Protocol of the Session on December 11, 2013

Genauso selbstverständlich, wie es ist, Menschen den gebotenen Schutz zu gewähren, wenn sie anerkannt sind und wenn sie ihn brauchen, so selbstverständlich sollte es auch sein zu respektieren, den Schutzbedarf nicht zu gewähren, wenn kein entsprechender Bedarf vorliegt. Ein jahreszeitenbedingter Abschiebestopp exklusiv für die Balkanstaaten wäre im Übrigen für die Ausreisepflichtigen aus anderen, vergleichbaren Herkunftsregionen, etwa dem Kaukasus oder der Osttürkei, willkürlich und den Menschen nicht zu erklären.

Speziell für die Balkanregion und manche Minderheiten dort ist das Bemühen mit erheblichen EUProgrammen und Steuermitteln nicht zuletzt darauf gerichtet, die Integrationsprozesse und Lebensbedingungen der betroffenen Menschen vor Ort zu verbessern, insbesondere durch Bildungsangebote für Kinder. Auch aus Sicht der vor Ort tätigen Hilfsorganisationen und NGOs ist es ausgesprochen kontraproduktiv, die Familien durch temporäre Aufenthaltsangebote in Deutschland aus diesen Integrationsprozessen herauszulocken, sodass sie weder in Deutschland noch in anderen Herkunftsländern wirklich Fuß fassen können. Mit einem solchen pauschalen Winterabschiebestopp, wie er

(Senator Michael Neumann)

auch heute wieder gefordert wird, werden Hoffnungen geschürt, sich für die Wintermonate nach Deutschland zu begeben, auch wenn im Übrigen Klarheit besteht, dass daraus niemals eine klare, verlässliche und dauerhafte Aufenthaltsperspektive entstehen wird. Auch aus diesem Grunde wird es in Hamburg wie in den letzten Jahren – Herr Ritter, Sie haben offensichtlich einiges missverstanden – keinen generellen Winterabschiebestopp geben, sondern wir werden, wie es geübte Praxis unserer Stadt ist, jeden Einzelfall mit besonderer Aufmerksamkeit anschauen und entscheiden, ob und wann eine Rückführung zumutbar ist oder nicht.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen ist das aus meiner Sicht erstens eine Selbstverständlichkeit für eine demokratische, rechtsstaatliche und der Menschenwürde verpflichteten Verwaltung und Politik, und zweitens gilt dies für alle Flüchtlinge in unserer Stadt und nicht nur exklusiv für diejenigen aus den Balkanstaaten.

(Beifall bei der SPD)

Auch das will ich noch einmal deutlich sagen, und zwar nicht als Provokation: Im Winter ist es in vielen Regionen kalt und die Lebensbedingungen sind äußerst schwer. Deswegen ist es wichtig, sich jeden Einzelfall anzuschauen und nicht alle über einen Kamm zu scheren. Das machen wir in individuellen Einzelfallprüfungen, so, wie wir es in den letzten Jahren auch gemacht haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Christiane Schneider DIE LINKE: Aber ist Ihnen denn die Situati- on der Roma bekannt?)

Nun bekommt Frau Goetsch das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Neumann, es ist schon traurig, dass Sie mit Ihrem Zynismus Ihren Pressesprecher noch toppen. "Hamburg will humane Flüchtlingspolitik", das ist der Titel unserer Anmeldung mit dem speziellen Thema des WinterAbschiebestopps für die Roma. Ich finde, dass ein bisschen mehr Demut angesagt ist, sowohl bei Ihnen, Herr Neumann, als auch bei Herrn Schäfer. Wenn das eine humane Flüchtlingspolitik ist, dass man mehrfach vergewaltigte und traumatisierte Mütter getrennt von ihren Kindern abschiebt, dann frage ich mich, was das noch mit Sozialdemokratie zu tun hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Und Sie, Herr Neumann, erzählen, wie toll die Hamburger Politik mit ihren Unterkünften sei. Das ist eine rechtliche Verpflichtung, das ist keine Humanität, das ist Selbstverständlichkeit. Es geht um die politische Haltung und politische Ansagen. Der

Hamburger Senat und die Ausländerbehörde verstricken sich penibel technokratisch – Herr Ritter hat gesagt, es werde dann letztendlich eine herzlose Politik – in die Paragrafen, indem sie ausschließlich immer restriktiv argumentieren. Dabei geht es doch nicht darum, Rechtsstaatlichkeit zu unterlaufen, sondern es geht um Humanität, es geht um Ermessensspielräume.

An dieser Stelle muss ich sagen, dass ich nach zehnjähriger Pause – ich bin 2000 aus dem Eingabenausschuss ausgeschieden – im Januar 2011 wieder in den Eingabenausschuss eingetreten bin und sich nichts verbessert hat, es ist sogar schlimmer geworden. Wir haben damals unter Rot-Grün darum gerungen, dass die Familien nicht in der Nacht abgeschoben werden. Wir haben darum gerungen, dass die Familien nicht getrennt abgeschoben werden

(Olaf Ohlsen CDU: Unter Schwarz-Grün nicht, oder was?)

