Einen Moment, Herr Abgeordneter. – Meine Damen und Herren! Es redet nur Herr Bill und sonst niemand. Diejenigen, die ihm nicht zuhören wollen
und es sind einige Damen und Herren, die uns den Rücken zukehren –, verlassen bitte den Raum, sind aber zumindest still. – Herr Bill, bitte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte zeigt: Hamburg ist in der Tat nicht nur Stadt, sondern auch Land, und ich meine das gar nicht verwaltungsrechtlich. Ich will keine Debatte um Bezirke und Landesparlament beginnen, sondern meine das wörtlich, wie es auch von einem großen Radiosender in Hamburg zu hören ist.
Wir haben in Hamburg eine einzigartige ländliche Anbauregion für Obst und Gemüse, die Vier- und Marschlande und das Alte Land. Damit Sie von der SPD meine Fraktion beim Klatschen ein bisschen unterstützen können, habe ich mir für den Anfang einen positiven Punkt herausgesucht, obwohl Frau Rugbarth schon sehr ausführlich alles positiv dargestellt hat, was in dem Konzept niedergeschrieben ist. Hamburg wird dem europäischen Netzwerk der gentechnikfreien Regionen beitreten. Das freut uns besonders. Wir haben diesen Beitritt seit 2011 gefordert; nun ist es endlich passiert.
feindlichen Landwirtschaft und hat sowohl in Futtermitteln als auch in Lebensmitteln schlicht nichts zu suchen.
Meine Damen und Herren! Klar ist, die Landwirtschaft wird sich wandeln, wie sich auch die Gesellschaft allgemein wandelt. Ich glaube, dass Hamburg dafür gute Möglichkeiten bietet. Wir haben besonders viele Betriebe mit kleiner Fläche, teilweise unter 5 Hektar. Es gibt regionale Absatzmärkte, sodass landwirtschaftliche Betriebe die Möglichkeit der Direktvermarktung haben. Und wir haben die Möglichkeit, die Qualität durch ökologischen Landbau zu erhöhen. Auch hierzu vorweg einen positiven Punkt: Wir unterstützen die Ausbauziele des Ökolandbaus. Bis 2025 sollen 20 Prozent der Betriebe ökologisch wirtschaften. Schade ist aber, dass das Konzept hier nicht konkreter wird, dass beispielsweise nicht gesagt wird, wie diese Zahl erreicht werden kann. Zur Finanzierung des Konzepts ist auch nur zu finden, dass erhöhte Prämien gezahlt werden sollen. Wo allerdings die fehlenden europäischen Förderungen kompensiert werden sollen, ist sehr vage. Es wird von zusätzlichen Förderbedarfen gesprochen und von flankierenden weiteren Fördermaßnahmen, die die BWVI, aus welchen Töpfen auch immer, bereitstellen wird. Das ist alles sehr schwammig und wird einer Planungssicherheit der Betriebe auf jeden Fall nicht gerecht.
Ich komme zum Kern des Konzepts. Das Kernproblem ist der Strukturwandel der neuen Bewirtschaftungsart der Landwirtschaft. Das Problem in Hamburg ist schlicht die Flächenknappheit, und das Kernproblem dabei ist und bleibt die Flächenversiegelung. Wir sollten hier vielleicht einmal mit einem Märchen aufräumen, das auch im agrarpolitischen Konzept anklingt und von der CDU – ich erinnere an Ihre letzten Anträge – immer hochgehalten wird, das Märchen vom flächenfressenden Naturschutz. Der Naturschutz ist nicht das Problem beim Flächenverbrauch, das Problem ist die Flächenversiegelung,
die Flächenversiegelung durch Bauvorhaben, die Flächenversiegelung durch Erschließung und Verkehrsmaßnahmen. In Hamburg werden circa 90 Hektar im Jahr durch Wohnungsbau und Infrastruktur versiegelt – andere rechnen die Flächen drum herum mit ein, die der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen, dann sind es 283 Hektar jährlich. Und es ist klar, dass diese Eingriffe ausgeglichen werden müssen, das ist schlicht unser Naturschutzrecht. Dieser Ausgleich
ist aber nicht die Ursache des Flächenverbrauchs, sondern seine Folge; darauf sollten wir hinweisen.
Wir müssen also diskutieren, wie wir trotz des Wohnungsbaus, den wir politisch unterstützen, den Flächenverbrauch in Hamburg reduzieren können. Das ist die entscheidende Frage. Wir haben dazu schon diverse Ansätze vorgestellt. Zum Beispiel sollte man die Entsiegelung von nicht mehr benötigten Verkehrswegen in die Entsiegelungsmaßnahmen mit aufnehmen.
