Protocol of the Session on April 11, 2013

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg und Antje Möller, beide GRÜNE)

Von vornherein steht fest, dass das Gericht wohl nur einen Teil der notwendigen Aufklärungsarbeit leisten wird. Es wird wohl kaum das Staatsversagen aufklären und die Grauzonen ausleuchten können, in denen sich Inlandsgeheimdienste und Nazibanden begegnet sind. Deshalb ist es unverzichtbar, dass alle beteiligten Sicherheitsbehörden ihre Rolle, ihren Zustand und ihr Versagen kritisch und öffentlich aufarbeiten, auch in Hamburg.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg und Antje Möller, beide GRÜNE)

Deshalb haben wir Linke den Antrag gestellt.

Der Hamburger DGB-Vorsitzende Uwe Grund hat im letzten November im Gedenken an den in Hamburg ermordeten Süleyman Tasköprü sehr deutlich gesagt – ich zitiere –:

"Der demokratische Rechtsstaat hat versagt."

Er hat recht, auch und nicht zuletzt in Bezug auf die staatlichen Institutionen in Hamburg. Dazu drei Punkte.

Erstens waren die Ermittlungen zum Mord an Süleyman Tasköprü ein Desaster. Sie waren, das ist heute unbestreitbar, von Anfang bis Ende einseitig und damit völlig unzureichend. Die beteiligten Hamburger Behörden sind bisher die Antworten auf viele Fragen schuldig geblieben. Sie werden diese Antworten geben müssen. Süleyman Tasköprü wurde am 27. Juni 2001 das dritte Opfer der Terrorgruppe. Vor ihm waren Enver Simsek und

Abdurrahim Özüdogru ermordet worden. Schnell war klar, dass die Morde mit ein und derselben Waffe verübt wurden, ebenso wie die folgenden Morde an Habil Kilic im August 2001 in München, an Mehmet Turgut im Februar 2004 in Rostock, an Ismail Yasar im Juni 2005 in Nürnberg, an Theodoros Boulgarides ebenfalls im Juni 2005 in München und an Halit Yozgat im April 2006 in Kassel.

In Großbritannien ist es Standard, dass Polizei und Staatsanwaltschaft auf allen Stufen ihrer Ermittlungsarbeit explizit möglichen rassistischen Tatmotiven nachgehen, in Deutschland nicht. Die Hamburger Ermittlungsbehörden sind der Frage eines möglichen rassistischen Motivs zu keinem Zeitpunkt ernsthaft nachgegangen. Man hat mal darüber gesprochen, aber ernsthaft in Erwägung gezogen hat man dieses Tatmotiv nie. Warum, frage ich, wurden die Ermittlungen Ende 2002 für drei Jahre eingestellt, obwohl die Mordserie weiterging? Warum wurde erst Anfang 2006 eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, die dann die Ermittlungen führte? Ihr Leiter war zugleich stellvertretender Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität und Leiter der Abteilung Rauschgiftermittlungen. Man erfindet bei Mordermittlungen das Rad nicht jedes Mal neu. Deshalb war das Schema der neu aufgenommenen Ermittlungen durch die Besetzung der Ermittlungsgruppe 061 festgelegt. Man hat erneut intensiv in Richtung Organisierte Kriminalität, Rauschgift und ähnliche Bereiche ermittelt. In dieser Beziehung hat man nichts unversucht gelassen, man hat sogar einen Geisterbeschwörer aus dem Iran kommen lassen und seine "Kontaktaufnahme" mit dem Toten dokumentiert. Nur eines hat man nicht getan: Man hat nicht in Richtung eines rassistischen, neonazistischen Tatmotivs ermittelt.

Mehr noch, die Hamburger Ermittler haben im Rahmen der "Besonderen Aufbauorganisation Bosporus" am hartnäckigsten dagegen opponiert, dass den Hinweisen eines Profilers ernstlich nachgegangen wurde. Der Münchner Kriminalbeamte Horn hatte unter anderem auf ein mögliches rechtsextremistisches Tatmotiv, auf eine Hasstat, hingewiesen; die Hamburger wollten das partout nicht wahrhaben. Warum nicht? Auch diese Frage muss beantwortet werden.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Die Rolle des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz ist ebenfalls kläglich. Ein einziges Mal, Mitte 2006, hat die Ermittlungsgruppe tatsächlich den Verfassungsschutz konsultiert. Der aber wusste von der Mordserie nur aus der Zeitung und konnte auf die Frage, ob es Erkenntnisse unter anderem in Richtung Rechtsextremismus und Neonazismus gebe, keine Antwort geben – 2006 nicht und später auch nicht. Von ihm kam bis zum Schluss kein einziger Hinweis, auch nicht, als aus der Nazi-Ecke öffentliche oder halböffentliche Bei

fallsbekundungen für die Mordserie kamen. Ist eigentlich niemand auf die Idee gekommen, dass sich die Adressaten des Briefs an eine Hamburger Moschee, in dem die Morde ausdrücklich begrüßt wurden, direkt bedroht fühlen mussten?

