Protocol of the Session on October 23, 2013

(Christiane Schneider)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will auf bestimmte Behauptungen, Zuspitzungen und Unterstellungen nicht eingehen, weil es vor allen den betroffenen Flüchtlingen nichts bringt und zur Deeskalation nichts beiträgt.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Sie haben doch eskaliert!)

Hören Sie doch erst einmal zu.

Zur Deeskalation trägt aus unserer Sicht bei, dass man mit vielen Akteuren und Betroffenen auf den unterschiedlichsten Ebenen im Gespräch ist, so wie es der Senat, seine Behörden und die Kirche sind, und zwar mit dem Versuch, eine Brücke zu einer rechtsstaatlichen Lösung und Einzelfalllösung zu bauen. Wir als SPD-Fraktion haben uns gestern Abend mit den Sprechern der Flüchtlingsgruppe und einigen ihrer Unterstützer getroffen, um direkt mit den Betroffenen und nicht nur über sie zu sprechen.

(Zuruf aus dem Plenum)

Das haben wir vorher auch getan.

Es ist angemessen und richtig, dass wir gerade vor einer solchen Debatte direkt das Gespräch mit den Betroffenen suchen, und kein Grund zur Kritik.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Wir finden bei allen Auffassungsunterschieden zum Beispiel über rechtliche Bewertungen alle gemeinsam, dass die Art und Weise, wie Italien offenbar – jedenfalls nach den Schilderungen, die wir gehört haben – teilweise mit seinen Flüchtlingen umgeht, für ein Land der europäischen Wertegemeinschaft nicht in Ordnung ist. Darüber wird zu sprechen sein. Das ist jedoch nicht allein ein Hamburger Thema, sondern die Bundesregierung und die EU-Kommission sind aufgefordert, dafür zu sorgen, dass dort ordentliche humanitäre Standards nicht nur gelten und gesetzt werden, sondern auch durchgesetzt werden. Dafür werden wir uns als SPD-Fraktion einsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Gewiss gibt es bei einigen Punkten der Flüchtlingspolitik Handlungsbedarf auch gesetzgeberischer Art. Aber es gehört zu einem Rechtsstaat, wenn man Handlungsbedarf erkannt hat, sich trotzdem an die Gesetze, die wir haben, zu halten, solange sie nicht geändert sind.

Wir haben in diesem Jahr wahrscheinlich 100 000 Flüchtlinge am Jahresende in Deutschland. Alle Flüchtlinge mit ihren unterschiedlichen Schicksalen müssen darauf vertrauen können, dass in dem Land, in dem sie ankommen, rechtsstaatlich fair nach den gleichen Regeln und willkürfrei sowie gerecht mit jedem Mann und jeder Frau umgegangen

wird. Für diesen rechtsstaatlichen Weg steht die SPD.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehören Verfahrensgarantien, und der Innensenator wird gleich erläutern, um welche Punkte es im Einzelnen geht und was faire Einzelfallprüfung heißt. Diese beginnt damit, den Namen zu nennen und sein Verfolgungsschicksal zu schildern. In dem Moment hat man einen legalen Aufenthaltsstatus. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den man nicht vergessen darf. Zu einem rechtsstaatlichen Weg gehören außerdem die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und, hier sind wir als Bürgerschaft im Spiel, der Eingabenausschuss und die Härtefallkommission. Hier gelten ebenfalls Garantien, dass es keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geben darf, solange dieses Verfahren läuft. Es gibt also eine breite Garantie, die gilt, und diese wollen wir auch zur Geltung kommen lassen. Wir können als Parlament sicher einvernehmlich die Zusage geben, dass wir unseren parlamentarischen Teil dazu beitragen wollen, einen rechtsstaatlichen Weg aufzuzeigen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will meinen Dank an die Bischöfin aussprechen, die sich seit vielen Wochen in diesem Prozess einbringt, Gespräche vermittelt, Menschen zusammenbringt und schaut, was getan werden kann, um zu einer Lösung zu kommen. Sie hat gestern klar den Weg in Richtung einer Einzelfallprüfung aufgezeigt, und ich möchte den Appell, den sie gestern in ihrer Pressemitteilung formuliert hat, wiederholen:

"Ich appelliere daher an die Flüchtlinge, die immer wieder geforderte Chance auf ein faires Verfahren auch zu nutzen."

