Protocol of the Session on April 26, 2017

Es sind zwei Punkte – ich habe sie schon im Ausschuss angesprochen und ich möchte sie auch hier noch einmal ansprechen –, die mir sehr am Herzen liegen. Das ist zum einen die Digitalisierung des Arbeitsmarktes. Schauen wir nach Hannover. Dort findet gerade die Messe "Get new technology first" statt, und sämtliche Berichterstattung darüber ist sich einig, dass die Arbeitswelt durch die Dinge, die dort vorgestellt werden, auf jeden Fall fundamental verändert wird. Aber das scheint leider noch nicht von Hannover bis nach Hamburg gedrungen zu sein, jedenfalls hat es nicht Einzug in das Arbeitsmarktprogramm gefunden. Dass das Wort "Digitalisierung" in einem Arbeitsmarktprogramm von 2015 bis 2020 nicht ein Mal erwähnt wird, finde ich schon fragwürdig bis fahrlässig. Ich habe den Senat im Ausschuss danach gefragt, und mir wurde die Antwort gegeben, das müsse halt überall mitgedacht werden, und es wurde auf die Fachkräftestrategie verwiesen. Aber ich glaube, so einfach kann man es sich an diesem Punkt nicht machen. Es muss jetzt analysiert werden, in welchen Branchen zuerst Arbeitsplätze infolge der Digitalisierung wegfallen werden. Die betroffenen Menschen müssen bereits jetzt qualifiziert werden – es handelt sich häufig um nicht oder gering qualifizierte Menschen – und nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sprich wenn sie schon arbeitslos sind. Nur so können wir die Langzeitarbeitslosen von morgen vermeiden. Ich denke, es wäre ein wichtiger, zentraler Punkt im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik, zusammen und Hand in Hand mit den Arbeitgebern Wege zu entwickeln, die Menschen bereits heute zu qualifizieren.

(Beifall bei der CDU)

Der zweite Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, ist die Ausbildungsreife unserer Schulabgänger. Das ist nur ein ganz kleiner Punkt im Arbeitsmarktprogramm. Ich habe danach noch einmal eine Anfrage dazu gestellt. Ich bin wirklich erschrocken – ich weiß, die Zahlen haben sich leicht verbessert, aber ich war wirklich erschrocken, als ich sie schwarz auf weiß gesehen habe –, dass von den 5 000 Schulabgängern, die wir nach der neunten und zehnten Klasse haben, mehrheitlich von den Stadtteilschulen, 2 000 junge Menschen in die Ausbildungsvorbereitung gehen, weil sie entweder nicht berufswahlentschieden sind oder andere Vermittlungshemmnisse haben.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Leider konnte ich bisher nicht in Erfahrung bringen – und ich weiß auch gar nicht, ob es diese Zahlen überhaupt gibt –, wie viele nicht wissen, was sie beruflich machen wollen, oder tatsächliche Vermittlungshemmnisse haben. Aber die Zahl von 2 000 jungen Menschen, die nach der Schule nicht wissen, was sie machen sollen, und das bei dieser Nachfrage nach Auszubildenden, die wir haben, ist schon wirklich mehr als bedenklich. Hier müssen neue Wege gefunden und es muss ganz gezielt auf Ursachenforschung gegangen werden.

(Beifall bei der CDU)

Nun noch ein Wort zu W.I.R. Es ist mir nicht richtig klar, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, warum Sie dieses Thema zur Debatte angemeldet haben. Wäre W.I.R ein bahnbrechender Erfolg oder die Antwort auf die Frage in der Arbeitsmarktintegration, dann könnte ich das verstehen. Aber meines Erachtens ist W.I.R davon sehr weit entfernt. Die Idee im Herbst 2015 ist unbestritten gut gewesen. Es sollten alle Flüchtlinge in den Erstaufnahmen hinsichtlich ihrer beruflichen Vorbildung gescreent werden. Bis Ende 2016 sollten es 10 000 werden, 3 000 sind es geworden. Kurzum: Letztes Jahr sind deutlich weniger Flüchtlinge nach Hamburg gekommen und aufgrund der verkürzten Bearbeitungszeiten kommen viele Flüchtlinge ziemlich schnell in die Beratungszuständigkeit der Jobcenter. Im März dieses Jahres wurden 200 Flüchtlinge bei W.I.R registriert.

