Protocol of the Session on May 22, 2019

Herr Steinbiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nockemann?

Ich glaube, er hatte schon genug das Wort. Nein, dann lassen wir das.

Tut mir leid.

Das Grundgesetz ist wirklich die Antithese zum Nazistaat, wie ich sagte, und deshalb ist es unsere Aufgabe, diesen Rahmen weiterhin fest hochzuhalten.

(Beifall bei der SPD und bei André Trepoll CDU)

Zu bemerken ist auch, das sagte die Kollegin von Treuenfels schon: Es wurde zuerst eigentlich als eine Art Provisorium gesehen, genauso wie die ge

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

samte Bonner Republik. Man fragt sich natürlich: Wie haben es die Menschen damals geschafft – alles lag noch in Trümmern, Deutschland lag am Boden –, einen demokratischen Staat so aus dem Boden zu stampfen? Und 70 Jahre später sind wir immer noch stolz auf das, was die Verfassung uns damals gebracht hat. Wir definieren immer noch unser Wesen und unser Sein über das, was damals die Väter des Grundgesetzes geschaffen haben.

(Beifall bei der SPD)

Unter Juristen heißt es häufig, ein Blick in das Gesetz erleichtere die Rechtsfindung. Ich würde sagen: Auch ein Blick in das Grundgesetz gibt uns viele Gründe. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es dort gleich im ersten Artikel, im ersten Satz. Da würden heute bestimmt einige sagen: Das ist doch etwas übertrieben, etwas dick aufgetragen. Aber man muss sich die Zeit vorstellen, in der das geschrieben wurde. Damals war die Nazibarbarei den Menschen noch ganz klar, ganz frisch präsent, was leider heutzutage nicht mehr überall der Fall ist.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, das ist auch ein Eid der Verfassung an die Menschen, eine klare Abkehr vom NS-Staat. Der Mensch darf nicht das bloße Objekt sein; der Mensch hat einen Achtungsanspruch, allein weil er ein Mensch ist.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Martin Dolzer DIE LINKE)

Das gilt bei Hilfsbedürftigkeit und das gilt für jedes Menschenleben. Das mag einigen von uns selbstverständlich erscheinen, war aber nicht immer so. Denn der Begriff der Menschenwürde ist eigentlich ein sehr junger Begriff. Was man früher unter Würde verstand, war die Würde des Amtes. Würde war immer etwas Höheres, ein höherer Rang, genau das Gegenteil von dem, was das Grundgesetz mit Würde meint. Das Grundgesetz hat dieses Konzept der Ungleichheit ins Gegenteil verkehrt. Heutzutage genießt die Menschenwürde nicht nur der Erfolgreiche, nicht nur der finanziell Reiche, der Würdenträger, nein, alle Menschen sind dort gleich.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Im ursprünglichen Entwurf von Herrenchiemsee war eigentlich noch der Satz vorangestellt worden:

"Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen."

Ein klarer, deutlicher Satz; schade eigentlich, dass er nicht den Weg in das Grundgesetz gefunden hat.

Aber die Wirkung des Grundgesetzes lässt sich eben nicht nur allein am Text erklären. Es sind die Interpretationen des Bundesverfassungsgerichts,

die das Grundgesetz so lebendig machen. Es wird seit der Verkündung des Grundgesetzes viel über die Auslegung im Einzelnen gestritten. Die Geschichte des Grundgesetzes und die Geschichte der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind im Prinzip auch unsere Geschichte der Bundesrepublik. Den Charakter des Provisoriums hat das Grundgesetz schon lange verloren, das Verfassungsgericht schreibt die Verfassung nicht neu, aber es schreibt sie fort.

Das Faszinierende ist für mich, dass das Grundgesetz diese Möglichkeit eben auch lässt, dass es bewusst etwas vage gehalten ist an vielen Stellen, dass es immer noch interpretiert werden kann, dass die Verfassung auf die sich verändernde Gesellschaft reagieren kann, eben durch die Gerichtsbarkeit.

Vor 70 Jahren dachte noch niemand an Datenschutz, Auslandseinsätze der Bundeswehr, gleichgeschlechtliche Ehen und eine europäische Gemeinschaftswährung.

(Glocke)

Ich komme gleich zum Schluss. Letzter Satz.

Jetzt haben wir mit dem Grundgesetz ein wunderbares Gerüst, um auf neue Sachen regelmäßig reagieren zu können.