Das sagen wir von hier ebenfalls an die Adresse der Flüchtlinge: Nutzen Sie die Chance, die aufgezeigt wurde.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von Norbert Hackbusch DIE LINKE)

Lesen Sie sich die Erklärung der Bischöfin noch einmal durch. Sie weist darauf hin, dass wir – und Sie sind alle auch Wahlkreisabgeordnete – nicht vergessen sollten, was Hamburg jetzt schon, in einer Zeit, wo wir an vielen Stellen vor Ort über neue Flüchtlingsunterkünfte diskutieren, bei der Unterbringung von Flüchtlingen tut.

Abschließend ein wichtiger Punkt, für den wir alle gemeinsam streiten sollten. Die Bischöfin hat gesagt:

"Wir lehnen jede Art von Gewalt ab. Nur friedliche Formen des Protests können im Sinne der Flüchtlinge sein. Sie dürfen nicht instrumentalisiert werden."

Das sollte ein gemeinsamer Appell aus diesem Haus in die Stadt hinein sein, in den nächsten Tagen zu diskutieren, aber gewaltfrei zu agieren. Das ist wichtig für den Frieden in dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Kurt Duwe und Carl-Edgar Jarchow, beide FDP – Nor- bert Hackbusch DIE LINKE: Keine Selbstkri- tik! Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Nun hat Herr Voet van Vormizeele das Wort.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Nicht mal ein Wort der Selbstkritik sagt die SPD! Kein einziges!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Hackbusch, die Gelegenheit zur Selbstkritik haben Sie gleich, und diese wäre mehr als angebracht.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Das ist wahrlich nicht die erste Debatte zu diesem Thema. Wir haben aufgeregte Diskussionen gehabt und Tage und Wochen erlebt, in denen diese Stadt aus vielerlei Gründen in Aufregung versetzt worden ist. Wenn wir irgendwann nach der Lösung der Probleme miteinander umgehen, dann sollten wir auch fragen, wer welche Rollen gespielt hat und uns selbstkritisch mit der Frage beschäftigen, inwieweit wir in der Politik Menschen gebrauchen, um Politik zu machen. Das ist das, was mich stört. Herr Dr. Dressel hat eben deutlich gesagt, dass es in diesem Verfahren immer wieder Momente gab, in denen man den Eindruck gewinnen konnte, dass es vielen Handelnden überhaupt nicht darum geht, die Schicksale dieser Menschen zu regeln,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Ihnen auf jeden Fall nicht!)

sondern darum, Politik zu machen. Sie haben Menschen missbraucht. Das finde ich zynisch und politisch ekelerregend.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Nachdem ich letzte Woche die Kirche deutlich kritisiert habe, freue ich mich darüber, dass die Bischöfin ihre Rolle überdacht hat. Wir bewegen uns langsam wieder auf dem Boden, auf dem wir uns die letzten sechs Monate bewegt haben.

Ich finde es ein wenig überraschend, verehrter Kollege Dr. Dressel, dass Sie einen Weg beschrieben und den Eindruck erweckt haben, jetzt etwas Neues zu machen. Ein rechtsstaatliches Verfahren war jedoch die Grundlage der letzten sechs Monate und ist in diesem Land immer gewährleistet. Das ist nichts Neues, sondern es war schon immer so, und das muss man auch nicht extra betonen.

(Beifall bei der CDU und bei Martina Kaes- bach FDP)

Sie haben eben angekündigt, dass der Innensenator das Verfahren noch einmal beschreiben wird. Er wird dasselbe beschreiben wie vor wenigen Wochen schon einmal auf diesem Podium. Wer in diesem Land den Eindruck erweckt, es gebe keine rechtsstaatlichen Verfahren und Schutzmomente für Flüchtlinge, der stellt etwas dar, was nicht so ist. Das muss klar gesagt werden.

