Protocol of the Session on February 12, 2014

(Heike Sudmann DIE LINKE: Mehr vor al- lem!)

Ich sage aus den Erfahrungen vieler Besuche beim ASD in den letzten drei Jahren, dass dort viele engagierte, couragierte und fachlich versierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu sichern, innerhalb derer das Fehlerrisiko minimiert wird. Sicherungsmechanismen müssen bei Widersprüchlichkeiten warnen, und Verfahren müssen zur Reflexion des eigenen Handelns anregen.

Ich möchte ein Wort zur vielfach diskutierten Anforderung an die Dokumentationspflicht in der Jugendhilfe sagen. Es ist genau diese Dokumentation, die die Mitarbeiter zwingt, den Fall noch einmal zu durchdenken und zu reflektieren. Aus dem Bericht der Jugendhilfeinspektion wird sehr deutlich, dass eine gute Dokumentation Grundlage eines vertieften Fallverständnisses ist. Ohne Dokumentation kein Fallverständnis.

(Beifall bei der SPD)

Wenn der Fall an jemand anderen übergeben wird, dann wird ebenfalls deutlich, wie wichtig Dokumentation ist. Umzüge von Eltern führen dazu, dass Fälle in Jugendämtern an einen anderen ASD gegeben werden müssen. Wie soll eine Übergabe für

(Senator Detlef Scheele)

Kinder qualitativ sicher erfolgen, wenn es keine ordentliche Dokumentation gibt? Ich bitte darum, vorsichtig zu sein, wenn die Dokumentation in Bausch und Bogen als Ursache statt als hilfreiches Instrument interpretiert wird.

(Beifall bei der SPD)

Der Allgemeine Soziale Dienst muss Menschen helfen und ihnen gegenüber gleichzeitig eine kritische Distanz, manchmal sogar Misstrauen wahren. Diese Gratwanderung zwischen Hilfe und Wächteramt ist im Alltag eine große Herausforderung. Die Gefahr, zu sehr zur einen oder zur anderen Seite zu neigen, ist groß.

Die Stabilisierung und Stärkung der ASD wird von uns seit Längerem als eine der wichtigsten Aufgaben vorangetrieben. Besonders im Fokus war und ist die Stabilisierung der Personalsituation in den Jugendämtern. Wir haben ein Bündel an Maßnahmen umgesetzt, von denen ich einige nennen möchte. Die Eingruppierung haben wir von E9 auf E10 angehoben und befristete Einstellungen, die in einigen Bezirksämtern gängige Praxis waren, gestoppt, weil wir Fachkräfte binden wollen und ihre Erfahrung brauchen. Damit bei Wechseln schnell und möglichst kontinuierlich nachbesetzt werden kann, wird gegenwärtig rund um die Uhr ausgeschrieben.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem wurde der Stellenbestand im ASD in den letzten Jahren mehrfach erhöht; von 283 Stellen im Jahr 2008 auf 369 in 2013. Dazu kommen 44 Netzwerkstellen, die seit dem Jahr 2011 aufgebaut wurden. Vor allem aber wurde die Bewirtschaftung der Stellen im ASD abgeschafft. Es nützt dem ASD nämlich nichts, wenn, wie zuzeiten der Vorgängerregierung, zwar Stellen bestehen, diese aber nicht besetzt werden, um die notwendigen Personalbewirtschaftungen einzusparen. Damit haben wir aufgehört, und es gibt keine Bewirtschaftung im ASD.

(Beifall bei der SPD)

Die sozialräumlichen Angebote für Familien haben wir massiv ausgebaut. Diese Angebote haben mehr und mehr neue Hilfen für Familien geschaffen, die den ASD nachweislich entlasten.

Meine Damen und Herren! Die bisherige Analyse der Fehler hat ergeben, dass es beim Tod von Yagmur wohl nicht um fehlendes Personal, sondern mehr um eine unglückliche Risikoeinschätzung ging, und zwar wiederholt.

(Dietrich Wersich CDU: Warum soll dann das Grundgesetz geändert werden?)

Vorsichtig, Herr Wersich. Ich habe noch drei Seiten, da kommt die Antwort.

