Protocol of the Session on January 22, 2014

Nach Einschätzung des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs, der der EuGH in der Regel folgt, ist die Richtlinie in ihrer bestehenden Form mit dem Erfordernis unvereinbar, dass jede Einschränkung der Ausübung eines Grundrechts gesetzlich in ausreichendem Maß geregelt sein muss. Angesichts des qualifizierten Eingriffs in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens hätten in der Richtlinie Mindestgarantien für den Zugang zu den erhobenen und auf Vorrat gespeicherten Daten und für ihre Auswertung festgelegt werden müssen. So hätte es dem Unionsgesetzgeber beispielsweise oblegen, die Straftatbestände, die den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den Daten rechtfertigen, näher zu konkretisieren. Er hätte ferner den Grundsatz aufstellen müssen, dass Behörden, die Zugang zu den Daten erhalten, verpflichtet sind, diese zum einen zu löschen, sobald sie nicht mehr benötigt werden, und zum anderen die Betroffenen über den erfolgten Zugang zumindest nachträglich zu informieren. Der Generalanwalt ist ferner der Ansicht, dass die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar ist, soweit sie den Mitgliedsstaaten eine Speicherdauer von bis zu zwei Jahren vorschreibt. Den Schlussanträgen ist ferner zu entnehmen, dass vielmehr eine Frist von weniger als einem Jahr für angemessen erachtet wird. Eine abschließende Entscheidung über die Gültigkeit der Richtlinie ist damit aber noch nicht gefallen, auch wenn wahrscheinlich ist, dass die Richtlinie in ihrer jetzigen Fassung vom EuGH für grundrechtswidrig erklärt wird. Dies bedeutet politisch aber doch wohl, dass zunächst eine grundrechtskonforme Richtlinie erarbeitet werden muss, und vor diesem Hintergrund ist das Ziel Ihres Ersuchens schon im Verfahren verfehlt. Die Länder, auf die die Stoßrichtung Ihres

(Finn-Ole Ritter)

Antrags zielt, wirken durch den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mit, so steht es jedenfalls in Artikel 50 des Grundgesetzes. Aber bisher gibt es gar keinen Gesetzentwurf, zu dem sich der Bundesrat verhalten könnte.

Eines ist jedoch klar: Sollte es, was wir im Moment nicht haben, Sicherheit über eine gültige EU-Richtlinie geben, weil der EuGH zu einer Position kommt, die das bestätigt oder eine neue Richtlinie erarbeitet wird, dann müssen wir das umsetzen, ganz egal, welche Meinung wir letzten Endes dazu haben, denn ansonsten drohen hohe Zwangsgelder. Gerade im Jahr der Europawahl erwarte ich von der FDP, dass sie sich, egal, wie man zu der einen oder anderen EU-Richtlinie stehen mag, für ein europarechtskonformes Handeln einsetzt.

Was den Koalitionsvertrag der Großen Koalition angeht, so sind die dort festgelegten Kriterien so gefasst, als hätte man das Votum des Generalanwalts schon kommen sehen. Die Feststellung, sich auf EU-Ebene für eine Einschränkung der bisherigen Richtlinie im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Absicherung und eine Maximalspeicherdauer von drei Monaten statt der bisherigen zwei Jahre einzusetzen, finde ich gegenüber dem Koalitionsvertrag, den Ihre Partei 2009 mit der CDU ausgehandelt hat, einen echten Fortschritt. Von daher würde aus meiner Sicht etwas weniger Aufregung aufseiten der CDU über das Vorgehen von Justizsenator Maas, wobei sich das mittlerweile schon wieder gelegt hat, und etwas weniger Aktionismus aufseiten der FDP dem Anliegen guttun, eine Balance anzustreben zwischen einer effektiven Gefahrenabwehr bei konkreten Gefahren für Leib und Leben – denn nur dann können diese Daten benutzt werden, das muss man hier auch einmal klarstellen – und der gleichzeitigen Absicherung eines möglichst optimalen Datenschutzes, wie ihn der Generalanwalt und im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2010 aufgezeigt haben.

