Protocol of the Session on August 14, 2013

(Beifall bei der SPD und bei Klaus-Peter Hesse CDU und Carl-Edgar Jarchow FDP – Jens Kerstan GRÜNE: Das stimmt!)

Die Jugendlichen, um die es hier geht – wir haben es im verschwiegenen Teil gehört –, haben in der Regel eine mehrjährige Karriere von Entweichungen hinter sich. Sie sind außerhalb von Hamburg wieder aufgegriffen worden, wurden zurück in das Heim gebracht und sind wieder entwichen. In aller Regel haben sie bei den Entweichungen auch Straftaten begangen. Man muss sie also vor sich selbst schützen, denn wenn sie etwas Schlimmes tun, dann geht es ihnen richtig an den Kragen und wir bekommen sie nicht wieder zurück. Aber dieser Senat findet auch, dass man Bürgerinnen und Bürger vor bestimmten Jugendlichen schützen muss, die so aufgeladen sind, dass sie sich an Regeln nicht gewöhnen können und nicht daran halten können. Frau Siemering, die Leiterin des FIT, hat im Ausschuss ganz beeindruckend gesagt, dass es Jugendliche gäbe, die vor ihr säßen und sagen würden, sie solle ihnen doch einmal sagen, was eine Regel sei. Sie wüssten überhaupt nicht, was eine Regel ist. Um diesen Personenkreis handelt es sich. Und da finde ich schon, dass es eine ernsthaftere Debatte geben muss als die, die wir zurzeit erleben.

(Beifall bei der SPD – Christiane Schneider DIE LINKE: Was hat das mit Misshandlun- gen zu tun? – Jens Kerstan GRÜNE: Es geht um konkrete Misshandlungen!)

Jetzt komme ich auch dazu. Bleiben Sie doch mal ruhig, ich habe kein Blutdruckmedikament dabei.

(Senator Detlef Scheele)

Die Vorwürfe, die in den Zeitungen standen und bei denen wir auch nachgefragt haben, stammen nach dem, was mir vorliegt, aus der Zeit bis 2010. Da hat Herr Wersich als Sozialsenator so gehandelt, wie ich auch handeln würde. Er hat nämlich einen Belegungsstopp verfügt und über das Landesjugendamt Brandenburg Auflagen gegenüber der Haasenburg erwirkt. Das Landesjugendamt Brandenburg hat Auflagen verfügt und geprüft, ob sie eingehalten worden sind. Erst nachdem diese Auflagen eingehalten wurden, ist dort wieder belegt worden. Das war zunächst einmal ein ganz korrekter Vorgang. Dann haben wir gefragt, ob namentlich und zeitlich bekannte Vorwürfe aus der Zeit danach bis jetzt bekannt sind, die uns zwingen würden, jetzt Jugendliche über den Nicht-Belegungsbeschluss hinaus, den viele deutsche Großstädte und Länder getroffen haben, ich übrigens schon vor Brandenburg, zurückzuholen. Da wurde uns vom FIT berichtet, das zu diesem Zeitpunkt für zwölf Jugendliche zuständig war – die mussten nicht 250 Akten ziehen, die kannten sie nämlich selbst, weil sie alle vier Wochen da erscheinen und wöchentlich telefonieren –, dass sowohl vom Landesjugendamt Brandenburg als auch vom FIT kein Anlass gesehen werde, jetzt die Hamburger Jugendlichen zurückzuholen. So ist es mir vorgetragen worden und so haben wir auch ausführlich durch die Leiterin des FIT im Familien-, Kinderund Jugendausschuss berichtet. Frau Siemering hat zu jedem Fall, den Sie hinterfragt haben, ausführlich die Hilfesituation geschildert, wann wir zuletzt da waren und wann Telefonkontakt bestand. Es war alles mit Daten versehen und konnte beantwortet werden im verschwiegenen Teil. Ich finde, das muss man auch würdigen.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe eine Situation vorgefunden, in der eine Aufsichtskommission im Amt war oder doch nicht mehr im Amt war. Das konnten wir nicht aufklären, sie war nicht förmlich abberufen. Auch darüber haben wir im Ausschuss beraten. Wir haben uns dann an den damaligen Vorsitzenden der Aufsichtskommission, Professor Lindenberg, gewandt und gefragt, ob er denn meine, im Amt zu sein. Er meinte, ja. Dann haben wir das ordnungsgemäß beendet und ihn gefragt, ob er wieder Vorsitzender einer Aufsichtskommission werden wolle. Das wollte er erst, dann wollte er es nicht mehr. Wir haben jetzt eine Aufsichtskommission berufen – die Deputation hat es beschlossen, ich habe sie berufen –, die sich heute konstituiert hat. Diese Aufsichtskommission hat unangemeldet vollständig freien Zugang zur Haasenburg und zu den Jugendlichen. Und es war kein Problem, mit dem Träger und dem Landesjugendamt Brandenburg diese Verträge zu schließen, dass wir diese Kontroll-, Einsichts- und Eingriffsmöglichkeit haben. Damit, denke ich, habe ich sehr wohl gehandelt.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch einen letzten Satz sagen zu der Frage, was die Alternativen sind. Zunächst will ich mich den Vorrednern der anderen Fraktionen anschließen. Auch ich und der Hamburger Senat sind der Auffassung, dass als Ultima Ratio, als letzte Möglichkeit vor der Haft, geschlossene Unterbringung in einem kleinen Rahmen immer notwendig sein wird. 14 von 16 Bundesländern bringen Jugendliche in Brandenburg unter, weil es zurzeit generell nicht genügend Unterbringungsplätze in Deutschland gibt.

