Protocol of the Session on May 22, 2014

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Jetzt hat Herr Bill von der GRÜNEN Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gestern über die Digitalisierung der Verwaltung gesprochen und wie wichtig das ist. Ich denke, es besteht auch heute hinsichtlich dieser beiden Anträge weitgehend Einigkeit, dass es wichtig ist, ihnen zuzustimmen, auch wenn sie leider nicht an den Haushaltsausschuss überwiesen werden.

Diese beiden Anträge zeigen ganz deutlich ein Kernproblem in der Verwaltung, nämlich die enorme Abhängigkeit von externen Experten. Wir kennen das zurzeit bei den Tiefbauingenieuren, und anscheinend ist es auch bei den IT-Experten so, dass der öffentliche Dienst einfach nicht mehr attraktiv zu sein scheint und wir nicht genug eigenes Personal haben. Vielleicht müsste man einmal darüber diskutieren, ob die Botschaft, 250 Stellen abzubauen, immer die richtige ist, oder ob wir nicht auch einmal darüber nachdenken sollten, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes zu erhöhen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Katja Suding FDP: Was hat das damit zu tun? Das ist doch Unsinn!)

Ich möchte ein Beispiel nennen. Dafür muss ich gar nicht in die große Welt hinausschauen und irgendwelche Abhörskandale bemühen, es geht ganz profan um das Telefonieren in Hamburg. Vielleicht erinnern sich einige noch, dass viele Behörden in der Vergangenheit mehrere Tage nicht erreichbar waren. Das lag an der neuen digitalen Telefontechnik. Eine externe Firma hatte wichtige Konfigurationen über eine Fernwartung geändert, und das war einer der Hauptgründe, warum das Telefon ausgefallen ist. Die Stadt wusste von dieser Änderung nichts. Die externe Firma durfte das einfach so ohne Zustimmung tun, die Stadt konnte es auch nicht selbstständig rückgängig machen, und die Telefone fielen aus, bis die Experten angereist waren und den Fehler dann irgendwann entdeckten. Der Notruf war damals übrigens zum Glück nicht betroffen, der funktionierte nämlich noch über ISDN.

Bei aller Einigkeit finde ich in dieser Debatte zwei Sachen kritikwürdig. Wir haben eben in der Wohnungsbaudebatte gehört, die SPD sei alleine schuld, der Vorgängersenat habe damit gar nichts zu tun. Wenn Sie sich da selber feiern, anstatt gemeinsam Erfolge zu feiern, ist das richtig, aber wenn dann mal etwas schiefläuft, ist es natürlich der Vorgängersenat, der schuld ist. Ich habe des

(Dr. Roland Heintze)

wegen einmal nachgerechnet. Sie regieren mittlerweile heute seit drei Jahren, zwei Monaten und 20 Tagen.

(Dirk Kienscherf SPD: Sehr gut! und Beifall)

Das ist – Herr Kienscherf, Sie können gleich noch einmal klatschen – mittlerweile länger, als Schwarz-Grün regiert hat.

(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Dressel SPD: Wir können länger als Schwarz-Grün!)

Und dann schreiben Sie in der Drucksache, in diesen drei Jahren sei ein umfassendes Controlling von Ihnen etabliert worden. Sie schreiben weiterhin, ein wesentlicher Fehler sei der Wechsel des Generalunternehmens gewesen, weil IBM ein Unternehmen gekauft habe.

(Jan Quast SPD: Von welcher Drucksache reden Sie gerade?)

