Protocol of the Session on May 25, 2016

ständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe stellt. Artikel 36 Ziffer 2 der Konvention führt hierzu unmissverständlich aus:

"Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden."

Aus unserer Sicht, und das ist das Kernanliegen der von Hamburg angestoßenen Bundesratsinitiative, reicht der Entwurf der Regierung nicht weit genug. Der jetzige Gesetzentwurf der Bundesregierung lässt Strafbarkeitslücken, weil es beispielsweise anders als bei Körperverletzungsoder Diebstahls- oder Betrugsdelikten an einem soliden Grundtatbestand fehlt. Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum werden durch einen Grundtatbestand und Strafschärfungsgründe oder Qualifizierungstatbestände geschützt. Bei der sexuellen Selbstbestimmung sind derzeit nur sehr besondere Rechtsgutsverletzungen erfasst, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung oder der sexuelle Missbrauch in besonderen Lagen. Es ist im Strafrecht beispielsweise absolut sonnenklar, dass ein Diebstahl nicht erst dann vorliegt, wenn sich der Bestohlene gegen den Täter zur Wehr setzt.

(Dirk Nockemann AfD: Das ist ein ganz an- derer Sachverhalt, Herr Tabbert!)

Es ist nicht erforderlich, besondere Sicherungen zu überwinden oder Gewalt anzuwenden, um ein Dieb zu sein. Eine Körperverletzung ist grundsätzlich noch der kleinste Piekser mit einer Spritze. Ob eine Einwilligung in diese Körperverletzung vorlag oder nicht, entscheidet über das Vorliegen einer Straftat. Für das Sexualstrafrecht ist genau all das nicht selbstverständlich. Diese strafrechtliche Diskriminierung des elementar wichtigen Schutzguts der sexuellen Selbstbestimmung wird auch mit dem derzeitigen Gesetzentwurf nicht vollständig aufgelöst. Gerade die Grapscherfälle werden nicht ausreichend erfasst, aber auch andere Fälle, in denen der Täter beispielsweise ein deutliches Nein des Opfers ignoriert und ohne Anwendung von Nötigungsmitteln sexuelle Handlungen an ihm ausführt, sind weiterhin straflos. Gerade in diesem sensiblen Bereich wird jede Lösung immer unzureichend sein, die lediglich Sondertatbestände für besonders dringliche Fälle schafft. Wir setzen uns jetzt dafür ein, diesen Zustand im Strafgesetzbuch vom Kopf auf die Füße zu stellen und alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder nicht gesühnte sexuelle Übergriff ist einer zu viel. Das gilt nicht nur wegen der Tat selbst, sondern auch wegen der schweren Folgen, die ein solcher Übergriff für das Opfer haben kann. Wir haben jetzt die

Chance, das Strafrecht entsprechend zu reformieren, und deswegen werden wir auf Bundesebene über den Bundesrat mit Nachdruck an diesem Thema gemeinsam mit allen, die bereit sind, mit uns für diese fast schon historische Weichenstellung zu kämpfen, weiterarbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nun bekommt Herr Seelmaecker von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen! Niemand hat das Recht, sich über die sexuelle Selbstbestimmung eines anderen hinwegzusetzen. Sexualisierte Gewalt darf nicht relativiert werden; darüber haben wir einen breiten Konsens. Wir haben auch einen weiteren breiten Konsens in Bezug auf die Strafbarkeitslücken, die noch zu schließen sind. Und ein Punkt, den Urs Tabbert eben richtig angesprochen hat, ist die Frage des Grapschens. Die Strafbarkeit des Angrapschens darf nämlich nicht länger davon abhalten, ob dies auch gleichzeitig eine Beleidigung, also eine Herabwürdigung, darstellt. Das darf nicht sein, sondern wir müssen die sexuelle Selbstbestimmung umfassend strafrechtlich schützen. Das gilt natürlich gleichermaßen für die Massenbelästigungen, wie wir sie in der letzten Silvesternacht erleben mussten, als auch für jede einzelne Tat. Das ist kein Unterschied.

(Beifall bei der CDU)

Insofern hätte es mich gefreut, wenn dieser Konsens zu einer Zustimmung unseres Antrags geführt hätte, denn wir haben einen sehr konkreten Antrag eingebracht, der genau diese tätliche sexuelle Belästigung umfasst, also genau diese Lücke, die jetzt im Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums gesehen wird, geschlossen hätte. Da hätten wir ein klares Signal gehabt. Schade, dass wir uns darauf nicht einigen konnten.

(Farid Müller GRÜNE: Das finden wir auch schade!)

