Protocol of the Session on May 29, 2013

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

weil die Situation dieser Flüchtlinge durchaus etwas mit Hamburg zu tun hat. Sie hat vor allem etwas mit der europäischen Asylregelung zu tun, und

(Kai Voet van Vormizeele)

sie hat auch etwas damit zu tun, dass niemand sich dieses Themas ernsthaft annehmen will.

Es ist keine Lösung, die Flüchtlinge nach Italien zurückzuschicken, wenn es keine Änderung des italienischen Verhaltens im Umgang mit den Flüchtlingen gibt, Herr van Vormizeele.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Von daher darf man das hier auch nicht so laut sagen, ebenso wenig, wie man nicht so laut sagen darf, dass es für alle Flüchtlinge einen Aufenthalt in Deutschland geben wird; das wäre genauso fahrlässig. Nur ist die Frage, was Hamburg eigentlich macht. Welche Angebote gibt es denn vom Senat? Wenn man sich einmal anschaut, was in den letzten mehr als zehn Wochen gelaufen ist, dann hat es Mitte April für vier Tage eine, wie es immer so schön heißt, zielgruppenorientierte Beratung im Pik As gegeben. Das war es an Angebot für die Flüchtlinge, die ursprünglich aus Libyen gekommen sind. Die Aufgabe, die das Flüchtlingszentrum bekommen hat, hieß: Kümmern Sie sich darum. Inzwischen gibt es ein Hin und Her, ob die Diakonie zuständig ist oder das Flüchtlingszentrum, und mit den Flüchtlingen selber hat bis vorgestern niemand gesprochen. Wenn niemand spricht und alle sich wegducken, dann ist das nicht ausreichend.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Auch die Tatsache, dass Menschen bei diesem Regenwetter seit nunmehr sieben Wochen ohne Unterkunft sind und erst jetzt, wo öffentlich diskutiert wird, seit zwei Wochen intensiv Gespräche mit der Kirche, mit Einrichtungen und löblicherweise auch mit dem Senat geführt werden, ist doch ein Armutszeugnis. Sie wissen seit Anfang März, dass dieses Thema auf uns zukommen wird, weil klar war, dass das Winternotprogramm im April ausläuft. Es hätte in dieser Stadt also längst eine Lösung geben müssen für diese Menschen.

Das Verknüpfen mit der Suche nach Plätzen in einer öffentlichen Unterbringung auch für andere Flüchtlingsströme finde ich völlig unangemessen,

(Beifall bei Phyliss Demirel GRÜNE)

weil das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun hat.

Sie sprechen von Hilfsangeboten und appellieren an die Solidargemeinschaft. Liebe Kollegin, wir müssen schlicht und einfach eine Entscheidung treffen. Wenn das in diesem Fall nichts anderes als die Entscheidung für das Aufstellen von Zelten gewesen wäre,

(Ksenija Bekeris SPD: Wer hier wohl selbst- gerecht ist, also wirklich!)

dann wären die Menschen schon seit sechs Wochen aus dem Regen heraus.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Kaesbach hat das Wort.

Sehr geehrter Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man mit den Flüchtlingen aus Libyen, Nigeria, Togo oder Ghana – denn auch daher kommen sie – spricht, dann erklären diese: Wir wollten unser Land nicht verlassen, uns ging es dort gut. Sie berichten, dass sie in Italien arbeiten wollten, aber man ließ sie nicht, man wies sie hinaus. Eines muss man sich bei diesem Thema vor Augen führen: Die libyschen Flüchtlinge haben ihr Schicksal nicht gewollt. Man mag den Nato-Militäreinsatz 2011 in Libyen und vor allem dessen Motivationslage beurteilen wie man will, die Folgen für die Bevölkerung sind erheblich.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und verein- zelt bei den GRÜNEN)

Das Land befindet sich noch im Aufbau. Im Juli letzten Jahres wurde ein allgemeiner Nationalkongress gewählt. Teile des Landes sollen noch unter der Gewalt von Milizen sein. Das Auswärtige Amt hat Libyen für Touristen als Gefahrenland deklariert. Insofern kann man sich darüber streiten, ob eine Abschiebung im humanitären Sinne akzeptabel wäre. Italien hat die Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen und ihnen nicht nur ein Aufenthaltsrecht gewährt, sondern, wie wir hörten und lasen, ihnen auch sogenannte Fremdpässe ausgehändigt, mit denen sie sich im gesamten Schengener Raum aufhalten können. Die Flüchtlinge berichten, dass sie in Italien in temporären Unterbringungen untergebracht waren, bis diese einfach geschlossen wurden. Sie bekamen 500 Euro in die Hand gedrückt und wurden in den Norden geschickt; Letzteres dementiert die italienische Regierung aktuell. Wenn Italien aber tatsächlich eine Weiterleitung der Flüchtlinge in den Schengener Raum betrieben hat, dann ist das ein Skandal, um Herrn van Vormizeeles Worte zu wiederholen. Nach dem Dubliner Abkommen ist bekanntlich der Mitgliedsstaat, der die Aufenthaltserlaubnis erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Etwa 250 afrikanische Flüchtlinge sollen im Februar nach Hamburg gekommen sein. Sie fanden im Winternotprogramm ein Dach über dem Kopf. Seitdem das Winternotprogramm am 15. April seine Tore geschlossen hat, leben sie auf der Straße. Viele wurden aufgrund der schlechten Witterung krank. An dieser Stelle muss grundsätzlich festgestellt werden: Dubliner Abkommen, Schengen und Italien hin oder her, die Flüchtlinge dürfen nicht zum Spielball der Politik werden.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)

