Protocol of the Session on January 23, 2014

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit fast einem Jahr gibt es Woche für Woche regelmäßig Tausende von Menschen, die sich zu Demonstrationen friedlich auf der Straße treffen, die über die Themen in dieser Stadt diskutieren, die aus ihrer Sicht wichtig sind. Das sind Themen, die mit Sozialpolitik zu tun haben, das sind Themen, die mit Flüchtlingspolitik zu tun haben, es sind Themen, die mit Wohnungsbau und Gentrifizierung zu tun haben, und es sind Themen, die mit der Roten Flora zu tun haben.

(Olaf Ohlsen CDU: Alles friedlich!)

Es sind viele Tausende von Menschen, die sich regelmäßig treffen. Die Medien haben immer wieder darüber berichtet, sie haben die Themen kritisch aufgenommen und ihnen Platz eingeräumt.

Vor vier Wochen gab es nun gewalttätige Ausschreitungen in erschreckendem Ausmaß bei einer Demonstration, zu der insgesamt mehr als 7500 Menschen gekommen waren. Seitdem haben wir in der politischen Diskussion mit der SPD – auch mit der CDU, wie ich heute noch einmal gelernt habe – kein anderes Thema mehr als diese gewalttätigen Ausschreitungen. Über die Politik, die vorher so lange in der Kritik war, wird schlicht und einfach nicht mehr geredet, und so kann das nicht weitergehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Olaf Ohlsen CDU: Gewalt nicht verschwei- gen!)

Gewalt nicht verschweigen ist nicht das Gegenteil von keine Politik mehr machen, Herr Ohlsen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Der Bürgermeister hat am 16. Januar in "Der Zeit" – es gab eben schon ein anderes Zitat – mit einem Satz, der allerdings verständlich ist, gesagt:

"Die Mehrheit der Teilnehmer war gekommen, um Gewalt auszuüben."

Man kann es so lesen und auch so sehen, aber es ist schlicht und einfach falsch.

(Dietrich Wersich)

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Wenn das die politische Antwort sein soll – Herr Dressel hat auch eben noch einmal den Einstieg gemacht, dass versucht wurde, mit Gewalt Politik zu betreiben –, dann kommen wir an der Stelle tatsächlich nicht weiter. Politik ist im Übrigen mehr als nur reden und auch mehr, als nur einen Dialog anzubieten, sondern Politik heißt vor allem auch, Themen ernst zu nehmen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja!)

Und zwar muss man auch die Themen ernst nehmen, die vielleicht auf der politischen Agenda der SPD gerade nicht an oberster Stelle stehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der LINKEN)

Die Menschen, die seit vielen Monaten friedlich in dieser Stadt zu den Themen, die wir alle kennen, demonstrieren, haben nicht den Eindruck, dass sie politisch ernst genommen werden. Deswegen muss man an der Stelle schlicht und einfach zurückkommen zu einer politischen Auseinandersetzung.

(Dirk Kienscherf SPD: Dann nennen Sie doch mal die Themen!)

Aus unserer Sicht ist das der einzige Weg, um alles das, was es an Vorwänden zur Gewaltausübung gibt, tatsächlich zu isolieren.

Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass einmal Schluss damit sein muss, dass immer dann, wenn hier eine differenzierte Diskussion geführt wird zum polizeilichen Handeln, aber auch zu den politischen Schlussfolgerungen aus diesen erschreckend gewalttätigen Ausschreitungen, als Erstes die fast schon rhetorische Formulierung kommt, dass jetzt Gewalt wieder relativiert werde. Das wurde auch gerade eben gemacht. Am Gewaltmonopol will niemand rütteln,

(Birgit Stöver CDU: Steine auf Polizisten zu schmeißen!)

niemand von uns will private Sicherheitsdienste.

(Zurufe aus dem Plenum: Ach!)

Was verstehen Sie eigentlich von unserem Rechtsstaat?

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Das Gewaltmonopol ist unumstritten. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir wichtige, in Grundrechte eingreifende Entscheidungen schlicht und einfach dem Verwaltungshandeln überlassen, sondern wir haben als Parlament die Aufgabe und die Pflicht, hier kritisch zu hinterfragen, zu überprüfen und Transparenz einzufordern.

(André Trepoll CDU: Richtig, zu überprüfen! Dafür ist es da!)

