Protocol of the Session on October 23, 2019

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

Rechtsextremismus, und dazu muss man sich endlich einmal bekennen. Und es ist richtig, wenn er sagt: Bis hierher und keinen Meter weiter.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN, der LINKEN, der FDP und bei Neba- hat Güçlü fraktionslos)

Der Innensenator wird nachher sicherlich etwas dazu sagen, woher die Straftaten kommen und welche Überhand sie genommen haben vom Rechtsextremismus. Deswegen ist es gut, dass wir nicht nur ein Zeichen setzen, sondern auch handeln. Es ist gut, dass Hamburg die jüdischen Gemeinden umfassend schützt und die Sicherheitskosten überwiegend trägt. Es ist gut, dass wir seit 2013 an einem Landesprogramm arbeiten beziehungsweise es umgesetzt haben, gegen Rechtsextremismus und für Prävention, gerade im Antisemitismus-Bereich. Es ist gut, dass wir dieses Thema in die Schulen getragen haben, was beispielgebend war 2018. Und es ist gut, dass wir in den letzten Haushaltsberatungen noch einmal 300 000 Euro extra bereitgestellt haben, weil wir dies fortführen wollen, weil wir die Prävention verstärken wollen, weil wir ein eigenständiges Landesprogramm haben wollen.

Die Zeit der Signale und der Zeichensetzung allein ist vorbei. Hamburg hat bisher entschlossen gehandelt und Hamburg wird noch entschlossener handeln, wenn es darum geht, unsere demokratische Stadtgesellschaft gegen diejenigen zu verteidigen, die sie gefährden wollen. Hamburg – wir – stehen für eine weltoffene, für eine demokratische, für eine tolerante Gesellschaft. Daran werden wir arbeiten und das muss das Signal von uns allen sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜ- NEN, der LINKEN, der FDP und bei Neba- hat Güçlü fraktionslos)

Herr Trepoll bekommt nun das Wort für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der feige Anschlag von Halle, bei dem zwei Menschen brutal ermordet wurden, hat uns alle fassungslos gemacht. Nur durch einen Zufall konnte ein Rechtsextremist davon abgehalten werden, Juden in Synagogen in Deutschland zu ermorden, und das 75 Jahre nach dem Holocaust. Dass demokratische Kräfte der Mitte letzte Woche in unserer Stadt auf dem Joseph-Carlebach-Platz ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus, gegen Fremdenhass gesetzt haben und auch hier heute zusammenstehen, halte ich für ebenso richtig wie wichtig.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜ- NEN, der FDP und bei Nebahat Güçlü frakti- onslos)

Auch deshalb haben wir einen Antrag zur Bekämpfung von Antisemitismus in unserer Stadt erarbeitet. Wenn in einer Befragung unter den Juden in Europa 44 Prozent der in Deutschland lebenden Juden angeben, bereits über Auswanderung nachgedacht zu haben, deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern, dann können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und bei An- drea Oelschläger AfD)

Jüdisches Leben in Deutschland muss sich zu jeder Zeit frei entfalten können, Jüdinnen und Juden in unserem Land müssen hier ohne Wenn und Aber sicher leben können. Das ist unsere historische, unsere demokratische Verantwortung.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Wir alle müssen dafür Sorge tragen, dass das, was passiert ist, sich nie wieder ereignet, gegenüber keiner Gruppe, egal ob religiös, ethnisch oder mit anderer Hautfarbe: nie wieder.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Das sollte jeden Tag unser Antrieb sein.