Was meine Fraktion betrifft, so können wir jedenfalls Ihrem Antrag, der sich, weil er im Widerspruch zu Ihrer eigenen Vereinbarung mit der CDU im Bund steht, nicht einmal für Ihre glaubwürdige Profilierung eignet, leider nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD – Katja Suding FDP: Er- zählen Sie doch mal, was in den letzten vier Jahren passiert ist, Herr Tabbert! Das ist doch Unsinn, was Sie da erzählen!)

Meine Damen und Herren! Bevor ich Herrn Niedmers das Wort erteile, möchte ich um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Debatte bitten. Alternativ können Sie Ihre Gespräche fortsetzen, aber dann bitte außerhalb des Plenarsaals. – Herr Niedmers, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier einen fast etwas reißerischen Antrag der FDP zu einem überaus wichtigen und komplexen Thema vorliegen. Man sollte aber den Worten von Herrn Tabbert Folge leisten, diesem Thema nur mit Ruhe, Gelassenheit und inhaltstiefen Argumenten vernünftig zu begegnen.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Gute Nacht!)

In Ihrem Antrag heißt es:

"Das Grundrecht auf Privatsphäre zu schützen, muss im digitalen Zeitalter oberste Priorität eines Staates sein."

Oberste Priorität? Das ist dann doch ein wenig dick aufgetragen. Tatsächlich ist solch eine pauschale Aussage für diesen Themenkomplex gar nicht möglich. Die Wahrheit ist doch, dass in dieser Frage eine sorgfältige Abwägung des Rechts auf Freiheit und des Rechts auf Sicherheit aller Bürger notwendig ist. Dabei ist das Recht der Sicherheit des Staates nicht zu schwach zu beurteilen. Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen bestmöglichem Schutz der persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und dem größtmöglichen Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Verbrechen und möglichen Terroranschlägen auf der anderen Seite. Da hilft es auch nicht, wenn Sie in Ihrem Antrag mit dem Skandal um die Ausspähungen durch inner- und außereuropäische Nachrichtendienste argumentieren, denn schließlich geht das, was die NSA und andere Geheimdienste in der Vergangenheit gemacht haben, weit über die bloße Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten hinaus, und nur darum geht es hier. Sowohl in Quantität und Qualität der ausgespähten Daten als auch in der Qualität der zum Einsatz gekommenen Mittel unterscheidet sich das, was NSA und andere gemacht haben – und auch weiterhin machen –, fundamental von dem, was die Vorratsdatenspeicherung beinhalten soll.

In einem Punkt haben Sie allerdings recht: Stimmen und Argumente gegen die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung gibt es viele, vor allem natürlich, wen wundert es, aus dem liberalen Lager. Eine Vorratsdatenspeicherung wird allerdings auch immer wieder in der öffentlichen Debatte gefordert, zum Teil vehement. So hat unter anderem das Bundesverfassungsgericht, das auch Herr Tabbert eben schon zitiert hat, im Jahr 2010 klargestellt:

"Eine Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungen ist daher für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung."

Die Bundesverfassungsrichter haben sich also mit dieser Thematik intensiv beschäftigt und sind zu

(Urs Tabbert)

diesem Abwägungsergebnis gekommen. Auch die Mitglieder des Deutschen Juristentags haben sich auf ihrer 69. Versammlung für eine Einführung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Und sogar der in Ihrem Antrag zitierte EuGH-Generalanwalt stellt fest, dass die Vorratsdatenspeicherung zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten durchaus erforderlich ist, was die Kolleginnen und Kollegen der FDP in ihrem Antrag wohl vergessen haben zu erwähnen – schade.

