Protocol of the Session on May 16, 2013

und als eine für sie logische Konsequenz Paul von Hindenburg die hamburgische Ehrenbürgerwürde aberkennen. Das aber ist ein Widerspruch in sich. Kontextualisieren meint nämlich, das Handeln vergangener Generationen nachzuvollziehen, die Gründe etwa, warum vor 96 Jahren Senat und Bürgerschaft dem 70-jährigen Generalfeldmarschall die Hamburger Ehrenbürgerwürde antrugen. Entweder wir betrachten die Geschehnisse in ihrer Zeit oder wir legen den moralischen Maßstab von 2013 an.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Oh nee, das darf doch nicht wahr sein!)

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

In den letzten beiden Jahrhunderten ist insgesamt 36 Männern und Frauen die Ehrenbürgerwürde Hamburgs angetragen worden. Gleich die erste Verleihung 1813 war eine herbe Enttäuschung für die Hamburger. Baron von Tettenborn, übrigens kein russischer, sondern ein badischer General in russischen Diensten, wurde von der Bevölkerung als Befreier von den napoleonischen Truppen begrüßt. Tettenborn forderte und erhielt das Ehrenbürgerdiplom und viel Gold.

Ist es politische Korrektheit oder Nicht-Wissen, wenn die GRÜNEN in diesem Zusammenhang bloß von "der Fremdherrschaft" sprechen und dabei verschweigen, dass es die französische Besatzung war, die damals die Hamburger knechtete? Tettenborn jedenfalls ließ Hamburg kurz darauf wieder im Stich, er überließ es wieder den Franzosen. Und trotzdem haben die Hamburger die Verleihung an den General später nicht wieder rückgängig gemacht.

Was meinen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, in Ihrem Antrag eigentlich mit dem Satz, es müssten Empfehlungen erarbeitet werden, "welche der Ehrenbürgerschaften Hamburgs nicht mehr aktiv geführt werden sollten"?

(Anja Hajduk GRÜNE: Ist doch nicht so schwer zu verstehen! – Jens Kerstan GRÜ- NE: Wenn Sie sich mit dem Thema beschäf- tigen würden, wüssten Sie es!)

Aktiv geführt? 30 von 36 Ehrenbürgern sind längst tot. Was meinen Sie mit dem Satz:

"…[Es] wurden einige Ehrenbürgerrechte verliehen, die mit den heutigen Werten […] nicht mehr kongruent sind."?

Rechte, Ehrenbürgerrechte nicht mehr kongruent? Das ist doch wirklich der Schnellschuss, von dem die Kollegin Fegebank gesprochen hat. Da wurde doch mit allzu heißer Nadel gestrickt. Es sollte wohl die Schlagzeile "Hitler" wieder für Aufmerksamkeit sorgen. Es tut mir leid, aber Ihr Antrag ist nicht nur, aber in Teilen historisch fehlerhaft. Allein das wäre schon ein Grund, ihn abzulehnen.

Verstehen wir das Verzeichnis der hamburgischen Ehrenbürger doch als ein historisches Dokument,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Wirklich peinlich! – Zurufe von den GRÜNEN)

als ein Zeugnis, wie jeweilige Generationen meinten, Menschen auszuzeichnen. Ein Narbenbuch, so nennt es der Historiker Martin Sabrow, ein Gedächtnisraum, so meine ich. In diesem Gedächtnisraum versammeln sich die napoleonische Besatzungszeit Hamburgs, der Große Brand von 1842, das Kaiserreich, der Erste Weltkrieg, das NS-Unrechtsregime, aber vor allem das demokratische Deutschland mit all seinen Brüchen. Wir sollten dazu stehen und daher auch die Zählung wieder berichtigen, denn es sind 36, nicht 34 Verleihungen gewesen. Nummer 16 war Adolf Hitler 1933, Nummer 17 Hermann Göring 1937.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das müs- sen Sie im Kontext seiner Zeit betrachten!)

So zu tun, als hätte es diese Verleihungen nicht gegeben, hieße hier, die Geschichte zu verfälschen. Es ist in der Geschichte der hamburgischen Ehrenbürgerschaften zu diesen zwei, und eben nur zu diesen zwei Aberkennungen gekommen. Hitler war knapp einen Monat tot, Göring noch am Leben und in Haft, als Bürgermeister Rudolf Petersen beiden Kriegsverbrechern die Ehrenbürgerschaft entzog.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Völker- mörder!)