Mit den Flüchtlingen kam die Not nach Hamburg, und damit ist es nicht nur die Not der Flüchtlinge,

(Antje Möller)

sondern auch Hamburgs Not. Völlig verwunderlich ist der Umstand, dass der Senat – Frau Möller hat es eben benannt – vor zwei Wochen in seiner Antwort auf meine Schriftliche Kleine Anfrage behauptet hat, ihm lägen keine konkreten Erkenntnisse von einer starken Häufung von Personen, die im Innenstadtbereich übernachten, vor. Das legt nun wirklich die Vermutung nahe, dass der Senat solchen Zuständen mit dem Motto begegnet: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Da müssten offenbar die afrikanischen Flüchtlinge aus lauter Verzweiflung erst an der Kurt-Schumacher-Allee ein Zelt aufbauen und das Rathaus stürmen, ehe der Senat sich regt. Das ist absolut inakzeptabel.

(Beifall bei der FDP, den GRÜNEN und der LINKEN)

Es kann nicht sein, dass der NDR am 7. Mai eine große Gruppe afrikanischer Flüchtlinge findet, interviewt, detailliert berichtet, und der Senat eine Woche später erklärt, er wisse von nichts.

Wir leben in einem Industrieland, in dem kein Mensch auf der Straße leben muss. Inzwischen halten die Afrikaner mit Unterstützung des Vereins KARAWANE eine ständige Mahnwache am Hauptbahnhof. Die Kirche bemüht sich offenbar um Hilfe. Wir wissen, dass es derzeit mit den Plätzen der öffentlichen Unterbringung sehr schlecht bestellt ist, das muss ich an dieser Stelle auch sagen, und da stimme ich mit Ihnen, Frau Möller, nicht überein.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Dann stimmen Sie mal in den Bezirken überall zu!)

Diese Themen haben sehr wohl miteinander zu tun. Der Senat steht derzeit bekanntlich mit der Suche nach Flächen für die Unterbringung von Zuwanderern und Obdachlosen vor einer sehr großen Herausforderung. Laut "Hamburg Journal" vom 23. Mai sind alle öffentlichen Wohnunterkünfte belegt. Es soll lange Wartelisten von obdachlosen Menschen geben. Trotzdem ist dies kein Grund, die Augen zu verschließen, wenn sich eine Gruppe notleidender Menschen vor der eigenen Tür aufhält. Es reicht eben nicht, die Menschen auf Italien zu verweisen und ihnen ein Bahnticket spendieren zu wollen. Nein, Senator Scheele, suchen Sie gemeinsam mit den Flüchtlingsverbänden, der Kirche und anderen Verbänden nach Möglichkeiten, die afrikanischen Flüchtlinge über einen vorübergehenden Notbehelf unterzubringen. Gehen Sie mit den Bundesbehörden und den italienischen Behörden ins Gespräch darüber, in welcher Weise die Rückkehr dieser Flüchtlinge nach Italien zu organisieren ist und wie Sorge getragen werden kann, dass sie in Italien auch menschenwürdig unterkommen. Handeln Sie jetzt. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort hat Senator Scheele.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hier ist vieles Richtige gesagt worden, aber es ist auch über viele Dinge geredet worden, die – leider, will ich sagen – schlichtweg nicht gehen. Und ich glaube, dass zumindest Regierungsmitglieder gut beraten sind, wenn sie sich an Recht und Gesetz halten, weil nur Recht und Gesetz in Hamburg und im Bund wirkliche Perspektiven bieten und Pfade eröffnen, die man beschreiten und über die man im Zweifel auch Geld bewegen kann.

Ich bin wie Frau Kaesbach der Auffassung, dass das Thema Flüchtlinge kein Thema für das politische Ränkespiel zwischen den Parteien sein sollte. Deshalb haben wir uns sehr, sehr zurückhaltend zu all diesen Themen geäußert, bis wir etwas sagen können. Nicht einmal heute können wir alles sagen, weil es schwerer ist, als viele in diesem Hause denken, Flächen zu finden. Lassen Sie mich vorab auf Einiges hinweisen.