Der Hauptkritikpunkt in dem genannten Gutachten ist die Unverhältnismäßigkeit der bisherigen Richtlinie, die zum Teil unnötig lange Mindestspeicherfristen festsetzt. Und genau das ist in den Augen der CDU-Fraktion der Punkt, an dem wir alle gemeinsam ansetzen müssen. Es ist also Aufgabe, ein Gesetz zu schaffen, das die Sicherheitsbehörden bei ihrem erforderlichen Kampf gegen schwere Kriminalität unterstützt und gleichzeitig unter diesen Voraussetzungen ein höchstmögliches Datenschutzniveau einhält. Dazu gehören zum einen möglichst niedrig angesetzte Speicherungsfristen der erhobenen Daten – da besteht auf Bundesebene zwischen den Koalitionären schon erste Einigkeit –, zum anderen, und das ist noch wichtiger, muss sichergestellt werden, dass die Daten dezentral gespeichert und mit besonderen Maßnahmen auf dem aktuellsten Stand der Technik gesichert werden. Wie schwer das ist, wissen wir alle. Das ist aber eine Herausforderung, der sich die Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert stellen muss und die sie mit großer Sicherheit auch wird bewerkstelligen können. Des Weiteren muss die Einsicht der Daten durch die Behörden streng reglementiert werden und auf exakt spezifizierte Fälle schwerster Kriminalität und schwerer Gefahren beschränkt bleiben. Das ist in unseren Augen der einzig gangbare Weg, nicht jedoch ein kompletter Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung. Die CDU-Fraktion wird daher – wen wird es wundern nach dem, was ich vorgetragen habe – dem Antrag der FDP nicht zustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Herr Müller.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in unsicheren Zeiten.

(Urs Tabbert SPD: Das ist es ja! Vorratsda- tenspeicherung!)

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat, wie wir gerade erfahren haben, festgestellt, dass womöglich rund 16 Millionen E-MailKonten gehackt wurden. Und wir wurden alle angehalten zu prüfen, ob wir davon betroffen sind. Die

Seite, auf der man das nachprüfen kann, ist schon in die Knie gegangen. Tatsächlich haben viele Menschen Angst und fragen sich, was da passiert. Auch die NSA hat viele Menschen in diesem Land verunsichert; der FDP-Kollege hat darauf hingewiesen. Deswegen ist die Frage, wie wir in Deutschland mit der Vorratsdatenspeicherung umgehen, eine ganz besondere.

Ich bin vor diesem Hintergrund sehr dankbar, dass der neue Bundesjustizminister Maas sofort gesagt hat: Hier wird gar nichts umgesetzt, wir warten erst einmal, was der EuGH in dieser Frage entscheidet. Das ist ein richtiger und notwendiger Schritt. Wir GRÜNE werden, um das gleich deutlich zu machen, dem FDP-Antrag trotzdem zustimmen, ganz egal, welche Einwände es gab. Ich werde das auch gern begründen.

Es ist gesagt worden, wir könnten ohne Vorratsdatenspeicherung, wie sie bisher geplant war, die Sicherheit nicht mehr gewährleisten. Das ist so nicht richtig. Es gab zu Zeiten der vorherigen Bundesregierung sehr wohl einen Vorschlag aus dem Bundesjustizministerium – er ist hier auch kurz erwähnt worden –, wie man diesem Sicherheitsbedürfnis nachkommen könnte. Ich habe bisher von Ihnen nicht gehört, dass dieser Vorschlag ganz und gar nicht handhabbar wäre. Wir wissen auch von den Strafverfolgungsbehörden, dass bei den Providern die Daten nicht sofort, also von einem Tag auf den anderen, gelöscht werden. Das heißt, dass man auch noch nach ein paar Wochen an die Daten herankommen kann, wenn man den Verdacht hat, dass es da Hinweise auf schwere Straftaten gibt.

Wenn es nun nicht mehr um sechs Monate geht – ich habe den Hinweis der CDU in Hamburg dazu gehört –, sondern vielleicht nur noch um drei Monate, dann bleibt, egal, ob wir diese Milliarden von Daten nun zentral oder dezentral speichern, trotzdem das Problem – und deswegen habe ich den Einstieg in meine Rede auch dementsprechend gewählt –, dass wir zurzeit nicht die technischen Mittel haben, dafür Sorge zu tragen, dass diese Daten nur in Ausnahmefällen den Strafverfolgungsbehörden zugänglich sind. Wir müssen leider davon ausgehen, dass wir zurzeit technisch nicht in der Lage sind, sie zu schützen.

(Katja Suding FDP: Richtig!)

Wenn das aber so ist, kann keine EU-Richtlinie die Mitgliedsländer zwingen, solche Daten den großen Geheimdiensten dieser Welt sozusagen mehr oder weniger anzupreisen, indem man sie zentral oder dezentral in diesem Land speichert. Ich fände das unverantwortlich.

