Protocol of the Session on June 19, 2019

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines vertretenden Mitglieds der Kommission für Stadtentwicklung – Drs 21/14934 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Behörde für Kultur und Medien – Drs 21/14935 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Behörde für Schule und Berufsbildung – Drs 21/17245 –]

Die Fraktionen haben vereinbart, dass diese Wahlen in einem Wahlgang durchgeführt werden können. Alle vier Stimmzettel liegen Ihnen vor. Sie enthalten bei den Namen jeweils Felder für Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. Sie dürfen auf jeden Stimmzettel ein Kreuz machen und wie immer nur eines, sonst ist das ungültig. Bitte nehmen Sie nun Ihre Wahlentscheidung vor, und ich darf die Schriftführung bitten, dann langsam mit dem Einsammeln der Zettel zu beginnen.

(Die Wahlhandlungen werden vorgenom- men.)

Dann frage ich, sind alle Stimmzettel abgegeben worden? Nein, dahinten wird noch angekreuzt.

Jetzt sind aber alle Stimmzettel abgegeben worden. Dann schließe ich den Wahlgang, und wir werden das Ergebnis im Laufe der Sitzung mitteilen.

Ich rufe Punkt 43 unserer Tagesordnung auf, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Sozialstaat 2019 – Was Hamburg jetzt für Hartz-IV-Bezieherinnen und Hartz-IV-Bezieher tun kann.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Sozialstaat 2019 – Was Hamburg jetzt für HartzIV-Bezieher/-innen tun kann! – Drs 21/17457 –]

Diese Drucksache möchten die Fraktionen von SPD, GRÜNEN und LINKEN an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen. – Das Wort zu dieser Debatte erhält Frau Ensslen für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! 5 283 Tage, das ist heute die Zahl des Tages, 5 283 Tage Hartz IV, 5 283 Tage Ungerechtigkeit für Menschen, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Das hat zur Gründung der WASG, später der LINKEN, geführt. Unsere Forderung bleibt aktuell: eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV.

(Beifall bei der LINKEN)

Gefordert ist vor allem die Bundesebene. Wir finden aber, bis sich da wirklich etwas bewegt, können wir in Hamburg eine ganze Menge tun. Das SGB-II-Netzwerk hat recht. Es muss doch möglich sein, dass wir gemeinsam sagen: Hamburg traut sich etwas.

(Beifall bei der LINKEN)

So eine Postkarte haben im Übrigen alle Abgeordneten in diesem Haus bekommen.

Ich möchte mit einem Ausflug in die Welt des Films spürbar machen, wie es Menschen in Hartz IV geht. Es ist der Film "Ich, Daniel Blake". Es geht um die Geschichte eines Zimmermanns, der einen Herzinfarkt erleidet und so in die Mühlen der Sozialbürokratie gerät. Sozialhilfe wird abgelehnt, obwohl er nicht arbeitsfähig ist, Arbeitslosenunterstützung erhält er auch nicht, weil er nicht arbeiten kann. Er legt Widerspruch ein, doch bis zu einer Entscheidung dauert es sehr, sehr lange. Eines Tages sprüht er frustriert an die Mauer des Jobcenters – Zitat:

"Ich, Daniel Blake, fordere meinen Widerspruchstermin, bevor ich verhungere. Und ändert die sch … Warteschleifenmusik im Telefon."

Zitatende.

Passantinnen applaudieren, doch die Leitung des Jobcenters lässt Daniel von der Polizei abführen. Der Film endet tragisch. An dem Tag, an dem er zu seinem Widerspruch angehört werden soll, stirbt Daniel Blake im Jobcenter am Herzinfarkt. Bei seinem Armenbegräbnis verliest eine Freundin das, was Blake bei dem Termin sagen wollte. – Zitat:

"Ich bin weder ein Klient noch ein Kunde, Leistungsempfänger oder Drückeberger, auch kein Schnorrer, Bettler oder Dieb, keine Sozialversicherungsnummer und kein Pünktchen auf dem Bildschirm. Ich bin ein Bürger, nicht mehr und nicht weniger."

Zitatende.

(Erster Vizepräsident Dietrich Wersich)

Die Wahlergebnisse sind auf Seite 7855 zu finden.