Das war 2012. 2012 haben Sie schon ein Jahr regiert. Damit hat der Vorgängersenat nichts mehr zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mich stört ein weiterer Schlag dieser Debatte. Es geht dabei um die politische Kultur und das Signal, das wir in die Öffentlichkeit geben. Das Projekt JUS-IT betrifft die Jugendhilfe und es betrifft die Sozialhilfe. Wir werden für dieses Computerprogramm, also für die Verwaltung von Jugend- und Sozialhilfe, jetzt 21,5 Millionen Euro mehr ausgeben. Gleichzeitig wurden im vergangenen Jahr 3,5 Millionen Euro in der offenen Kinder- und Jugendarbeit gekürzt. Das sind rechtlich natürlich zwei Dinge, aber es ist ein politisches Signal. Wir zeigen damit: Liebe Kinder, liebe Jugendliche, wir kaufen für über 100 Millionen Euro ein System, das eure Probleme verwaltet, wir packen da jetzt sogar noch einmal 21 Millionen Euro obendrauf, aber die 3,5 Millionen Euro müssen wir euch leider wegkürzen und vielleicht wird eure Jugendhilfeeinrichtung darum schließen müssen. Ich finde, das ist eine peinliche Botschaft, und das war auf jeden Fall nicht der vorherige Senat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Bläsing von der FDP-Fraktion hat das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Innerhalb von nicht einmal zwei Monaten sind uns im März und im Mai die Senatsdrucksachen 20/11182 und 20/11718 zugegangen. Darin offenbarte uns der Senat weitere Verzögerungen sowie Kostensteigerungen von zusammen circa 39 Millionen Euro für die beiden derzeit größten Softwareprojekte der FHH: 21,5 Millionen Euro für die neue Jugend- und Sozialamtssoftware

JUS-IT, 17,5 Millionen Euro inklusive Verpflichtungsermächtigung für das länderübergreifende Projekt KoPers zur Modernisierung der Personalverwaltungssoftware. Doch das ist eigentlich nur die Spitze des Eisbergs. Zusammen mit dem Kollegen Ritter habe ich Ende letzten Jahres zwei Anfragen zum Themenfeld IT- und Softwareprojekte gestellt. Die Senatsantwort offenbarte teilweise überraschende, besser gesagt erschreckende Fakten, die in unserem Antrag aufgeführt sind: Anstieg der jährlichen IT-Betriebskosen der FHH um 25 Millionen Euro zwischen 2010 und 2013, Steigerung der Kosten für 75 weitere IT-Projekte neben KoPers und JUS-IT um zusammen noch einmal 37,4 Millionen Euro, Verzögerungen um durchschnittlich dreieinhalb Jahre bei drei Viertel aller 345 betrachteten IT-Projekte. Ein gutes Dutzend wird bis zur endgültigen Fertigstellung gar Verspätungen von rund zehn Jahren oder mehr haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Zahlen, bei denen alle Alarmglocken bei uns klingeln müssen. So kann und darf es bei IT-Projekten in dieser Stadt nicht weitergehen, so darf mit Steuergeld nicht umgegangen werden.

(Beifall bei der FDP)

Die Bürgerinnen und Bürger und die Beschäftigten der FHH sind außerdem darauf angewiesen, dass neue IT und Software termingerecht eingeführt wird. Auch eine realistische, solide Zeitplanung von IT-Projekten muss deshalb zukünftig stärker in den Fokus gerückt werden. Nicht zuletzt müssen auch die Praktikabilität und die Bedienungsfreundlichkeit für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen in der Stadt, die damit umgehen müssen, besser werden. Wir müssen da tatsächlich auch vom Ende her denken. Es erreichen mich viele Klagen aus der Verwaltung; da wird ein neues IT-Projekt gemacht und am Ende ist das System nicht handlungsorientiert und bereitet nur Probleme. Auch das muss uns zu denken geben.

(Beifall bei der FDP)

Für die Mehrzahl der überdurchschnittlich verspäteten oder teuer gewordenen IT-Projekte wurde zu Projektbeginn kein Lastenheft erstellt. Es fehlte also im weiteren Verlauf häufig eine klare Vorstellung darüber, wie die konkreten Anforderungen an Software und IT-Infrastruktur aussehen. Das ist ein Zeichen für eher mangelhaftes Projektmanagement. Nicht selten fehlte zudem ein modernes Projektcontrolling, wie zum Beispiel bei den Projekten KoPers und JUS-IT; diese Leistungen wurden nachträglich eingekauft. Zahlreiche weitere Begründungen für die Verspätungen und Kostensteigerungen wurden in Drucksache 20/10294 genannt. Von persönlichen Animositäten über Krankheitsfälle, Insolvenz des Auftragnehmers bis zu im Projektverlauf wachsenden Anforderungen und unterschätzter Projektkomplexität ist alles dabei; die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. In der Ge

