Protocol of the Session on October 23, 2019

(Beifall bei der AfD)

Das Wort erhält jetzt der Abgeordnete Dr. Tode für die SPDFraktion.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Freie Lehre und Wissenschaft sind Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie wir wissen, wenn wir uns in der Welt umschauen. Und wir als Sozialdemokraten wissen das besonders und haben dafür immer gekämpft und werden das auch weiterhin tun.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Gleich in unserer ersten und einzigen Pressemitteilung, die wir herausgegeben haben, haben wir das immer wieder betont, indem wir gesagt haben, freie Lehre muss überall möglich sein, der Diskurs an Universitäten ist möglich, muss möglich sein und ist auch das Wesen von Universität. Universitäten sind Orte der Wissenschaft, der diskursiven Auseinandersetzung. Kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen müssen ausgehalten werden, insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Allerdings würde ich auch jedem raten, dass man konkrete historische Vergleiche erst dann anstellen sollte, wenn man singuläre Ereignisse nicht unbedingt verallgemeinern kann. Und das gilt insbesondere für die Shoah.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD, den GRÜ- NEN und der LINKEN)

(Dirk Nockemann)

Universitäten sind Orte des Diskurses, auch des politischen, und Demonstrationen sind ein Teil davon. Es ist für eine wehrhafte und gute Demokratie sehr sinnvoll und richtig und wichtig, dass es Demonstrationen gibt, dass diese ihre politischen Äußerungen ausdrücken können. Ganz ehrlich, das ist auch in diesem Fall aus meiner Sicht sehr wichtig und richtig gewesen, denn wir haben es bei Bernd Lucke einerseits mit einem Professor der Universität Hamburg zu tun, der natürlich dort seine Lehre ausüben können muss, aber andererseits, und das haben wir jetzt durch verschiedene Zitate gehört, haben wir es ebenso mit einer Person zu tun, gegen die man durchaus demonstrieren kann.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD, den GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wenn Herr Lucke geflüchtete Menschen als sozialen Bodensatz bezeichnet, der lebenslang in unserem Sozialsystem verharrt, ist das nicht nur diskriminierend, es ist nationalsozialistische Sprache, und vor allen Dingen stimmt es überhaupt nicht.

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Wir wissen, dass gerade in Hamburg jetzt schon über 50 Prozent der geflüchteten Menschen in sozialversicherten Beschäftigungen sind und welche große Bereicherung diese Menschen für unsere Stadt sein können. Da von einem sozialen Bodensatz zu sprechen, ist nicht nur falsch, es ist populistisch und es ist diskriminierend.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wenn man gleichzeitig von einer Entartung von Demonstrationen, von Demokratie, von Parlamentarismus oder von Staatsmedien und Altparteien spricht, dann fällt man in eine Sprache, die wir eigentlich nicht mehr hören wollen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben eine wehrhafte Demokratie, und ich glaube, die größte Wehrhaftigkeit dieser Demokratie zeigt sich in unserer Freiheit, denn unsere Freiheit ist der Schutz dafür, dass wir diese Freiheit auch behalten. Und der Meinungsaustausch ist genau dieser Schutz für diese Freiheit. Auch schwierige Themen werden wir aushalten, wir werden diesen Diskurs führen.

(Thilo Kleibauer CDU: Sie reden ein bisschen ums Thema herum!)

Wir werden in Hochschulen diesen Raum für wissenschaftlichen Diskurs haben. Polizei im Hörsaal sollte sicher die Ausnahme sein. Wir sollten die Möglichkeit haben, den Diskurs fortzuführen, und das gilt für alle, die sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Werte Kollegen, wir sind jetzt am Ende der regulären Zeit der Aktuellen Stunde angekommen. Es liegt aber eine Wortmeldung des Senats vor, und deswegen würde ich im Anschluss anstreben, dass wir in der angemeldeten Rednerreihenfolge fortfahren, wobei dann allerdings nur drei Minuten Redezeit besteht, aber jede Fraktion sich noch einmal äußern kann. – Frau Fegebank, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin dankbar dafür, dass wir diese Debatte zum Abschluss der Aktuellen Stunde in der Bürgerschaft heute führen können und auch noch einmal zeigen können, wie gut wir miteinander streiten. Wir debattieren auf den ersten Blick eine Entscheidung der Universität, die als Ausprägung der Hochschulautonomie in deren Personalhoheit liegt.

(Zuruf von Thilo Kleibauer CDU)

Vor allem aber debattieren wir die sehr grundsätzliche Frage, wie wir eigentlich miteinander streiten. Und man muss feststellen, dass das in der jüngeren Vergangenheit ausgesprochen schlecht gelingt. Das mag einigen nützen, unserer Demokratie schadet es.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Es geht darum, wie es um die grundsätzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre steht und wie es um die ebenfalls verfassungsmäßig geschützte Meinungsfreiheit steht. Bei den Ereignissen vom vergangenen Mittwoch, und ich nehme auch gleich noch Bezug auf die Ereignisse von heute, von gerade eben, von vor einer, eineinhalb Stunden, da haben zumindest auf den ersten Blick alle verloren. Das schmerzte umso mehr, weil wir in Hamburg zu Recht sehr stolz sind auf die freie und weltoffene Art, wie wir miteinander leben. Der Kollege Andy Grote hat es in der Debatte, die vorangegangen ist, sehr deutlich gemacht.

