Protocol of the Session on February 28, 2013

Wer möchte einer Überweisung der Drucksache 20/6792 an den Haushaltsausschuss zustimmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Die Überweisung ist damit einstimmig erfolgt.

Ich möchte an dieser Stelle im Namen des ganzen Hauses noch einmal Herrn Dr. Schulz und allen seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sehr für ihre Arbeit danken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich rufe dann auf den Tagesordnungspunkt 38, Drucksache 20/6909 in der Neufassung, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Prozesskostenhilfe in Hamburg.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Prozesskostenhilfe in Hamburg – Drs 20/6909 (Neufassung) –]

Die SPD-Fraktion möchte diese Drucksache an den Ausschuss für Justiz, Datenschutz und Gleichstellung überweisen.

Wer wünscht das Wort? – Frau Schneider, bitte schön.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Der Bundestag berät zurzeit über einen Gesetzentwurf, mit dem die schwarz-gelbe Mehrheit die Prozesskosten- und Beratungshilfe kürzen will. Danach sollen die Bundesländer rund 65 Millionen Euro Prozesskosten

hilfe einsparen. Für Hamburg würde das bedeuten, dass die Prozesskostenhilfe um 1,5 bis 2 Millionen Euro jährlich geringer ausfallen würde. Ich hoffe, dass nicht nur wir LINKE, sondern die Mehrheit der Bürgerschaft heute deutlich macht: nicht in Hamburgs Namen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Die Prozesskostenhilfe muss erhalten bleiben und eine Zweiklassenjustiz verhindert werden,

(Beifall bei der LINKEN)

denn darum geht es: Die Kürzung trifft die Armen. Ausgerechnet für sie will die schwarz-gelbe Koalition den Zugang zum Recht erschweren.

(Olaf Ohlsen CDU: Unglaublich!)

Ich erspare mir und Ihnen zu später Stunde, die einzelnen Regelungen zu erörtern; das können wir im Ausschuss tun. Aber die Wirkungen dieser Regelungen sind eindeutig und in den Stellungnahmen der unterschiedlichen Verbände zum Gesetzentwurf auch klar herausgearbeitet.

Mit der Kürzung der Prozesskostenhilfe wird das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz eingeschränkt. Der Rechtsschutz wird abhängig davon, ob sich jemand das Risiko von ein paar hundert oder ein paar tausend Euro leisten kann. Wer sich das nicht leisten kann, kann seine Rechte vor Gericht nicht verteidigen. Deshalb wurde 1981, damals noch durch die sozialliberale Koalition, die Prozesskostenhilfe eingeführt. Wenn jetzt der Kreis der Empfänger und Empfängerinnen von Prozesskostenhilfe verkleinert wird, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, dann wird der Kreis derjenigen, die keine Chance erhalten, ihr Recht vor Gericht zu erstreiten, entsprechend größer.

Wen trifft die beabsichtigte Kürzung? Sie trifft prekär und befristet Beschäftigte im Niedriglohnbereich. Sie trifft die über 1 Million Menschen – allein in Hamburg sind es 36 000 –, die ihren Lohn durch ALG II aufstocken müssen. Sie trifft Teil- und Vollzeitbeschäftigte mit Bruttolöhnen unter circa 1400 Euro. Sie trifft kleine Selbstständige mit entsprechend geringem Einkommen. Sie trifft Auszubildende und Berufseinsteiger, Rentnerinnen und Rentner. Und sie trifft sogar Ehepartnerinnen oder Familien mit Kindern bis weit hinein in die Mittelschicht, die durch eine Scheidung in eine finanziell schwierige Situation geraten. Das hat die Gewerkschaft ver.di in ihrer Stellungnahme herausgearbeitet. In diesen Bevölkerungsgruppen sind überdurchschnittlich und teilweise ganz überwiegend Frauen, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen betroffen.

Ein Blick in die Hamburger Statistik macht deutlich, in welchen Streitfällen der Rechtsschutz für Arme eingeschränkt wird. Der weitaus größte Anteil der knapp 12,5 Millionen Euro Prozesskostenhilfe, die

im letzten Jahr ausgezahlt wurde, nämlich fast 8 Millionen Euro, entfällt auf Verfahren vor Familiengerichten. Hier geht es im Wesentlichen um Scheidungen, Unterhalt und Sorgerecht, und gerade hier sind insbesondere Frauen betroffen, und zwar vor allem alleinerziehende Frauen, die wegen der Kindererziehung nur in Teilzeit arbeiten.