(Beifall bei der CDU und bei Sabine Steppat SPD)

Ich will noch etwas zu der Art und Weise des Protests sagen. Ich habe hohen Respekt vor all den Menschen, die friedlich ihre Meinung äußern; sie können auch gern eine andere Meinung haben als ich oder die SPD-Fraktion und viele andere. Das gehört zu einer Demokratie, und das müssen wir alle aushalten. Was wir aber nicht aushalten müssen, ist Gewalt, und zwar brutale Gewalt gegen Menschen und Dinge, die nichts damit zu tun hat, dass man motiviert ist, den Flüchtlingen zu helfen. Man hat bewusst die Lage der Flüchtlinge ausgenutzt, um eigene Politik zu betreiben und andere Themen voranzutreiben. Dass sich das Gemeinwesen dieser Stadt nicht von Gewalt erpressen lässt, muss deutlich gesagt werden. Wir leben in einem Gemeinwesen mit einem Rechtsstaat, und ein Rechtsstaat hat sehr viel mit Gerechtigkeit zu tun.

Wir haben in diesem Land – auch das hat der Kollege Dressel angesprochen – dieses Jahr wahrscheinlich über 100 000 Flüchtlinge. Diese 100 000 Flüchtlinge haben alle eines gemeinsam, nämlich den Anspruch auf ein gemeinsames, gerechtes, rechtsstaatliches Verfahren. Es wird, kann und darf nicht sein, dass wir 300 Menschen einen anderen Status geben, nur weil einige PressureGroups meinen, mit Gewalt in dieser Stadt agieren zu können.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der SPD und bei Carl-Edgar Jarchow und Martina Kaesbach, beide FDP)

Wir werden als CDU-Fraktion, das haben wir mehrfach gesagt, den Senat in dieser Frage begleiten, wenn es darum geht, rechtsstaatliche Lösungen zu finden. Wir wollen humanitäre, aber auch klare rechtsstaatliche Lösungen, die niemanden bevorzugen oder benachteiligen. Wir erwarten vom Senat, dass er dort, wo Gewalt angewandt wird und wo die Proteste in Krawalle und Störungen der Grundlagen unseres Gemeinwesens ausarten, konsequent vorgeht. Wenn er das nicht tut, werden wir ihm in dieser Frage die rote Karte zeigen.

(Beifall bei der CDU)

(Dr. Andreas Dressel)

Nun bekommt Herr Kerstan das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ganz Europa diskutiert über die Not der Flüchtlinge, die furchtbaren Katastrophen im Mittelmeer und über Hunderte und Tausende von Flüchtlingen, die auf dem Weg, Europa erreichen zu wollen, jämmerlich ertrinken. In Europa findet eine Debatte statt, ob die europäische Flüchtlings- und Asylpolitik, die auf Abschottung setzt und manchen Menschen, die zu uns kommen wollen, keinen anderen Weg offenlässt, als sich Menschenhändlern auszuliefern und auf dem Meer ein schlimmes Schicksal zu erleiden, eigentlich richtig ist. Diese Politik hat als Hintergrund ein Prinzip: Wir wollen so viele Flüchtlinge nicht haben, und deshalb sind Hilfe und Humanität Fluchtanreize und führen dazu, dass mehr Menschen zu uns kommen. Das europäische Flüchtlings- und Asylrecht sieht vor, dass sich Hilfeleistende für Menschen, die nicht auf dem gesetzmäßigen Weg hergekommen sind, strafbar machen. Das Ergebnis dieser Politik sind viele Tausende von Menschen, die im Mittelmeer ertrinken.

Immer mehr Menschen in Europa sprechen darüber, ob diese Politik richtig ist und in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben, die sich solche Regeln gegeben hat. Diese Debatte findet auch in Deutschland und Hamburg statt. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger sagen, dass sie das ablehnen, betroffen und erschüttert sind und helfen wollen. Das ist die breite Solidarität für diese spezielle Gruppe, die das Leid im Bürgerkrieg in Libyen erlebt und die Flucht über das Mittelmeer überlebt hat, die schlimme Behandlung in Italien erfahren hat und in unserer Stadt gestrandet ist. Diese Bürgerinnen und Bürger und auch wir GRÜNE sagen, dass wir Humanität und Solidarität äußern müssen und dass die europäische Flüchtlingspolitik der Abschottung und Inhumanität gescheitert ist und geändert werden muss.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Diese gesellschaftliche Debatte, die, wie wir hoffen, zu Veränderungen führt – und es kann gut sein, dass es Veränderungen gibt –, muss in den Umgang des Hamburger Senats mit den Flüchtlingen, die in dieser Stadt gelandet sind, Eingang finden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)