Wir haben abzuwägen zwischen der öffentlichen Sicherheit, dem Schutz vor schweren und schwersten Straftaten und – gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir zurzeit erleben – dem Schutz der eigenen Daten und dürfen dabei die

(Ralf Niedmers)

Ängste in der Bevölkerung nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen doch eines sehen: Wenn die Daten erst einmal irgendwo gespeichert sind, ob nun drei oder sechs Monate, dann werden da Leute herankommen, das wissen wir heute. Wir wissen auch, dass noch nicht einmal das Handy der Kanzlerin geschützt werden kann. Dann kann mir doch niemand in diesem Land versprechen, dass wir das aber bei den anderen Milliarden Daten können. Wir können es nicht. Wir können es offenbar noch nicht einmal bei ganz einfachen E-Mail-Konten, wie gerade herausgefunden wurde; nicht einmal die Passwörter sind geschützt.

Meine Damen und Herren! Das alles zeigt doch deutlich, dass der Weg von Bundesjustizminister Maas, die Vorratsdatenspeicherung in dieser Form und auf diesem Weg in diesem Land möglichst nicht stattfinden zu lassen, der richtige ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da muss jetzt nicht nur abgewartet werden, was der EuGH entscheidet, sondern natürlich ist es auch Pflicht des Bundesjustizministers, in der Koalition Einvernehmen herzustellen, wie nach dem Urteil auf Ratsebene in Brüssel weiter darüber verhandelt wird. Das ist doch ganz klar. Es ist ja nicht so, dass Brüssel unabhängig von den Mitgliedsstaaten irgendeine Richtlinie produziert. Deutschland ist kein unwichtiger Mitgliedsstaat und wir haben da eine Stimme. Ich erwarte von dieser Bundesregierung, dass sie ihre Stimme zugunsten der Bürgerinnen und Bürger erhebt und nicht die Daten der ganzen Welt frei zum Nachfassen offeriert. Das wäre unverantwortlich, und das werden Sie auch in einer Großen Koalition nicht ohne Schaden in diesem Land durchsetzen können.

Ganz kurz noch, Herr Tabbert: Der Bundesrat kann nicht nur reagieren, wenn Gesetze aus dem Bundestag kommen, der Bundesrat – auch ein Bundesland – kann auch eigene Gesetze einbringen

(Urs Tabbert SPD: Ein Nicht-Gesetz einbrin- gen, oder was? Wie soll das Gesetz ausse- hen?)

und sie dem Bundestag vorschlagen. Nichts anderes habe ich aus dem Antrag der FDP herausgelesen. Insofern ist der Beschluss des Bundesrats, von der Vorratsdatenspeicherung gänzlich abzusehen und die Bundesregierung aufzufordern, das auch in Brüssel nach dem Urteil weiter zu vertreten, der richtige Weg. Deswegen werden wir GRÜNE dem auch zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Frau Schneider.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Da wir letztendlich

diese Frage nicht hier entscheiden, will ich meine Rede sehr kurz fassen,

(Olaf Ohlsen CDU: Oh, da sammeln Sie aber Punkte!)

zumal die wichtigsten Argumente schon gefallen sind, Herr Ritter, Herr Müller. Wir unterstützen den Antrag der FDP, finden ihn auch richtig und meinen, dass diese Bundesratsinitiative ergriffen werden sollte.

Ich habe mir von dem, was noch übrig geblieben ist an Argumenten, eines überlegt, das ich vortragen möchte. Zuerst aber an Herrn Niedmers, damit das klargestellt ist: Der Deutsche Juristentag repräsentiert nicht etwa die Juristinnen und Juristen in Deutschland, sondern ist ein privater Verein. Ungefähr 80 Leute haben das verabschiedet, mehr ist es nicht. So viele sind das dann tatsächlich nicht.

Mein letztes Argument: Der Anspruch der Politik muss es sein, schon heute die politischen Lehren aus den Enthüllungen von Edward Snowden zu ziehen und sich deutlich gegen die weitere Erosion von Rechtsstaat und Demokratie zu stellen. Und deshalb stimmen wir Ihrem Antrag zu.

(Beifall bei der LINKEN und bei Katja Suding FDP)

Das Wort bekommt Herr Ritter.

Ich habe mit vielem gerechnet, aber was Herr Tabbert gesagt hat, darf nicht unerwähnt oder unreflektiert bleiben.

(Urs Tabbert SPD: Darf nicht unerwähnt bleiben, das ist ja gut!)