Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zuerst einmal, Herr Scholz, gute Besserung. Ich muss aber ehrlicherweise sagen, wir haben Sie durchaus mit Nachdruck aufgefor
dert, zu diesem Thema im Parlament Stellung zu beziehen. Nachdem Sie jetzt zu uns gesprochen haben, muss ich feststellen, dass Sie Ihre Stimme hätten schonen können. Über das, was Sie uns mitgeteilt haben, bin ich einigermaßen sprachlos und fassungslos.
Sie haben Philosophen und ehemalige Erste Bürgermeister zitiert, aber, Herr Scholz, wir reden heute über römisches Recht und nicht über ein philosophisches Problem. Es geht um ein ganz konkretes Problem.
Deshalb möchte ich Ihnen gleich zu Anfang vorlesen, was zum Beispiel die Kollegen des zuständigen PKs in der Schnackenburgallee kürzlich geschrieben haben. In den vergangenen Tagen hätten teilweise Väter ihre Kinder auf den Tischen der Sozialarbeiter abgesetzt und darum gefleht, dass man ihnen ihre Kinder wegnehmen solle, damit diese wenigstens in eine warme Unterkunft gebracht werden. Das ist ein konkretes Problem, Herr Scholz. Vor zwei Tagen hat eine Frau dort ein Kind zur Welt gebracht. Auch das ist ein konkretes Problem, und ich finde, etwas konkreter hätte es schon sein müssen, Herr Scholz.
Hamburg steht aktuell vor zwei großen Herausforderungen. Die eine ist die Bewerbung um die Olympischen und Paralympischen Spiele in unserer Stadt, die wir uns selbst ausgesucht haben. In dieser Frage stehen wir mit viel Vertrauensvorschuss an Ihrer Seite.
Die zweite Herausforderung ist in dieser Dimension unerwartet auf uns zugekommen. Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland und natürlich auch nach Hamburg kommen, ist weiterhin hoch. Den Menschen, die vor Krieg, Terror und politischer Verfolgung fliehen, muss geholfen werden. Der Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes garantiert die Unantastbarkeit der Menschenwürde – eine Regel, die aus unserer Sicht internationale Gültigkeit besitzt und für unser Asylrecht maßgeblich ist. Diese Menschen kommen nicht zu uns, weil irgendjemand, schon gar nicht die Kanzlerin, einen Schalter gedrückt hat. Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Ein Teil von ihnen kommt auch nach Europa und nach Deutschland, und diese Ströme können nicht einfach per Knopfdruck gestoppt werden. Aber nicht zuletzt zeigt doch das Chaos in Hamburg, dass wir dringend eine Begrenzung des Zustroms brauchen. Wir brauchen wieder geordnete Verhältnisse.
Deshalb machen wir als Christdemokraten auch mit der Einrichtung von Transitzonen konkrete Vorschläge. Von Ihnen, liebe Sozialdemokraten, höre ich dazu leider rein gar nichts. Wer A sagt, muss auch B sagen.
Es ist unsere Aufgabe und Pflicht, auf allen Ebenen unseren Beitrag dazu zu leisten, diese Flüchtlingskrise zu bewältigen. Für dieses Jahr entfallen bis Ende September nach dem Königsteiner Schlüssel – Sie haben es angesprochen, Herr Scholz – 12 111 Flüchtlinge auf Hamburg, die hier tatsächlich auch untergebracht werden müssen. Das entspricht aufs Jahr gerechnet 44 Personen pro Tag. Ich bin manchmal sehr erstaunt darüber, dass Sie immer wieder diese Zahl von 600 Personen, die täglich kommen, verlautbaren lassen.
Die sind erst einmal da, Herr Dressel, aber die fließen dann auch wieder ab. Und Sie vermitteln den Menschen den Eindruck, als ob jeden Tag 600 in Hamburg untergebracht werden müssen. Das ist nicht die Wahrheit.
Was wir bei der Flüchtlingsunterbringung in Hamburg seit Monaten erleben, macht einen fassungslos, denn es geht in Hamburg seit Wochen und Monaten drunter und drüber. Bis zur Wahl ist in dieser Frage kaum etwas passiert, und das war von Ihnen wahrscheinlich auch nicht gewollt. Darum steht – und das, was Sie sagen, Herr Scholz, ist nicht richtig – Hamburg noch deutlich schlechter da als andere Bundesländer.
Was ich daran besonders kritisiere, möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen. Sie taten bisher so – und heute haben Sie das wiederholt getan –, als ließe sich die Flüchtlingsherausforderung einfach schultern, als gäbe es keine spürbaren Auswirkungen und Belastungen, auch keine Mehrkosten, als seien diese überhaupt kein Problem und das Geld sei einfach übrig.
Sie sagen, niemand müsse sich Sorgen machen, Scholz habe alles im Griff. Die Realität in dieser Stadt ist aber eine andere.