Der zweite große Batzen, fast 2,2 Millionen Euro mit steigender Tendenz, entfällt auf arbeitsgerichtliche Verfahren. Die steigende Tendenz ist leicht zu erklären. Die Deregulierung des Arbeitsmarkts und die Zunahme von befristeten Arbeitsverhältnissen, von Leiharbeit und von geringfügiger Beschäftigung führen vermehrt zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Gleichzeitig steigt mit dieser verhängnisvollen Entwicklung der Kreis der Menschen, die auf Prozesskostenhilfe angewiesen sind, um ihr Recht zu bekommen. Die Prekarisierten sollen also für die Prekarisierung der Arbeitswelt auch noch mit der Einschränkung ihres Zugangs zur Rechtsstaatlichkeit zahlen. Das nenne ich infam.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Im letzten Jahr gab es bundesweit 170 488 Klagen vor den Sozialgerichten. Die Zahl steigt vor allem deshalb, weil viele Bezieherinnen von Grundsicherungsleistungen Beratungs- und Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen müssen, um sich gegen oft unrechtmäßige Bescheide zu wehren. Auch ihre Rechte werden potenziell eingeschränkt und bedroht.

Die Bundesregierung argumentiert damit, dass mit dem Gesetzentwurf der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe entgegengewirkt werden soll. Ob Missbrauch vorliegt oder nicht, soll jedoch ausdrücklich nicht von den Erfolgsaussichten einer Klage abhängig gemacht werden. Das macht die gegen sozial Benachteiligte gerichtete Zielsetzung des Gesetzentwurfs besonders deutlich. Wer Geld hat, wird in der Regel eine mögliche Klage von den Erfolgsaussichten abhängig machen. Wer kein Geld hat, dem soll diktiert werden, wann die Wahrnehmung seines Rechts ein Missbrauch ist.

Wir ersuchen mit dem Antrag den Senat, die Auswirkungen der drohenden Kürzungen bei der Prozesskosten- und Beratungshilfe auf die Menschen in Hamburg darzulegen. Wir fordern ihn auf, die Stimme Hamburgs im Bundesrat und auf Bundesebene gegen diese drohende Kürzung zu erheben.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Menschen mit geringem Einkommen erfahren vielfache Ausgrenzungen. Sie sind in ihren Teilhabemöglichkeiten eingeschränkt, nicht nur im Arbeitsleben. Dass sie jetzt auch noch in ihrem Zu

gang zum Recht ausgegrenzt werden, ist eine unerträgliche Vorstellung. Das darf nicht passieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Schneider. – Das Wort hat Herr Steinbiß.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Tatsächlich will die Bundesregierung ausgerechnet bei der Prozesskostenhilfe sparen – wieder eine sogenannte Reform, die die finanziell Schwachen trifft. Es handelt sich hier wirklich um die Frage, ob es diese Rechte bald nur noch auf Kredit geben wird. Das darf nicht sein.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Wie Frau Schneider schon erwähnte, wurde noch unter der SPD/FDP-Regierung 1981 dieses Gesetz eingeführt. Federführend war damals Innenminister Baum, der sagte:

"Wir wollten diejenigen, die aus eigener Kraft nicht ihre Rechte wahrnehmen konnten, waffengleich machen."

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Dieser Maßstab muss weiterhin gelten. Ob dieses auch in Anbetracht des PKH-Reformgesetzes gewährleistet ist, muss noch kritisch hinterfragt werden. Es ist nämlich beabsichtigt, zum Beispiel in Ehescheidungsverfahren nur dann eine Beiordnung zu bewilligen, wenn die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage es erfordert. Es wird also den Gerichten ein sehr weiter Spielraum gegeben mit der Gefahr, dass die betreffende Partei schutzlos gestellt wird. Aus meiner Erfahrung aus der täglichen Praxis als Rechtsanwalt kann ich nur bekräftigen, dass zu Beginn eines Rechtsstreits noch gar nicht absehbar ist, wie kompliziert und schwierig letztendlich eine Sache werden kann. Eine Partei aber zunächst in ein Rennen zu schicken und ihr dann auf dem steinigen Weg nach halber Strecke etwa mitzuteilen, dass nun doch ein Rechtsanwalt beigeordnet ist, deckt sich nicht mit meinem Verständnis von Waffengleichheit für alle Prozess- und Verfahrensbeteiligte.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und ver- einzelt bei den GRÜNEN)

Gleiches gilt natürlich für die beabsichtigten Änderungen bei den arbeitsgerichtlichen Verfahren. Auch hier ist vor dem Gütetermin meist überhaupt nicht absehbar, wie die Erfolgsaussichten in der Sache stehen. Arbeitsgerichtliche Streitigkeiten enden sehr oft mit Vergleichen bereits im Gütetermin, sodass die betroffene Partei dann ohne Schutz und Beratung dastehen würde und Fakten zu ih

rem Nachteil geschaffen sein könnten. Das ist meines Erachtens nicht hinnehmbar.