Und Hamburger Jugendliche, auch darauf hat jemand hingewiesen, werden in anderen Bundesländern und von anderen Trägern regelmäßig nicht genommen, denn sie müssen nicht aufnehmen, wenn wir anrufen und danach fragen. Die Hamburger Jugendlichen sind überdurchschnittlich alt und haben aufgrund des Alters eine überdurchschnittlich lange Karriere an Verfehlungen hinter sich. Freie Träger der Jugendhilfe nehmen nicht jeden, weil die Erfolgsaussichten mit diesen Kindern und Jugendlichen gering sind. Das will man sich nicht zumuten, das ist das Problem. Uns wurde von der AGFW gesagt, wenn die politische Diskussion so laut und schrill weiterginge, dann würden wir in Hamburg nie einen Träger finden, der mit uns einen Kontrakt zur Aufnahme so schwieriger Jugendlicher schließe, denn die Hilfeplan-Settings von Kindern mit so einer schweren Lebensgeschichte sei kein Zuckerschlecken. Wir müssten uns nicht wundern, warum kein Träger der AGFW etwas zu dieser Haasenburg sage. Es sage keiner etwas, weil sie wüssten, dass die Finger auf sie zurückzeigen würden und wir sagen würden, sie sollten uns doch bitte helfen und einen Träger- oder Kooperationsverbund gründen. Aber wir würden keine Partner finden, um einen Träger- und Kooperationsverbund gründen zu können, weil die Leute mit diesen Kindern und Jugendlichen nicht gern arbeiten wollten. Sie scheuten nämlich die öffentliche Aufregung darüber, wenn dort etwas vorfalle. Und es fällt in diesen Einrichtungen leider immer einmal etwas vor, weil die Lage extrem kompliziert ist.

Wir sind dabei, für die unter Zwölfjährigen – und ich bitte, das nicht zu diskriminieren – jetzt eine Lösung zu finden. Das haben wir damals nach dem Fall Jeremy verabredet, damit wir nicht wieder den Neukirchener Erziehungsverein mit einem Jugendhilfeträger aus Neuss nehmen müssen. Da stehen wir kurz vor dem Abschluss. Es ist uns aber auch dort gesagt worden, dass sie wieder aussteigen würden, wenn sie schon präventiv wegen eines merkwürdigen Hilfesettings, das man öffentlich skandalieren könne, angegriffen werden würden.

Ich bitte sehr, diese kleine Gruppe von 20 Jugendlichen so mit Bedeutung zu versehen, wie sie ist. Es muss ihnen gutgehen. Ihre Straftaten und Verfehlungen rechtfertigen niemals, dass sie schlecht behandelt werden, das hat auch nie jemand aus dem Senat oder von der SPD-Fraktion gesagt.

(Senator Detlef Scheele)

Aber es ist ein kleiner Kreis, es ist ein schwierig zu behandelnder Kreis, und wir sind dringend darauf angewiesen, dass wir in Ruhe mit geeigneten Trägern Lösungen finden. Für einen kleinen Teil der unter Zwölfjährigen haben wir sie jetzt, für den anderen Teil der Jugendlichen haben wir sie möglicherweise nicht.