Das war im Juni 1945, da waberte noch der Hitler-Geist in vielen Köpfen. Da hörte ein Ralph Giordano in Hamburg immer noch, Juden seien an allem schuld. Es war daher ein notwendiges, wichti

(Katharina Fegebank)

ges politisches Signal. Diese Aberkennungen waren zum damaligen Zeitpunkt richtig.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der FDP – Jens Kerstan GRÜNE: Aber heute nicht mehr?)

Heute etwa den Namen Hindenburg zu tilgen, hieße, die Dimension der Verbrechen, die während der NS-Diktatur begangen wurden, zu relativieren.

(Zurufe von den GRÜNEN – Anja Hajduk GRÜNE: Quatsch!)

Das Ausmaß dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist einzigartig und unvergleichlich. Das wollen Sie doch nicht bestreiten, liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN und der LINKEN?

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP)

Der 85-jährige Reichspräsident war Steigbügelhalter Hitlers. Er hat das Ermächtigungsgesetz unterschrieben. Das wissen wir nicht erst seit der jüngsten Biografie von Wolfram Pyta. Doch Hindenburg ist nicht Hitler. Zwischen Hindenburg und Hitler ist eben immer noch eine Trennlinie zu ziehen.

Den Antrag der GRÜNEN werden wir daher ablehnen. Dennoch ist bei allem Dissens um Hindenburg zu begrüßen, dass wir uns gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg zu einem Antrag zu den Hamburgischen Ehrenbürgerschaften entschließen konnten und ihn auf den Weg gebracht haben.

"Hamburg erinnert sich 2013", so lautet das Motto der diesjährigen Gedenkveranstaltungen, und das wollen wir mit den Ehrenbürgerschaften denn künftig auch tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP)

Das Wort hat Herr Warnholz.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ehemals verliehenen Ehrenbürgerschaften unserer Stadt sind Teil der Geschichte Hamburgs. Als Parlamentarier sind wir gehalten, an die Bewertung der Geschichte der Stadt den gleichen Maßstab anzulegen, mit dem wir in diesem Saal auch andere Sachverhalte und Entscheidungen messen. Daher sind wir verpflichtet, differenziert und unaufgeregt an die Wertung des Wirkens von Paul von Hindenburg heranzugehen.

Paul von Hindenburg hat aufgrund seiner militärischen Erfolge im Krieg gegen Russland im Jahre 1917 – ich wiederhole: 1917 – von der Stadt Hamburg die Ehrenbürgerschaft erhalten.

(Gerhard Lein SPD: Der Griff nach der Welt- macht!)

Von Bedeutung ist der Zeitpunkt der Verleihung der Ehrenbürgerschaft. Deutschland befand sich im Krieg, im Westen wurden Generationen junger Menschen aus allen erdenklichen Ländern geopfert. Der Krieg führte zu Versorgungsengpässen, auch für die Zivilbevölkerung, und spaltete in der politischen Debatte unsere, die deutsche Nation. Deutschland war ohne eine im Volk anerkannte politische Führung, und das nach der Verfassung ernannte Staatsoberhaupt, der Kaiser, war intellektuell außerstande, die Funktionen des Staatsoberhauptes auszufüllen. Da wirkte dann der militärische Erfolg des Paul von Hindenburg vor den Toren Ostpreußens als einheits- und identitätsstiftend. Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde im Jahre 1917 sollte daher unter diesen Umständen gewürdigt werden. In den Jahren danach konnte die deutsche Bevölkerung Teller, Gläser, Bestecke, Wandschmuck und andere Haushaltsgegenstände mit dem Abbild Hindenburgs erwerben. Er wurde verehrt. Es gab also einen richtigen Hype um das Wirken dieses heute umstrittenen Mannes.

Das Wirken als Reichspräsident, insbesondere die zweite Amtszeit, wird auch heute sehr kontrovers diskutiert. Bis heute, verehrte Frau Fegebank, ist sich die Geschichtswissenschaft uneins darüber, welche Motive die Entscheidungen Hindenburgs in den Tagen des Januar 1933 getragen haben. Hindenburg ist sicherlich kein lupenreiner Demokrat nach unserer heutigen Sichtweise gewesen.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der LIN- KEN)

Ja, man muss auch selbstkritisch sein.