Damit bin ich beim zweiten Punkt, der völligen Unterschätzung des Neonazismus und der von ihm ausgehenden Gefahr auch bei den Hamburger Behörden. Der Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz weist für 2000 aus, dass Hamburg bei rechtsextremistischen Straftaten im Verhältnis zur Einwohnerzahl auf Platz vier bundesweit geklettert ist. Schon in den Neunzigerjahren war eine sprunghafte Zunahme rechtsextremistischer Gewalttaten zu verzeichnen, und 2000 stieg die Zahl noch einmal um 42,1 Prozent an. In Hamburg nahmen die rechtsextremistischen Gewalttaten weiter zu, im Jahr 2005 sogar um 64,7 Prozent. Als im September 2000 der NSU zum ersten Mal mordete, waren in Deutschland seit der Wiedervereinigung bereits 105 Menschen aus rassistischen oder ähnlich menschenfeindlichen Gründen ermordet worden: erschlagen, erschossen, verbrannt. Gab all das niemandem zu denken? Wie war es möglich, dass all diese Tatsachen bei der Suche nach Tatmotiven keine Rolle spielten?

Ich habe schon früher darauf verwiesen, dass im Hamburger Verfassungsschutzbericht und auch im Bundesverfassungsschutzbericht 2000 auf die Gefahr rechtsterroristischer Bestrebungen hingewiesen wurde. Für das Jahr 2001 wurde jedoch Entwarnung gegeben, obwohl 2001 schon klar war, dass es eine Mordserie gab, der Migranten zum Opfer fielen. Ich habe auf die Verstrickung von Nazis aus Hamburg und Umgebung in die "Blood&Honour"-Strukturen hingewiesen, und ich könnte die Reihe fortsetzen; das mache ich dann im Ausschuss.

Ich frage deshalb: Wie konnten die Hamburger Sicherheitsbehörden angesichts all dessen die Gewalttätigkeit des Neonazismus so dramatisch unterschätzen? Diese Frage muss beantwortet werden.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und bei Barbara Nitruch SPD)

Drittens hat das Deutsche Institut für Menschenrechte kurz nach dem Auffliegen der NSU-Zelle gefordert – ich zitiere –:

"Die Aufklärung etwaiger Fehler bei der Strafverfolgung der 'Zwickauer Zelle' muss sich auch darauf erstrecken, ob rassistische Einstellungen in Verfassungsschutz und Polizeibehörden zu den Versäumnissen beigetragen haben."

Abgesehen davon, dass wir heute wissen, dass es keineswegs nur um Versäumnisse geht, die verschiedene Sicherheitsbehörden zu verantworten haben, ist die Forderung, den Einfluss möglicher rassistischer Denk- und Handlungsmuster auf den Ermittlungsgang aufzuklären, nach wie vor aktuell, auch in Hamburg.

(Beifall bei der LINKEN)

In der öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags am 14. Juni 2012 hat der Leiter der Hamburger Ermittlungsgruppe gesagt, dass man Süleyman Tasköprü im LKA immer als – ich zitiere – "ganz normalen türkischen Mann" bezeichnet habe. Und welche Eigenschaften man im LKA einem "ganz normalen türkischen Mann" zuschreibt, hat er ausgeführt: leidenschaftlich, energisch, dominant, kriminell.

Dieses rassistisch geprägte Bild eines "ganz normalen türkischen Mannes" hat die Ermittlungen maßgeblich geleitet, und zwar weit weg von den Tätern; im Fall von Süleyman Tasköprü ebenso wie in den anderen Fällen der ermordeten Migranten. Die Angehörigen der Opfer haben das zu spüren gekommen, sie haben traumatisierende Erfahrungen gemacht und wurden selbst verdächtigt. Natürlich müssen Ermittler allen möglichen Motiven nachgehen, aber sie wurden dabei diskriminiert, isoliert und auf eine unfassbar rohe Weise behandelt.

