Protocol of the Session on January 23, 2014

Da aufgrund von Lageerkenntnissen von einem weiterhin bestehenden erheblichen Aggressionspotenzial gegenüber Polizeikräften und polizeilichen beziehungsweise staatlichen Einrichtungen auszugehen war, wurde die Einrichtung des Gefahrengebiets beschlossen. Und wenn ich sage beschlossen, dann wurde dieser Vorschlag von der Polizeiführung inklusive des Polizeipräsidenten erarbeitet und der Leitung der Innenbehörde – erst dem Staatsrat und dann mir – vorgestellt. Das ständige Wiederholen, dass ich nicht daran beteiligt gewesen wäre, macht den Sachverhalt nicht richtiger. Ich habe diese Entscheidung getroffen, und wenn Sie, Herr van Vormizeele, gerade gesagt haben, dass es weder unter Herrn Ahlhaus noch unter Herrn Vahldieck Entscheidungen gegeben habe, in die die Behördenleitung nicht eingebunden war, dann ist das eine der wenigen Traditionen, die ich in der Behörde fortgesetzt habe.

(Nikolaus Haufler CDU: Das haben Sie in der Zeitung aber anders gesagt!)

Es gab in meiner Amtszeit nicht ein Gefahrengebiet, das ich nicht politisch goutiert habe, wo ich nicht zugestimmt habe, dass es eingerichtet wurde. Ich will auch das noch einmal deutlich sagen, weil immer wieder andere Geschichten kolportiert werden;

(Dietrich Wersich CDU: Sie haben ja selbst auch sehr zweischneidige Aussagen ge- macht!)

sie sind nicht wahr. Ich bin politisch dafür verantwortlich, niemand anders.

(Beifall bei der SPD)

Die dann folgende öffentliche Debatte hat in einer für mich nicht nachvollziehbaren Weise zu einer sehr einseitigen und aus meiner Sicht verzerrten Wahrnehmung geführt und die eigentlichen Ursachen nahezu vergessen lassen. Es ist aus meiner Sicht schon absurd, wenn versucht wird, gewalttätigen Ausschreitungen und Angriffen einen rechtfertigenden Anstrich zu geben, indem auf vermeintlich legitime Anliegen wie die Kritik an der Flüchtlingspolitik, die hohen Mieten und den Abriss der Esso-Häuser verwiesen wird; auch darüber haben wir heute bereits in der Aktuellen Stunde diskutiert. Mit Steinen, Flaschen und Sprengkörpern auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zu werfen, Häuser von politischen Gegnern anzugreifen und Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, ist durch nichts zu rechtfertigen,

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Walter Scheuerl CDU und Carl-Edgar Jarchow FDP)

vielmehr ist es schlichtweg kriminell. Ich werde meine Hand nicht dazu reichen, dass das Gewaltmonopol unserer Gesellschaft infrage gestellt oder versucht wird, es sogar außer Kraft zu setzen, im Gegenteil.

(Zuruf von Heike Sudmann DIE LINKE)

Wir dürfen zum einen diese Straftäter nicht dadurch adeln, dass wir ihnen politische Motive unterstellen, noch gibt es in unserer Gesellschaft politische Fragestellungen, die es auch nur im Ansatz rechtfertigen würden, Gewalt – völlig gleich, in welcher Form – anzuwenden. Zum anderen stehen ich und der gesamte Senat für eine wehrhafte Demokratie und das heißt: friedlicher Dialog ja, Streit um die richtigen Wege jederzeit, Akzeptanz von Gewalt niemals.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Senator Neumann. – Das Wort hat Herr Dr. Steffen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Neumann, Ihnen sind eben nicht nur die Jahreszahlen durcheinander geraten, sondern auch der Ablauf der Ereignisse. Tatsächlich wurde diese gesetzliche Regelung im Jahre 2005 eingeführt.

(Vizepräsidentin Kersten Artus übernimmt den Vorsitz.)

Seinerzeit haben wir als GRÜNE Fraktion in den Ausschussberatungen sehr intensiv die Sinnhaftigkeit dieser Norm hinterfragt, haben uns auch nach den sehr ausführlichen Beratungen zu dieser Frage nicht überzeugen lassen, dass das eine sinnvolle Neuerung im Polizeirecht ist, und immer wie