(Glocke)

Beachten Sie die rote Lampe? Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Gut. Noch einen Satz dazu: Fraglich, ob wir W.I.R noch brauchen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Frau Möller von der GRÜNEN Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Frage, ob wir W.I.R noch brauchen … Wenn Sie länger hätten reden können, hätten Sie das wahrscheinlich noch weiter ausgeführt. Trotzdem bleibt dieser Satz im Ohr.

Ich will anders einsteigen. Wir alle wissen: Politik ist kein Wunschkonzert, auch kein Ponyhof, falls das jemand einwerfen möchte. Aber ich würde mir wünschen, dass wir im Bereich der Arbeitsmarktpolitik sehr viel mehr Handlungsspielraum in Hamburg hätten, weil wir dann noch zielgenauer und noch besser auf die Situation in dieser Stadt, sei es bezogen auf die Langzeiterwerbslosen, auf be

(Franziska Grunwaldt)

stimmte Gruppen oder auf die Geflüchteten, eingehen könnten.

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN)

Aber ich bin trotzdem sehr froh über das, was wir hier haben, mit dem wir in der Weiterentwicklung schnell und gut auf das reagieren, was notwendig ist.

Es gibt meiner Meinung nach mindestens drei große Herausforderungen. Erstens: die Zahl der Langzeiterwerbslosen zu reduzieren, ihnen eine Perspektive zu geben, die nicht nach kurzer Zeit wieder in die Erwerbslosigkeit führt. Zweitens: die Zahl der Aufstocker und Aufstockerinnen zu verringern. Auch das mit der gleichen Aufgabe, eine lange Perspektive. Und natürlich drittens: die Integration der nach Hamburg gekommenen Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt.

Das Thema Digitalisierung, das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, ist eines, das mitnichten nur etwas mit hamburgischen Perspektiventwicklungen zu tun hat und vor allem natürlich auch ein Aufgabenbereich der Bundesagentur und der Arbeitsagentur ist. Hamburg ist einer dieser Akteure in dem Bereich, wie man es mit arbeitsmarktpolitischen Mitteln schafft, mit der technischen Entwicklung der Arbeitsplätze mitzuhalten.

Wir haben einen Schwerpunkt, den ich gut und richtig finde. Ich stelle mir nicht die Frage, wofür man W.I.R noch braucht, sondern ich sehe, dass dieses breit angelegte Konzept einerseits der Lebenslagenberatung, andererseits der Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt und auf den Weg in die Erwerbstätigkeit ein wichtiges und ein gutes Element ist. Wir haben nach den jüngsten Zahlen, die wir im Sozialausschuss bekommen haben, rund 77 Prozent der nach Hamburg Geflüchteten in sprachoder arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Das sind 5 Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Das ist gut.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir setzen auf gute Qualifizierung und Ausbildung aufgrund der Tatsache, dass die Mehrzahl der Geflüchteten jung, wissenshungrig und lernhungrig ist und natürlich arbeiten will.

Der überdurchschnittliche Stand, den wir hier haben, lässt uns aber natürlich nicht ruhen. Denn gerade mit dem besonderen Augenmerk auf junge Flüchtlinge muss man sich darüber im Klaren sein, dass sie lange Zeit Unterstützungen brauchen, die sie durch den Integrationsprozess verlässlich begleiten. Das ist analog zu dem Modell der Jugendberufsagentur. Auch hier, Frau Grunwaldt, bin ich nicht der Meinung, dass es schlecht ist, Jugendliche auch über längere Zeit zu begleiten, bis sie sich für den beruflichen Weg, der zu ihnen passt und den sie dann auch durchhalten können, entschieden haben.

