Protocol of the Session on May 19, 2011

Meine Damen und Herren! Bekanntlich gilt seit dem 1. Mai 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gestattet es Bürgerinnen und Bürgern aus allen EU-Ländern

mit der Ausnahme von Bulgarien und Rumänien – einer Beschäftigung in Deutschland nachzugehen. Wir begrüßen es, dass die Grenzen Europas nicht nur für den Tourismus geöffnet werden, sondern auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Innerhalb der europäischen Grenzen soll sich jeder und jede selbst aussuchen können, wo man arbeiten will.

Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration geht davon aus, dass in den nächsten vier Jahren etwa 14 000 Arbeitskräfte den Weg nach Hamburg suchen werden. Wir haben gehofft, durch die Öffnung des Arbeitsmarktes die Chance zu bekommen, dem Fachkräftemangel entgegentreten zu können. Aber gleichzeitig wurde von einigen Seiten befürchtet, von den Arbeitskräften aus osteuropäischen Ländern überflutet zu werden. Die Welle ist ausgeblieben. In Hamburg herrscht noch Ebbe, was die Arbeitskräfte aus den neuen europäischen Ländern angeht. Der große Sturm ist ausgeblieben. Woran liegt das?

Diese Frage stellt sich gerade auch die schwarz-gelbe Regierung im Bundestag. Dabei hat sie sich die ganze Zeit mit Horrorszenarien beschäftigt und die Frist der Übergangsregelung bis zum letzten Tag ausgenutzt, anstatt sich Gedanken darüber zu machen, welche Chancen und Risiken die Öffnung des Arbeitsmarkts mit sich bringt und wie Deutschland dies zugunsten der Wirtschaft, der Arbeitsmigrantinnen und der einheimischen Arbeitskräfte gestalten kann.

Die Briten haben es richtig gemacht. Sie haben die Beitrittsmöglichkeit für die neuen Beitrittsländer ab dem ersten Tag ermöglicht und davon profitiert. Die Briten haben einen allgemeinen Mindestlohn eingeführt, die zugewanderten und einheimischen Beschäftigten von Anfang an vor Lohndumping geschützt und damit gleichzeitig die Unternehmer vor einem unfairen Wettbewerb geschützt.

Die Bundesregierung hat leider bisher nur für einzelne Branchen mit spezifischen Mindestlöhnen die Rahmenbedingungen für die Öffnung des Arbeitsmarkts geregelt. Die Erkenntnis ist gereift, dass es sich um eine Wettbewerbssituation handelt, die fair geregelt werden muss, und dass wir effektive Maßnahmen gegen Lohndumping schaffen müssen, um Ausweitungen des Niedriglohnsektors auszuschließen und die Ausbeutung von Arbeitskräften zu verhindern. Auch die CDU öffnet sich jetzt langsam für den gesetzlichen Mindestlohn, das begrüßen wir natürlich sehr. Sogar die Bundesarbeitsministerin betrachtet die Arbeitnehmerfreizügigkeit als eine große Chance. Allerdings haben wir durch dieses verspätete Bekenntnis den Wettbewerb um die besten Köpfe verloren, denn diejenigen, die freiwillig ausreisen, sind längst in anderen europäischen Ländern und haben dort einen Arbeitsplatz gefunden.

Bei Ihnen, liebe FDP, liegt es nicht daran, dass Sie gegen die Öffnung des Arbeitsmarkts sind, im Gegenteil. Sie waren und sind, was die Öffnung des Arbeitsmarkts angeht, immer noch für die weitestgehende Freizügigkeit auch über die EU-Grenzen hinaus. Aber wenn diese Freizügigkeit mit Sicherheit verbunden werden soll, dann blockieren Sie sofort. Aber wenn wir einen offenen Arbeitsmarkt fordern, brauchen wir auch soziale Stützen für einen fairen Wettbewerb, für faire Löhne und gleiche Rechte.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Sämtliche Studien haben bewiesen, dass der Mindestlohn keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Im Gegenteil, der Mindestlohn würde zu Milliardeneinnahmen für die öffentlichen Haushalte führen. Es geht darum, einen fairen Wettbewerb zu gestalten und Arbeitsmigrantinnen und einheimische Kräfte vor Lohndumping zu schützen, und das geht nur mit einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn.