(Martin Bill)

samtschau drängt sich jedoch folgender Eindruck auf: Das Problem zahlreicher Kostensteigerungen und Verzögerungen von IT-Projekten ist im Kern struktureller Natur und über Jahre gewachsen. Senate und Bürgerschaftsfraktionen aller Couleur – ich glaube, so viel Ehrlichkeit muss in dieser Debatte wirklich einmal sein – haben dem über viele Jahre hinweg nicht systematisch gegengesteuert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten dem endlich Abhilfe schaffen. Ich glaube, wir haben da kein Erkenntnisproblem, sondern tatsächlich ein Handlungsproblem. Und deshalb können wir uns die Schleife über den Haushaltsausschuss in dieser Sache sparen.

Viel zu lange wurden Projekte begonnen und gesagt, jetzt können wir nicht mehr aufhören, jetzt müssen wir es durchziehen. Dann wurde seitens der entsprechenden IT-Fachabteilungen die Hand aufgehalten. Das führt natürlich zu Kostensteigerungen, die kein Ende finden und einen Bandwurmeffekt haben. Wir halten es als FDP-Fraktion deshalb für an der Zeit, den Senat damit zu beauftragen, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge bei Verzögerungen und Kostensteigerungen von ITProjekten zu analysieren. Daraus können dann die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Hamburg braucht nach dem Konzept zum kostenstabilen Bauen endlich auch ein Konzept zum kostenstabilen Programmieren. Hamburg kann und darf sich keine weiteren Elbphilharmonien leisten, egal, ob auf Kaispeichern oder auf den Computern der FHH.

(Beifall bei der FDP)

Wir Liberale freuen uns deshalb, Herr Quast – und bevor Gerüchte aufkommen: wir haben heute nicht die Krawatten getauscht –, dass nicht nur wir der Meinung sind, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Auch die Regierungsfraktion hat einen erfreulichen Antrag zu diesem Thema eingebracht. In dem Antrag der SPD sind nach unserer Meinung viele gute Lösungsansätze und Arbeitsaufträge an den Senat formuliert worden, die FDP-Fraktion wird ihn daher vollumfänglich unterstützen.

(Jan Quast SPD: Danke!)

Für den Berichtszeitraum haben wir dem Senat zwei Monate mehr Zeit gegeben. Wir wollen den Bericht im Dezember haben, Sie haben mutigerweise schon Ende Oktober angepeilt. Ein Wimpernschlag im Leben eines Beamten, so ein Zeitraum,

(Heiterkeit bei der FDP, der SPD und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

aber wir erwarten natürlich, dass, wenn unser Antrag heute angenommen wird, uns dann auch möglichst bis Ende Oktober berichtet wird.

Ich denke, wir alle hier im Hause sind uns einig, dass nach dem kostenstabilen Bauen nun auch

das kostenstabile Programmieren zum Verfahrensstandard werden muss. Für Hamburg ist dies im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung und der Schuldenbremse wichtiger denn je. Deswegen bitten wir um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE hat das Wort.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Ich sehe relativ große Einigkeit. Die Problematik ist insbesondere von meinem letzten Vorredner ausführlich dargestellt worden, deswegen brauche ich das nicht zu wiederholen. Es ist offensichtlich, dass die Projektrisiken insbesondere bei großen Projekten enorm sind und regelmäßig die Zeitziele, die Kostenziele und oft auch die Qualitätsziele nicht erreicht werden. Das hängt erst einmal mit der wachsenden Komplexität von IT-Projekten zusammen. Die zunehmende Komplexität solcher Projekte wird, darüber muss man sich im Klaren sein, auch in Zukunft immer wieder neue, erhebliche Probleme schaffen, aber es gilt natürlich, Fehler auszumerzen und vermeidbare Fehler tatsächlich auch zu vermeiden.

