Protocol of the Session on April 13, 2016

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt nun Herr Lohmann von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wie wichtig der AfD das Thema ist, sieht man daran, dass sie es heute zum dritten Mal zur Debatte angemeldet hat und das Ganze schon zweimal zurückgezogen hat. Im Antrag wird gefordert, für die Kinderund Jugendhilfe zur Verbesserung der Prävention eine kleine Gruppe von unabhängigen Experten zu beauftragen. Das wundert mich, denn solange ich im Familienausschuss bin, habe ich die AfD dort nicht wahrgenommen, weder durch Wortbeiträge noch durch konstruktive Beiträge und Anträge.

Auch hier zeigt sich, dass die AfD dort nicht in Erscheinung getreten ist. Was Sie in Ihrem Antrag fordern, ist bereits Realität. Speziell für Sie nenne ich ein paar Fachleute, mit denen zusammengearbeitet wird: Professor Dr. Klaus Wolf, Uni Siegen, zur Weiterentwicklung der Kinderpflegehilfe und zur Fortbildung für alle Pflegekinderdienste, Dr. Heinz Kindler, Deutsches Jugendinstitut, zur Weiterentwicklung der Kinderschutzdiagnostik sowie zum Programm "Gewalt im Kindesalter", Professor Dr. Schrapper, Uni Koblenz-Landau, zur Weiterentwicklung des ASD, und so weiter und so fort.

Darin unterstützen wir die BASFI, und im Fachausschuss haben sich die Fraktionen entschieden, Professor Wolf zu Rückkehrprozessen von Pflegekindern in Herkunftsfamilien als Sachverständigen zu hören. Diesen konstruktiven Weg wollen wir weitergehen, eines Antrags der AfD bedarf es hier nicht. Mit dem sehr wichtigen Thema Kindeswohl sollte man sich an anderer Stelle auseinanderset

zen, und dazu werden wir in naher Zukunft genügend Gelegenheiten haben, aber nicht als letzte Debatte und schon gar nicht bei einem AfD-Antrag. Selbstverständlich lehnen wir diesen Antrag ab. – Danke.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das Wort bekommt nun Herr Heißner von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wieder einmal ist der Tod eines kleinen Kindes, dessen Familie unter Aufsicht des Hamburger Jugendamts stand, hier Thema, und die Verwendung der Worte "wieder einmal" in diesem Zusammenhang macht traurig. AfD-Antrag hin oder her, es ist nicht angemessen, nur drei Sätze dazu zu sagen, wenn wir hier zum ersten Mal darüber sprechen. Deswegen möchte ich ein bisschen auf das Thema eingehen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD)

Dem kleinen Tayler wurde zum Verhängnis, dass er in die falsche Familie geboren worden war, die ihm wahrscheinlich seine tödlichen Verletzungen zugefügt hat. So schrecklich schmerzhaft diese Erkenntnis für uns hier auch sein mag, wurde ihm leider auch zum Verhängnis, in der falschen Stadt geboren zu sein, einer Stadt, in der immer wieder Kinder schwer misshandelt werden, obwohl ihre Familien bereits eng vom Jugendamt betreut worden sind, einer Stadt, die offenbar aus diesen Fällen viel zu wenig gelernt hat, denn die gleichen Fehler wiederholen sich immer wieder, einer Stadt, in der Kinder sterben, weil der Staat nicht ausreichend in der Lage war, seinem Wächteramt nachzukommen.

Der Fall Tayler ist deshalb eine Schande für unsere Stadt. Er ist es nicht allein deshalb, weil ein Kind gestorben ist. Kriminalität ist immer schrecklich, aber sie wird sich auch beim besten Bemühen nie ganz verhindern lassen. Er ist es, weil der Staat das Leben des kleinen Tayler nicht schützen konnte, obwohl er es schon in Händen hatte, obwohl er den kleinen Tayler in Obhut genommen hatte, weil er bereits einmal schwer misshandelt worden war. Und obwohl diese Misshandlung nie aufgeklärt worden war und dieser schreckliche erste Verdacht gegen die Familie nie entkräftet werden konnte, musste Tayler dorthin zurück, und nicht nur das: Die Entscheidung für die Rückführung zur Familie wurde unter Missachtung nahezu aller geltenden Regeln getroffen, Regeln wie die verpflichtende kollegiale Beratung, in der die Rückführung abgesegnet werden muss, die genau dem Schutz vor solchen fehlerhaften Rückführungen dienen sollen, Regeln, die etwa vom eigens eingesetzten Untersuchungsausschuss nach dem Tod der kleinen Yagmur vor etwas mehr als zwei Jahren erarbeitet

(Dr. Joachim Körner)

worden waren. Weil fast alle Lehren aus der Vergangenheit missachtet wurden, wirkt der Fall Tayler wie ein furchtbares Déjà-vu.