Antisemitismus zeigt sich in Deutschland heute durch Rechtsextreme wie in Halle besonders, aber auch bei Linksextremen und Anhängern des politischen Islam. Er zeigt sich durch Worte offener Feindseligkeit, durch Handlungen, durch Antizionismus oder auch durch Boykottforderungen gegen Israel. Wir müssen davon wegkommen, Antisemitismus als Problem anderer zu sehen; es ist unser gemeinsames Problem.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜ- NEN, der FDP und bei Dr. Jörn Kruse frakti- onslos)

Und darauf gibt unsere Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und Judenhass in unserer Stadt Antworten. Das beginnt mit einer allgemeinverbindlichen Definition des Begriffs Antisemitismus für Hamburg, wie sie der Bund und andere Länder bereits längst haben. Wir brauchen unter anderem verschärfte und einheitliche Sicherheitsstandards für alle jüdischen Einrichtungen und Veranstaltungen in Hamburg. Wir brauchen einen Beauftragten gegen Antisemitismus, den andere schon längst eingeführt haben. Und ja, wir brauchen weiterhin eine Stärkung der Demokratiebildung in der Schule. Aus unserer Sicht zählt dazu auch der Besuch zum Beispiel von KZ-Gedenkstätten. Dieses Thema muss unser gemeinsames Anliegen sein, selbstverständlich im Dialog mit den jüdischen Gemeinden und auch offen, das sage ich ausdrücklich hier ins Plenum, für weitere Vorschläge.

(Dirk Kienscherf)

Natürlich gab es sicherlich auch Versäumnisse; Sie haben es angesprochen, seit 2013 arbeiten Sie daran. Aber ich will das gar nicht in den Mittelpunkt der Kritik stellen, ich finde, das hat bei diesem Thema nicht die Notwendigkeit. Vielleicht ist es Ihnen schon aufgefallen, dass ich in den letzten Wochen ein bisschen weniger über Rot-Grün geschimpft habe. Das war auch gar nicht nötig, weil Sie das mittlerweile selbst erledigen; die GRÜNEN reden schlecht über die Roten und die Roten schlecht über die GRÜNEN, man könnte sich als Oppositionsführer eigentlich darüber freuen. Aber in diesem speziellen Punkt tue ich das ausdrücklich nicht. Denn wie kann es sein, dass sich wenige Tage nach dem Anschlag in Halle hier in Hamburg der SPD-Fraktionschef und der grüne Justizsenator öffentlich darüber streiten und sich gegenseitig vorwerfen, keine gemeinsame Strategie gegen den Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus zu entwickeln? Ich finde, das darf nicht sein.

(Beifall bei der CDU, der FDP und vereinzelt bei der AfD)

Lassen Sie das bei diesem wichtigen Thema sein, das ist mein Appell, und deshalb bitte ich auch Sie, Herr Bürgermeister: Nutzen Sie die Gelegenheit heute, bei diesem Thema Tacheles zu reden. Ich finde, dieses Thema darf nicht dem Wahlkampf geopfert werden.

(Beifall bei der CDU, der FDP, vereinzelt bei der AfD und bei Dr. Jörn Kruse fraktionslos)

Unsere Demokratie, unsere Werte, unser friedliches gesellschaftliches Zusammenleben sind leider keine Selbstläufer. Unser gemeinsamer Feind ist der Hass, deshalb sollten wir ihn auch gemeinsam bekämpfen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP, vereinzelt bei der AfD und bei Dr. Jörn Kruse fraktionslos)

Für die GRÜNE Fraktion bekommt Herr Dr. Tjarks das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Fassungslosigkeit, Trauer, Wut und Zorn erfassen einen aufgrund der Ereignisse in Halle: Fassungslosigkeit über ein kaltblütig geplantes Attentat gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger mit dem Ziel ihrer massenweisen Tötung und die Tatsache, dass dies 75 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland geschieht, Trauer über die zwei getöteten Opfer, die zufällig ausgewählt worden sind, und Wut und Zorn über die Tatsache, dass Hass und dieses Verbrechen in Teilen Deutschlands einen Nährboden finden, der sogar bis zum Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag reicht.

