Protocol of the Session on May 21, 2014

Beschluss 6492,

Große Anfrage der CDU-Fraktion:

Lehrerbelastung und das Lehrerarbeitszeitmodell – Stimmen die Rahmenbedingungen für den Lehrerberuf in Hamburg noch? – Drs 20/11024 – 6492,

Karin Prien CDU 6492, 6497,

Gerhard Lein SPD 6494,

Dr. Stefanie von Berg GRÜNE 6495,

Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP 6495,

Dora Heyenn DIE LINKE 6496,

Beschluss 6497,

Beginn: 15.03 Uhr

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.

Wir kommen heute sogleich zur

Aktuellen Stunde

Dazu sind wie immer fünf Themen angemeldet worden, und zwar von der Fraktion DIE LINKE

Hamburg muss sich dafür einsetzen, die Geheimverhandlungen zu stoppen und das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP zu verhindern!

von der SPD-Fraktion

Über 6400 neue Wohnungen fertiggestellt – Versprechen gehalten!

von der CDU-Fraktion

Unkoordinierte Baustellen auf Hamburgs Straßen – Senat stiehlt Bürgern viel Lebenszeit

von der GRÜNEN Fraktion

Fußfessel-Flop: Praxistest gescheitert – Einsatz jetzt stoppen

und von der FDP-Fraktion

Chaos statt Koordination in der Verkehrspolitik: Senator Horch schließt das Tor zur Welt

Die Fraktionen sind übereingekommen, das dritte und fünfte Thema gemeinsam zu debattieren. Ich rufe zunächst das erste Thema auf, und das Wort bekommt Christiane Schneider von der Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Was wir erleben, ist eigentlich unvorstellbar. Seit Mitte 2013 verhandeln EU und USA über ein Transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen, kurz TTIP,

(Dietrich Wersich CDU: Und Sie sind nicht dabei!)

welches weitreichende Auswirkungen auf Hunderte Millionen Menschen hat, und diese Verhandlungen werden geheim geführt. Während die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, sogar gewählte Parlamente ihrer Rechte weitgehend beraubt und Zuständigkeiten auch der Landesparlamente und der kommunalen Selbstverwaltung beseitigt werden, sind 600 Vertreter der Wirtschaftslobby dabei und können ihre Positionen und Forderungen einbringen. Das widerspricht allen Grundsätzen von Transparenz, Demokratie und Partizipation.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Öffentliche Angelegenheiten brauchen das Licht der Öffentlichkeit. Wer geheim hält, hat seine Gründe, und zwar keine guten. Das ist umso schlimmer, als es in der EU doch ohnehin keinen Überfluss, sondern einen Mangel an Demokratie und demokratischer Mitwirkung gibt. So kann man die Zustimmung zur Europäischen Union wirklich völlig erledigen.

Einiges ist bekannt geworden, was schlimmste Befürchtungen bestätigt; ich beschränke mich auf wenige Gesichtspunkte. Es stimmt, dass die USA und die EU wirtschaftlich eng verflochten sind und es unnötige und auch nicht selten für viele nachteilige Regelungen, bürokratische Hemmnisse und unnötige Vorschriften gibt, Stichwort Medikamentenzulassung. Aber warum legt man solche nachteiligen Regelungen nicht offen auf den Tisch, erörtert und ändert, was nach öffentlicher Debatte geändert werden sollte? Weil es dabei um den Vorteil der Bevölkerungen überhaupt nicht geht.

Es heißt, das Abkommen werde sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken: mehr Wachstum, mehr Wohlstand. Selbst die kühnsten Prognosen bestätigen das nicht. Der Effekt für das Bruttoinlandsprodukt in der EU wird irgendwo im Bereich zwischen 0,3 und 1,3 Prozent angesiedelt – innerhalb von zehn Jahren wohlgemerkt. Ein neues Jobwunder versprechen die Befürworter. Selbst wenn es zum Beispiel in Deutschland, wie prognostiziert, 180 000 neue Arbeitsplätze geben würde, wie viele Arbeitsplätze würden infolge von TTIP und verschärfter Konkurrenz gleichzeitig vernichtet? Unter dem Strich bliebe nicht viel und selbst wenn, so überwiegen die Nachteile bei Weitem, denn positive Effekte werden zu 80 Prozent von der Reduzierung sogenannter nichttarifärer Maßnahmen erwartet.