Im Jugendamt Altona konnten Regeln vollständig in den Wind geschlagen werden. Ihre Einhaltung wurde nicht überprüft. Offenbar herrschte die Einstellung, das sei alles nicht so wild und man wisse schon, was man tue. Dann sitzt die Bezirksamtsleiterin im Familienausschuss, stellt sich vor ihre Mitarbeiterin in dem Fall und sagt, man müsse doch Verständnis haben, die Jugendhilfeinspektion hätte schließlich festgestellt, das Jugendamt sei nicht unmittelbar für den Tod des kleinen Tayler verantwortlich.

Was für eine schockierende Aussage. Als ob es im Rahmen des Erträglichen denkbar wäre, dass ein Jugendamt unmittelbar für eine Kindesmisshandlung verantwortlich sei. Ich will gar nicht weiter reden von dem peinlichen öffentlichen Schlagabtausch, den sich die Bezirksamtsleiterin danach mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geliefert hat, oder dem groß verkündeten Moratorium über Kindesrückführung, das keines war, weil überhaupt keine anstanden. Wirklich schockiert hat mich dann aber die Aussage, dass längst geltende Regeln zum Schutz von Kindern vor fehlerhaften Rückführungen jetzt in Altona aber auch wirklich eingehalten würden.

(Beifall bei der CDU)

Das ist die Aussage, dass erst ein Kind sterben muss, bis geltende Regeln zum Schutz von Kindern auch in Altona eingehalten werden. Das ist ganz grundlegend einfach nicht tragbar, und wer so mit diesem sensiblen Bereich umgeht, ist als Bezirksamtsleiterin nicht tragbar.

(Beifall bei der CDU und der AfD)

Wenn in Hamburg immer wieder Kinder zu Schaden kommen, muss kontrolliert werden, ob die eingeführten Regeln, die sie schützen sollen, auch eingehalten werden; dann muss sich der Senat vergewissern, ob seine Vorgaben umgesetzt wurden. Jedes Unternehmen wäre längst verpflichtet, eine weitreichende Compliance-Abteilung aufzubauen. Der Senat hätte längst organisatorisch sicherstellen müssen, dass die Regeln zum Kinderschutz in den Jugendämtern umgesetzt werden. Zuständig ist dafür seit Jahren Staatsrat Pörksen. Er hat das nicht getan. Dafür trägt er die Verantwortung. Er sollte sie auch übernehmen und zurücktreten.

Frau Senatorin, Sie tragen keine persönliche Verantwortung für die Versäumnisse, die vor Ihre Amtszeit fallen. Aber Sie müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die Verantwortung tragen, sie auch übernehmen. Stattdessen stützen Sie eine untragbare Bezirksamtsleiterin, die jetzt Stuhlkreise veranstaltet, statt entschieden zu handeln, und stattdessen stützen Sie einen Staatsrat, der nicht

einmal auf die Idee kam, die Einhaltung von Regeln zum Schutz unserer Kinder zu überprüfen. Das ist kein gutes Regieren, das ist leider schwaches Regieren, und es ist hochgradig fahrlässig in diesem sensiblen Bereich.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD)

Wir haben uns mit dem Kinderschutz schon vielfach beschäftigt. Wir hatten Ausschusssitzungen, Plenardebatten, Sonderausschüsse, sogar das schärfste Schwert, das dem Parlament zur Verfügung steht, den parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Wir haben die nötigen Maßnahmen erarbeitet, etwa die Zusammenlegung des Kinderschutzes in Hamburg in einer zentralen Behörde, was die CDU seit Jahren fordert. Wir brauchen keinen weiteren Arbeitskreis, wir brauchen nicht noch eine Kommission, wir brauchen endlich die Übernahme von Verantwortung, und wir brauchen endlich die entschiedene Anwendung der bekannten Rezepte. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

Nun bekommt Frau Gallina von der GRÜNEN Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion fühlen sich immer ausgegrenzt und benachteiligt, dabei präsentieren Sie uns heute schon wieder ein Lehrstück in Sachen Populismus. Ihr Antrag liest sich nämlich ganz anders als Ihr Redebeitrag. Damit disqualifizieren Sie sich schlicht und ergreifend.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Sie stellen die These auf, die einfach klingt und die sicher jeder gern hört, weil sie sich erst einmal gut anfühlt: Tödliche Kindesmisshandlungen ließen sich verhindern. Sie bedienen lieber eine geifernde Empörungsmaschinerie, als mit Reflexion und Ehrlichkeit zuzugeben, dass dies, so bitter es auch ist, nicht möglich ist.