Prävention im Bereich sexualisierter Gewalt ist auch sehr wichtig. Hier offenbart sich die Schwäche Ihrer mit heißer Nadel gestrickten Antragskonstruktion. Sie haben dort formuliert, der Senat werde aufgefordert – ich zitiere Ziffer 3 –:

"[…] an geeigneter Stelle verstärkt auf die fundierte Erarbeitung von Kampagnen mit dem Ziel der Prävention sexueller Gewalt gegen Frauen hinzuwirken."

Das ist nun wirklich hilflos und in gewisser Weise sogar schamlos. Ich will Ihnen einmal übersetzen, was das heißt. "Geeignete Stelle" heißt: Wir haben keine Ahnung, wo man was in Hamburg tun müsste. "Fundierte Erarbeitung" heißt entweder bestenfalls, es sei ein Allgemeinplatz, oder es heißt – fun

(Urs Tabbert)

diert klingt immer gut –, es bestehe ein Misstrauen gegenüber Ihrer eigenen Behörde, weil Sie sagen: Wenn wir da nicht "fundiert" hineinschreiben, bekommen wir auch nichts Fundiertes. Also das kann es doch wohl nicht sein.

(Farid Müller GRÜNE: Das ist Kaffeesatzle- serei!)

Und dann verlangen Sie Kampagnen.

(Farid Müller GRÜNE: Das ist Wortklaube- rei!)

Nein, das ist genau der Wortlaut, und da steht als Nächstes: Kampagne. Das finde ich auch sehr schön, Kampagnen. Offenbar verwechseln Sie die Tätigkeit Ihrer Propagandaabteilung in der Parteizentrale mit dem, was eine Behörde zu leisten hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die GRÜNEN können gern eine Wahlkampfkampagne starten, und auch die SPD hat seit 1998 den griffigen Slogan "Wir haben die Wahlkampfzentrale Kampa". Kampa klingt gut, Kampagne. In den politischen Bereich gehört das hinein, aber doch nicht in den staatlichen, behördlichen Bereich. Eine Behörde hat die Bevölkerung zu informieren oder aufzuklären. Das zeigt einfach nur, wer daran gesessen hat und mit welch heißer Nadel das Ganze letztlich gestrickt wurde.

(Farid Müller GRÜNE: Unterstützen Sie denn nun "Nein heißt Nein"?)

Dazu komme ich gleich.

Ich komme gleich zu den konkreten Inhalten, denn das ist ein weiterer schwacher Punkt. Es hilft uns bei dieser ernsthaft zu führenden Diskussion inhaltlich überhaupt nicht, wenn wir mit Worthülsen arbeiten, sondern wir müssen die Probleme ganz konkret benennen und sagen, wie wir sie lösen wollen. Dazu komme ich gleich.

Es geht aber nicht, dass ich mir so eine Behörde zur Beute mache und wieder einmal sage, das mache ich so, wie ich es will. L'état, c'est moi, der Staat bin ich, die Behörde muss es so machen, wie ich es will, und dann kann ich es ein bisschen flapsig formulieren und dann wird das schon.

Sie haben die Retourkutsche von der Behörde unmittelbar im Anschluss bekommen. Ich finde es nur verwunderlich, dass Sie sich im Grunde damit abgefunden haben. Lesen Sie sich den Bericht doch durch. Was hat die Behörde Ihnen da hineingeschrieben beziehungsweise was hat die Behörde im Ausschuss denn zu Ihrem Antrag gesagt? Und zwar zu unserem sogar gemeinsam getragenen Antrag, denn bezüglich Ziffer 3, also der Aufklärung und der Prävention, sind wir doch einer Meinung. Da hat Ihnen die Behörde Folgendes hineingeschrieben: Sie hat nämlich gesagt, 2015 habe es fünf Aktionen gegeben. Eine davon stammt im Übrigen von der Bundeszentrale für gesundheitli

che Aufklärung; diese lasse ich außen vor, denn sie kommt vom Bund. Bleiben also noch vier Aktionen der Hamburger Behörden. Davon sind zwei in dem Bericht "Interne Fachveranstaltungen" und zwei sind Plakataktionen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht; ich habe im letzten Jahr jedenfalls nicht unmittelbar wahrnehmbar so große öffentliche Plakatierungsmaßnahmen in dieser Stadt wahrgenommen, dass ich sagen könnte, Mensch, wie gut, dass wir uns so stark um sexualisierte Gewalt bemühen. Das ist an mir vorbeigegangen, tut mir leid; und ich bin wirklich gern im Justizbereich dabei.