Aber es sind alle eingeladen – auch die, die die Feuerbergstraße geschlossen haben und das hier nicht wollen –, Vorschläge einzureichen, wie es denn gehen soll. Die habe ich aber an dem ganzen langen Abend bei der hitzigen Stimmung im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss nicht gehört. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Frau Blömeke, Sie haben das Wort.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Fährst du jetzt mit nach Brandenburg oder nicht?)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Senator, im letzten Teil Ihrer Rede habe ich Sie das erste oder zweite Mal vernünftig zu diesem Thema sprechen hören.

(Karin Timmermann SPD: Das ist eine Frechheit! – Zurufe von der SPD)

Was haben Sie denn für ein Problem, wenn ich Ihren Senator lobe, dass er eine vernünftige Schlussrede gehalten hat?

(Sylvia Wowretzko SPD: Nehmen sie sich ihn doch mal als Vorbild!)

Ich möchte Ihnen durchaus zustimmen, dass es nicht einfach ist, Alternativen zur geschlossenen Unterbringung zu finden, dass es Zeit braucht, mit den Trägern Alternativen zu entwickeln, und dass wir in der Tat über eine kleine Gruppe von Jugendlichen reden. Es sind übrigens laut Ihrer Senatsantwort nicht 20, sondern durchschnittlich 10 bis 15 Jugendliche, für die wir über 1,6 Millionen Euro jährlich ausgeben. Das heißt, wir brauchen individuelle Lösungen für diese Jugendlichen. Das haben Sie gesagt und dem können wir durchaus beipflichten.

Wenn Sie nach den Alternativen fragen, dann kann ich Ihnen gern etwas dazu sagen. Wir haben schon 2005 und 2006 hier Fachgespräche geführt und einen kompletten Reader zu Alternativen zur geschlossenen Unterbringung erstellt.

(Sylvia Wowretzko SPD: Aber nicht umge- setzt!)

Den gebe ich gern einmal dem Senat, und dann können wir die Alternativen gemeinsam bewerten.

Es bleibt aber dennoch die Widersprüchlichkeit der Vorwürfe. Sie bleibt, denn Sie sagen, die Hambur

ger Minderjährigen hätten die Vorwürfe nicht bestätigt. Wir wissen aber von ihrem Anwalt und von den Aussagen der Jugendlichen selbst, dass sie sehr wohl ihre Vorwürfe bekräftigt haben. Wir hatten dasselbe Problem schon im Familienausschuss. Wir haben diese Widersprüchlichkeit, die im Moment hier im Raum steht und die wahrscheinlich keiner von uns auflösen kann. Sie sagen, es gäbe diese Vorwürfe nicht mehr. Die Jugendlichen selbst jedoch haben sie bekräftigt. Ihr Anwalt sagt, sie hätten ihre Vorwürfe aufrechterhalten. Und Fakt ist, dass alle drei Jugendlichen, die der Anwalt von Bracken vertreten hat, mittlerweile aus der Haasenburg mit Zustimmung des Familieninterventionsteams herauskommen werden, weil man die Einrichtung für sie als nicht mehr geeignet empfindet. Das heißt, jetzt ist man so weit zu sagen, für diese Jugendlichen ist die Haasenburg nicht die richtige Einrichtung. Ich denke, das tut man nur dann, wenn man weiß, dass an den Vorwürfen etwas dran ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Noch einmal zum Familienausschuss. Sie haben gesagt, im verschwiegenen Teil wäre es so ruhig gewesen. Warum war es da so ruhig? Weil Ihre Seite ausschließlich allein vortragen konnte, weil wir die Akten noch nicht eingesehen haben. Darin waren wir uns auch mit den anderen Fraktionen, zumindest mit der CDU, einig. Wir hörten von Ihnen die Darstellung der Behörde. Ich habe im Ausschuss deutlich gemacht, dass wir erst später komplett dazu Stellung nehmen können. Ob das so richtig ist, was Sie gesagt haben, werden wir den Akten entnehmen. Erst einmal habe ich es einfach angenommen und hingenommen. Deswegen war es natürlich ruhiger im Ausschuss.