Sie versteigen sich auch noch zu der infamen Behauptung, dass sich – ich zitiere –

"die Misshandlung von Kleinkindern in Hamburg bis zum Dezember 2015 weiter ungehindert fortsetzen konnte."

Schämen Sie sich. Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun jeden Tag ihr Bestes in dieser Stadt, um genau diese Misshandlungen zu verhindern, viele Kinder befinden sich in staatlicher Obhut, und Sie verleugnen deren Arbeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Glocke)

(Philipp Heißner)

(unterbrechend) : Frau Abgeordnete, ich erinnere Sie an den parlamentarischen Sprachgebrauch.

Sie behaupten ernsthaft, dass eine kleine Gruppe von Experten in einem halben Jahr ein Problem lösen könnte, das die Jugendhilfe seit der Neuzeit umtreibt, und dabei wissen Sie anscheinend nicht einmal, dass es bewährte parlamentarische Instrumente gibt, um Expertinnen und Experten einzubinden. Zum Beweis Ihrer Seriosität benutzen Sie Fußnoten in Ihrem Antrag, so geben Sie sich einen Anstrich von Wissenschaftlichkeit. Dumm ist nur, dass in Ihren Fußnoten nur Bürgerschaftsdrucksachen genannt werden, die schon im Text stehen. Bei aller Scheinwissenschaftlichkeit schämen Sie sich auch nicht, apriorisch die Schuld festzustellen, obwohl der Tathergang bislang ungeklärt ist und es sicherlich auch nicht Ihre Aufgabe ist, diese Form von Schuld festzustellen.

Sie behaupten einfach in Ihrem Antrag, dass Tayler – ich zitiere –

"[…] von seiner Mutter sowie dessen [sic!] Lebensgefährten gepeinigt worden war […]."

Danke, dass Sie Ihre Rechtsstaatsverachtung wenigstens noch mit grammatikalischer Inkompetenz würzen.

Sie trumpfen mit dem Begriff Politikversagen auf und können keins benennen. Wir haben es schon von mehreren Rednern gehört: Wir haben jeden Fall in der Vergangenheit mit unterschiedlichen Möglichkeiten einzeln untersucht, haben auch parlamentarische Untersuchungsausschüsse durchgeführt, die die Umstände so genau aufgeklärt haben, wie es eben möglich war, und am Ende wussten wir, welche Schwierigkeiten es gegeben hat und welcher Tod vermeidbar gewesen wäre oder nicht. Aber es hat sich aus gutem Grund niemand von uns bisher hingestellt und behauptet, dass von jetzt an alle Fälle von Kindstötung zu verhindern seien.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Boeddinghaus von der Fraktion DIE LINKE hat das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag zeigt, dass die AfD die Komplexität der Probleme und der Fragestellung in der Kinder- und Jugendhilfe überhaupt nicht durchdrungen, geschweige denn verstanden hat. Dies zeigt schon, dass Sie die Expertenrunde auffordern, bereits bis zum 30. November 2016 ihre Ergebnisse vorzulegen. Das ist ein sehr knapper Zeitraum, das würden sie niemals schaffen. Sie suggerieren, dass, wenn die Experten ihre Ergeb

nisse vorlegten, das Ziel erreicht sei – Frau Gallina hat es schon zu Recht gesagt –, dass man zu 100 Prozent einen Todesfall ausschließe. So bitter und so traurig es ist, aber das zu suggerieren ist fahrlässig.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich finde es, Herr Heißner, sehr bedauerlich, dass Sie diesen Eindruck ebenfalls erwecken, indem Sie sagen, wenn nur alle Regeln eingehalten würden, wenn sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich daran hielten, was ihnen aufgetragen werde, hätten wir diese Todesfälle in Zukunft nicht mehr. Sie unterstellen Hamburg, dass es eine Schande sei. Ich habe auch viel zu kritisieren, aber dies so populistisch aufzubereiten, und das noch vor dem Hintergrund eines so mageren AfD-Antrags, finde ich peinlich.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Sie profilieren sich und verbinden das noch mit populistischen Forderungen nach Rücktritt. Ich hoffe, dass von Ihnen in Zukunft mehr Kompetenz ausgeht, damit wir wirklich zusammen zu einer guten Lösung kommen, denn dass wir Probleme haben, ist unstrittig. Der Kinderschutz und die Kinderrechte sind ein großes Thema in dieser Stadt. Dies ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, und deswegen ist es nicht angemessen, in dieser Eindimensionalität und dieser Plattheit darüber zu reden.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Ganz zum Schluss: Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir mit allem Nachdruck daran arbeiten, eine Enquete-Kommission zu bilden. Ich hoffe sehr, dass dies gelingt. Wir sind im Gespräch mit vielen Expertinnen und Experten in dieser Stadt.

(Glocke)