"Der Besuch wird nicht bleiben, er hat in seiner Heimat auch seine Verpflichtungen. Wenn er […] zurückkehrt, wird er voller Stolz erzählen, wie weit und frei dieses Deutschland ist, das er gesehen hat."
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Demirel, Ihre Rede hat deutlich gemacht, dass wir uns in einem Gestrüpp aus EU-Bestimmungen, Bundesgesetzen und Möglichkeiten befinden, die wir vielleicht in Hamburg regeln könnten. Das alles hier im Einzelnen auszudiskutieren, ginge deutlich zu weit. Nur ein Beispiel: Die Richtlinie 2004/38/EG, die Sie mehrfach angeführt haben, bezieht sich unserer Überzeugung nach nicht auf Besucherinnen und Besucher von hier lebenden Menschen, sondern sie bezieht sich auf den Nachzug von Familienangehörigen; das ist nicht dasselbe. Selbstverständlich sollte man Besuche, die einfach nur dem zwischenmenschlichen Kontakt dienen, fördern und nicht erschweren; wir sind hier gar nicht weit weg von Ihnen. Wir sollten im Ausschuss klären und auseinanderklamüsern, was EU-Recht ist, was eher auf Bundesebene zu geschehen hat und was Hamburg im Einzelnen tun könnte. Das können wir nicht hier machen. Von daher überweisen wir Ihren Antrag dorthin.
Herr Präsident! Zu den rechtlichen Aspekten hat der Kollege Dr. Schäfer einiges gesagt. Ich habe den Eindruck,
dass viele der angeführten angeblich rechtlichen Notwendigkeiten schlichtweg nicht stimmen; Sie haben vieles falsch verstanden. Sie haben auch vieles von der diesbezüglichen aktuellen Rechtsprechung definitiv falsch verstanden. Ich will für meine Fraktion deutlich machen, auch wenn die Mehrheitsfraktion eben schon die Überweisung des Antrags angekündigt hat, dass wir einer weiteren Ausweitung der Visapflicht sehr skeptisch gegenüberstehen. Gerade was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, als einige Länder aus der Visapflicht herausgefallen sind, lässt uns ausgesprochen zurückhaltend sein. Wir haben viele Probleme, die durch diese veränderten Visapflichten entstanden sind. Wir werden grundsätzlich nicht bereit sein, hier eine weitere Ausweitung vorzunehmen.
Woher Sie von den GRÜNEN die Information nehmen, dass Deutschlands Einreisepolitik ausdrücklich durch die EU-Kommission gerügt wird, bleibt wahrscheinlich Ihr Geheimnis. Um den Bericht der Kommission über die Anwendung der hier in Rede stehenden Richtlinie 2004/38/EG kann es sich jedenfalls nicht handeln, denn darin wird ausdrücklich erwähnt, dass Deutschland die Richtlinie zu 78 Prozent richtig und vollständig umgesetzt habe, nur ein geringer Prozentsatz der Vorschriften sei mehrfach oder fehlerhaft. Da der Bericht aber aus dem Jahr 2008 stammt, das umzusetzende Freizügigkeitsgesetz jedoch zuletzt Anfang des Jahres 2013 geändert wurde, darf heute davon ausgegangen werden, dass Deutschland die Umsetzung vollumfänglich erledigt hat.
Dafür spricht auch, dass kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet wurde, was die logische Konsequenz einer fehlerhaften Umsetzung wäre. Im Übrigen gab es im Jahr 2008 noch keinen einzigen Staat, der die Richtlinie insgesamt und vollständig umgesetzt hatte. Auch die traditionell liberalen Niederlande haben eine vergleichbare Einreisepolitik.
Die Fehlinformationen, denen Sie in Ihrem Antrag offensichtlich aufsitzen, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Drucksache. Erstens gilt die Richtlinie, auf die Sie sich beziehen, nicht für deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund, sondern für Staatsangehörige anderer EU-Mit
gliedsstaaten, die in Deutschland leben. Zweitens dreht sich das von Ihnen erwähnte Vorlageverfahren um die Visumfreiheit für die passive Dienstleistungsfreiheit und nicht um die Freizügigkeitsrichtlinie, wie Ihre Formulierung vermuten lässt. Die Erwägungen deutscher Gerichte werden im Übrigen eindeutig beantwortet. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs hat in seinen Schlussanträgen vorgetragen, dass kein Recht auf visumfreie Einreise der türkischen Staatsangehörigen aufgrund des Assoziierungsabkommens im Rahmen der passiven Dienstleistungsfreiheit besteht. Der Europäische Gerichtshof folgt erfahrungsgemäß den Schlussanträgen des Generalanwalts, und für die deutschen Gerichte wird die Rechtsprechung des EUGH gelten.
