Protocol of the Session on January 23, 2014

Dazu passt auch die bemerkenswerte Antwort auf eine Frage in einem Interview, die Sie vor einigen Wochen gegeben haben. Eine große Zeitung fragte: Herr Innensenator, wie sieht es aus mit dem Polizeipräsidenten – wir wissen alle, dass er in absehbarer Zeit das Pensionsalter erreicht –, wie lange ist dieser Mann noch Polizeipräsident in einer für die Polizei fast existentiellen Krisenlage? Antwort des Innensenators: Der Präsident ist so lange Präsident, wie er Präsident ist. Klarer hätten Sie die Gelegenheit nicht wahrnehmen können, unseren Polizeipräsidenten ins Abseits zu stellen. Das ist keine Führung, das heißt, unsere Polizei steht alleine da – nichts anderes.

(Beifall bei der CDU und bei Farid Müller GRÜNE)

Herr Kerstan hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gewalt als Mittel der Politik kann und darf nicht sein. Das lehnen wir nicht nur ab, sondern das verurteilen wir zutiefst.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für einen Steinwurf aus anderthalb Metern Entfernung ins Gesicht eines Polizeibeamten, der daraufhin einen Nasenbein- und einen Kieferbruch erleidet und aufgrund dieser schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wird, gibt es keinerlei Rechtfertigung, unabhängig davon, wo und in welchem Zusammenhang das passiert ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Darüber besteht in diesem Hause Konsens, und es steht niemandem zu, weder in diesem Hause noch sonst wo, etwas anderes zu behaupten.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der LINKEN)

Alle fünf Bürgerschaftsfraktionen von SPD, CDU, GRÜNEN, FDP und der LINKEN haben am 19. Dezember in einer gemeinsamen Resolution einen Aufruf beschlossen: "Hamburg gegen Gewalt". Über Flüchtlingspolitik und Rote Flora kann man streiten und demonstrieren, aber bitte friedlich und gewaltfrei. Ich erwarte von einem Senator der Freien und Hansestadt Hamburg, der als Präses der Innenbehörde zuständig ist, dass er an diesem Pult nicht wissentlich und willentlich die Unwahrheit in diesem Punkt sagt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

Denn das haben Sie massiv getan, Herr Neumann. Es darf einfach nicht der Eindruck entstehen, dass Sie versuchen, dieses Ablenkungsmanöver zu starten, um von eigener Führungsschwäche und eigenen politischen Fehlern im Umfeld der Geschehnisse der letzten Tage abzulenken.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Bei aller Solidarität mit den verletzten Beamten – und ich möchte noch einmal sagen, dass ihnen unsere uneingeschränkte Solidarität gilt – darf eines nicht passieren: dass der Eindruck entsteht, dass aus dieser Solidarität heraus rechtlich und politisch fragwürdige Sondergebiete und Sonderrechte der Polizei gerechtfertigt werden.

Kommen wir zu einem sehr zentralen Punkt, über den wir bis heute, so schlimm es auch ist, keine Klarheit haben. Im Zuge der Ausweisung von Gefahrengebieten stand die Behauptung der Polizeiführung, es habe einen politisch motivierten Angriff auf die Davidwache gegeben, bei dem dieser furchtbare Vorfall des Steinwurfs auf einen Polizisten erfolgt sei, zentral im Mittelpunkt. Wie es wirklich war, wissen wir bis heute nicht. Was wir aber sehr sicher wissen, ist, dass die Behauptungen, die die Polizeiführung in dieser Presseerklärung der Öffentlichkeit verkündet hat, in weiten Teilen nicht zutreffen und wir noch klären müssen, ob überhaupt etwas so, wie es dargestellt wurde, stimmt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Aber der Stein- wurf stimmt schon!)

Ich glaube, zum Steinwurf habe ich alles gesagt, was zu sagen ist,

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

(Kai Voet van Vormizeele)

aber in einem Rechtsstaat darf es nicht sein, dass ein Angriff auf einen Polizeibeamten in einen Zusammenhang gestellt wird, den es so nicht gibt,

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

um damit Sonderrechte für die Polizei zu rechtfertigen, die es in dieser Republik noch nicht einmal in Bayern gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Dazu gibt es noch viele Fragen, und die hätte der Innensenator hier und heute beantworten müssen

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

anstatt das Parlament zu beschimpfen.

Angesichts dieser Situation erwarte ich, dass der Bürgermeister dieser Stadt auch etwas zu diesen Geschehnissen sagt. Ich erwarte, mehr zu hören als das, was Herr Neumann gesagt hat. Es kann doch nicht sein, dass die ganze Republik über Hamburg und die Ausweitung der Gefahrengebiete redet, dass das sogar international diskutiert wird. Wir reden über Gewalt auf Demonstrationen und über die Verhältnismäßigkeit von Polizeimaßnahmen. Wir haben einen Innensenator, der offenkundig die Polizei oder zumindest die Polizeiführung nicht mehr im Griff hat. Es gibt über die Frage, was vor der Davidwache oder in der Hein-Hoyer-Straße passiert ist, ganz offenkundig einen Streit zwischen Polizeiführung und Staatsanwaltschaft. Wir haben die Situation, dass die Polizei ohne politische Einwirkung große Teile dieser Stadt zu Gefahrengebieten erklären kann. Rechtlich geht das, politisch wird es nicht weiter kontrolliert.

(Dirk Kienscherf SPD: Wieso geht das recht- lich? Das geht doch gar nicht!)