und dass sie nicht vor 6 Uhr abgeholt werden. Und jetzt sind wir wieder an einem Punkt, wo all das passiert. Herr Neumann, Sie haben gestern Abend in einer Veranstaltung Menschlichkeit eingefordert, um für sich selbst klar zu sein, um handeln zu können und die Aufgaben des Staates gemeinsam zu gestalten. Das sind schöne Worte, aber es fehlt die politische Ansage an die Ausländerbehörde. Es fehlt die politische Haltung und es fehlt der politische Mut.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Und das fehlt auch dem Präses dieses Senats, Herrn Scholz. Sie als Bürgermeister haben Richtlinienkompetenz, aber Sie machen keine politische Ansage in Sachen Flüchtlinge, Sie schütteln vielleicht gerade noch Kindern die Hand. Selbst in Ihren eigenen Reihen werden Sie abgestraft. Schauen Sie sich Ihr Parteitagsergebnis an, das lag unter anderem an der Flüchtlingspolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Herr Münster, ich weiß nicht, ob Sie gestern Abend Markus Lanz gesehen haben, der fragte, wo die Sozialdemokratie geblieben ist. Uwe-Karsten Heye, ehemaliger Pressesprecher von Willy Brandt, hat die fehlende Humanität in der Flüchtlingspolitik der SPD angemahnt. Deshalb sind wir froh, dass es wenigstens Hamburger Schülerinnen und Schüler gibt, die aufstehen. Kommen Sie bloß nicht damit, dass das Schwänzen sei.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Es ist doch klar, dass man dann hinnimmt, unentschuldigt zu fehlen. Seien wir doch froh, dass es so viele bürgerliche Hamburgerinnen und Hamburger gibt, die von Lokstedt bis Bergstedt Solidaritätskreise für Flüchtlinge gründen,

(Senator Michael Neumann)

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Ja! Das sind Sozial- demokraten, die das gründen!)

aber dann irritiert sind, lieber Herr Dressel, wenn plötzlich am anderen Tag Familien nicht mehr da sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Sie können doch nicht als politisch Verantwortliche für diese Stadt angesichts dieser Menschen und unserer Stadt Hamburg wegschauen. Ich habe die Mütter schon genannt oder den Christen heute, der nach 22 Jahren abgeschoben werden soll, oder Roma-Familien mit kleinsten Kindern, die abgeschoben werden. Ich weiß, dass wir im Eingabenausschuss darum ringen. Ich bin auch dankbar, Herr Schumacher, dass Sie die eine Abschiebung verhindert haben.

Aber unterm Strich ist das keine humane Flüchtlingspolitik. Es entscheidet leider immer noch oft die Ausländerbehörde allein, und die politische Ansage vom Präses und vom Senator fehlt. Damit tragen Sie die Verantwortung und auch schwere Schuld. – Danke.

(Lang anhaltender Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort bekommt nun Herr Dr. Dressel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es war schon beachtlich, wie Sie sich verbal noch einmal betätigt haben, Frau Goetsch. Ich finde, dass das bei den Bemühungen, die in den letzten Jahren in der Flüchtlingspolitik in Hamburg an sehr vielen Stellen getätigt worden sind, nichts mit dem zu tun hatte, was Sie sagten.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von Tim Golke und Mehmet Yildiz, beide DIE LINKE)

Sie können sich auch gleich melden.

Der Senator hat selbst ausgeführt, dass humanitäre und rechtsstaatliche Flüchtlingspolitik bedeutet, dass man sich jedem Einzelfall zuwendet.

(Jens Kerstan GRÜNE: Das ist Ihre Politik, das war nicht die Politik der Vorgängersena- te!)

Man muss genau schauen, ob Gründe dafür vorliegen, dass ein Bleiberecht besteht oder nicht. Das gilt in diesem Fall, das gilt bei der LampedusaGruppe und das gilt bei allen anderen Fällen. Das ist das Recht, und es ist richtig in einem Rechtsstaat, sich jeden Einzelfall anzusehen; das ist humanitär und rechtsstaatlich.

(Beifall bei der SPD und bei Carl-Edgar Jar- chow FDP – Jens Kerstan GRÜNE: Das ist technokratische Unmenschlichkeit!)

Dann sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen, was in den letzten drei Jahren geleistet wurde. Sie haben wohl nicht genau zugehört, als Herr Schäfer noch einmal ausgeführt hat, dass seit November 2012 insgesamt 2651 neue Plätze in der öffentlichrechtlichen Unterkunft und bei der Erstaufnahme geschaffen worden sind. Wenn Sie das, Frau Goetsch, als Selbstverständlichkeit darstellen, dann schauen Sie sich doch in der Stadt um, wie schwierig es ist, das an vielen Stellen durchzusetzen

(Christiane Schneider DIE LINKE: Da sind wir doch beteiligt!)

gegen Kommunalpolitiker und nörgelnde Anwohner. Das haben wir geschafft, gemeinsam mit der Stadt.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Wir auch!)

Das ist ein riesiger Erfolg.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin sehr dankbar, Frau Goetsch, dass Sie die Freundeskreise angesprochen haben. Es sind nämlich in der Regel Sozialdemokraten, die vor Ort diese Freundeskreise mit gründen, deshalb brauchen wir uns in diesem Bereich nicht zu verstecken.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von den GRÜ- NEN und der LINKEN: Oh, oh!)

Schauen Sie sich einmal das Integrationskonzept an. Wer hat denn dafür gesorgt, dass Flüchtlinge in das Integrationskonzept aufgenommen wurden?

(Zurufe von Norbert Hackbusch und Mehmet Yildiz, beide DIE LINKE)

Das war nicht Ihr Senat, an dem Sie beteiligt waren, sondern es war dieser Senat, der dafür gesorgt hat, dass Flüchtlinge ins Integrationskonzept aufgenommen werden. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall bei der SPD)

Auch die Residenzpflicht ist ein Thema, das wir immer wieder diskutiert haben.