Wir werden bei beiden Anträgen für eine Überweisung an den Sozialausschuss stimmen und finden auch beide Anträge inhaltlich gut. Nur leider gibt es bei dem SPD-Antrag einen Widerspruch, weil in dieser Entschließungsdrucksache, die im Bundesrat am 27. Mai zur Abstimmung kommt, unter Punkt 4 steht, dass eine flächendeckende mehrsprachige Beratungsstelle vorgeschrieben sei.

Sie fordern in Ihrem Antrag aber, dass erst einmal überprüft werden solle, ob dies in Hamburg nötig ist und in welchem Rahmen es gestaltet werden soll. Das ist widersprüchlich, aber trotzdem kann man es im Sozialausschuss ausführlich diskutieren. Wir werden der Überweisung zustimmen. – Danke schön.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Kluth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eingangs eine Bemerkung zu Ihrer Anmeldungsrede, Herr Kollege Hackbusch. Sie haben recht, wir haben heute mehr Leiharbeitsverhältnisse und befristete Arbeitsverhältnisse als früher. Sie haben auch recht damit, dass die Anzahl der Aufstocker zugenommen hat, aber alle drei Tatbestände sind nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass sich die Arbeitslosenzahl, von oben kommend, der Drei-Millionen-Grenze nähert und das ist ein Erfolg der Arbeitsmarktpolitik und nicht das Gegenteil.

(Beifall bei der FDP)

(Phyliss Demirel)

Nun zum eigentlichen Antrag. In diesem Jahr war der 1. Mai in der Tat ein Freudentag. Es war wirklich ein Tag der Arbeit und dieses Mal nicht nur eine Traditionsveranstaltung für Gewerkschaftsfunktionäre, Sozialdemokraten und Linke.

(Beifall bei der FDP – Heike Sudmann DIE LINKE: Das ist aber auch ein Freudentag!)

Warum? Weil wir seit dem 1. Mai dieses Jahres für acht osteuropäische Länder volle Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen. Die FDP begrüßt dies, wir sehen deutlich mehr Chancen als Risiken für den deutschen Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der FDP)

Auch in Hamburg haben wir einen wachsenden Bedarf an Fachkräften, sprechen Sie mit den Kammern, den Verbänden, der Wirtschaft oder den Personalabteilungen der Unternehmen. In vielen Branchen besteht bereits Vollbeschäftigung und wenn wir in Hamburg nicht die notwendigen Fachkräfte bekommen, dann können wir auch unsere Wachstumschancen nicht nutzen.

(Beifall bei der FDP)

Was wir dagegen nicht begrüßen, sondern für schädlich halten, ist das bewusste Schüren von Ängsten vor Zuwanderung. Wer das tut, handelt unverantwortlich.

(Beifall bei der FDP)

Das gilt insbesondere auch für die Behauptung, dass durch die Öffnung Dumpinglöhne eingeführt würden. Derlei Bedrohungsszenarien werden auch durch gebetsmühlenartiges Wiederholen nicht wahrer.

(Beifall bei der FDP)

Die Wahrheit lautet: Mindestlohndebatte war gestern, Fachkräftemangel ist heute. Darum brauchen wir keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn oder eine Erweiterung des Arbeitnehmerentsenderechts.

(Wolfgang Rose SPD: FDP-Logik!)

Erst recht brauchen wir keinen Überbietungswettbewerb von Politikern bezüglich der Höhe eines gesetzlichen Mindestlohns.

(Beifall bei der FDP)

Wir wollen ihn auch nicht, weil er keine Beschäftigung schafft, sondern gerade im Bereich der gering Qualifizierten Arbeitsplätze vernichten wird, und zwar insbesondere für Menschen, die nach langer Arbeitslosigkeit wieder eine Beschäftigung gefunden haben.

Im Übrigen sind es auch nicht die gering Qualifizierten, also die typischen Beschäftigten des Niedriglohnsektors, die ihre Heimatländer verlassen und im Ausland arbeiten wollen. Bei unseren europäischen Nachbarn, die ihre Arbeitsmärkte zu

Recht früher geöffnet haben, kann man heute genau das Gegenteil beobachten. Gerade junge, motivierte und gut ausgebildete Arbeitskräfte kommen und schaffen dann häufig sogar in einem zweiten Schritt zusätzliche neue Arbeitskräfte.