(Dietrich Wersich CDU: Aber wir haben die Debatte gleich noch mal, wir sind in der Ak- tuellen Stunde!)

Trotzdem ist das Thema Personalbemessung auf der Tagesordnung, und zwar bereits seit vergangenem Jahr.

(Jens Kerstan GRÜNE: Seit drei Jahren!)

Die Arbeit im ASD ist schwer und sehr verantwortungsvoll. Und weil das so ist, wünsche ich mir, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Klarheit und Transparenz über die Bemessung des Personals erhalten. Ich möchte, dass sie selbst ihre Sachkenntnis einbringen können, wenn es um die Entwicklung eines solchen Systems geht, denn fortdauernder Zank und Streit in diesem Bereich ist für die Motivationslage und Arbeit im ASD hinderlich.

(Beifall bei der SPD)

Es wird noch in dieser Legislaturperiode ein solches System geben, und zwar zum allerersten Mal. Bisher hat sich niemand auf den Weg gemacht, so etwas einzuführen. Der Bezirk Wandsbek hat im Projekt Personalbemessung die Federführung, und wir arbeiten intensiv daran, das abzuschließen. Falls das System ergeben sollte, dass es einer veränderten Personalausstattung bedarf, so werden wir diese realisieren. Das habe ich zugesagt, und das tue ich hier noch einmal.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in den letzten Wochen die eine oder andere Konsequenz gezogen oder vorbereitet. Das erste Thema lautet Rückführung. Wir werden mit den Kinderschutzkoordinatoren und den Jugendamtsleitungen der Bezirke sehr schnell den Bericht der Jugendhilfeinspektion zum Anlass nehmen, um die Praxis in allen Jugendämtern, insbesondere hinsichtlich der Frage der Rückführung in die Herkunftsfamilien, zu überprüfen. Wir haben am vergangenen Freitag mit den Bezirksämtern ein Verfahren verabredet, mit dem ab sofort alle Rückführungen von Kindern bis zu 6 Jahren in ihre Herkunftsfamilien gestoppt werden.

Zweitens haben wir mit Professor Püschel vom Kinderkompetenzzentrum des UKE und seinen Mitarbeitern verabredet, dass wir die Zusammenarbeit mit dem Kinderkompetenzzentrum der Universitätsklinik intensivieren. Wir beabsichtigen, die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und dem Kinderkompetenzzentrum in einer verbindlichen Vereinbarung zu regeln. Dazu liegt uns ein Entwurf des UKE vor. Die Einzelheiten stimmen wir jetzt mit allen Beteiligten möglichst schnell ab.

Wenn eine Hilfe zur Erziehung bei einem Kind im Krippen- oder Elementaralter eingerichtet wird, dann muss eine Krippen- beziehungsweise KitaBetreuung sichergestellt werden. Zudem muss gewährleistet sein, dass Absprachen zwischen ASD

(Senator Detlef Scheele)

und Kita eingehalten werden. Die Kita muss vom ASD über die Kindeswohlgefährdung informiert werden und einen genauen Auftrag erhalten, wie sie sich zu verhalten und was sie zu melden hat. Unabhängig davon ist in den Kitas sicherzustellen, dass bei Verdachtsmomenten auf Kindesmisshandlung und Vernachlässigung die entsprechenden Schritte gemäß Paragraf 8a erfolgen.

Nun als Letztes zum Thema Kinderrechte im Grundgesetz. Diejenigen, die gesagt haben, dass Kinderrechte im Grundgesetz kein automatischer Schutz bei Kindeswohlgefährdung seien, haben recht. Aber wir wissen von den Kolleginnen und Kollegen aus dem ASD, wie schwer es in familiengerichtlichen Verfahren ist, das Kindeswohl auf Augenhöhe mit dem Recht der Eltern zu bringen.

(Dietrich Wersich CDU: Was wäre da anders gewesen? Was sagen Sie den Hamburgern, was wäre denn in dem Fall anders gelau- fen?)

