Protocol of the Session on March 27, 2013

Es war ein abgehängter Stadtteil, ein Stadtteil mit einer extrem hohen Zahl von Schulabbrechern. Es war ein Stadtteil mit einem Wähleranteil 2001 von 35 Prozent für Rechtspopulisten, die uns weisma

(Jörg Hamann)

chen wollten, dass die Probleme mit einfachen Lösungen zu beseitigen seien. Es war ein Stadtteil mit vernachlässigten Wohnungen und Häusern. Im Gegensatz zu anderen Geldanlagen sind diese 300 Millionen Euro, die hier vonseiten des Staates investiert worden sind, sehr gut angelegt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Birgit Stöver und Dietrich Wersich, beide CDU)

Ich bin schon etwas verwundert über die Kritik der LINKEN, die dann auch noch in ihrer Pressemitteilung sagt, dass die Bau- und Energieprojekte nicht wirtschaftlich seien.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist doch nie Thema der LINKEN gewesen!)

Überall, wo innovative Energien und Projekte realisiert werden, brauchen wir eine Anschubfinanzierung. Das ist in vielen anderen Bereichen genauso, und wenn man das von vornherein als unwirtschaftlich hinstellt, ohne eine langfristige Perspektive dabei zu berücksichtigen – ich denke auch an den langen Winter und die hohen Energiepreise –, dann ist das doch eine Verkennung der Situation. Ich verstehe überhaupt nicht, dass die LINKE hier auf schnelle Renditeentwicklungen abzielt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Robert Heinemann und Birgit Stöver, beide CDU)

Trotzdem nehmen wir natürlich die Veränderungen, die dort im Gange sind, genau ins Auge, und wir müssen auch die Mietenentwicklungen ernst nehmen. Hier kommt es darauf an, ob es uns gelingt, die Mietenentwicklung in den Griff zu bekommen. Wir haben einige Instrumente dazu, die Sozialen Erhaltungsverordnungen. Beschränkungen bei Mietpreissteigerungen durch Luxussanierung und Umwandlung in Eigentumswohnungen können wir damit eingrenzen. Wir brauchen aber mehr Möglichkeiten und Instrumente, und ich hoffe, dass auch von Bundesseite endlich die entsprechenden Zeichen kommen, um dieser zu starken Mietenentwicklung Herr zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Gentrifizierung ist nicht nur ein Aspekt der wirtschaftlichen Seite. Hier kommen auch kulturelle Aspekte zum Tragen. Es wird entscheidend darauf ankommen, ob es uns gelingt, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Kulturen zusammenzubringen und sich zu einer Gemeinschaft entwickeln zu lassen. Wir haben dazu gute Ansätze vorgelegt, gerade im Bereich der Bildung mit der Weltschule und dem Haus der Projekte, und es gibt weitere kulturelle Projekte, die das Zusammenleben der Menschen weiter voran- und zusammenbringen können.

Die IBA ist weit mehr – das wird hier auch deutlich – als ein Bauprojekt oder ein Planungsprojekt.

Es ist ein integrierter Ansatz, in dem ökologische Impulse, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Chancen miteinander vernetzt werden sollen, und zwar mitten in einem zentralen Stadtteil, der für viele eigentlich lange Zeit abgeschrieben war. Wir sind nicht am Ende eines Prozesses, sondern wir sind gerade die ersten Schritte gegangen, und wir werden in der nächsten Zeit beobachten müssen – ich hoffe, der Senat wird sich dieser Aufgabe mit allem Ernst widmen –, wie die wirtschaftliche Mietenentwicklung und die kulturelle Entwicklung, aber auch die sozialen Beziehungen hier weiterlaufen. Wir brauchen auch weiterhin Beteiligungsprozesse, und wir müssen diesen Stadtteil endlich von dem Stigma, das ihm viele Jahre anhaftete, befreien, und dafür haben wir einen guten Schritt gemacht.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD und der CDU)

Nun hat Herr Dr. Duwe das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will dem Titel der LINKEN eigentlich nicht so viel Gewicht beimessen. Man fragt sich, wer wen oder was verdrängen will oder warum. Ich sehe natürlich auch, dass es in Zukunft einige Probleme geben kann. Aber ich frage mich, warum Sie sich gerade jetzt so um die armen Wilhelmsburger kümmern, wo Sie sich jahrzehntelang nicht um sie gekümmert haben.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Jahrzehnte gibt es die noch nicht!)