Die Akteneinsicht ist in der Tat wichtig, genauso wichtig möglicherweise wie der Besuch in der Haasenburg. Dazu kann ich Ihnen die lustige Anekdote erzählen,

(Uwe Koßel SPD: Die wollen wir gar nicht hören!)

dass ich vor der Sommerpause selbst dort angefragt habe und der Pressesprecher von Professor Bernzen, Hinrich Bernzen, mir in einer E-Mail geschrieben hat, die ich Ihnen gern vorlegen kann, dass er nicht glaube, dass mein Besuch dort konstruktiv sein würde, weil ich ein Gegner der geschlossenen Unterbringung sei.

(Beifall bei der SPD und bei Klaus-Peter Hesse CDU)

Das heißt, mit Gegnern oder mit Menschen, die eine andere Meinung zur geschlossenen Unterbringung vertreten, will man dort nicht reden. Umso erfreuter war ich, dass ich jetzt mit darf, weil wir mit dem ganzen Ausschuss dort hinfahren. Das ist der Grund, warum vorher noch kein Besuch stattfand.

(Senator Detlef Scheele)

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Sowohl im öffentlichen als auch im nicht öffentlichen Teil des Familienausschusses war die Darstellung, die hier eben gerade gebracht wurde, etwas fragwürdig. Es sind Menschen verunglimpft worden im nicht öffentlichen Teil dieses Ausschusses, die selbst nicht anwesend waren und die selbst auch ihre Sicht der Dinge nicht darlegen konnten. Deswegen, Herr Senator, finde ich es nicht ganz richtig, dass Sie nun sagen, die Luft sei da raus gewesen und im verschwiegenen Teil sei allen deutlich geworden, dass sich alles gar nicht so zugetragen habe. Das ist bei Weitem nicht der Fall.

(Wolfhard Ploog CDU: Natürlich!)

Wir sind immer noch davon überzeugt, dass es nicht angehen kann, dass so viele Jugendliche aus verschiedenen Bundesländern, die zu unterschiedlichen Zeiten in der Haasenburg waren, nahezu ähnliche Vorwürfe erheben. Auch wenn diese Vorwürfe noch nicht bestätigt sind, hätten sie doch ein sofortiges Handeln erfordert. Sie sagen, Sie seien aktiv geworden und hätten in unserer Sondersitzung geredet. Aber bis dahin sind über acht Monate vergangen. Die Sondersitzung war Mitte Juli. Das war das erste Mal, dass Sie sich öffentlich geäußert haben, neben einer Pressemitteilung. Und das ist einfach zu wenig gewesen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Ich will noch eine Sache kurz richtigstellen, weil Herr Eisold und der Senator sagten, es seien vorwiegend ältere Jugendliche in der Maßnahme, die man hiermit vor der Untersuchungshaft retten würde. Das ist nicht unbedingt der Fall. Die jüngsten Kinder, die dort sind, sind zehn Jahre alt. Es geht hier auch nicht um Jugendliche, die eine jugendgerichtliche Unterbringung haben, sondern es geht in der Tat um eine Maßnahme der Jugendhilfe, bei der es eine Hälfte von Jugendlichen gibt, die Intensivtäter sind. Laut unserer Anfrage gibt es aber eine andere Hälfte, die vielleicht nur – in Anführungsanzeichen – Schulschwänzer waren oder ähnliche Dinge verbockt haben.

(Finn-Ole Ritter FDP: Ja, genau!)

Auf jeden Fall sind sie nicht die Intensivtäter, wie der Senator alle Jugendlichen dort beschreibt. Ich glaube, dass wir noch viel zu diskutieren und zu untersuchen haben, und das werden wir jetzt mit der Akteneinsicht auch beginnen. Ich bin dankbar, dass alle vier Oppositionsfraktionen das tun werden.

Im Gefängnis würden diese Maßnahmen, die jetzt in der Haasenburg als Vorwurf im Raum stehen, längst geahndet und längst verboten sein. Ich glaube, da wäre mein Kollege, Herr Müller, schon dreimal auf Zinne, wenn so etwas mit Gefangenen passieren würde. Deswegen ist es erst recht eine

Schande, wenn sich irgendetwas von den Vorwürfen bestätigen würde.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, dann kommen wir zur Abstimmung. Hierzu hat mir die Abgeordnete Martina Kaesbach mitgeteilt, dass sie an der Abstimmung nicht teilnehmen wird.

Wer stimmt nun einer Überweisung der Drucksache 20/8446 an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Vonseiten der CDU-Fraktion ist hierzu eine ziffernweise Abstimmung beantragt worden.