(Senator Michael Neumann)

der kritisiert, dass diese Norm ausgesprochen uferlos ist. Wir haben damals in den Ausschussberatungen viele, viele Beispiele gebildet und gefragt, ob es mit dem sehr weit gefassten Wortlaut der Norm möglich wäre, ganze Stadtteile unter Kontrolle zu stellen oder anderweitig ausufernde Kontrollen einzuführen. Die Antwort: Das werde natürlich alles ganz gezielt eingesetzt und konkret auf die jeweilige Lage bezogen. Unsere Beispiele wurden als vollkommen übertrieben bezeichnet. Es hat mich dann doch überrascht, dass jetzt unsere seinerzeit etwas polemischen und eher karikierenden Beispiele, mit denen wir herauskitzeln wollten, was vom damaligen Senat gemeint war, von der Realität übertroffen worden sind. Das hat mich tatsächlich sehr erstaunt, und das ausgerechnet von einem SPD-Senat.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Die Rolle des Polizeipräsidenten ist in den Antworten des Senats auf Schriftliche Kleine Anfragen anders dargestellt worden, als Sie es eben ausgeführt haben; vielleicht müssen Sie sich da im Senat noch einmal unterhalten. Das sollten Sie auf alle Fälle klären, denn die Frage, wer da eigentlich welche Entscheidungen trifft, ist unabhängig davon, was rechtlich geboten ist, wichtig. Dass dieses Durcheinander, das zum Teil in der Polizei herrschte, nicht sinnvoll sein kann, steht außer Frage. Interessant finde ich auch, dass die SPD – das ist eine wirklich sehr seltene Vorgehensweise – sich berufen fühlt, im Rahmen einer Antragsbegründung sehr ausführlich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wortlaut zu zitieren. Wenn man so lange zitiert, dann fordert das natürlich heraus, auf das zu schauen, was nicht zitiert wird.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Genau!)

Die entscheidenden Passagen werden nämlich nicht zitiert.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Der Schlüsselsatz, der nicht zitiert wird, ist, dass die Kammer im Ergebnis das Gesetz auf der Grundlage der oben skizzierten Auslegung auch noch vereinbar hält mit den Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen. Das ist schon eine ziemlich kritische Aussage im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung zu einer gesetzlichen Regelung. Und diese kritische Aussage wird hier nicht zitiert. Das Interessante ist doch, was oben in der Entscheidung zitiert wurde – auch das wiederum erwähnt die SPD nicht –, nämlich dass es insbesondere nicht sein könne, dass man Gefahrengebiete über große Teile Hamburgs ausdehnt. Das versteht das Verwaltungsgericht unter der verfassungskonformen Auslegung dieser Norm. Das heißt, genau die Punkte, die eigentlich dazu führen müssten, wenn man sich die Entscheidung ansieht, dass gerade

hier die Auslegung daneben gegangen ist, lässt die SPD eleganterweise aus.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Jetzt kann man sich darüber unterhalten, was "große Teile Hamburgs" bedeuten. Je nachdem, wie weit man entfernt ist, erscheinen drei Stadtteile groß oder klein.

(Dirk Kienscherf SPD: Bei 1,8 Millionen ist das nicht groß!)

Deswegen ist auch die von der FDP aufgeworfene Frage interessant, aber im Ergebnis nicht hinreichend, weil diese Auslegungsspielräume bleiben. Wenn wir eine gesetzliche Norm haben, die sehr wenig Grenzen beschreibt,

(Gabi Dobusch SPD und Arno Münster SPD: 3,5 Prozent!)

dann bleiben natürlich auch einem Richter nur wenige Möglichkeiten, einzugreifen. Wenn wir tatsächlich zu einer solchen Definition kommen, dass es nicht große Teile Hamburgs sein dürfen, dann ist uns wenig Garantie gegeben, dass es zu einer verhältnismäßigeren Anwendung dieser Norm nur dadurch kommt, dass man dem Richter die letzte Entscheidung überträgt. Wir haben diese Variante beraten, sie aber verworfen, weil es nicht ausreichend ist, und kamen zu der nächsten Frage, ob man vielleicht genauere Kriterien ins Gesetz schreiben könnte. Wenn man das aber macht, dann landet man sehr in der Nähe der Befugnisse, die es ohnehin im Polizeirecht gibt. Frau Möller hat zutreffend zitiert, dass es eine Menge Möglichkeiten für die Polizei gibt, verdächtige Personen anzuhalten und zu kontrollieren. Das funktioniert in anderen Bundesländern doch auch ohne Gefahrengebiete. Deswegen haben wir gesagt, dass sich diese Norm, bei der der Polizei durch den Gesetzgeber wenig Hinweise gegeben werden, was sie tun soll und was nicht – und es ist unsere vornehme Aufgabe, die Grenzen des polizeilichen Handelns zu definieren –, insoweit nicht bewährt hat und sie deshalb weg solle.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Wir haben uns 2008 in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen können, das ist richtig.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie haben nichts erreicht mit dem Polizeirecht!)