Seit 1989 durften die rüber.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ich fasse es nicht, seit 2007 gibt es DIE LINKE!)

Ich rede nicht von den Parteien, sondern von den Menschen.

Ich habe jahrelang in Wilhelmsburg gelebt. Ich habe mich gefreut, dass ich dort leben konnte, und ich habe sehr viele sympathische Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger kennengelernt. Auf der Demo, die ich am Wochenende erlebt habe, habe ich sehr wenige Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger gesehen, dafür ein paar Leute, die wahrscheinlich aus einem Stadtteilbeirat gekommen sind, der gerade aufgelöst worden ist. So kam es mir zumindest vor.

(Dirk Kienscherf SPD: Der ist nicht schlecht!)

Die IBA ist insgesamt hervorragend gelungen. Wir haben 60 Projekte, von denen vielleicht zwei, drei nicht ganz so gelungen sind, aber bei 60 Projekten kann man das natürlich nicht verhindern. Ich rede da von dem Energiebunker und dem Energieberg, dafür sind hervorragende andere Projekte entstan

(Olaf Duge)

den. Wichtig für mich ist, dass auch für die Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger, die jetzt dort leben, schon positive Signale gesetzt worden sind. Wilhelmsburg hat endlich ein Zentrum, nicht nur ein Rathaus in der Wüste, das schon seit Jahrzehnten dort steht und nun durch die neue Versammlungsstätte ergänzt worden ist,

(Phyliss Demirel GRÜNE: Das Bürgerhaus meinen Sie!)

sondern eine richtige Mitte, die Westen und Osten verbindet. Das ist der größte Beitrag, den die IBA Wilhelmsburg gegeben hat, und das sollten wir auch begrüßen und nicht an Kleinigkeiten herumkritteln.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Besonders gut gelungen ist meines Erachtens die Bürgerbeteiligung, und zwar vor allen Dingen vonseiten der Bürger, die sich sehr engagiert haben und sich weiterhin engagieren werden. Es ist auch wichtig, gerade wenn so ein Stadtteil wirklich stark verändert wird, dass dort die Bürgerbeteiligung verstärkt werden muss, und das ist mit der IBA nicht vorbei. Wir haben noch die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße, und wir haben die Zukunft des Inselparks, der meines Erachtens noch nicht so ganz in trockenen Tüchern ist. Es gibt das Landschaftsschutzgebiet Wilhelmsburger Osten, wo diejenigen, die dort leben, natürlich auch damit klarkommen müssen, dass ihnen vielleicht einige Rechte vorenthalten werden, weil die Landschaft da so schön ist.

Des Weiteren geht es natürlich um die Integration der neuen Einwohner. Wir sollten uns doch freuen, dass Menschen begeistert sind, irgendwo hinziehen zu können, und zwar nicht, um Leute aus alten Wohnungen zu verdrängen, sondern um in neue Wohnungen zu ziehen. Das ist meines Erachtens ein großer Beitrag für Wilhelmsburg und auch ein großer Beitrag dafür, dass Wilhelmsburg sich selbst aufwertet und einen selbsttragenden Aufschwung erlebt – einen sozialen Aufschwung, der nicht nur durch Subventionen gepäppelt wird, sondern einen, wie man ihn auch bei den Veringhöfen sieht. Was dort aus eigenen Stücken an Stadtteilkultur entstanden ist, ist das, was wir unterstützen müssen und was hoffentlich auch weiterhin unterstützt werden kann.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Zusammenhang halte ich das jetzige Problem – es gibt immer wieder Probleme, dass Fachbehörden ganz schnell entscheiden –, die Verlagerung des Opernfundus nach Wilhelmsburg, doch noch einmal für überdenkenswert. Gestern wurde das im Regionalausschuss in Wilhelmsburg noch einmal thematisiert. Man kann nicht Hochkultur durch Stadtteilkultur oder Stadtteilkultur durch Hochkultur verdrängen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist auch ein Verdrängungsproblem, das momentan in Wilhelmsburg besteht.