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Meine Damen und Herren! Dieser Anschlag war nicht nur ein Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle, dieser Anschlag war auch ein Anschlag auf all diejenigen, die für das Grundgesetz, für die Vielfalt, für Empathie und Mitmenschlichkeit und gegen Hass stehen. Ich glaube, wir müssen begreifen: Er war ein Anschlag auf die Prinzipien unserer Gesellschaft. Und deswegen müssen wir uns gemeinsam wehren.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der FDP, vereinzelt bei der LINKEN und bei Dr. Jörn Kruse fraktionslos)

Und weil das so ist, geht es uns alle, jede und jeden, etwas an, und zwar auch jede und jeden im Alltag. Jeder kann etwas tun gegen die kleinen und auch die großen Unanständigkeiten, Beleidigungen und Übergriffe im Alltag. Wir müssen diesen Hass, der von Teilen einer Partei und von wenigen Menschen lautstark im Internet verbreitet wird, bekämpfen, und wir werden das tun mit den Mitteln der Zivilgesellschaft, der Staatsanwaltschaft und der Sicherheitsorgane.

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Für Hamburg sollte klar sein – und deswegen ist es sehr wichtig, was Sie, Frau von Treuenfels und Herr Trepoll, gesagt haben –, dass wir hier gemeinsam vorangehen. Es ist wichtig, dass wir natürlich die Sicherheitskonzepte wie auch in der Vergangenheit laufend überprüfen, dass wir natürlich in Kürze eine Landesstrategie gegen Rechtsextremismus aktualisiert vorlegen werden, Herr Trepoll, und uns natürlich auch mit den Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag aufgestellt haben, beschäftigen. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass wir in der Auseinandersetzung mit dem Thema, wie wir mit Erinnerungskultur umgehen, insbesondere in einer Zeit, in der es immer weniger Zeitzeugen gibt, und wie wir diese Erinnerungskultur weiterentwickeln können, uns auch mit Ihrem Vorschlag – muss eigentlich jedes Kind sich daran beteiligen? – wohlwollend umgehen sollten. Ich glaube insbesondere, dass wir, weil dieser Vorschlag in eine Zeit fällt, in der es nicht nur weniger Zeitzeugen gibt, sondern auch immer weniger Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer Herkunft eine familiäre Verbindung in diese Zeit haben, gucken sollten, dass es am Ende weniger eine Pflicht ist, sondern mehr eine intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler. Und gleichzeitig sollten wir darauf achten, dass wir Einrichtungen haben, die diese monströsen Verbrechen für diese Alter angemessen aufarbeiten können. Aber ich glaube, dass es sehr wichtig wäre, wenn wir das gemeinsam weiter diskutieren.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, verein- zelt bei der CDU und der LINKEN und bei Dr. Jörn Kruse fraktionslos)

(André Trepoll)

Mir ist neben Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus und Rechtsextremismus noch ein zweites Thema wichtig, das aus meiner Sicht ein bisschen komplizierter ist, weil es langwieriger ist. Es knüpft ein bisschen an die Frage an: Kann man eine Kippa in Deutschland offen tragen? Ich glaube, wir müssen uns viel stärker auch mit den positiven Seiten jüdischen Lebens beschäftigen und es schaffen, jüdisches Leben in Hamburg noch deutlich sichtbarer zu machen. Wir tun hier einiges, aber ich möchte, dass wir mehr tun.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der LINKEN)