(Beifall bei Uwe Giffei SPD)

Deshalb: Es ist gut, dass die Jugendlichen mitgenommen werden. Auch wenn es ein Jahr länger dauert, bis sie dann eine Ausbildung beginnen, ist das gut und richtig. So gehen sie uns nicht verloren.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das Modellprojekt der Integrationsbegleitung für die jungen Flüchtlinge wird zeigen, dass auch hier einerseits gegenüber den potenziellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, den Lehrbetrieben, eine Sicherheit dahingehend besteht, dass man gemeinsam versuchen kann, die Jugendlichen zum Durchhalten zu bringen, ihnen über alle Hürden hinweg zu helfen, auch die Hürden, die es in den Betrieben gibt. Nicht umsonst gibt es immer mehr große hamburgische Betriebe, die sich anschließen und deutlich sagen: Wir wollen diesen Weg gehen, auch wenn er lange dauert und ein bisschen steinig ist. Wir alle sollten das unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das Wort bekommt Herr Yildiz von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die bisherige Hamburger Arbeitsmarktpolitik ist auf das Verwalten von Akten fokussiert. Statt der Akten muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Daher fordern wir Förderung, eine Aufstockung der entsprechenden Mittel und eine fachspezifische Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte einige Punkte in Bezug auf Ihre Arbeitsmarktpolitik und Ihre Drucksache konkretisieren.

Erstens: Wir haben 22 000 Langzeitarbeitslose. Eine Antwort auf die Frage, was der Senat konkret in diesem Bereich tut, fehlt.

Zweitens: die Jugendberufsagentur. Es ist schön und gut, dass man alle Jugendlichen erfasst. Aber was hat die Jugendberufsagentur de facto gebracht? Wie viele Jugendliche wurden durch den Apparat, den Sie geschaffen haben, vermittelt? Wenn man das vergleicht, ist es fast gar nichts.

Drittens: Die Mehrheit der Arbeitsmarktmittel, 125 Millionen Euro, wird im Bereich der Verwaltung ausgegeben.

Viertens: Es gibt einen Förderstopp für Arbeitsmarktprojekte. Das sind 13,5 Millionen Euro. Was passiert mit diesem Geld? Es geht wieder in die Verwaltung.

(Antje Möller)

Fünftens: Sachgrundlose Befristungen finden in städtischen Unternehmen statt, und was tut der Senat? Gar nichts.

(Zuruf)

Es gibt dort 1 500 sachgrundlose Befristungen. Das hat die Schriftliche Kleine Anfrage meines Kollegen Deniz Celik deutlich gemacht.

Sechstens: Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag 1 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze versprochen. Es sind drei Jahre vergangen. Wie sieht das Ergebnis aus? Ich sehe gar nichts.

Siebentens: 37 000 Menschen müssen trotz Arbeit aufstockende Hilfe beantragen.

Ich finde, diese Fragen müssen beantwortet werden, wenn man eine gute Arbeitsmarktpolitik in Hamburg haben möchte.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie Interesse daran haben, machen wir Ihnen konkrete Vorschläge.

Erstens, wenn Sie tatsächlich Ausbildungsplätze schaffen wollen: In Hamburg bilden viele Unternehmen nicht aus. Die müssen Sie in die Pflicht nehmen. Es reicht nicht, dass man Jugendberufsagenturen schafft. Wer nicht ausbildet, muss zahlen. Das fordern die Gewerkschaften seit Jahren. Hier müssen die Unternehmen in die Pflicht genommen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens: Damit die Menschen, die in städtischen Betrieben arbeiten, eine Perspektive haben, schaffen Sie die sachgrundlosen Befristungen ab – das betrifft über 1 500 Menschen. Dann haben diese Menschen Sicherheit und eine Perspektive.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens: 1 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Wir fordern mehr, aber halten Sie erst einmal Ihr Versprechen ein und schaffen Sie die 1 000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose. Wo sind sie denn?