(Glocke)

Ich glaube, wir sollten das Ganze in Ehren halten, und bedanke mich jetzt für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der FPD und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort bekommt Herr Seelmaecker für die CDU-Fraktion. Für eine Minute. Sie schaffen das. 70 Jahre in einer Minute, das ist zu schaffen.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Vielen Dank. Bevor wir jetzt also 70. Geburtstag in diesem Jahr feiern, und damit meine ich nicht Horst Seehofer am 4. Juli, sondern unser Grundgesetz morgen, vielleicht kurz etwas dazu, dass wir diese Errungenschaft gar nicht hoch genug bewerten können. Demokratie, Gewaltenteilung, Stabilität und Frieden, all das fußt auf unserem Grundgesetz, jetzt seit 70 Jahren ein Erfolg, ein Exportschlager, und es ist eine wirklich tolle Sache, dass wir heute bei uns in einem Staat leben, in dem wir dem Grunde nach ohne Angst leben können, in dem wir Schulen haben ohne Gebühren, in dem unsere Kinder kostenfrei eine gute Bildung dem Grundsatz nach bekommen

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Sag das nicht!)

und in dem Minderheiten geschützt werden. All das sind Dinge, die nicht selbstverständlich sind, und

(Olaf Steinbiß)

deswegen will ich es kurz auf das Wesentliche herunterbrechen.

Dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dafür müssen wir sorgen in Zeiten dieser Politikverdrossenheit, in denen immer mehr Leute dem Staat, der Politik und der Demokratie kritisch gegenüberstehen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir den Menschen zeigen, dass es sich lohnt, für unseren Rechtsstaat, für unsere Demokratie und unser Grundgesetz zu kämpfen und dafür einzutreten, jeden Tag aufs Neue. Es ist es wirklich wert. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN und der FDP)

Dann haben wir die Aktuelle Stunde für heute wirklich erledigt.

Und wir kommen zum Punkt 50 unserer Tagesordnung, dem Antrag der CDU-Fraktion: Qualitatives Wachstum für Hamburg – Infrastruktur und Lebensqualität angemessen berücksichtigen.

[Antrag der CDU-Fraktion: Qualitatives Wachstum für Hamburg – Infrastruktur und Lebensqualität angemessen berücksichtigen – Drs 21/17136 –]

Diese Drucksache möchten die Fraktionen der CDU, der LINKEN und der AfD an den Stadtentwicklungsausschuss überweisen. Die AfD-Fraktion wünscht die Überweisung der Drucksache zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Umwelt und Energie.

Wird nun hierzu das Wort gewünscht? – Herr Dr. Wolf von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hamburg wächst und das ist gut so. Wir leben gern in einer Stadt, die sich durch hohe Geburtenraten und durch einen Zuzug von außen auszeichnet. Die Attraktivität unserer Heimat ist ungebrochen, und das ist etwas sehr Positives.

In Hamburg leben laut dem Melderegister seit Januar 2019 mehr als 1,9 Millionen mit Haupt- oder Nebenwohnsitz gemeldete Menschen. Herr Kienscherf hat sich unlängst geäußert, Hamburg könne auch 2,2 Millionen Menschen gut vertragen. Aber fast jeder Hamburger spürt doch schon am eigenen Leib, dass es zunehmend enger wird in dieser Stadt, auf den Straßen ebenso wie in den Bussen und in den Bahnen. Wo eben noch eine Grünfläche war, wird heute ein Gebäude gebaut, Flächen werden zunehmend versiegelt. In geschlossenen Neubaugebieten fehlen Ärzte, Apotheken und Ein

kaufsmöglichkeiten. Man könnte sie mit dem Auto erreichen, aber es gibt nicht ausreichend Parkplätze, und die Staustadt Hamburg erleichtert einem nicht gerade den Individualverkehr. Busund Bahnanbindungen sind oftmals mangelhaft in dieser Stadt, ganz zu schweigen von den Wirtschaftsverkehren auf Wasser, Straße und Schiene. Einen reibungslosen Transport von Gütern erreicht man eben nicht mit Fahrradstraßen.

(Beifall bei der CDU)

Die Kitas, Schulen und Hochschulen der Stadt sind ausgelastet. Bis 2030 müssen 40 000 weitere Schüler untergebracht werden, das sind rund 25 Prozent mehr als heute. Mehr Einwohner bedeuten auch einen höheren Bedarf an Polizei, Feuerwehr und Justiz.

Wir als CDU haben uns intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt, denn das Leitbild "Wachsende Stadt" ist einmal von einem CDU-geführten Senat eingeführt worden, unter Ole von Beust. Wir haben festgestellt, dass der rot-grüne Senat nicht die richtigen Antworten hat auf das Wachstum. Wachstum wird allein als quantitatives Wachstum angesehen

(Farid Müller GRÜNE: Das ist doch Quatsch!)

und auf die Frage konzentriert, wie man wo mehr Menschen unterbringt. Wachstum ist aber nie Selbstzweck, Wachstum hat auch immer eine qualitative Komponente. Wachstum darf nicht zulasten der Lebensqualität in dieser Stadt gehen.

(Beifall bei der CDU)

Die Qualität der Grünanlagen, Bildungseinrichtungen, Kultur- und Sportstätten darf nicht Opfer des Wachstums werden. Die Infrastruktur in dieser Stadt muss mit dem Wachstum Schritt halten und darf nicht weiter von Rot-Grün vernachlässigt werden.

(Beifall bei der CDU)