Alles in allem kann ich sagen: Herzlichen Glückwunsch Wilhelmsburg für das, was bisher erreicht worden ist. Probleme wird es immer geben. Wenn man richtig anpackt, dann schafft man das auch. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Andreas Dressel SPD)

Nun hat Frau Senatorin Blankau das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Sonnabend haben wir – und damit meine ich uns alle – die Internationale Bauausstellung eröffnet, und das Echo der vielen Besucherinnen und Besucher am Eröffnungswochenende war zum weitaus größten Teil außerordentlich positiv. Auch viele Nachbarinnen und Nachbarn von IBA und igs haben die Gelegenheit genutzt, an dieser Eröffnung teilzunehmen. Diejenigen, die trotz der Kälte nach Wilhelmsburg gekommen sind, konnten einen ersten Blick auf die Vielfalt der IBA-Bauprojekte werfen, die in der neuen Mitte Wilhelmsburg entstanden sind. Diese Bauten stehen natürlich für viele Architekturinteressierte im Mittelpunkt des Interesses, aber alle werden schnell merken, dass die IBA etwas ganz Besonderes geschaffen hat. In Wilhelmsburg, auf der Veddel und im Harburger Binnenhafen wird gezeigt, wie ökonomische, ökologische und sozial nachhaltige Stadtentwicklung aussehen kann. Seit 2007 sind über eine Milliarde Euro investiert worden. Das ist ein großartiger Impuls für die Elbinseln und ein Kraftakt, der von allen Beteiligten gestemmt worden ist.

(Beifall bei der SPD und bei Robert Heine- mann CDU)

Aber wir haben diesen Impuls nicht einfach über Wilhelmsburg hinweggehen lassen. Er hinterlässt keinen umgekrempelten Stadtteil, in dem nichts mehr so ist, wie es war. Wir haben Wilhelmsburg gemeinsam einen Entwicklungsschub gegeben und es nicht neu gebaut. Wilhelmsburg wird sich verändern, aber seine Identität nicht verlieren. Wir schließen die Lücken, wo Wilhelmsburg bislang durch Verkehrstrassen getrennt war. Wir geben den Einwohnern ihre Elbe und ihre Hafenbecken zurück, die für sie lange Zeit unzugänglich waren. Wir haben Siedlungen, Plätze, Fuß-, Rad-, und Verkehrswege modernisiert und schaffen Angebote für Gewerbetreibende. Der Inselpark, die Sport-, Schwimm- und Kletterhallen bieten neue Freizeitmöglichkeiten. Wir bieten den Menschen gute Bildungsangebote für ihre Kinder, damit sie nicht

(Dr. Kurt Duwe)

nach Norden oder nach Süden wegziehen müssen.

Die Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger, egal, welcher Herkunft, hängen an ihrer Insel. Deshalb schaffen wir auch in Wilhelmsburg Wohnungen für alle Schichten und die unterschiedlichen Bedürfnisse, damit soziale Mobilität nicht gleich räumliche Mobilität – weg von den Elbinseln – heißen muss. Das Wohnungsbaupotenzial in Wilhelmsburg ist enorm. Wir werden es nutzen. Es werden dort gemischte Quartiere mit geförderten und frei finanzierten Mietwohnungen und Eigentumswohnungen entstehen, die für Alteingesessene und Zuzügler gleichermaßen attraktiv sind.

(Beifall bei der SPD – Glocke)

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bläsing?

Nein.

(Finn-Ole Ritter FDP: Sonst kommt man raus dabei, die Rede abzulesen!)

Es werden in Zukunft mehr Menschen in Wilhelmsburg wohnen wollen. Wilhelmsburg wird von dieser Dynamik profitieren.

Meine Damen und Herren! Das hohe Maß des Engagements der Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger für ihren Stadtteil entspringt auch dem Eindruck, dass Hamburg seinen Elbinseln lange Zeit – das ist schon gesagt worden – nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die ihnen gebührt; das ist nun vorbei. Mit der Internationalen Bauausstellung und der "internationalen gartenschau" blickt nicht nur Hamburg auf Wilhelmsburg, sondern es werden auch viele nationale und internationale Gäste kommen und sich von der Vielfalt der Projekte beeindrucken lassen. Viele der Projekte – Herr Duge, Sie haben es eben schon angesprochen – entspringen direkt der sehr intensiven Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen, angefangen beim Weißbuch der Zukunftskonferenz vor mehr als zehn Jahren. Sie haben diesen Prozess sehr intensiv und immer auch kritisch, aber gleichzeitig konstruktiv begleitet. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir auch in Zukunft die Entwicklung Wilhelmsburgs gemeinsam gestalten.

(Beifall bei der SPD)

Aufwertung ohne Verdrängung – diesem Ansatz bleiben wir alle gemeinsam weiterhin verpflichtet.