Und weil ich nicht nur über die negativen Seiten reden möchte, möchte ich sagen, dass ich sehr froh darüber bin, dass wir in der Joseph-CarlebachSchule im Gebäude der Talmud Tora Schule – jeder hier im Saal kennt sie – im nächsten Jahr das erste jüdische Abitur in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg feiern. Es zeigt, dass wir vorankommen, wenn es auch zeigt, dass wir langsam vorankommen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir diese Schule, dass wir dieses Bildungshaus zusammen mit Wissenschaftsbehörde, der Uni und der Schulbehörde um fast 2 000 Quadratmeter erweitern werden, weil wir wollen, dass diese Schule wächst. Wir wollen, dass jüdische und nicht jüdische Schüler gemeinsam dort unterrichtet werden, und zwar in einer noch größeren Zahl als bisher. Und ich finde, wir sollten bei den Bildungshäusern nicht stehen bleiben. Die jüdische Gemeinde ist vor allem eine religiöse Institution, und deswegen sollten wir uns fragen, wie wir es schaffen können, jüdische Gotteshäuser in Hamburg sichtbarer zu machen, oder es der jüdischen Gemeinde ermöglichen, an prominenter Stelle ein entsprechendes Haus wieder zu errichten. Auch das wäre ein sichtbares Zeichen, das viel stärker ist als nur der Kampf gegen Antisemitismus: das Sichtbarmachen von positivem jüdischem Leben in unserer Stadt. Dafür würde ich gern gemeinsam mit Ihnen arbeiten. – Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN, der FDP und bei Neba- hat Güçlü und Dr. Jörn Kruse, beide frakti- onslos)

Frau Schneider bekommt das Wort für die Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren! Uns bewegt die Frage, welche Konsequenzen Politik und Gesellschaft aus dem blutigen Terroranschlag von Halle ziehen müssen, bei dem es nur einer stabilen Tür zu verdanken ist, dass der Täter kein Massaker in einer Synagoge anrichten konnte. CDU und FDP haben mit ihren Anträgen Maßnahmen vorgeschlagen, die wir gern diskutieren, die teilweise auch selbstverständlich sein

sollten. Aber wir müssen nicht nur darüber diskutieren, welche Schutzmaßnahmen ergriffen oder verstärkt werden müssen, nicht nur darüber, wie wir die Auseinandersetzung mit dem von Deutschland verübten Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden verbessern, und auch nicht nur darüber, einen Beauftragten für das jüdische Leben und die Bekämpfung von Antisemitismus zu ernennen, sondern wir müssen darüber nachdenken, was sich in unserer Gesellschaft, in unserem Zusammenleben ändern muss, um Antisemitismus zurückzudrängen. Der jüdische Journalist, Autor und Dokumentarfilmer Richard C. Schneider hat nach dem Anschlag von Halle geschrieben – ich zitiere –:

"Seit Jahren warnen wir Juden vor den Entwicklungen. Und niemand hört uns zu. […] Nichtjuden wollen selten einsehen, dass nur wir wirklich wissen, wie sich das Leben als Jude in Deutschland anfühlt."

Richard C. Schneider begründet in seinem Beitrag, warum er nicht mehr in Deutschland leben will. Dass Juden das Land verlassen, weil sie den alltäglichen Antisemitismus nicht mehr ertragen und weil sie sich nicht mehr sicher fühlen, ist sehr, sehr bitter.

Es geht aber nicht nur um offenen Antisemitismus, es geht auch um Gleichgültigkeit der Mehrheitsgesellschaft gegenüber jüdischem Leben in Deutschland; schönen Dank für Ihre Worte, Herr Tjarks. Nach dem Anschlag von Halle hat sich die Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg in einem Brief an Senat und Bürgerschaft gewandt, in dem sie ihre Situation schildert.

"Unsere Gemeinde ist in einem sehr bedrängten und bedrohten Zustand",

schreibt sie. Sie verfüge nicht über ein eigenes Haus, in dem sie zusammenkommen und ihre Religion ausüben kann. Sie unternimmt große eigene Anstrengungen, um an die durch Faschismus und Holocaust brutal unterbrochene Tradition liberalen jüdischen Lebens in Hamburg anzuknüpfen, diese Traditionen neu zu beleben. Aber sie fühlt sich dabei durch die Stadt im Stich gelassen.

Hamburg muss ein Zeichen setzen, das Zeichen, dass jüdisches Leben in unserer Stadt gewollt und unterstützt wird.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜ- NEN, vereinzelt bei der CDU, der FDP und bei Dr. Jörn Kruse fraktionslos)