Und genau das ist es, was wir wollen. Wenn Sie wie ein Mantra immer wiederholen, dass Gewaltmonopol auch bedeute, dass man eigentlich nicht darüber reden dürfe, ob bei polizeilichen Einsätzen durch die Polizei Gewalt ausgeübt wurde oder ob die Eingriffe verhältnismäßig waren, dann ist das aus meiner Sicht ein etwas eingeschränktes Verhältnis zum Gewaltmonopol.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Gerade die Gruppe der Flüchtlinge aus Lampedusa, die ursprünglich aus Libyen kamen,

(Dirk Kienscherf SPD: Das sind afrikanische Flüchtlinge!)

leiden tatsächlich am meisten darunter, dass sie nie ein wirkliches Thema für den Senat waren und jetzt noch weniger ein Thema sind.

(Gabi Dobusch SPD: Das ist eine Unterstel- lung!)

Herr Dressel, ich habe extra gesagt, für den Senat. Ich weiß schon, dass Sie auch Gespräche geführt haben.

Der Senat behauptet, das Thema sei in dieser Stadt nicht mehr existent, und das ist schlicht und einfach falsch.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Suding, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! "Politische Konflikte politisch lösen!" Ich war eigentlich ganz froh, als ich gesehen habe, dass DIE LINKE dieses Thema angemeldet hat, denn ich habe es so verstanden, dass wir Demokraten uns darin einig sind, dass Gewalt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein kann und darf. Das allerdings ist mir in Ihrem Redebeitrag, Frau Schneider, viel zu kurz gekommen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Demonstrationen für den Erhalt der Roten Flora hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben, aber mit der Gewalt vom 21. Dezember letzten Jahres hat dies eine ganz andere Qualität erreicht. Wenn ein demokratisches Recht ausgenutzt wird, um Gewalt zu entfachen, dann darf das eine Gesellschaft nicht akzeptieren. Und wenn Debatten um die Rote Flora, den Erhalt der EssoHochhäuser oder die Situation der LampedusaFlüchtlinge instrumentalisiert werden, um Anlässe für Randale zu schaffen, dann darf auch das eine Gesellschaft nicht akzeptieren.

(Beifall bei der FDP, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

(Antje Möller)

Und wenn Polizeiwachen, Wohnhäuser von Entscheidern oder Abgeordnetenbüros attackiert werden, dann darf auch das eine Gesellschaft nicht akzeptieren. An dieser Stelle möchte ich daher allen Polizisten danken, die bei den Einsätzen und Straßenschlachten in den vergangenen Wochen den Kopf hingehalten haben, den Kopf für uns hingehalten haben. Den vielen Beamten, die sich den gewaltbereiten Randalierern gegenüber sahen, gebührt unser Dank und unser Respekt.

(Beifall bei der FDP, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Wir werden auch in Zukunft mit aller Kraft und Energie für die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit kämpfen. Aber ein Fakt ist unumstößlich, und ich bin sicher und hoffe, dass wir uns alle darin einig sind, dass nämlich das Gewaltmonopol allein beim Staat liegt. Dem Staat werden richtigerweise weitreichende Befugnisse zugestanden. Deshalb ist es entscheidend, dass dieses Gewaltmonopol der engen parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

Die uneingeschränkte Solidarität mit den Polizisten bedeutet aber nicht, dass kritische Fragen zu einzelnen Polizeieinsätzen unterdrückt werden dürfen. Gerade weil wir das Gewaltmonopol des Staates für unverzichtbar halten und gerade weil es so weitreichend ist, hat die Innenbehörde hier eine besondere Verantwortung. Herr Neumann, ich habe großes Verständnis dafür, dass Sie sich vor Ihre Polizisten stellen, das müssen Sie tun. Aber nicht jede kritische Frage nach der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel stellt gleich das Gewaltmonopol des Staates infrage und setzt die Polizisten einem Generalverdacht unverhältnismäßiger Gewalt aus.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Wir haben erlebt, dass in den vergangenen Wochen die widersprüchlichen Aussagen um die Vorgänge an der Davidwache am 28. Dezember 2013 nicht abbrechen. Uns haben viele Bürger angesprochen, die sich deswegen Sorgen machen. Jetzt ist es sehr wichtig, das Vertrauen dieser Bürger in die Polizei nicht weiter zu erschüttern, sondern es zu stärken. Das tun Sie aber nicht, indem Sie diejenigen in eine falsche Ecke stellen, die Aufklärung fordern, Herr Innensenator.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Die Auflösung des Großgefahrengebiets im Raum Altona war aus unserer Sicht richtig. Verdachtsund anlasslose Kontrollen von Bürgern müssen die Ausnahme bleiben, erst recht, wenn ganze Stadtteile betroffen sind. Sie sind ein erheblicher Eingriff in die Freiheitsrechte von Bürgern, und niemand darf daher leichtfertig mit diesem Instrument umgehen. Wir werden heute noch darüber beraten.