Erstens: Hier redet heute der Sozialsenator und nicht mein Kollege Neumann, weil es ein humanitäres Problem gibt. Wir haben uns abgestimmt, wir vertreten die gleiche Position, aber es redet ausdrücklich der Sozialsenator.

(Zuruf von der CDU: Das verstehe ich nicht!)

Das macht nichts.

Zweitens: Die Flüchtlinge sind, soweit wir wissen, afrikanische Wanderarbeitnehmer, die vor so und so vielen Jahren nach Libyen gekommen sind, dort gearbeitet haben und mit dem libyschen Frühling, der Revolution und dem Abdanken von Gaddafi in Libyen offensichtlich keine Perspektive mehr gesehen haben und auch nicht zurückgegangen sind in ihre Heimatländer, sondern den beschwerlichen Weg über das Mittelmeer genommen haben und in Italien gelandet sind.

Wie das europäische Asylrecht funktioniert, ist mehrfach gesagt worden. Italien hat die Außengrenzen und ist ein sicheres Drittland. Dort muss das Verfahren abgewickelt werden. Italien hat seine Flüchtlingsunterkünfte geschlossen und Passersatzpapiere ausgestellt, mit denen man sich drei Monate im Schengen-Raum bewegen kann. Wir sind im Gespräch. Sie werden sich vorstellen können, dass die Regierung im Gespräch mit der italienischen Regierung ist, aber wir sprechen nicht jeden Tag darüber, das werden Sie auch verstehen. Wir sprechen mit dem Bundesinnenministerium, und Wolfgang Schmidt, unser Bevollmächtigter, spricht mit dem Botschafter. Die Situation heute ist Folgende: Bevor man laut schreit, dass die italienische Regierung den Menschen 500 Euro in die Hand gedrückt habe, damit sie nach Deutsch

(Martina Kaesbach)

land fahren, muss man mit der Regierung sprechen.

(Zuruf von Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Ich bin aber ein Regierungsmitglied, Herr Yildiz.

(Zurufe von Dr. Andreas Dressel SPD, Chris- tiane Schneider und Mehmet Yildiz, beide DIE LINKE)

Ich versuche es doch gerade zu erklären.

Die italienische Regierung ist mit der Bundesregierung im Gespräch und dort wird gesagt: Wir haben im Einzelfall 500 Euro gezahlt, aber nicht mit der Zielsetzung, unbedingt außer Landes zu gehen, sondern das innerhalb Italiens auszugeben. Ich zitiere nur, was uns gesagt wird, und das muss man erst einmal hinnehmen.

Zweitens verfügen Italien und die Bundesrepublik über eine regierungsübergreifende Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene in Berlin, die die Rückführung von Menschen, die Italien mit diesen Ersatzpapieren verlassen haben, nach Italien organisiert, sodass wir in der Tat einen Link in Richtung Italien haben, wie eine geordnete Aufnahme dort stattfinden kann. Ich habe in den Diskussionsbeiträgen nicht gehört, dass jemand gesagt hat, unter den gegenwärtigen rechtlichen Bedingungen habe jemand ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Deshalb muss man sich mit der italienischen Regierung darum kümmern, dass es dort eine vernünftige Form der Einmündung gibt, wo zumindest eine Arbeitserlaubnis besteht. Ich weiß, dass es schwer ist. Aber hier ist es auch schwer, und ohne Deutschkenntnisse und Arbeitserlaubnis ist es unmöglich.

Deshalb werden wir uns gemeinsam mit der Kirche, der Diakonie und dem Flüchtlingszentrum, mit denen wir seit Langem im Gespräch sind – wir tun etwas, aber reden nicht immer darüber –, darum bemühen, unter vernünftigen Bedingungen zu einer geordneten Form der Rückreise dorthin zu kommen, wo zurzeit aus unserer Sicht die rechtlichen, aber auch die tatsächlichen Bedingungen, auch wenn sie schwer sind – das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen –, zumindest besser sind als hier.

(Beifall bei der SPD)

Der Senat verkennt nicht, dass das Leben auf der Straße unbarmherzig ist. Gerade in diesem Mai war es das, es hat ununterbrochen geregnet. Die Forderung nach Zelten habe ich immer abgelehnt, denn man kann gegenwärtig in Hamburg nicht mehrere Hundert Menschen auf Wiesen unterbringen. Das geht leider nicht, denn die Wiesen sind in einem Zustand, in dem es einfach nicht geht. Sonst wäre das vielleicht ein Weg gewesen, aber das ist faktisch völlig unmöglich.