Der Vater von Süleyman Tasköprü hielt den Kopf seines ermordeten Sohnes auf dem Schoß, als die Polizei am Tatort eintraf. Der Vater wurde mitgenommen, stundenlang verhört und beschuldigt, seinen Sohn getötet zu haben. Das Unfassbare ist, dass seine Tochter, die gerade ihren Bruder auf schreckliche Weise verloren hatte, ebenfalls mitgenommen wurde und die Vernehmung ihres eigenen Vaters, der des Mordes an seinem Sohn beschuldigt wurde, übersetzen musste. Wie ist so etwas möglich?

Der Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen, aber auch die Verantwortung für den demokratischen Rechtsstaat gebietet es, dass die Sicherheitsbehörden ihre Rolle im Zusammenhang der rassistischen Mordserie gründlich und selbstkritisch reflektieren. Die Angehörigen, die Communities der Migrantinnen und Migranten und die Öffentlichkeit insgesamt haben ein Recht darauf, dass alles aufgearbeitet wird und dass über die Aufarbeitung sowie die daraus gezogenen Schlussfolgerungen in aller Öffentlichkeit berichtet wird, damit sich so etwas nie wiederholt.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Herr Wysocki, Sie haben das Wort.

(Christiane Schneider)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir stehen immer noch und leider immer wieder unter dem Eindruck des Ausmaßes an Gewalttätigkeit, den der NSU-Terror über diese Republik gebracht hat. Diese beispiellose Mordserie hat uns auch gezeigt, dass unsere Sicherheitsstrukturen im Bund und in den Ländern immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Auch die eigenen Hamburger Strukturen müssen kritisch hinterfragt werden. Wenn alle Ergebnisse vorliegen und die Untersuchungen weitestgehend abgeschlossen sind, hoffen wir alle, dass wir – möglicherweise dann auch gemeinsam – zu einvernehmlichen Beschlüssen kommen, wenn in Hamburg etwas verändert werden muss. Im Unterschied zu Frau Schneider gehe ich aber nicht davon aus, dass wir jetzt schon ultimativ sagen können, was in Hamburg genau passiert ist, sondern wir befinden uns mitten in der Phase der Aufklärung.

(Beifall bei Karin Timmermann SPD)

Es ist nicht so, dass auf dem Gebiet der Aufklärung keine oder zu wenige Anstrengungen unternommen worden sind und dass wir dafür den Antrag der LINKEN bräuchten. Vielmehr finden wir solche Aktivitäten auf den unterschiedlichsten Ebenen. Zum einen gibt es den Generalbundesanwalt, der die Verhandlungen führt. Dieser bearbeitet die Tatsachen, die in Hamburg passiert sind, und kann deswegen noch nicht abschließend zu den Ergebnissen Stellung nehmen. Es gibt außerdem Untersuchungsausschüsse des Bundestages und der Landtage in Sachsen, Thüringen und Bayern, und hier hat Hamburg Informationen zu insgesamt sieben Beweisbeschlüssen geliefert. Die Innenministerkonferenz hat in den Jahren 2011 und 2012 mehrere Arbeitsgruppen beauftragt, in denen Hamburg durchgehend Mitglied ist. Eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Bereich der Verfassungsschutzbehörden befasst, wird sogar von Hamburg als Vorsitz geleitet. Es gibt darüber hinaus Untersuchungen der Bund-Länder-Kommissionen, der unser ehemaliger Kollege Herr Vahldieck angehört, und es gibt in den Bund-Länder-Kommissionen Fragekomplexe, die an die entsprechenden Länder geschickt worden sind, wo die Tatorte waren. Diese sind beantwortet worden, auch von Hamburg. Hier hat es unmittelbar nach der Aufdeckung des NSU-Terrors Ermittlungen der Hamburger Behörden gegeben, in denen alle Fälle mit dem speziellen Auftrag, ob dort ein rechtsextremer Hintergrund ein Tatmotiv gewesen sein könnte, durchgegangen worden sind.

Frau Schneider hat es erwähnt, am 17. April wird der Prozess eröffnet und die Anklageschrift verlesen. Dann wird sich der Untersuchungsausschuss des Bundestages nach den Planungen Anfang September damit befassen. Die Innenministerkonferenz wird das wahrscheinlich schon im April tun, und die spezielle Bund-Länder-Kommission Rechts

terrorismus wird den Innenministern im Mai berichten, wie ihre Ergebnisse sind.

