteiübergreifend dabei ist, die völlig separate Orientierungsstufe wieder abzuschaffen,

(Andreas Bluhm, PDS: Die will ja hier keiner.)

wo sich der Landeselternrat einstimmig dafür aussprach, die Orientierungsstufe aufgrund mangelnder Erfolge wieder aufzulösen, ganz abzuschaffen oder wenigstens an die einzelnen Schularten anzugliedern.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Wer will die denn?)

Warum gab der damalige sozialdemokratische niedersächsische Kultusminister Professor Wernstedt einen Studienauftrag,

(Angelika Gramkow, PDS: Ja.)

in der die Förderpraxis der Orientierungsstufe unter die Lupe genommen wurde? Warum sind an den Orientierungsstufen in Niedersachsen Kleinlerngruppen eingerichtet worden? Die Antwort ist einfach. Integrativer Ansatz konnte nicht halten, was er versprochen hat. Die Lernschwachen brauchen eine besondere Förderung.

(Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)

Wir dürfen uns einfach nicht der Tatsache verschließen, dass die Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin in der Studie „Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter“ 1996 feststellen musste, dass der Grad an sozialem und solidarischem Verhalten bei den Gesamtschülern mit der Schulzeit abnimmt, während er bei der Haupt- und Realschule steigt.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Mein Gott!)

Das ist doch der wesentliche Ansatz der integrativen Beschulung von Kindern, dass angeblich die sozialen Kompetenzen besser ausgebildet werden können. Es kann etwas mit der Philosophie dieser Auffassung nicht stimmen, wenn die TIMSS für Nordrhein-Westfalen 1997 feststellt, dass „gut 40 Prozent der Realschüler den Kernbereich gymnasialer Mathematikleistungen erreichen und 25 Prozent sogar in der oberen Leistungshälfte der Gymnasien liegen, aber an Gesamtschulen zu diesen Gruppen 25 beziehungsweise 10 Prozent der Schüler gehören.“ Und Sie wollen doch nicht anderes...

(Andreas Bluhm, PDS: Aber vielleicht fragen Sie sich mal, warum alle anderen Länder mit inte- griertem Schulsystem besser sind als Deutsch- land. – Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Sehen Sie, Herr Bluhm,

(Dr. Arthur König, CDU: Sehen Sie sich mal die Privatschulanteile dort an!)

genau das fragte der KMK-Präsident Willi Lemke: „Was ist denn besser am indischen Bildungssystem?“ Dass wir dort hochqualifizierte Computerfachkräfte für unsere boomende Zukunftsbranche Informationstechnik als Anleihe nach Deutschland holen müssen?

(Andreas Bluhm, PDS: Na, wer hat denn Verantwortung getragen in den letzten 15 Jahren für Bildung? – Götz Kreuzer, PDS: Das ist doch katastrophal.)

Warum stellt denn Frau Beyer – und da bin ich ja fast erschrocken gewesen – fest, dass diese Kräfte besonders kreativ seien?

(Andreas Bluhm, PDS: Na ja.)

Ich zitiere: „Statt auf die Chancen der Initiative des Bundeskanzlers Schröders für unser Land hinzuweisen, gießt er“ – ich bin gemeint – „Öl ins Feuer rechtsradikaler Stimmungsmache.“ Und hier sagt sie weiter: „Die innovativen IT-Firmen brauchen zusätzliche Kräfte, die unsere Hochschulen und Universitäten ausbilden. Wenn die Anzahl nicht ausreicht, muss der Bedarf gegebenenfalls auch aus dem Ausland gedeckt werden. Sie, diese Kräfte aus dem

Ausland, schaffen durch ihre besondere Kreativität neue Produkte und dadurch Arbeit für viele.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wo sind wir eigentlich hingekommen, Frau Beyer? Fragen Sie nicht mal ansatzweise – das, was Sozialdemokraten Jahrzehnte gepredigt haben – nach der Moral von Entwicklungshilfepolitik? Und jetzt heißen Sie es gut, dass wir aus Osteuropa, aus Asien, von wo auch immer, hochentwickelte, hochqualifizierte Spezialisten abziehen, weil sie in Deutschland erheblich mehr verdienen können? Fragen Sie sich nicht, warum 7.000 Fach- und Führungskräfte aus Deutschland jedes Jahr ins Ausland gehen? Und, Herr Bluhm, ich habe nicht gefragt, warum hat Indien besonders viele hochqualifizierte Fachkräfte? Die Antwort ist einfach. Sie haben das angelsächsische Bildungssystem mit vielen Privatschulen, mit Eliteschulen. Das ist die Antwort darauf.