(Beifall bei der CDU)

Und, noch wichtiger, denn das war Ihre von uns mitgetragene Forderung für 2016: Was hat die Behörde uns denn da gesagt? Wir haben mehr und eine bessere Präventionsarbeit gefordert, und für 2016 sagt der Senat, eine ganze Palette von Maßnahmen sei in Planung. Ich verstehe unter einer Palette von Maßnahmen ein breites Spektrum. Der Senat nennt dann aber konkret nur zwei, dazu auch noch interne Maßnahmen; erstens nämlich einen behördenübergreifenden runden Tisch zum Thema "Sexualisierte Gewalt" – lasst uns einmal zusammensetzen, gut. Und zweitens – jetzt zitiere ich wieder aus dem Bericht –:

"[…] als Reaktion auf die Silvesterereignisse gemeinsam mit der Polizei Qualifizierung, Aufklärung und Sensibilisierung gerade im Hinblick auf sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum und bei öffentlichen Veranstaltungen weiter verstärken."

Wer da gemeinsam mit der Polizei etwas tun soll, steht darin schon einmal nicht. Ehrlich gesagt finde ich das ein Stück weit frech. Glauben Sie ernsthaft, dass irgendjemand in dieser Stadt noch irgendwie über die letzten Silvesterereignisse aufgeklärt werden muss oder darüber, dass Massengrapschen nicht geht? Das ist doch lächerlich. Ich finde es völlig unglaublich, was Sie da hineingeschrieben haben. Das ist doch jedem in dieser Stadt völlig klar.

(Beifall bei der CDU – Farid Müller GRÜNE: Nur Ihnen nicht!)

Jetzt kommen wir zu dem einzig wichtigen Punkt. Es folgt nur eine einzige, kümmerliche externe Maßnahme auf unseren Antrag hin, nämlich welche? Der Entwurf eines Plakatmotivs: "Er wollte, sie nicht". Und wohlgemerkt, es steht darin ausdrücklich, es werde nur einen Entwurf eines Plakats geben, es gebe keine öffentlichen Veranstaltungen, keine großen Plakatierungen, keine Informationsveranstaltungen oder Ähnliches. Das finde ich zu dünn.

Ich will Ihnen nur aufzeigen, dass Sie, wenn Sie einen so schwachen Antrag einbringen, sich nicht wundern dürfen, wenn die Behörde Ihnen die Nase

zeigt und uns am Ende, gelinde gesagt, etwas veräppelt und sagt, man mache nächstes Jahr einmal ein Plakat. Dafür ist dieses Thema zu wichtig. Das kann nicht reichen.

Bei den Haushaltsberatungen werden Sie die Möglichkeit haben, diese Schmach gewissermaßen wieder auszubügeln, denn es ist nämlich einer der Schlüsselfaktoren im Bereich der sexualisierten Gewalt, aufzuklären und Prävention zu betreiben.

(Farid Müller GRÜNE: Eigentlich würden wir gern mal hören, wo Sie stehen!)

Bevor ich zu den Verbesserungsvorschlägen komme, vielleicht noch ein Lob. Eines nehmen wir mit großer Freude zur Kenntnis, dass nämlich auch der amtierende Justizsenator in der aktuellen Entschließung des Bundesrats zu dem Schluss kommt – ich zitiere –:

"Ein Sexualstrafrecht ohne Strafbarkeitslücken schreckt ab, ermutigt Opfer und Zeugen zur Anzeige und erleichtert die Arbeit der Polizei und Justizbehörden der Länder und des Bundes."

Bravo. Umfassendes Strafrecht ohne Lücken schreckt also ab. Richtig so, Herr Senator, diese Einsicht haben Sie völlig richtig gewonnen. Handeln Sie bitte also auch danach und sehen Sie das Strafrecht als das Instrumentarium an, das es auch ist. Dann will ich in der nächsten Zukunft bitte nichts mehr von irgendwelchen Entkriminalisierungen hören, denn Sie sagen selbst, es schütze umfassend.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt zu den beiden Fehlern in Ihrem Ansatz. In Ihrem Antrag begründen Sie nämlich auf Seite 1, Absatz 1:

"Doch auch von den angezeigten Taten können in Deutschland bisher nur wenige konsequent geahndet werden. Der Grund dafür liegt in einem Sexualstrafrecht, dass das Nein des Opfers in vielen Fällen nicht als Nein anerkennt."

Das ist ein fundamentaler Irrtum. Und zwar weshalb?

(Farid Müller GRÜNE: Aha!)

Die objektiven Fakten sprechen nämlich eine ganz andere Sprache. 7 bis 10 Prozent der Frauen in Deutschland werden Opfer von sexuellen Übergriffen. Nur 15 Prozent der Frauen, die vergewaltigt werden, zeigen das überhaupt an. Und nur 8 Prozent der Tatverdächtigen werden am Ende auch verurteilt.

(Farid Müller GRÜNE: Aha!)