Wir haben uns in Hamburg sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Insgesamt hat sich der Innenausschuss bereits in fünf Sitzungen mit dem Thema NSU befasst, und es gab vielfältige Kontakte des Senats mit Vertretern der Migrationsorganisationen und Religionsgemeinschaften sowie der Familie des Hamburger Opfers. Im April/Mai ist der nächste Termin angesetzt, und dort geht es um Informationen zum NSU-Prozess.

Das Ergebnis bislang ist, Frau Schneider, dass es Ansätze für Verfehlungen der Hamburger Sicherheitsbehörde zurzeit nicht gibt. Wir haben dieses in allen Berichten, sowohl hier im Plenum als auch im Bereich des Innenausschusses, festgelegt. Dazu muss man aus dem Bericht zitieren, der das letzte Mal im Innenausschuss eine Rolle gespielt hat. Dort hatten Sie einen Antrag mit insgesamt acht Fragekomplexen vorgelegt. Diese wurden ausführlich behandelt, und im Ergebnis haben Sie festgestellt, dass zwar nicht alle Anfragen erledigt worden sind – auch deswegen, weil der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich gezogen hat –, aber Sie haben Ihren Antrag zurückgezogen. Dann hat der Innenausschuss der Bürgerschaft einstimmig empfohlen, Kenntnis davon zu nehmen, dass dieser Antrag zurückgezogen worden ist, und von dem vorstehenden Bericht Kenntnis zu nehmen. In diesem Bericht ist zu allen acht Fragekomplexen ausführlich Stellung genommen worden. Sie selber, und das ärgert mich an dem Ganzen, haben in der Innenausschusssitzung Folgendes erklärt:

"Die Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE betonte, es gehe ihr nicht darum, der Polizei Rassismus zu unterstellen. Sie erinnerte an den Disput darüber in der Bürgerschaftsdebatte."

Diese Debatte war am 15. Dezember. Dann bekomme ich eine Pressemitteilung, und dort steht:

"Hamburger NSU-Mord endlich öffentlich aufarbeiten!"

Ich glaube, ich habe deutlich dargestellt, dass wir uns im Parlament intensiv mit allen Fragen beschäftigt haben, die diesen Terrorkomplex für Hamburg betreffen. Sämtliche Ergebnisse sind vorgelegt worden, und der Senat hat uns zugesagt, dass diese, wenn sie verfügbar sind, im Innenausschuss oder im Plenum vorgestellt werden, sobald man sie öffentlich verkünden kann. Der Punkt, dass Sie den Senat auffordern, endlich das jahrelange Versagen der Hamburger Behörden bei der Aufklärung der NSU-Morde aufzuarbeiten und öffentlich Rechenschaft darüber abzulegen, ist also falsch. Eine Aufarbeitung ist passiert und wird weiter passieren.

Wir haben uns im Innenausschuss fünfmal mit Ihren Vorwürfen befasst, und ich habe genau zuge

hört, es ist nichts Neues bei dem, was Sie hier vorgetragen haben. Das ist eine Vermengung von Dingen, die nicht miteinander in Verbindung stehen, und es hilft nichts, wenn Sie das Versagen von Verfassungsschutzbehörden in anderen Ländern unbedingt und immer wieder auf die Hamburger Situation übertragen wollen, ohne dafür einen Beleg zu haben.

(Beifall bei der SPD – Heike Sudmann DIE LINKE: Was ist eigentlich Ihre Aussage? Was wollen Sie damit sagen?)

Der zweite Punkt war, und das empört mich am meisten – Zitat –:

"Das Hamburger Landeskriminalamt hatte seine Ermittlungsanstrengungen praktisch ausschließlich auf mögliche Verbindungen des Mordopfers zu organisierter Kriminalität verwandt."

In bisher zwei Ausschusssitzungen ist diese Frage geklärt worden, und sowohl der Leiter des Landeskriminalamtes als auch der Leiter des Verfassungsschutzes haben ausdrücklich gesagt, dass in alle Richtungen ermittelt worden ist.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Das reicht doch nicht!)

Ihre Erklärung im Weiteren:

"Es hat zu keinem Zeitpunkt einen möglichen neonazistischen, rassistischen Hintergrund der Morde geprüft."

Das ist definitiv falsch.