Und das ist des Pudels Kern: Nichttarifäre Maßnahmen sind zum Beispiel vergleichsweise gute Standards im Arbeitsschutz, im Gesundheits- und Umweltschutz und bei den Verbraucherrechten. In vielen Bereichen sind europäische Standards besser als US-amerikanische, in anderen Bereichen sind sie schlechter. Hier soll angeglichen werden, und zwar nach unten und nicht nach oben. Mögliche geringfügige wirtschaftliche Effekte würden also mit großen sozialen Kosten erkauft – hier wie in den USA. Ein Beispiel: Die gesetzliche Krankenversicherung warnt davor, dass sich der Arbeitsund Gesundheitsschutz verschlechtert. Der betriebliche Arbeitsschutz oder Leistungen etwa zur Heilbehandlung und Rehabilitation würden, so die Befürchtung, als Handelshemmnisse gewertet. Höhere Standards, zum Beispiel bei der betrieblichen Prävention, seien kaum noch zu erreichen.

Bestandteil des Abkommens soll nicht zuletzt ein Investitionsschutz sein. Konzernen wird das Recht eingeräumt, gegen die Stärkung von Arbeitnehmerrechten oder von Gesundheits-, Umwelt- und

auch Sozialstandards juristisch vorzugehen. Was da droht, ist wirklich der Hammer. Kommt es zu Konflikten zwischen Investoren und Staaten, können die Investoren private Schiedsverfahren vor drei Anwälten anrufen, von denen sie einen selbst einsetzen. Rechtliche Streitentscheidungen werden privatisiert. Das Rechtsstaatsprinzip wird ausgehebelt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das gibt es jetzt schon: So verklagt derzeit Vattenfall die Bundesrepublik wegen des beschlossenen Atomausstiegs auf 3,7 Milliarden Euro Schadenersatz, möglich auf der Grundlage eines Handelsabkommens zwischen Deutschland und Schweden. Durch TTIP könnten zukünftig 75 000 Unternehmen mit Sitz sowohl in der EU als in den USA im Streitfall Schiedsverfahren anrufen. Nach bisherigen Erfahrungen beträgt die Erfolgsquote klagender Unternehmen 70 Prozent.

Nicht nur im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitnehmerrechte sind erreichte Standards bedroht. Entsprechendes gilt für Umwelt- und Gesundheitsstandards und den Verbraucherschutz, etwa die Lebensmittelsicherheit. Auch die kommunale Daseinsvorsorge, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Abfall, ÖPNV, soziale Dienstleistungen, Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge im Kulturbereich und, und, und, all das droht unter die Räder des Freihandelsabkommens zu geraten. TTIP betrifft auch Hamburg und die hier lebenden Menschen in vielen Lebensbereichen. Wir, der Senat und die Bürgerschaft, dürfen nicht schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE fordert: Stoppt diese Verhandlungen und lasst uns das gemeinsam machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt nun Frau Steppat von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich der Kollegin Schneider für die Ausführungen danken. Erhellend waren diese jedoch nur hinsichtlich Ihrer Absichten. Ich nenne das Kind einmal beim Namen: Wahlkampfgetöse.

(Beifall bei der SPD – Heike Sudmann DIE LINKE: Können Sie das mal erklären?)

Ich bin doch etwas irritiert, dass Sie so kurz vor der Wahl alte Feindbilder aufleben lassen: der neoliberale Moloch Brüssel Hand in Hand mit den bösen Kapitalisten aus den USA.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Nee, ha- be ich gar nicht gesagt!)

Sie kritisieren ein Handelsabkommen, das für Europa, für Deutschland und letztlich auch für Hamburg immens wichtig sein kann, und ich sage "kann", weil noch nichts passiert ist. Das nennt sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, verhandeln.

(Beifall bei der SPD)

Es ist noch nichts beschlossen. Ein klug ausgehandeltes Abkommen kann große Chancen und Vorteile für Europa bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hat ein gewaltiges wirtschaftliches Potenzial. Der verbesserte Zugang zu den US-Märkten für Dienstleistungen und bei der öffentlichen Auftragsvergabe, die Angleichung technischer Standards, der Schutz geografischer Ursprungsangaben für europäische Produkte und die Abschaffung von US-Handelsrestriktionen können nur in unserem Interesse sein.

(Beifall bei Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP)

Wir haben die Chance, Regeln zu schaffen, die mehr als nur Freihandel beinhalten, nämlich Nachhaltigkeitsregeln, die ökologische und soziale Standards setzen.

(Beifall bei der SPD)