Und wenn ein Polizeibeamter schwer verletzt wurde, möchte ich nicht hören, was die Polizeiführung dazu sagt, sondern die zuständige Staatsanwaltschaft. Wenn der Innensenator dazu nichts sagt, dann erwarten wir heute eine Erklärung des Bürgermeisters. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort hat Herr Jarchow.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich damit beginnen, dass ich das Eingangsstatement des Kollegen Kerstan zu der Gewalt gegen den Polizisten äußerst erfreulich finde und es begrüße, dass er das so deutlich gesagt hat. Auf der anderen Seite finde ich es bedauerlich, dass dieses Statement nicht den Beifall aller Fraktionen dieses Hauses findet. Das hätte ich mir gewünscht.

(Beifall bei der FDP, den GRÜNEN und der LINKEN)

Politische Konflikte politisch lösen – ich glaube, das wollen wir alle, dafür stehen wir alle ein. Aber in der bisherigen Debatte ist schon deutlich geworden, dass wir kriminelle Ausschreitungen nicht mit der Diskussion über politische Themen vermengen dürfen, sondern das strikt trennen müssen; das ist unser Ansatz. Politische Arbeit ist genau das Gegenteil von Gewalt, sie ist gewaltfrei. Das sollte immer deutlich werden. Eine parlamentarische Demokratie lebt vom Diskurs und nicht von Tätlichkeiten gegen eine unliebsame Regierung oder gegen die Polizei; ich glaube, da sind wir uns einig. Politisch motivierte Gewalt kann und darf weder Anlass noch wesentlicher Einflussfaktor für die Gestaltung der politischen Prozesse sein – nicht, wenn eine Demokratie Bestand haben soll, und das ist, glaube ich, unser aller Ziel.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kerstan, Sie haben eben ausführlich über das Problem der Gefahrengebiete gesprochen. Sie wissen, dass auch wir dem kritisch gegenüberstehen. Das werden wir bei einem späteren Tagesordnungspunkt noch genauer debattieren. Mittlerweile sind die Gefahrengebiete auch aufgehoben. Fragen über die Umstände linksextremistischer Gewalt und das Verhalten der Einsatzkräfte sind natürlich weiterhin aufzuklären und zu bewerten, auch im Parlament. Aber, Frau Möller, wir reden hier nicht nur über Ausschreitungen. Wir reden über die Ausschreitungen und genauso über die politischen Probleme, die wir zu lösen haben, aber wir trennen das. Das muss ganz klar sein. Hier im Parlament wäre es allerdings die vorrangige Aufgabe, unsere Polizei dort zu unterstützen, wo wir Möglichkeiten und Zuständigkeiten haben; das ist unser Verständnis.

Frau Schneider, zu Ihrer Äußerung, die Polizei entscheide nicht, wie wir leben wollen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Der Senat auch nicht und die Bürgerschaft auch nicht! – Gegenruf aus dem Plenum: Und die Lin- ken auch nicht!)

Sie haben gesagt: Die Polizei entscheidet nicht, wie wir leben wollen. Ich weiß nicht, wie man zu dieser Aussage kommen kann. Woher Sie das nehmen, ist mir schleierhaft. Das ist auch nicht mein Verständnis von Polizeiarbeit.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der CDU)

Wir haben die Polizei zu unterstützen, wo wir es können, und dabei geht es zum Beispiel ums Budgetrecht. Wirklich solidarisch wäre es gewesen, wenn die Bürgerschaft schon während der letzten Haushaltsberatungen unseren Antrag angenommen hätte, für zusätzliche Mittel für ausstehende Beförderungen zu sorgen.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Roland Heintze und Dietrich Wersich, beide CDU)

(Jens Kerstan)

Wirklich solidarisch wäre es, wenn die Mehrheit dieses Hauses den Senat kritischer begleiten würde, gerade wenn es um die Auswirkungen des ProMod-Prozesses auf die Arbeitsbelastung der Polizei geht.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Tun wir alles!)

Die Bürgerschaft hat eine große Chance, sich solidarisch zu zeigen, wenn die entsprechende Haushaltsdrucksache zu den urplötzlich vom Senator angekündigten zusätzlichen 10 Millionen Euro für die Polizei zur Abstimmung steht. Diese Solidarität sollte sich dann allerdings auch im Haushalt 2015/2016 fortsetzen.

So sehr wir diesen Vorstoß begrüßen, so befremdlich finden wir es, dass offenbar erst Ausschreitungen und politisch motivierte Gewalt nötig sind, wie wir sie bei den letzten Demonstrationen erlebt haben, damit der Senat und die SPD diese Bedarfe erkennen.

(Beifall bei der FDP und bei Dietrich Wersich CDU)

Gelebte Solidarität wäre es des Weiteren auch, wenn die Bürgerschaft darauf drängen würde, dass Senat und Behörden entschlossen und effektiv gegen politischen Extremismus vorgehen, denn aus diesen Reihen kommt es immer wieder – und leider zunehmend – zu Angriffen auf Polizeibeamte. Wir dürfen den Landesaktionsplan gegen Rechtsextremismus nicht 1:1 auf linksextremistische Gewalt übertragen, aber der Senat darf auch nicht untätig bleiben. Dazu hätte ich gerne etwas in Ihrer Rede gehört, Herr Senator.

(Beifall bei der FDP und bei Dietrich Wersich CDU)

Trotz vieler Mahnungen unsererseits blieb der Senat leider ähnlich untätig, wie es schon die Vorgängersenate waren; wir denken an die Flüchtlinge oder auch an die Rote Flora. Der Senat darf Situationen nicht über Jahre hinweg aussitzen und hoffen, dass nichts passiert, sondern er muss konstruktiv handeln und zu einer am Ende für alle tragbaren Lösung kommen. – Herzlichen Dank.