Protocol of the Session on February 1, 2017

Das ist lange her. Staat und Kirche sind heute getrennt. Keine Regierung kann bestimmen, welche Religion die Bürgerinnen und Bürger haben dürfen und welche nicht. Die Bürgerinnen und Bürger müssen nicht die Religion ihres Landesherrn annehmen, wie es 1555 der Augsburger Religionsfrieden mit "Cuius regio, eius religio" festlegte. Die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz garantieren die Religionsfreiheit und das ist ein wichtiger Fortschritt für unser Land.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Christiane Schneider DIE LINKE – Michael Kruse FDP: Zum Thema! – Dennis Thering CDU: Reden Sie doch mal zum Thema!)

Auch dass der Staat mit Religionsgemeinschaften Verträge schließt, zeigt seine religiöse Neutralität. In Hamburg gab es dennoch lange keine Religionsverträge; das war Ausdruck hanseatischer Tradition und der Tatsache, dass die Kirche Luthers hier lange die Staatskirche war. Wir sollten uns daran erinnern, weil das mit der Religionsfreiheit noch nicht so lange eine gute Erfahrung ist. Den Katholiken wurde in Hamburg erst 1811 das Predigen wieder erlaubt. Als der Hamburger Senat 2005, praktisch fast als letztes Bundesland, mit den beiden christlichen Kirchen Verträge schloss, war das ein Paradigmenwechsel gegenüber einer jahrhundertealten Tradition. Inhaltlich und rechtlich ist nichts Neues passiert. Sowohl der Vertrag mit der Nordelbischen Kirche als auch der mit dem Heiligen Stuhl in Rom diente nur der Klarstellung. Nach diesem Modell wurde 2007 der Vertrag mit der jüdischen Gemeinde geschlossen. Er schrieb fest, was schon gilt. Zudem gibt es Passagen zur Stellung und dem Wirken der jüdischen Gemeinde in Hamburg. Aber Hamburg ist an dieser Stelle und mit dieser Gemeinschaft einen Schritt weiter gegangen. Der Vertrag ist auch eine Form der gleichberechtigten Anerkennung. Ausdrücklich betonen die Stadt und die jüdische Gemeinde die enorme symbolische Bedeutung. Der Vertrag ist ein Zeichen der Zugehörigkeit und des Respekts und auch ein Appell an die Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü, Dora Heyenn, beide frakti- onslos, und Christiane Schneider DIE LINKE)

Nach dem Abschluss der beschriebenen Verträge mit den beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften und der jüdischen Gemeinde war es folgerichtig, dass zum ersten Mal in diesem Jahrtausend die Diskussion dazu führte, Verträge mit den Muslimen zu schließen. Es muss und darf an dieser Stelle gesagt werden, dass es die CDUFraktion war, die dies auf den Weg gebracht und wie folgt begründet hat:

"Durch die Zuwanderung in den letzten Jahrzehnten ist besonders der Anteil der Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens in der Hansestadt gestiegen. Daher ist es wichtig, diese Gruppe stärker in die Gesellschaft zu integrieren."

Die CDU-Fraktion war sich sicher, dass es wichtig sei, einen Vertrag zu haben, weil es offene Fragen gegeben habe, und dass man den Vertrag etwa bei der Diskussion um einen Islamunterricht an staatlichen Schulen brauche. Ausdrücklich heißt es:

"Um in solchen Fällen zukünftig auf eine dauerhafte Grundlage zurückgreifen zu können und verlässliche, repräsentative Ansprechpartner zu haben, ist eine entsprechende schriftliche Vereinbarung mit den Vertretern des Islams in Hamburg wünschenswert."

(André Trepoll CDU: Damals Recht und heu- te Recht!)

Alle Fraktionen waren dafür. Der Antrag zur Aufnahme von Gesprächen mit autorisierten Vertretern der Muslime über den Abschluss eines verbindlichen schriftlichen Abkommens über die gegenseitigen Rechte und Pflichten in verschiedenen Lebensbereichen wurde einstimmig angenommen. Bürgerschaft und Senat wollten diese Verträge nicht etwa, weil sie die religiöse Auffassung der muslimischen Gemeinden teilen. Wenn Religionsfreiheit nur im Hinblick auf diejenigen, die unsere Religion haben, funktioniert, dann ist das ja gar keine Religionsfreiheit,

(Michael Kruse FDP: Aber Religionsfreiheit gibt es doch auch ohne Vertrag! Alle ande- ren dürfen hier fünf Minuten reden und er re- det, was er will!)

auch nicht, weil jemand die politischen Auffassungen der Mitglieder oder der Vorsitzenden richtig fand.

(Zurufe von der CDU)

Hamburg hat die Gespräche aufgenommen und die Verträge geschlossen, weil wir wissen, dass es viele Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt gibt, in deren Leben der islamische Glaube eine wichtige

(Erster Bürgermeister Olaf Scholz)

Rolle spielt. Ihnen wollten wir den gleichen Respekt erweisen wie den Angehörigen anderer Religionen auch.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos und Christiane Schneider DIE LINKE)

Im August 2012 waren die Vertragsverhandlungen abgeschlossen. Die Stadt konnte mit dem DITIBLandesverband Hamburg, der SCHURA, dem Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der islamischen Kulturzentren einerseits und der alevitischen Gemeinde andererseits Verträge unterzeichnen.

Zu den Zwischenrufen: Lassen Sie die weg, ich habe eingangs etwas gesagt.

(Zurufe von der CDU)

Sie haben sich entschlossen, den Antrag und die lange Debatte, die die FDP-Fraktion in dieser Bürgerschaft wollte, zu umgehen, indem Sie eine Aktuelle Stunde anmelden.