Ihr Petitum 1 ist daher aus unserer Sicht völlig fehlerhaft, zumindest wenig fundiert. Im Petitum 2, das ist auch schon erwähnt worden, bringen Sie offensichtlich die Zuständigkeiten durcheinander. Die Zuständigkeit von Erteilungen von nichtzustimmungsbedürftigen Visa liegt allein bei den Auslandsvertretungen. Erst bei zustimmungsbedürftigen Visa für Aufenthalte von mehr als drei Monaten werden Ausländerbehörden eingeschaltet. Die wenden dann aber weiterhin Bundesrecht in Form des Aufenthaltsgesetzes an, also Bundesrecht, über dessen Anwendung kein Landesermessen besteht.
Wie Sie sehen, berücksichtigt der Antrag nicht die aktuelle Rechtslage und Rechtsentwicklung, wie Herr van Vormizeele auch schon gesagt hat. Wir werden den Antrag daher ablehnen und auch einer Überweisung nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Dann will ich für ein bisschen Abwechslung sorgen. Wir begrüßen nämlich den Antrag ausdrücklich.
Er greift ein wirklich großes Problem auf; dazu hat Frau Demirel schon eine Menge gesagt. Genehmigungsverfahren dauern lange, weil die Auslandsvertretungen ausführlich prüfen, ob die sogenannte Rückkehrbereitschaft angenommen werden kann. Diese muss von den Antragstellern glaubhaft gemacht werden, wobei sie ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwurzelungen in ihren Heimatländern nachweisen müssen. Ohne festen Arbeitsplatz und ohne familiäre Bindungen erhalten sie oftmals überhaupt kein Besuchervisum, auch nicht, um Familienangehörige zu besuchen. Das ist wirklich eine große Tragödie.
Ich nenne ein paar allgemeine Zahlen: Im Jahr 2012 wurden 17 000 der in der Türkei gestellten Visaanträge für Deutschland abgelehnt, das waren knapp 10 Prozent. Für den Kosovo betrug die Ablehnungsquote 20 Prozent, für Afghanistan 39 Prozent, für einige schwarzafrikanische Länder wie Ghana, Guinea, Kamerun, Senegal, Mali und andere bis zu 53 Prozent. Ich möchte auch noch einmal auf die langen Wartezeiten zu sprechen kommen, die dazu führen, dass zum Beispiel Familienfeste nicht besucht werden können. Durch die steigende Zahl von Visaanträgen insgesamt bei nur unzureichender Aufstockung oder teilweise sogar Abbau der Auslandsvertretungen betragen die Wartezeiten oft viele Wochen. Laut dem EU-Visakodex sollen sie aber zwei Wochen nicht übersteigen. Das wird für viele Länder einfach nicht eingehalten.
Doch statt die Auslandsvertretungen – und nun bin ich bei der Bundespolitik – ausreichend personell auszustatten und die Visaerteilung zu vereinfachen, bürdet die Bundesregierung den Antragstellern sogar durch eine Teilprivatisierung des Visumverfahrens Mehrkosten auf. Das alles ist inakzeptabel und wir wollen auch, dass es geändert wird.
Der Antrag weist unseres Erachtens nach zu Recht darauf hin, dass die Einreisepolitik der Bundesrepublik in Europa nahezu einzigartig streng ist. Auch von den Vorschlägen der EU-Kommission zur Weiterentwicklung der EU-Visumpolitik und zur Verbesserung und Modernisierung des Visumverfahrens hat die Bundesrepublik bisher wenig bis nichts umgesetzt. Aus all diesen Gründen ist es an der Zeit, die Einreisepolitik neu auszurichten, wie es der Antrag fordert.
Herr Schäfer, ich finde es schade, dass Sie um den heißen Brei herumreden. Rot-Grün in Bremen ist einem solchen Antrag gefolgt, Sie reden aber jetzt drumherum. Ich befürchte – man kann aber noch ein bisschen dagegen arbeiten –, dass Sie ihn im Ausschuss beerdigen wollen. Ich finde eigentlich, dass er abstimmungsfähig ist. Da die Antragstellerinnen und Antragsteller das auch wollen, werden wir der Überweisung zustimmen. Zu Schwarz-Gelb fällt mir einfach nichts mehr ein, weil sie die Menschen überhaupt nicht im Blick haben.
Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/7590 an den Innenausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mehrheitlich beschlossen worden.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 40, Drucksache 20/7603, Antrag der FDP-Fraktion: Opfer von sexueller Gewalt nicht im Stich lassen – Hamburg muss seinen Anteil am Hilfsfonds leisten.