Auch in der Agrarpolitik sollten wir uns von den starren Landesgrenzen lösen. Die Zeiten, in denen Barmbek noch ein Acker war und viel Land in Hamburg zur Verfügung stand, sind endgültig vorbei. Klar ist: Die Stadt und die gesamte Metropolregion werden sich weiter entwickeln, werden weiter wachsen. Die landwirtschaftlichen Flächen sind endlich. Wir werden keine Vollversorgung Hamburgs alleine durch hamburgische Betriebe hinbekommen. Daher müssen wir in eine konzertierte Abstimmung mit den anderen Bundesländern eintreten, was einerseits Ausgleichsmaßnahmen betrifft, andererseits aber auch die Versorgung Hamburgs. Dabei muss klar sein, dass diese länderübergreifende Abstimmung nicht bedeuten kann, dass alle Ausgleichsmaßnahmen im Umland lokalisiert sein werden, wie die CDU es vorschlägt. Das kann nicht der richtige Weg sein. Ausgleich muss weiter prioritär ortsnah geschehen.
Und dann gibt es noch einen dicken Punkt, der betrifft die Ökokonten. Hier macht das agrarpolitische Konzept den entscheidenden Fehler. Bisher war es so, dass der Naturschutz in Hamburg auf zwei Säulen basierte. Das eine war die staatliche Säule – der Staat sorgt in Naturschutzgebieten und den europäischen Schutzgebieten dafür, den Naturhaushalt weiter zu stärken –, und die zweite Säule war die Ausgleichsverpflichtung der privaten Flächeneigentümer beziehungsweise der privaten und der öffentlichen Vorhabenträger. Das bedeutet, Vorhabenträger – beispielsweise ein Bebauungsplan, große Gebäude oder Verkehrsinfrastruktur – mussten selbst für einen Ausgleich sorgen, und daneben hat der Staat weitere naturschützende Maßnahmen durchgeführt. Die Betonung im vorhergehenden Satz lag auf dem Wort "daneben". Das ist wichtig, denn mittlerweile soll es "stattdessen" heißen. Der bisherige Konsens wurde aufgekündigt mit dem vorliegenden Vorschlag zum Ökokonto, nach dem staatliche Maßnahmen in den Naturschutzgebieten die eigentliche Verpflichtung der Stadt ablösen. Das führt zu einem massiven Verlust der Qualität des Naturhaushalts und ist eindeutig der falsche Weg.
Wir brauchen in Hamburg weiterhin die Vielfalt von Tieren und Pflanzen. Gerade diese Vielfalt wird durch den Flächenverbrauch und durch die industrielle Landwirtschaft bedroht. Viele Arten sind in Hamburg bereits nicht mehr beheimatet. Die intakte Natur ist Erholungsraum und Grundlage für unser wirtschaftliches Handeln und unseren Wohlstand. Staatlicher Auftrag ist es daher, auch ohne Ausgleichsverpflichtung Naturschutzgebiete in den Gebieten der FHH wie zum Beispiel Vogelschutzgebiete oder Gebiete der Wasserschutzrahmenrichtlinie zu erhalten und zu verbessern und sie eben nicht als Ausgleichsmaßnahme wahrzunehmen. Es gibt mittlerweile auch unterschiedliche Rechtsauffassungen darüber, ob das überhaupt zulässig ist. Der BUND hat dazu eine ausführliche Stellungnahme vorgelegt. Ich warne entschieden davor, diese Maßnahme bei der derzeitigen Rechtsunsicherheit anzuwenden. Das könnte bei großen Planungsvorhaben eine enorme juristische Flanke öffnen.
Ich fasse zusammen: Der Senat gibt sich nach außen verbraucher- und umweltfreundlich; Frau Rugbarth hat es eben noch einmal wunderbar für den Senat vorgetragen. Wir lesen viel schöne Prosa über ökologische Produkte, über regionale Bezüge, über erneuerbare Energien und ländliche Idylle, aber wir haben wenig Konkretes und kaum Finanzierung, und mittendrin steht die Abkehr vom staatlichen Naturschutz über die kalte Küche des Ökokontos.
Wir werden darüber im Ausschuss diskutieren und vielleicht auch eine Expertenanhörung dazu benötigen, denn wir brauchen in Hamburg weiterhin ein Nebeneinander von Naturschutz und Landwirtschaft. Wir brauchen intakte Böden, intaktes Wasser und intakte Ökosysteme als Lebens- und Produktionsgrundlage für uns Menschen. Das ist nicht einfach, es ist aber bis jetzt möglich, und wenn man sich Mühe gibt, dann wird es auch in Zukunft möglich sein. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir debattieren heute ein agrarpolitisches Konzept. Ich habe mir im Vorfeld dieser Debatte die Frage gestellt, was ein Konzept eigentlich ist. Der Duden sagt, ein Konzept ist ein klar umrissener Plan, ein Programm für ein Vorhaben.