Das ist ungefähr so wie mit dem Betreuungsgeld, das die SPD nun auch super findet, seitdem sie mit der CDU/CSU regiert. Es ist manchmal so in Koalitionen, dass man sich nicht durchsetzt, das ist richtig. Aber das Interessante ist, dass Herr Neumann meint, noch zu weitschweifigen Ausführungen darüber kommen zu müssen, die mit dem Antrag an sich gar nichts mehr zu tun haben, um noch einmal die Geschichte von vorhin zu erzählen. Herr Neumann, Sie haben eigentlich die Aufgabe, das

Scharnier zwischen Polizei und der politischen Wirklichkeit in der Stadt zu sein. Und bei dieser Aufgabe haben Sie nicht richtig gehandelt, denn Sie hätten erkennen müssen, dass Sie der Polizei mit dieser Maßnahme einen Bärendienst erweisen.

Es gab eine ausgesprochen beachtliche Solidarisierungswelle, die aus tief empfundener Wut vieler Bürgerinnen und Bürger darüber geboren wurde, dass Polizeibeamte sich derart gewalttätigen Angriffen ausgesetzt sehen müssen, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen, sondern in sehr vielen Situationen, bei denen viele in unserer Gesellschaft lieber wegsehen und die Polizei es dann ist, die hingehen muss. Damit haben sich viele Bürgerinnen und Bürger solidarisiert, und daraus hätte tatsächlich so etwas wie eine moralische Stärkung der Polizei werden können in wichtigen Fragen, bei denen wir die Polizei brauchen und wo wir vielleicht auch andere Instrumente stärker einsetzen sollten, als dass am Ende nur die Polizei übrig bleibt. Sie haben jedoch damit der Polizei einen Bärendienst erwiesen, indem Sie diese Solidarisierungswelle gebrochen haben. Tatsächlich ist das polizeiliche Handeln durch diesen Einsatz des Gefahrengebiets der Lächerlichkeit anheimgegeben worden. Das wird der Polizei nicht gerecht, die an vielen Stellen eine wirklich wichtige Arbeit leistet.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Dr. Dressel, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Krokodilstränen von Till Steffen kann man nicht so stehenlassen. Natürlich ging es darum, eine polizeifachliche Maßnahme zu treffen. Und der Senator hat ausgeführt, wie die Beteiligung sowohl der Spitze der Polizei als auch der Spitze der Behörde für Inneres und Sport gewesen ist. Das ist auch in dieser Schriftlichen Kleinen Anfrage ausgeführt. Ich denke also, dass der Punkt durch die Diskussion, die wir geführt haben, abgearbeitet ist.

Warum haben wir einen so umfassenden Zusatzantrag gestellt? Wir haben heute Mittag sogar noch einmal die 38 Seiten des Urteils in ganzer Länge unserer Pressemitteilung angehängt. Wir sind nämlich schon ein wenig verwundert über die Diskussion und wie sie geführt wird. Es wird von außer Kraft gesetzten Grundrechten und außer Kraft gesetzten Menschenrechten und Notstand gesprochen. Dann gibt es noch Vergleiche, am besten gleich mit Kiew. Was da an Diskussionen zu dieser Frage läuft, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Deshalb ist es auch richtig, dass man hier einmal ein Gericht sprechen lässt, um die Maßstäbe wieder in ein richtiges Lot zu bringen.

(Beifall bei der SPD)

Niemand verhehlt doch, dass es an der Stelle auch Eingriffe in Grundrechte gibt, das arbeitet das Verwaltungsgericht auch heraus. Das Gericht kommt dann zu dem Ergebnis – ob es nun verhältnismäßig ist oder noch verhältnismäßig ist –, es sei verfassungskonform.

(Jens Kerstan GRÜNE: Das heißt doch noch lange nicht, dass es richtig ist!)

Ich glaube, es gibt diverse Aussagen von Frau Möller dazu, dass sie schon 2005 die verdachtsunabhängigen Kontrollen als verfassungswidrig kritisiert habe.

Jetzt sagt aber das Verwaltungsgericht, es sei verfassungskonform. Da ist es gut, dass wir in diesem Land und in dieser Stadt eine dritte Gewalt haben, die darüber entscheidet, ob etwas verfassungswidrig ist oder nicht. Deshalb habe ich großes Vertrauen in unsere Justiz.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind uns doch darin einig, dass wir das politisch unterschiedlich bewerten können. Deshalb finde ich es auch völlig in Ordnung, dass es jetzt Anträge gibt, entweder diese Norm ganz zu streichen oder sie mit Voraussetzungen zu versehen wie in dem Hilfsantrag von der Kollegin Schneider. Dass es auch eine Volksinitiative dazu gibt, führt dann ab und an zu Entscheidungen, die das in die eine oder andere Richtung klären.

(Dr. Till Steffen GRÜNE: Das ist ja großzü- gig!)

Ich finde es aber nicht in Ordnung, dass Sie das Gesetz sozusagen mit einem Verfassungswidrigkeits-Stempel versehen, wenn doch das Gericht …

(Jens Kerstan GRÜNE: Das ist ein Zitat von 2005!)