Ein ganz entscheidender Punkt ist in unseren Augen das Projektmanagement. Werden alle Fragen rechtzeitig und ausreichend beantwortet? Sind die Projektziele klar definiert? Gibt es eine realistische Einschätzung der Komplexität? Wird immer noch etwas draufgesetzt oder der Grundsatz beherzigt, Komplexität, wenn möglich, zu verringern nach dem Motto, so viel wie nötig, aber eben auch nicht mehr, also lieber 80 Prozent der Wünsche gut erfüllen als 120 Prozent schlecht oder gar nicht? Gibt es ein ausreichendes Risikomanagement im Projekt? Und nicht zuletzt: Gibt es Akzeptanz bei denen, die mit dem IT-Projekt zu tun haben? Nicht selten scheitern große IT-Projekte eben auch an mangelnder Akzeptanz.

JUS-IT ist das Projekt, das in absoluten Zahlen die höchsten Mehrkosten zu verzeichnen hatte. Noch 2012, es ist hier schon angesprochen worden, hat Senator Scheele im Familienausschuss zugesichert, dass JUS-IT nicht mehr als 100 Millionen Euro kosten werde; heute geht man von Mehrkosten in Höhe von 21,5 Millionen Euro aus. Das ist eine Steigerung von über 20 Prozent in nur zwei Jahren. Diese Kostenexplosion verwundert, wenn man nur die gröbsten Probleme Revue passieren lässt, kein bisschen. Zum Beispiel muss man sich bei JUS-IT fragen, wer im Management nach welchen Kriterien die Zielsetzungen definiert hat, die diese Software zu erfüllen hat. Von wem wurde wie der Markt der Softwareanbieter für kommunale Jugend- und Sozialhilfeverwaltung analysiert? Wer hat letztlich nach welchen Kriterien die Entschei

(Robert Bläsing)

dung gefällt für eine Software, die bis dato zwar in Neuseeland und angeblich auch in New York eingesetzt wird, für die es aber keinerlei Erfahrungen im europäischen Verwaltungshandeln gibt?

(Jens-Peter Schwieger SPD: Da müssen Sie Herrn Wersich fragen!)

Nicht nur Herrn Wersich, da frage ich natürlich auch die Verwaltung, und die überdauert ja die Senate.

Global wird auch bei der Nutzung des Projekts gedacht. Letztlich soll die gesamte Jugend- und Sozialhilfeverwaltung inklusive Familienkasse nur noch mit diesem System arbeiten – Arbeitsfelder, die in ihrer Gesamtheit keiner in der Stadt überblickt. Hier herrscht Gigantomanie: in dem Ehrgeiz, alle Nutzer des Sozialsystems auf einen Klick kontrollieren zu können, ebenso wie bei der Bereitschaft, jeden Preis dafür zu bezahlen.

(Jörg Hamann CDU: Kontrollieren zu kön- nen?)

Projektziele klar definiert, realistische Einschätzung der Komplexität, Bereitschaft, Komplexität zu reduzieren, ausreichendes Risikomanagement: Fehlanzeige – von der Akzeptanz ganz zu schweigen.

Es wäre falsch, davon auszugehen, dass, wie auch immer, alle Probleme ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen sind. Es gibt aber ein zentrales Problem, das in den Anträgen unseres Erachtens mehr oder weniger direkt angesprochen ist: Man braucht ein quantitativ und qualitativ ausreichendes Projektmanagement. Herr Bill hat die Problematik angesprochen. Fehlt es an einem eigenen ausreichenden Apparat mit Projektmanagementfähigkeiten, dann kann man als Stadt komplexe ITProjekte nicht steuern, sondern ist darauf angewiesen, sich für horrendes Geld Externe einzukaufen, denen man ausgeliefert ist und die zudem die Aufgabe der Steuerung oft gar nicht richtig leisten können.

Es ist bei der SPD immer viel von gutem Regieren die Rede.

(Hansjörg Schmidt SPD: Das machen wir auch!)