(Beifall bei Dr. Monika Schaal SPD)

Sinnvoll ist es sicherlich, dass die Gerichte künftig erweiterte Auskünfte über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller einholen können, aber sehr kritisch ist zu sehen, dass es künftig auch die Gelegenheit zur Stellungnahme für den Antragsgegner geben soll. Hier sehe ich schon Schriftsätze, die höchstwahrscheinlich bis zur Beleidigung hin gehen. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass dies zu einer weiteren Verzögerung der Verfahren führt, was wir natürlich auch nicht wollen.

Die Bundesjustizministerin verspricht jedenfalls, dass es auch weiterhin eine ratenfreie Prozesskostenhilfe geben werde und sagt weiter, man wolle die Menschen, die in der Lage sind zu zahlen, im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit an Rückzahlungen der gewährten Hilfe beteiligen. Hiermit habe ich auch überhaupt keine Probleme. Aber gleichzeitig wird, wie Frau Schneider schon sagte, durch den Regierungssprecher betont, man wolle auch den Missbrauch staatlicher Hilfe eindämmen. Dazu muss ich sagen: Das ist eine unverschämte Diskreditierung der Ärmsten der Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und ver- einzelt bei den GRÜNEN)

Ich kann mich aus meiner gesamten Praxis nicht an einen einzigen Fall erinnern, bei dem sich jemand zu Unrecht Prozesskostenhilfe erschlichen hat. Ich kenne aber sehr viele Fälle, in denen Leute Prozesskostenhilfe erhielten, die ansonsten ihr Recht niemals erhalten hätten. Das müssen wir immer im Auge behalten, auch wenn wir wissen, dass der Kostendruck auf die Justiz sehr stark ist. Wir müssen hier natürlich zusehen, Einsparungen hinzubekommen, aber die Grenze für Einsparungen bildet für mich immer noch die gebotene Waffengleichheit, die weiterhin gelten muss.

Geplant ist zum Beispiel eine Verlängerung der Rückzahlungsphase von 48 auf 72 Monate; dies halte ich für durchaus machbar. Insgesamt halte ich also den gewählten Weg der Prozesskostenhilfeänderung für sehr gefährlich, glaube aber auch, dass es sinnvoll ist, hierüber im Ausschuss noch einmal ausführlich zu diskutieren, und das sollten wir unter Einbeziehung aller Aspekte tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und ver- einzelt bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Steinbiß. – Das Wort hat Herr Trepoll.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Derzeit wird im Bundestag über

(Christiane Schneider)

einen Gesetzentwurf der schwarz-gelben Regierung zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts beraten. Prozesskostenhilfe kann einkommensschwachen Personen als finanzielle Unterstützung zur Durchführung von Gerichtsverfahren gewährt werden, sofern sie die dafür vorliegenden Voraussetzungen erfüllen. Der Gesetzentwurf der schwarz-gelben Regierung soll mitnichten an diesem Grundsatz etwas ändern, aber es wird öffentlich gleich wieder mit Halbwahrheiten gearbeitet. Auch der vorliegende Antrag der LINKEN zielt genau darauf ab. Er erhebt den Vorwurf einer angeblich sozialen Benachteiligung, und dem ist mitnichten so.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich will eines gleich klarstellen: Für sozial Schwächere, also für Menschen, die Hartz IV oder Sozialhilfe beziehen, wird es auch zukünftig keine Änderung geben. Sie werden weiter ratenfreie Prozesskostenhilfe erhalten. Der Entwurf lässt den Freibetrag für den Antragsteller, der über 10 Prozent über dem höchsten Sozialhilfesatz liegt, völlig unangetastet, Frau Schneider. Das haben Sie bisher nicht erwähnt. Die bisher zur Diskussion stehenden Änderungen der Prozesskostenhilfe beziehen sich lediglich auf die Änderungen und Anpassungen der Bemessungsgrenzen und sehen vor, dass diejenigen, die über ein gewisses eigenes Einkommen verfügen, die gewährten Prozesskosten in Raten an die Staatskasse zurückzahlen mit einer Ratenzahlungshöchstdauer von 72 Monaten, damit eine dauerhafte Rückzahlungspflicht ausgeschlossen werden kann. Wer wirtschaftlich in der Lage ist, einen Beitrag zur Rückzahlung zu leisten, muss dies in Zukunft nur in einem etwas größeren Umfang tun. Das ist auch notwendig, denn der Prozesskostenhilfeberechtigte soll dem Durchschnittsverdiener eben nur gleichgestellt werden und nicht besser gestellt werden.