Ich bin sehr hart angegangen worden, dass ich die Ereignisse im Agathe-Lasch-Hörsaal der Universität verharmlost und keine klare Position bezogen hätte. Ich will das noch einmal rekapitulieren, und erlauben Sie mir, dass ich gleich noch einmal zitiere, was der Universitätspräsident und ich letzten Mittwoch unmittelbar nach den Ereignissen erklärt haben:

"Die Durchführung freier wissenschaftlicher Lehre gehört zu den grundsätzlich garantierten Pflichten und Rechten jedes Hochschullehrers und jeder Hochschullehrerin. Der Staat ist verpflichtet, die Durchsetzung dieser Rechte grundsätzlich zu gewährleisten.

(Dr. Sven Tode)

Und unabhängig davon ist festzustellen, dass Universitäten als Orte der Wissenschaft die diskursive Auseinandersetzung auch über kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen führen und aushalten müssen – insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte."

(Beifall bei den GRÜNEN – Philipp Heißner CDU: Nichts Konkretes!)

Da diese Erklärung von mir und dem Universitätspräsidenten von Mittwoch teilweise nicht so verstanden wurde, wie sie gemeint war, haben wir am Tag darauf …

(Zuruf)

Ich glaube, wir sprechen hier über eine differenzierte Debatte einer sehr komplexen Materie, und ich würde mich sehr freuen, wenn ich meine Gedanken dazu noch einmal ausführen darf.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Dennis Thering CDU: Daran ist nichts kom- plex! Also wenn das für GRÜNE schon kom- plex ist!)

Wie sie gemeint war, dazu haben wir am folgenden Tag folgende Erklärung abgegeben. Ich zitiere noch einmal:

"Die Grundlage für die gestrige gemeinsame Erklärung der Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung sowie des Präsidenten der Universität Hamburg ist die unverrückbare Auffassung, dass die gestrigen Störungen mit dem grundgesetzlich garantierten Schutz der Freiheit von Wissenschaft nicht zu vereinbaren sind. Die Instrumente des Meinungsstreits an einer Universität sind das Argument, der Diskurs und der Versuch der Konsentierung, nicht die Ausübung von wie auch immer gearteter Gewalt."

Es ist für mich das Normalste der Welt, Missverstandenes umgehend zu präzisieren, falls das nötig ist.

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Und wie im Hörsaal mit Herrn Lucke umgegangen wurde, das widerspricht den Regeln fairer politischer und demokratischer Auseinandersetzung, denn die Rechtslage ist klar: Herr Professor Lucke hat das Recht und die Pflicht, an der Universität Hamburg zu lehren. Und wer Andersdenkende niederbrüllt, setzt sich ins Unrecht. Wer den anderen nicht anhört und stattdessen schreit, hat in diesem Moment offenbar keine Argumente. So erziehen wir schon unsere Kinder – so einfach ist das.

Ich verurteile aufs Allerschärfste die heutige Störung und Unterbrechung der Vorlesung von Herrn Lucke am Ende der Vorlesung. Das ist Unrecht in

seiner reinsten Form, und ich danke den Sicherheitsbehörden, der Polizei und auch dem Kollegen Andy Grote und Staatsrat Krösser dafür, dass im Vorfeld über die Sicherheitslage intensiv beraten wurde. Meines Wissens sitzt die Universitätsleitung gerade mit der Polizei zusammen, weil das etwas ist, was nicht geht. Davon müssen wir uns alle aufs Allerschärfste distanzieren.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der FDP)

Weil wir eine differenzierte Debatte führen, möchte ich auch sagen, dass ich vollstes Verständnis dafür habe, dass der AStA vor dem Universitätsgebäude zu einer friedlichen Kundgebung gegen Herrn Professor Luckes erste Vorlesung nach seiner Rückkehr, also in der letzten Woche am Mittwoch, aufgerufen hat, und ich halte es für richtig und wichtig – auch das ist eben schon angeklungen –, dass der AStA danach gemeinsam mit dem Präsidenten der Universität sehr schnell ein Gespräch mit Herrn Lucke gesucht hat.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Aber ohne Ergebnis!)

Damit enden die Übereinstimmungen aber auch bereits, und zwar sehr grundsätzlich. Wenn ich mich im Einzelfall unglücklich oder gar missverständlich ausdrücke, dann reflektiere ich das und handle entsprechend, und zwar nicht, indem ich erkläre, mir sei der Finger von der Computermaus abgerutscht, sondern indem ich mich ernsthaft prüfe. An unserem Einstehen für Meinungsfreiheit zeigt sich, wie es um unsere Demokratie steht. Jede und jeder muss jederzeit das Recht haben, ihre/ seine Meinung frei zu äußern.

(Beifall bei Carl-Edgar Jarchow FDP)

Wo die Meinungsfreiheit ihre Grenze findet, bestimmen in Deutschland zu unserem großen Glück nicht wir Politikerinnen und Politiker, sondern unabhängige Gerichte.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es ist schlicht eine Mär, wenn wir in einem Beitrag von Professor Lucke in der "Welt am Sonntag" die von ihm aufgestellte Behauptung lesen, viele Menschen könnten ihre abweichende Meinung in Deutschland nicht frei äußern, weil sie Repressalien durch eine vermeintliche oder tatsächliche Mehrheitsgesellschaft fürchten müssen. Die in einer Demokratie unverhandelbare Freiheit, seine Meinung äußern zu können, geht seit jeher mit der Bürde einher, Widerspruch zu ertragen und sich damit auseinanderzusetzen.

Und damit komme ich zu meinem zentralsten Punkt. Ihre Argumentation ist in weiten Teilen von schweren Widersprüchen geprägt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)