Der Film zeigt ein von Misstrauen geprägtes System mit pauschalem Betrugsverdacht. Die Unmenschlichkeit des Systems versteckt sich hinter Bürokratie und Verfahrensvorschriften. Damit wird die Würde der Betroffenen und letztendlich von uns allen angetastet. Dieser Film bezieht sich auf die britischen Verhältnisse. Er ist eine wütende Anklage des Regisseurs Ken Loach, der sich mit sozialer Ungerechtigkeit und den Folgen für unsere Gesellschaft nicht abfinden will. Aber wenn wir ehrlich sind, trifft das auf unsere Gesellschaft in Deutschland und Hamburg genauso zu. Und auch ich will mich nicht damit abfinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich selbst hatte übrigens gerade eine Begegnung der dritten Art mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Security eines Jobcenters. Bei einem Infostand vor dem Jobcenter hatte ich es gewagt, einen Fuß auf das Privatgelände zu setzen, und schon stürzten mehrere Personen aus dem Jobcenter heraus und befahlen mir in aggressivster Form, gefälligst das Privatgelände zu verlassen. Nun fällt es mir nicht schwer, mich gegen ein solches Auftreten zu wehren. Man braucht aber nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie sich Menschen fühlen, die dort hineingehen müssen. Es wird der Eindruck vermittelt, man sei potenziell gewalttätig, kriminell, konsumiere übermäßig Drogen und Alkohol. Ist das denn wirklich nötig? Hier zeigt sich, wie treffend der britische Film auch unsere Verhältnisse charakterisiert. Ich finde, das haben Bürgerinnen und Bürger, um es mit Blake zu sagen, nicht verdient.

(Beifall bei der LINKEN)

Was an dieser Stelle nicht getan wird, was wir aber tun können, darauf will ich später eingehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Ensslen. – Das Wort erhält jetzt Herr Schwieger für die SPD-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Sozialstaat in der Bundesrepublik Deutschland und in Hamburg funktioniert grundsätzlich gut. Die Menschen haben Rechtsansprüche auf soziale Leistungen und es gibt eine Grundsicherung. Dennoch hat in den vergangenen Jahren und in der vergangenen Zeit die Kritik zugenommen und das Vertrauen in den Sozialstaat an manchen Stellen abgenommen. Deshalb wundert es nicht, dass die Diskussion über die Zukunft der Grundsicherung für Erwerbstätige sowohl in der SPD als auch bei der LINKEN, jetzt auch bei den GRÜNEN, an Intensität zugenommen hat, wohl auch unter dem Eindruck einer sich verändernden Arbeitswelt.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen auf einen neuen Ansatz für einen neuen Sozialstaat 2025. Dieser muss gerecht, transparent und verständlich sein. Es darf doch nicht sein, dass betroffene Leistungsbezieherinnen und -bezieher die größten Experten der Sozialgesetzbücher sein müssen. Wir wollen, dass der Sozialstaat partnerschaftlich gegenüber den Menschen auftritt. Das bedeutet, dass wir die Menschen besser begleiten wollen und künftig eine einzige Institution schaffen wollen, an die sich die Menschen wenden können, wenn sie staatliche Unterstützungsleistungen benötigen.

(Beifall bei der SPD)

Daher wollen wir unsinnige Sanktionen streichen. Das haben wir auch in der Bürgerschaft schon vor einigen Jahren beschlossen. Das gilt zum Beispiel für die verschärften Sanktionen für unter 25-Jährige. Sanktionen sollten auch nie zu 100-ProzentStreichungen von finanziellen Mitteln führen. Die Kosten für Wohnraum müssen der Staat, die Gesellschaft immer tragen.

Sanktionen, die Obdachlosigkeit zur Folge haben, müssen wir abschaffen. Dennoch wird es auch künftig nach meiner Überzeugung Mitwirkungspflichten geben. Denn die zwei Seiten der Medaille sind doch, dass, wenn sich Bürger und Sozialstaat als Gesellschaft begegnen, es Rechte und Pflichten auf beiden Seiten geben muss.

Aber wir sollten neben dem Thema Sanktionen vielmehr über Bonussysteme, Anreize und Ermutigungen nachdenken. Das Grundprinzip des Förderns und Forderns sollte grundsätzlich gerade aus Gründen gesellschaftlicher Akzeptanz des Sozialstaates erhalten bleiben. Aber wir sollten die Gewichtung verschieben, und zwar mehr hin zum Fördern, mehr hin zu Anreizen, mehr hin zu Ermutigung.

(Beifall bei der SPD)

Anders, als der vorliegende Antrag es suggeriert, setzt sich der Senat auch längst für eine Änderung der Sanktionsregeln im SGB II ein. Er hat entsprechende Änderungsvorschläge und Anträge auf Bundesebene eingebracht, zum Beispiel zur Schriftform der Rechtsfolgenbelehrung, zur Angleichung der Regelung für unter und über 25-Jährige, zur Frage der Streichung von Leistungen für Unterkunft.