(André Trepoll CDU: Wir können zur Aktuel- len Stunde anmelden, was wir wollen! Das haben Sie nicht zu entscheiden!)

Das ist Ihr Recht. Und es ist mein Recht als Bürgermeister dieser Stadt, die Rede, die ich in einer so wichtigen Angelegenheit halten will, auch hier zu halten.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktions- los – Glocke)

Ich würde den Bürgermeister zuerst gern fragen, ob er eine Zwischenfrage des Abgeordneten Trepoll beantworten möchte, und dann würde ich gern einen Hinweis geben.

Gern.

Herr Bürgermeister, wenn das eine so wichtige und bedeutende Rede für Sie ist, warum haben Sie dann nicht die Möglichkeit genutzt, eine Regierungserklärung anzumelden?

(Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD)

Diese Regelung haben wir genau für einen solchen Anlass gerade neu geschaffen und deshalb finde ich das nicht in Ordnung. Wir können zur Aktuellen Stunde anmelden, was wir für richtig halten; es ist nicht Ihr Auftrag, das zu beurteilen. Dass Sie sich äußern, ist gut, aber dann müssen Sie sich auch an unsere Spielregeln halten.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Joachim Körner AfD)

Erster Bürgermeister Olaf Scholz (fortfahrend): Herr Abgeordneter, der Bürgermeister hält sich an die Spielregeln.

(Dennis Thering CDU: Eben nicht!)

Dazu zählt, dass der Senat und der Bürgermeister in der Bürgerschaft jederzeit das Wort ergreifen können und so lange reden können, wie sie wollen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es wird Ihnen, verehrter Herr Fraktionsvorsitzender, nicht das Recht abgestritten, Geschäftsordnungsmöglichkeiten zu nutzen und zum Beispiel der FDP-Fraktion die Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu nehmen.

(Katja Suding FDP: Das ist eine Frechheit, Herr Bürgermeister!)

Das gehört zum parlamentarischen Betrieb dazu.

(Dennis Thering CDU: Sie offensichtlich nicht!)

Aber aus meiner Sicht ist das Thema zu wichtig, um dann nicht genügend dazu zu sagen, und das mache ich jetzt. Ich hoffe, dass Sie dem Ernst der Angelegenheit angemessen reagieren können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die meisten Regelungen in den Verträgen wiederholen einfach nur geltendes Recht. Darauf hat, die Dinge ein bisschen verfälschend, der eine oder andere Redner schon hingewiesen. Denn das Besondere der Verträge, die der Hamburger Staat mit der evangelischen Kirche, dem Heiligen Stuhl, der jüdischen Gemeinde und auch den muslimischen Verbänden und der alevitischen Gemeinde abgeschlossen hat, ist, dass sie nicht solche Regelungen enthalten wie die Verträge der meisten Flächenländer, in denen große Zahlungen und weitgehende Rechte der Religionsgemeinschaften damit verbunden sind, sondern es handelt sich im Wesentlichen um eine Respektsbekundung und die Regelung gemeinsamer Fragestellungen und Verfahren.

Die muslimischen Verbände brauchen diesen Vertrag zum Beispiel nicht, um rechtlich als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Das ist keine Frage des Verhandelns, sondern einer fundierten rechtlichen und religionswissenschaftlichen Prüfung, die wir an renommierte Wissenschaftler vergeben haben. Übrigens ist man bisher bei allen vergleichbaren Prüfungen in anderen Ländern, zum Beispiel in Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, zu vergleichbaren Ergebnissen gekommen.

Zu den Rechten einer Religionsgemeinschaft gehört das Selbstbestimmungsrecht und anders als zu Bismarcks Zeiten garantiert das Grundgesetz,

(Erster Bürgermeister Olaf Scholz)

(Jörg Hamann CDU: Da hatten wir noch kein Grundgesetz!)

dass der Staat sich nicht einmischen darf, was im Gottesdienst gesagt wird und wie man die religiöse Gemeinschaft organisiert. Das natürlich immer im Rahmen der Verfassung und der geltenden Gesetze – religiöse Selbstbestimmung ist kein Freibrief.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Deshalb steht in den Verträgen mit der muslimischen Gemeinde das Bekenntnis zur vollständigen Geltung und Achtung der staatlichen Gesetze. Darauf haben die Vertragspartner, die Stadt Hamburg und die Gemeinden, großen Wert gelegt, denn damit macht der Vertrag noch einmal klar, dass die Vertragspartner Religionsgemeinschaften sind, die sich ausdrücklich von Anhängern extremistischer, islamistischer Gruppierungen abgrenzen. Die Verträge sind Ausdruck für etwas, was eigentlich selbstverständlich ist, nämlich das Bekenntnis, dass auch die Hamburgerinnen und Hamburger islamischen Glaubens zu unserer Stadt gehören. Und das stimmt, das steht darin, das ist gesagt. Die Verträge sind nicht mit allen muslimischen Gemeinden geschlossen worden und sie haben auch nicht den Anspruch, alle Muslime in Hamburg eingebunden zu haben.

Vielleicht ein kurzer Hinweis zum Religionsunterricht. Die Prüfung, die die FDP-Fraktion beantragt, ist bereits erfolgt. Die Antwort ist auch ganz klar: Jede Religionsgemeinschaft, die anerkannt ist, auch DITIB Hamburg, kann verlangen, dass ein bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht stattfindet.

(Karin Prien CDU: Richtig! – Dennis Thering CDU: Das hat keiner bestritten!)

Das braucht man nicht zu prüfen, das steht schon fest. Das können wir gar nicht verhindern.