[Antrag der FDP-Fraktion: Opfer von sexueller Gewalt nicht im Stich lassen – Hamburg muss seinen Anteil am Hilfsfonds leisten – Drs 20/7603 –]
Diese Drucksache möchte die FDP-Fraktion an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man die Schlagzeilen der vergangenen Woche rund um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch einen Kita-Erzieher gelesen hat, dann gewinnt man den Eindruck, dass die Gesellschaft trotz der intensiven Diskussion vor einigen Jahren um den Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule und in der katholischen Kirche nicht weiter gekommen ist. Der besagte Erzieher war innerhalb von fünf Jahren an drei Kitas beschäftigt. Eine aufmerksame Mutter erstattete in diesem Jahr Anzeige, und auf einmal werden offenbar die Eltern und Erzieher der vorherigen Kitas wach. So stellt es sich zumindest nach den Zeitungsberichten dar. Gleichzeitig muss man konstatieren, dass alle die Fälle, in denen die Mitarbeiter, Kollegen, Eltern et cetera sensibilisiert worden sind und durch deren Handeln Schlimmes verhindert wurde, nicht bekannt sind. Ich bin mir sicher, dass es viele von diesen Fällen gibt. Ein positives Zeichen ist aktuell der Fall in der evangelischen Thomasgemeinde in Hausbruch, bei dem sich drei Pastoren an die Medien gewandt haben, um in Absprache mit dem Betroffenen einen leider verjährten Fall publik zu machen. Sie taten das bewusst, um die in der Vergangenheit Betroffenen anzuregen, sich zu melden. Im Jahr 2010 wurde ein Ausmaß von Sexualdelikten, das bis dahin schwer vorstellbar war, in Institutionen wie der katholischen Kirche oder der renommierten Odenwaldschule öffentlich. Es hatte zum großen Teil keine Strafverfolgung der Täter durch Staatsanwaltschaft oder Polizei stattgefunden, und die Fälle waren in der Regel verjährt. Opfer erhielten keinen oder nur unzureichenden Schutz. Durch diese öffentlich gewordenen, oftmals weit zurückliegenden Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und Schutzbefohlener wurde schnell klar, dass sich etwas an den gesetzlichen Regelungen ändern muss. Die Opfer benötigen eine größere Anerkennung ihres Leidens.
Es musste eine größere Sensibilisierung für das Thema in der Öffentlichkeit und den Institutionen hergestellt werden; seitdem ist viel passiert. Die erste Sitzung des Runden Tisches mit dem etwas umständlichen Namen "Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich" fand am 23. April 2010 statt, also vor drei Jahren. Im Jahr 2011 hat der Runde Tisch einen Aktionsplan mit zahlreichen Maßnahmen vor allem im Bereich der Prävention, die Bereitstellung einer Hotline, Erarbeitung von entsprechenden Handlungsempfehlungen in der Kinderund Jugendarbeit, Fortbildungsprogramme, engere Vernetzung mit Polizeibehörden und Maßnahmen der gesetzlichen Verfolgung vorgelegt. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs haben wir viele Verbesserungen auf den Weg gebracht. Durch Videoaufnahmen von Befragungen sollen Mehrfachvernehmungen vermieden werden. Auch bereits volljährige Opfer können von der Bestellung eines Opferanwalts profitieren. Zum Schutz von Betroffenen kann die Öffentlichkeit bei Gerichtsverfahren eingeschränkt werden. Nun muss endlich der Schritt hin zur Einrichtung und Ausstattung des Hilfsfonds gemacht werden.
Für Opfer von sexuellen Misshandlungen durch Mitarbeiter von Institutionen wie zum Beispiel Internate oder Kirchen werden oftmals Mittel zur Verfügung gestellt. Menschen aber, die im familiären Bereich Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, fallen meistens durchs Netz, denn die Fälle liegen häufig so lange zurück, dass es kaum mehr Möglichkeiten gibt, Täter zur Rechenschaft zu ziehen und Ansprüche gegen sie zu stellen. Auch die Möglichkeit, Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz geltend zu machen, ist begrenzt. Es muss nachgewiesen werden, dass sie einer Angriffshandlung ausgesetzt waren. Auch müssen die Opfer in der Regel nachweisen, dass sie für lange Zeit gesundheitliche Schäden davontragen. Der Hilfsfonds bringt eine pauschale Hilfe, die ergänzend und parallel zu den Ansprüchen wirkt, die Geschädigte aus dem Gesetz heraus gegen Personen haben. Die Betroffenen sollen sich deshalb an eine Clearingstelle wenden können, wenn zum Beispiel die von der Krankenkasse bezahlte Therapie nicht ausreicht und sie weitere Therapiestunden brauchen. Es sollen Kosten übernommen werden, die bei der individuellen Aufarbeitung von Missbrauchserlebnissen entstehen, zum Beispiel Fahrtkosten zu damaligen Einrichtungen.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat bereits zugesagt, ihren Anteil von 50 Millionen Euro zu leisten, aber die SPD-regierten Bundes
länder mauern. Der Senat lehnt eine Beteiligung Hamburgs mit der Begründung ab, der Fonds sei viel zu bürokratisch. Sie, lieber Senat, verstecken sich hinter diesem Argument. Dabei können Sie selbst auf Bund-Länder-Ebene bei Verhandlungen die Ausgestaltung des Fonds beeinflussen.
"Dieses ewige Hin und Her ist für Missbrauchsopfer nur schwer zu ertragen. Da ist die ganze Zeit von Entschädigungen und Hilfe die Rede und man liest, dass da Töpfe bereit gestellt werden sollen, und dann wendet man sich jetzt an Sie und Sie sagen, dass noch nichts entschieden ist. Das ist für jemanden wie mich nur schwer auszuhalten."