Die SPD will einen Sozialstaat, der einerseits Halt gibt und andererseits Perspektive bietet. Wir wollen einen modernen Sozialstaat, der die Menschen absichert und sie zugleich befähigt, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Was wir dazu in Hamburg tun können, machen wir zusammen mit unserem Koalitionspartner. Anderes bleibt Gesetzesänderungen auf Bundesebene und mit entsprechenden Mehrheiten vorbehalten, die es zurzeit leider nicht gibt.

(Dr. Carola Ensslen)

Mit dem vorliegenden Antrag vollzieht DIE LINKE einen bemerkenswerten Wechsel in der Tonart. Den habe ich gerade nicht so vernommen, aber wenn man den Antrag richtig liest und wenn man die Pressemitteilung dazu liest, gibt es einen Wechsel von Abschaffung von Hartz IV hin zu Reformvorschlägen für Hartz IV. DIE LINKE spricht von Verbesserungsvorschlägen in ihrer Pressemitteilung. Das ist gut und ein Grund, diesen Antrag an den Sozialausschuss zu überweisen, denn der Antrag ist mit 23 Petita und weiteren Unterpunkten sehr umfangreich geraten.

Lassen Sie mich wegen der ablaufenden Zeit nur auf einen Punkt eingehen. In Punkt 2 Wohnen, Ziffer 1, zweiter Spiegelstrich, wird gefordert, bei der KDU auch soziale Kriterien zu berücksichtigen. Das wird gemacht. Es gibt eine Überschreitung der Angemessenheitsgrenze um bis zu 10 Prozent, wenn eine dauerhafte Erkrankung vorliegt. Es gibt eine Reihe von Gründen für eine Überschreitung um bis zu 15 Prozent und sogar die Möglichkeit einer Überschreitung von bis zu 30 Prozent. Sie sehen also ein Beispiel dafür, dass der Senat in Ihrem Sinne bereits handelt. Insofern freuen wir uns auf eine, wie im Sozialausschuss gewohnt, sachliche Debatte, zu der wir uns die nötige Zeit für jeden einzelnen der beantragten Punkte nehmen sollten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Schwieger. – Als Nächste erhält das Wort Franziska Rath für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man den vorliegenden Antrag liest, dann weiß man, dass zumindest bei der antragstellenden Fraktion insoweit die Welt in Ordnung zu sein scheint, als dass sie sich auch durch rein gar nichts erschüttern lässt. Zum wiederholten Male finden wir hier die altbekannten Forderungen zum Thema Hartz IV in gebündelter Form. Leider ist es mir nicht wie Herrn Schwieger möglich, zu jedem Punkt, der aufgeführt worden ist – es liest sich wie ein kleines Wahlprogramm –, Stellung zu nehmen, zumal wir erst kürzlich an dieser Stelle ausführlich über die Erhöhung des Bildungs- und Teilhabegesetzes auf Bundesebene gesprochen haben, das schon am 1. Juli dieses Jahres, also sehr bald, in Kraft tritt.

Der vorliegende Antrag wirft indes bei mir mehr Fragen auf, als dass er welche beantwortet. Wenn zum Beispiel kritisiert wird, dass sich der Kunde den Erfordernissen des Marktes anpassen müsse, um vermittelbar zu werden, dann frage ich mich, wie es denn sonst laufen soll. Soll sich der Markt an den Kunden anpassen? Ist das Ihre neue Idee?

(Martin Dolzer DIE LINKE: Die Gesellschaft muss Voraussetzungen schaffen, das ist die Idee!)

Ähnliches frage ich mich auch bei der Unterstellung, es würde stets der Verdacht der Unwilligkeit und des Missbrauchs gegenüber dem Kunden im Raum stehen. Wen meinen Sie denn mit dieser Unterstellung? Doch nicht etwa die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern?

(Beifall bei der CDU)

Auch in Bezug auf das Wohnen sucht sich die antragstellende Fraktion den falschen Gegner heraus. Hier krankt es nämlich vor allem daran, dass es an den passenden Wohnungen für die Zielgruppe fehlt. Daher nutzen die Jobcenter-Mitarbeiter, wo sie können, die schon durchaus vorhandenen Spielräume. Hier ist der Senat gefragt, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Bevor es hierzu große Widerworte gibt, ja, er tut es bereits. Doch in der Summe sinkt trotz alledem vor allem für die vordringlich Wohnungssuchenden der Bestand an WA-gebundenen Wohnungen um mehr als die Hälfte von 36 610 Wohnungen Anfang 2018 auf 18 000 im Jahr 2030.

(Sylvia Wowretzko SPD: Hätten Sie man ge- baut!)