Die von der SPD und den GRÜNEN versprochene gerechte Verteilung bei der Unterbringung zwischen allen sieben Bezirken und 104 Stadtteilen findet nicht statt. Und es soll auch keine kleineren Unterkünfte geben, wie sie Sie noch in Ihrem Koalitionsvertrag vollmundig "in den Blick nehmen" wollten, wie Sie sagten. Stattdessen setzen Sie auf Massenunterkünfte in Stadtteilen, die bereits heute sozial enorm herausgefordert sind. Nur ein Beispiel dafür: In Neugraben-Fischbek sollen demnächst 5 000 Flüchtlinge bei 27 000 Einwohnern untergebracht werden. Bald jeder sechste Neugrabener wird dann ein Flüchtling sein. Machen wir uns doch nichts vor, sprechen wir es aus: So ist Integration von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Der Staat muss zu seinen Bürgern ehrlich sein. Er muss sein Wort halten und darf die Lasten nicht einseitig auf wenige Schultern legen. Das sollten Sie beherzigen.
Diese Liste lässt sich endlos fortsetzen. Unterkünfte werden über Nacht aus dem Boden gestampft, ohne die Bürger vorab zu beteiligen.
Die Prüfung geeigneter Flächen für die Flüchtlingsunterbringung funktioniert unverändert schlecht. Vorschläge aus den Bezirken und private Angebote werden aus Kapazitätsgründen gar nicht erst geprüft oder verworfen. An dem Zuständigkeitswirrwarr zwischen Innen- und Sozialbehörde hat sich nichts geändert, obwohl die Probleme lange bekannt sind. Nun will sich heute auch noch die Gesundheitssenatorin um Flächen für die Unterbringung kümmern. Mehr Durcheinander geht doch gar nicht mehr.
Als einziges vermeintliches Gerechtigkeitssymbol muss die Sophienterrasse herhalten. Aber statt die Flüchtlingsunterbringung dort möglich zu machen, wollten Sie lieber mit dem Kopf durch die Wand. Nun greifen Sie auf leer stehende Baumärkte für die Unterbringung zurück. Waren es am Anfang laut Senat noch Kommunikationspannen, muss man mittlerweile feststellen, dass dieses Chaos leider Methode hat. Die Baumärkte sind nicht im Geringsten auf die Unterbringung von Menschen vorbereitet. Es fehlt an allem, an Schlafmöglichkeiten, sanitären Anlagen, Nahrungsmitteln und vor allem an jemandem, der vor Ort die Verantwortung trägt – f & w fördern und wohnen ist dazu personell gar nicht mehr in der Lage. Immer öfter gibt es Gewaltvorfälle in den Einrichtungen bei mehr als
Der Winter ist da, die Unterbringung in unbeheizten Zelten besteht fort, Frauen und Kinder frieren, erkranken dort, und Sie unternehmen nichts. Auch die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge ist in großen Teilen mangelhaft. Das ist ein Offenbarungseid, das hat auch die Rede des Bürgermeisters gezeigt. Kurzum, in Hamburg herrscht Chaos in der Flüchtlingsunterbringung und das alles, Herr Scholz, ist Ihr Chaos. Das haben Sie mit Ihrer Untätigkeit persönlich zu verantworten.
Ich möchte es ausdrücklich sagen: Niemand erwartet bei dieser großen Herausforderung Wunder von Ihnen.
Keiner wirft Ihnen vor, dass nicht alles reibungslos läuft. Was wir Ihnen vorwerfen, ist, dass sich diese Fehler nicht ständig wiederholen dürfen und dass wenigstens Mindeststandards für die Unterbringung eingehalten werden müssen. Dafür müssen Sie als Bürgermeister schon sorgen.
Zu all dem haben Sie in der Bürgerschaft geschwiegen. Kein Wort zur Flüchtlingskrise an die Abgeordneten, kein Wort zur Finanzierung der Flüchtlingskosten, kein Wort zum Beschlagnahmegesetz. Probleme zu verschweigen oder als Regierungschef nichts mit ihnen zu tun haben zu wollen ist kein gutes Regieren. Da helfen auch keine markigen Worte. Das ist die schlechteste Krisenbewältigung ever, um es mit Ihren Worten zu sagen, Herr Scholz.
Die Stimmung in der Flüchtlingsdebatte war bislang von großer Hilfsbereitschaft getragen. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und den vielen Freiwilligen und Ehrenamtlichen, den Mitarbeitern in der öffentlichen Verwaltung und bei den Hilfsorganisationen, einfach allen, die in dieser schwierigen Zeit der Stadt und den Menschen helfen, herzlich danken. Ohne Sie – das muss man in aller Deutlichkeit sagen – wäre die Situation in Hamburg noch viel unerträglicher.
Aber die Stimmung in der Stadt verschlechtert sich zunehmend. Viele Bürger haben den Eindruck, dass der Senat mit der Flüchtlingsfrage überfordert ist. Die Freiwilligen fühlen sich im Stich gelassen. Deshalb ist es so tragisch, dass Sie, Herr Scholz, sich bei diesem Thema, das die Menschen derzeit am meisten bewegt, lange weggeduckt haben und
das auch weiterhin nicht zur Chefsache machen. Herr Scholz, dabei sein ist alles, so lautet das Olympia-Motto. Es reicht aber in dieser Flüchtlingskrise nicht aus. Hier sind Führungsqualitäten gefragt, und die haben Sie bisher deutlich vermissen lassen.