Wenn ich diese Definition zum Maßstab mache, dann mag die uns vorgelegte Senatsdrucksache alles Mögliche sein, aber ein Konzept ist sie nicht.
Warum ist das so? Wenn Sie das agrarpolitische Konzept lesen, dann finden Sie in epischer Breite auf insgesamt 51 Seiten Ausführungen über die Bedeutung, die Struktur, die Entwicklung im Bereich der Agrarwirtschaft, vieles sogar richtig. Aber das hat alles wenig mit dem Senat zu tun. Das ist zunächst einmal die Leistung der noch bestehenden 685 landwirtschaftlichen Betriebe – meist Familienbetriebe und inhabergeführt –, ihrer Beschäftigten, ihrer Kammern und Verbände. Von einem agrarpolitischen Konzept des Senats muss man mehr erwarten können und dürfen als eine reine Zustandsbeschreibung. Ein Konzept muss zumindest für die dringendsten Probleme der landwirtschaftlichen Betriebe auch Lösungsvorschläge machen oder so etwas wie eine Strategie entwickeln. Aber genau bei diesem Punkt ist das agrarpolitische Konzept ein Totalausfall oder, um im Bild und in der Begrifflichkeit zu bleiben, Mist.
Ich kann Ihnen das auch genau begründen. In den meisten Punkten hat der Senat eigentlich nur das aufgeschrieben, was ohnehin stattfindet. Was will der Senat etwa bei der Agrarförderung machen, beim ökologischen Landbau, bei der Vermarktung regionaler Produkte, bei der Investitionsförderung oder auch bei der Beratung, Information und Ausbildung? Ganz einfach, er will alles machen wie bisher. Aber das ist zu wenig, und dazu braucht man kein agrarpolitisches Konzept.
Dass das zu wenig ist, sehen Sie auch an der zum Teil dramatischen Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe in Hamburg. Die Drucksache nennt die maßgeblichen Zahlen. Allein zwischen 2010 und 2013 sank die Zahl der landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Unternehmen in Hamburg um 91 Betriebe auf jetzt noch 685 Unternehmen. Das ist in nur drei Jahren eine Verminderung um 12 Prozent, und damit – das sollte ein deutliches Warnzeichen sein – ist diese Entwicklung doppelt so schlecht wie im Bundesdurchschnitt. Ich bin da völlig anderer Meinung als etwa Alexander Porschke vom NABU. Das ist für mich nicht nur ein umweltpolitischer Kollateralschaden, sondern das ist eine ganz dramatische Entwicklung für die landwirtschaftlichen Betriebe in Hamburg. Man hat schon den Eindruck, dass der Senat die landwirtschaftlichen Betriebe und ihre Beschäftigten im Stich lässt. Erst passiert über drei Jahre lang gar nichts. Sie erinnern sich vielleicht dunkel an den
Verlauf der parlamentarischen Beratung in der Bürgerschaft, die Drucksache 20/1808 vom 12. Oktober 2011. Es ist ein SPD-Antrag "Agrarpolitisches Konzept fortschreiben", Berichtstermin: 31. März 2012, ich wiederhole: 2012.
Und jetzt, mit über drei Jahren Verspätung, liefert der Senat ein Papier, das zwar lang ist, aber wirklich keine konkreten Lösungsvorschläge enthält oder, mit Goethe gesprochen: Getretener Quark wird breit, nicht stark. Die Hamburger Landwirte und ihre Familien sind bei diesem Senat in schlechten Händen.
Dabei nennt das Papier sogar das zentrale Problem der Hamburger Landwirte und Gartenbaubetriebe, Seite 6 – Zitat –:
"Grundvoraussetzung […] für den wirtschaftlichen Erfolg [der landwirtschaftlichen Betriebe] ist eine ausreichende Flächenverfügbarkeit."
"Die […] landwirtschaftlichen Nutzflächen der in Hamburg ansässigen Betriebe sind die entscheidende Ressource, die es zur Absicherung der wirtschaftlichen Zukunft […] zu erhalten gilt."
Genau das ist es, was die Hamburger Landwirte brauchen: ausreichende Nutzflächen zu fairen Konditionen und mit Laufzeiten, die es ihnen in den Pachtverhältnissen ermöglichen, ihre Investitionen zu amortisieren. Und gerade die Stadt als größte Verpächterin landwirtschaftlicher Flächen trifft dabei eine zentrale Verantwortung.