Als Mitglied des Generalstabs der Armee und Mitglied des Landadels hätte er sich wohl eher eine parlamentarische Monarchie gewünscht. Die überwiegende Meinung in der Literatur bescheinigt Hindenburg aber eine Treue zur Weimarer Verfassung, die die Befugnisse nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung dem Reichspräsidenten möglicherweise doch eröffnen. Diese hat er beispielsweise für sich nie – ich wiederhole: nie – in Anspruch genommen. Er hat sich an die Regeln der Verfassung gehalten, und das ist weitgehend Konsens in der Diskussion.

Auch seine Herkunft und seine Erziehung schließen eine Nähe zu Nationalsozialisten eher aus. Bis heute ist sich die Geschichtswissenschaft uneins darüber, welche Motive die Entscheidungen Hindenburgs in den Tagen des Januar 1933 getragen haben, eine Regierung unter dem Reichskanzler Hitler zu ernennen. Solange die Geschichtswissenschaft weiter forscht, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir als Parlament keine übereilten oder gar von Emotionen getragenen Entscheidungen treffen.

(Beifall bei der CDU)

(Dr. Loretana de Libero)

Die im Jahre 1917 verliehene Ehrenbürgerschaft ist von anderen Motiven getragen als die an Hindenburg verliehenen Ehrenwürden im Jahre 1933 in anderen Städten. Daher haben Städte wie Bremen, Hannover, Lübeck, Essen oder Bochum – die Liste ließe sich die ganze Nacht weiter fortführen – Paul von Hindenburg die in den Jahren 1915 – ich wiederhole: 1915 – bis 1917 verliehenen Ehrenbürgerwürden nicht aberkannt. In diesen Städten, liebe Kolleginnen und Kollegen, die wohl nicht verdächtig sind, rechtskonservativ regiert zu werden, wird die Ehrenbürgerwürde Hindenburgs offen und differenziert geführt. Das sollte auch der Maßstab unseres Handelns in diesem Parlament sein.

(Beifall bei der CDU)

Daher ist der Antrag der GRÜNEN in der Sache falsch. Der Antrag ist getragen von Vorurteilen und einem rein politischen und einseitigen Geschichtsverständnis.

Der Antrag der anderen Fraktionen in der Drucksache 20/7755 stellt uns als Parlament vor die schwierige Aufgabe, jeweils neu auf die Geschichtsschreibung zu reagieren. Die Stadt beteiligt sich daher an der öffentlichen Diskussion über das Wirken der Ehrenbürger unserer Stadt und deren Würdigung in der geschichtlichen Aufarbeitung. Diese Aufarbeitung ist ein laufender Prozess, wie hier im Falle Hindenburg zu erkennen ist. Es ist auch ein Prozess, der längst nicht abgeschlossen ist. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Dr. Schinnenburg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es wurde schon deutlich, dass es hierbei maßgeblich um die Zeit Anfang des Jahres 1933 geht. Es ist für einen liberalen Politiker nicht einfach, über diese Zeit zu sprechen. Wir erinnern uns an das Ermächtigungsgesetz. Es gab einen mutigen Otto Wels, der dagegen sprach, es gab eine tapfere SPD-Fraktion im Reichstag, die dagegen stimmte, und es gab zwei liberale Parteien, die DVP und die Deutsche Staatspartei, die, leider, dafür stimmten. Es ist mir, ehrlich gesagt, bis heute peinlich, dass unsere Vorgänger-Parteien so abgestimmt haben.

(Beifall bei Dr. Melanie Leonhard und Sören Schumacher, beide SPD)

Ich hoffe – ich nehme an, das tun Sie auch –, dass es nie wieder eine solche Prüfung für deutsche Abgeordnete geben wird, vor einer solchen Entscheidung zu stehen. Sollte sie kommen, hoffe ich, dass dann die liberale Partei besser entscheiden wird, als sie es 1933 getan hat.

Zum Thema. Was sind die Kriterien für eine Ehrenbürgerschaft in Hamburg? Ich habe mir die Anträge des Senats auf Verleihung der Ehrenbürgerschaft der letzten 15 Jahre durchgelesen. Da steht immer als Kriterium der Satz, dass die jeweilige Person sich um unser Land und unsere Stadt verdient gemacht habe. Das ist ein sehr weiter Begriff. Man kann sehr viel darunter verstehen, was es heißt, sich um das Land und um die Stadt verdient gemacht zu haben.