Zu Ihren Einzelforderungen: Die Interessenvertretung und die Beratung von Arbeitnehmern ist – darauf hat der Kollege Haufler mit Recht hingewiesen – die klassische Aufgabe von Arbeitnehmerorganisationen und Gewerkschaften. Hierzu brauchen wir keine neuen staatlichen Beratungsstellen.

(Beifall bei der FDP)

Wir halten es für pure Geldverschwendung, die Auswirkungen der seit dem 1. Mai 2011 geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit in 16 Einzelstudien für jedes Bundesland untersuchen zu lassen, anstatt dies einheitlich in einer bundesweiten Untersuchung zu tun, was aus unserer Sicht durchaus sinnvoll sein könnte.

Meine Damen und Herren! Die erweiterte Arbeitnehmerfreizügigkeit ist der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Wir brauchen wegen der guten Konjunktur und des demografischen Wandels zusätzliche Arbeitskräfte. Der Arbeitsmarkt kann diesen Zustrom verkraften, das zeigen nicht zuletzt auch die aktuellen Hamburger Arbeitsmarktzahlen. Daher basieren auch die Sorgen vieler Menschen, die neue Regelung gefährde ihre Arbeitsplätze, auf falschen oder unzureichenden Informationen.

Die FDP hält die erweiterte Arbeitnehmerfreizügigkeit daher für eine einmalige Chance für Deutschland und auch für Hamburg. Wir freuen uns auf junge, qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte aus den acht osteuropäischen Mitgliedsländern in Hamburg. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Herr Yildiz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Senator, ich hätte mich gefreut, wenn Sie vor mir geredet hätten, weil ich gerne gewusst hätte, was Sie dazu sagen, aber wenn Sie dem Antrag der SPD folgen, dann ist das schon ein Schritt in die richtige Richtung.

Herr Haufler – wo sitzen Sie denn? –,

(Heike Sudmann DIE LINKE: Außen rechts!)

Sie haben eine Menge Sachen gesagt, aber nichts zu den Bedürfnissen der Menschen. Der gleiche Fehler, der in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren gemacht worden ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird auch heute gemacht. Fast alle Reden basierten darauf, welche Möglichkeiten der Arbeitsmarkt hat, Arbeitskräfte zu bekommen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Max Frisch

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

hat einmal gesagt: "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen."

Es kommen Menschen hierher und diese Menschen haben Bedürfnisse. Sie haben Bedürfnisse nach Wohnen, sie bringen auch irgendwann ihre Familien mit, sie bringen die Kinder mit, und es geht darum, dass diese zur Kita oder in die Schule gehen können und so weiter. Unterstützung für diese Menschen ist nötig. Sie brauchen eine Beratung zu den vorhandenen Möglichkeiten in dieser Stadt, damit sie auch gesellschaftlich partizipieren können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich begrüße die Arbeitnehmerfreizügigkeit, weil ich zufällig mit sehr vielen Menschen zu tun gehabt habe, die durch diese EU-Osterweiterung in den letzten vier, fünf Jahren pervers ausgebeutet worden sind, ohne irgendwelche Rechte. Sie werden im Bereich des Wohnungsmarkts, nicht nur im Bereich des Arbeitsmarkts, sondern auch im Bereich Bildung und so weiter ausgegrenzt und diese Menschen haben sehr darunter gelitten. Ich begrüße deswegen den Schritt, dass diese Menschen hier arbeiten können, auch ohne irgendein Unternehmen anzumelden und selbstständig zu sein.

Es ist richtig, dass die Gewerkschaften eine größere Verantwortung haben, das bestreite ich nicht. Die Gewerkschaften übernehmen auch etwas, wenn Sie sich die Beratungsstelle "MigrAr" anschauen, was eigentlich unsere Aufgabe gewesen wäre. Sie unterstützen Menschen, die zwar Arbeit, aber keine Papiere haben, zu ihren Rechten zu gelangen, wenn sie nicht bezahlt oder unmenschlich behandelt werden. Dafür haben ver.di und der DGB diese Beratungsstelle geöffnet und wir müssen eigentlich dankbar dafür sein. Aber diese Menschen kommen zu uns und viele wissen erst einmal gar nicht, welche Möglichkeiten die Gewerkschaften haben.