Es geht darum, den Kindern ein eigenständiges Grundrecht zumindest in der Höhe einzuräumen, das auch Eltern haben. Das wird die Situation vor Familiengerichten ändern. Wir machen es übrigens nicht zum ersten Mal. Bereits 2011 haben wir es im Bundesrat versucht und sind also nicht erst jetzt auf die Idee gekommen. In diesem Fall, wo wir familiengerichtliche Verfahren mitzubeurteilen haben, ist es an der Zeit, den Kindern ein eigenes Grundrecht einzuräumen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Bevor ich Frau Blömeke das Wort gebe, weise ich darauf hin, dass Senator Scheele 13 Minuten gesprochen hat. Abgeordnete dürfen in der Aktuellen Stunde lediglich 5 Minuten sprechen.

(Olaf Ohlsen CDU: Ist ja unglaublich!)

Frau Blömeke, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das klang nach einem Strauß von Maßnahmen, von denen aber einige nicht neu sind und andere komplett an der Realität vorbeigehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben nachher noch die Debatte, die an unserem Antrag aufgehängt ist,

(Dietrich Wersich CDU: Das war unser An- trag! Eurer ist ein Zusatzantrag!)

in dem wir 65 neue Stellen für den Allgemeinen Sozialen Dienst und das Jugendamt fordern, aber ein paar Worte muss man jetzt zu der Rede von Senator Scheele sagen.

Sie stellen sich dar, als hätten Sie alles getan, um die Arbeitssituation in den Jugendämtern so zu verbessern, dass alle zufrieden sein müssten. Das kann wirklich nicht angehen, und ich komme noch einmal auf das zurück, was Herr Ritter gesagt hat: In der letzten Sitzung des Familienausschusses waren an die 150 bis 200 Mitarbeiter des ASD, die absolut unzufrieden mit der Situation waren. Auf meine Frage, wie der Senat sich erklären könne, dass wir 2012 an die 100 Überlastungsanzeigen hatten, gab es keine richtige Antwort, und sie konnte auch nicht gegeben werden, weil die Situation so ist, wie sie sogar im Jugendhilfeinspektionsbericht beschrieben wird. Zur Aufklärung des Falles Yagmur wird gesagt, dass Zeitmangel eine Ursache dafür war, dass Hilfeplangespräche nicht stattfanden und Akten nicht gelesen werden konnten. Zeitmangel resultiert aus einer absoluten Überforderung der Mitarbeiter, ihre Arbeit so gewissenhaft machen zu können, wie wir es erwarten. Herr Senator, wenn Sie sagen, dass es hinderlich für die Arbeit im ASD sei, wenn hier Mitarbeiter diffamiert würden, dann ist das völlig richtig, aber hinderlich ist es auch, wenn der Senat nur ankündigt und keine Abhilfe schafft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben die Gehaltserhöhung beschrieben, die Sie in den ASD gegeben haben. Mit ihr ist nicht eine zusätzliche Stelle in den ASD gekommen. Sie haben die 44 Netzwerkstellen beschrieben, aber Sie wissen genau, dass das keine Mitarbeiter sind, die in die Familien gehen. Sie haben nichts mit den Mitarbeitern zu tun, die am Schreibtisch sitzen und die Dokumentationen erstellen und die die Hilfen in den Familien gewährleisten, die wir vor Ort brauchen. Die letzte reale Erhöhung, die es im Allgemeinen Sozialen Dienst gab, waren 33 Stellen unter Schwarz-Grün – zugegebenermaßen nicht viel, aber immerhin ein Anfang.

(Jan Quast SPD: Die waren nicht besetzt!)

Herr Senator, Sie eiern herum, ohne konkret zu sagen, dass Sie eine Sofortmaßnahme vollziehen. Das Personalbemessungssystem kann trotzdem weiterlaufen, aber wir sehen doch, dass die Zustände so sind, dass wir den Kinderschutz in Hamburg nicht mehr gewährleisten können. Ich kann nicht verstehen, dass Sie herumeiern und nicht beherzt eingreifen,

(Dirk Kienscherf SPD: Wenn es so einfach wäre!)

dass Sie kein Geld in die Hand nehmen und Stellen aufstocken, damit wir sichergehen können, dass wir eine Sofortmaßnahme ergriffen haben, die den Kindern vor Ort wirklich hilft.

(Beifall bei den GRÜNEN)