Das heißt, gucken Sie doch einmal hin – auch nach Japan –, wie dann die Entwicklung weitergeht! Und gucken wir einmal hin – gerade das, was Sie postulieren. Sie postulieren doch mit der Orientierungsstufe und jetzt haben wir noch herausgekriegt, dass 10 Prozent der Schüler mit 7 Jahren eingeschult werden, dass unsere Abiturienten 19 beziehungsweise 20 Jahre alt sind, wenn sie das Abitur gemacht haben. Und dann beantworten Sie mir doch mal die Frage, ob der Weg richtig sein kann, da sich mittlerweile 60 Prozent der Fünftklässler auf dem Gymnasium melden

(Angelika Gramkow, PDS: Ach, nee! Und wo ist denn die Ursache dafür?)

und nur 50 Prozent von den Abiturienten auch studieren. Das heißt, wenn wir nicht dazu kommen, sehr frühzeitig

(Unruhe und Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Angelika Gramkow, PDS: Aha.)

die Kinder nach ihren Begabungen und Befähigungen auf die entsprechende Schulart...

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Noch frühzeitiger, was?!)

Herr Bartels, um wirklich Elite zu haben, die besondere Kreativität, die Frau Beyer den Indern zuschreibt, denke ich,

(Andreas Bluhm, PDS: Jedes Kind ist kreativ, Herr Rehberg. Jedes Kind ist kreativ.)

müssen wir gegebenenfalls noch früher anfangen.

(Angelika Gramkow, PDS: Am besten fangen wir bei der Zeugung damit an, oder was?! – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Genau darum geht’s ja.)

Jedes Kind ist auf seine Art und Weise kreativ und deswegen schaffen Sie ja die Hauptschule ab.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Einheitsbrei, Herr Bluhm, den Sie hier schaffen wollen ohne differenzierte Förderung der Begabten und Befähigten – egal, auf welcher Stufe – werden wir nicht dazu kommen zu sagen, wir haben ein Bildungssystem, in dem wir unsere Fachkräfte im IT-Bereich aus Deutschland selber einstellen können,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

sondern dann müssen wir eben den Weg gehen, den Herr Schröder gegangen ist, der im Auto irgendetwas zugerufen bekommt, aber auf dem Rundgang bei der CEBIT – das steht nämlich nicht in seinem Redemanuskript – sich hinstellt und sagt: „Wir brauchen 70.000 Fachkräfte von außerhalb.“

Und, Frau Beyer, ich sage Ihnen ganz klar und deutlich, wenn Sie mir vorwerfen, ich mache rechtsradikale Stimmungsmache: Befassen Sie sich mal mit den Zahlen in Mecklenburg-Vorpommern! In Mecklenburg-Vorpommern haben wir 550 arbeitslos gemeldete Datenverarbeitungsfachleute und 65 offene Stellen, also fast ein Verhältnis von 1 zu 10. Und von diesen 550 arbeitslos Gemeldeten sind 100 Systemprogrammierer beziehungsweise Systemanalytiker, also nicht irgendwelche Leute, die Datenverarbeitungskaufmann oder -kauffrau in der Umschulung gelernt haben, sondern echte Fachleute.

(Johann Scheringer, PDS: Haben Sie sich da mitgezählt, Herr Rehberg?)

Von denen sind 60 Prozent unter 45 Jahre und nicht mal ein halbes Jahr arbeitslos. Und dann stellen Sie sich hin und sagen mir, ich mache rechtsradikale Stimmungsmache, wenn ich sage, erstens Ausbildung für unsere Kinder, zweitens Aus- und Weiterbildung forcieren. Ich bin dafür, dass wir erst unsere Potentiale ausschöpfen und dann Ausländer in dieses Land holen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Gilt das für alle Aus- länder? – Zuruf von Hannelore Monegel, SPD – Rudolf Borchert, SPD: Darauf kommen wir noch mal zurück.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wissen Sie, ich habe zwar hier die Lampe gesehen, aber ich sage Ihnen noch einen Satz. Wer vier Millionen Arbeitslose hat, wer jährlich einen Zuzug von 700.000 Ausländern hat und wer dann apostrophiert, ich hole mir 70.000 IT-Fachkräfte vom Ausland, der muss sich natürlich erstens mit Forderungen konfrontiert sehen, dass auch in anderen Mangelbereichen – Stichwort Krankenhaus, soziale Dienste – die Forderung der Wirtschaft kommt, in den alten Bundesländern haben wir das, und der muss sich zweitens aber nicht wundern, Herr Borchert, dass bei einer Arbeitslosenquote von 20 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern die Menschen über Herrn Schröder nur noch verständnislos den Kopf schütteln können.

Ich kann hier nur eins raten: Sorgen Sie dafür, dass Mecklenburg-Vorpommern ein Bildungssystem hat, wo wir wirklich erstens die Begabten fördern und fordern und zweitens wirklich die Fachkräfte ausbilden können!

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Damit haben Sie zugegeben, dass wir es bislang nicht haben nach Ihrer Regierung.)

Letzte Bemerkung dazu: Setzen Sie sich dafür ein, und ich hoffe, der Ministerpräsident tut dieses auch, dass im IT-Bereich bei der Bundesanstalt für Arbeit mehr als elf Prozent für diesen Bereich ausgegeben werden! Ich empfinde es als einen Hohn, dass im Jahr 2000 nur ein Zehntel des Etats im Weiterbildungsbereich hierfür ausgegeben wird. Und ich empfinde es als Hohn, dass der Forschungshaushalt um 340 Millionen DM gekürzt wird. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)