Protocol of the Session on December 11, 2012

Nun möchte ich an Ihre Fantasie appellieren. Stellen Sie sich einmal vor, Sie kommen heute Abend nach Hause und das Licht geht nicht an und die Herdplatte auch nicht. Sie können sich weder einen Tee noch eine warme Suppe kochen und weder fernsehen noch lesen. Sie waschen sich und ihre Kinder mit kaltem Wasser, und auch das Backen für Weihnachten fällt aus. Das ist die bittere Realität für über 10 000 Haushalte in Hamburg

in diesem Jahr. Wir finden, Strom- und Gassperren sind unmenschlich.

(Beifall bei der LINKEN)

In Frankreich und Belgien sind Stromsperren zumindest im Winter verboten, und diese müssen auch in Hamburg ein Ende haben.

(Beifall bei der LINKEN)

In Hamburg lebt jedes vierte Kind in Armut, das heißt, dass seine Eltern arm sind. Arbeitslosigkeit und Armut stehen in engem Kausalzusammenhang, und deshalb fordert DIE LINKE auch in diesen Haushaltsberatungen eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Hamburger Arbeitsmarkt ohne staatliche Förderung nicht in der Lage sein wird, die vorhandene Nachfrage nach guter Arbeit zu befriedigen. Ich möchte nicht schon wieder Herrn Steinbrück zitieren, wenngleich es passen würde.

DIE LINKE schlägt in einem Haushaltsantrag verschiedene Maßnahmen vor, Sie haben das vorliegen. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Anträge liegt bei der gezielten Wohnungsbauförderung mit einem Volumen von 86 Millionen Euro pro Jahr. Der Handlungsbedarf für diesen Bereich ist täglich in der Stadt spürbar, und die SPD tut hier viel zu wenig. Herr Bürgermeister, Sie erfüllen Ihr Wahlversprechen nicht. Sie planen zu viel und tun zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN)

Im öffentlichen Dienst kommen die Kürzungen massiv an, die Tariftreue bis 1,5 Prozent und die Begrenzung der Etatsteigerung auf 0,88 Prozent machen auch die Arbeitsplätze bei der Freien und Hansestadt Hamburg zunehmend prekär. Ich möchte nur auf die Hochschulen hinweisen; 90 Prozent aller Arbeitsplätze im Hochschulbereich sind prekär. Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Beamten werden schon aus Tradition fortgesetzt geschröpft. Nach der Kürzung beziehungsweise Streichung des Weihnachtsgeldes und der eingeschränkten Übernahme der Tarifsteigerungen sollen jetzt sogar noch vier Urlaubstage gestrichen werden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wo ist was ein- geschränkt worden mit Tarifvertrag? Das stimmt nicht!)

Das ist nichts anderes als eine weitere Gehaltskürzung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Finanzverwaltung ist die einzige Landesverwaltung, in der jeder Einzelne mehr einbringt, als er kostet. Trotzdem hat im Zeitraum von Januar 2009 bis Januar 2012 sowohl das Stellen-Soll als auch der Ist-Bestand an Vollzeitäquivalenten, also

an Stellen, abgenommen. Einer Anordnung des Bundesfinanzministers zufolge soll bei Einkommensmillionären – und von denen haben wir in Hamburg bekanntlich recht viele – eine Prüfungsquote von 100 Prozent erreicht werden. Da immer drei Jahre rückwirkend geprüft werden, müssten in Hamburg jedes Jahr 200 Prüfungen stattfinden; im letzten Jahr waren es ganze 27. Hamburg missachtet wie kein anderes Bundesland diese Prüfungsquote, und allen Beteuerungen aus Oppositionszeiten zum Trotz haben die Sozialdemokraten auch hier keine Änderung der Politik bewirkt. Sie müssen, was soziale Gerechtigkeit und Steuergerechtigkeit betrifft, noch eine ganze Menge lernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Personalbedarf in der Finanzverwaltung liegt mit rund 700 Vollzeitäquivalenten über dem im Haushalt aufgeführten Stellenplan. Es fehlen Steuerfahnder und Betriebsprüfer, und viele sind aus Personalmangel in der Veranlagung eingesetzt. Es gab schon viele Forderungen, die in dieser Stadt diskutiert wurden. Ich möchte nur an die 200 Betriebsprüfer von ver.di erinnern, und wir haben auch schon einen Antrag auf 150 Betriebsprüfer gestellt. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass das nicht geht, weil diese Kräfte auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Das stimmt auch, es hat aber seine Ursachen. In den letzten zehn Jahren wurden zu wenige Beamte für diese Tätigkeiten ausgebildet, und es wurden auch zu wenige übernommen. Dabei ist das Interesse groß. So haben sich zum Beispiel 800 junge Leute als Finanzanwärter in Hamburg beworben, alle mit Abitur, und eingestellt wurden nur 80. Die Kapazitäten der Norddeutschen Akademie für Finanzen und Steuerrecht Hamburg müssen dringend ausgebaut werden, und es müssen mehr Ausbildungsplätze in den Finanzämtern geschaffen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben in diesen Haushaltsberatungen einen sehr moderaten Antrag zur Verbesserung des Steuervollzugs eingebracht. Damit machen wir der SPD das Angebot, endlich mit einem verbesserten Steuervollzug, der lange überfällig ist, zu beginnen und gleichzeitig die Einnahmeseite in Hamburg zu verbessern. Das ist eine langfristige Maßnahme für Steuergerechtigkeit und im Verbund mit anderen Steuerrechtsänderungen ein Eigenbeitrag Hamburgs gegen die strukturelle Unterfinanzierung des Stadthaushaltes.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir teilen nach wie vor die Auffassung nicht, dass wir es bei dem Haushalt mit einem Schuldenproblem zu tun haben. Stattdessen haben wir ein Einnahmeproblem, und wenn wir Steuergerechtigkeit vollzogen haben, dann haben wir auch mit der Schuldenbremse überhaupt kein Problem mehr.

(Roland Heintze CDU: Was? – Dr. Andreas Dressel SPD: Dann haben wir ja noch Hoff- nung!)

Zum Schluss noch ein Zitat aus der letzten Ausgabe der "Financial Times Deutschland" vom 7. Dezember 2012. Der Artikel ist mit dem Titel "Was wichtig bleibt" überschrieben und war Teil des Abschnitts "Letzter Wille" – ich zitiere –:

"Defizite sind nicht per se schlecht, entscheidend ist, wofür das Geld verwendet wird. Man sollte aufhören, Schulden ständig gedanklich in Waggons zu stapeln, die bis zum Mond reichen, oder auszurechnen, wie lange es dauert, Schulden zurückzuzahlen. Wir werden sie nie ganz zurückzahlen, wie auch gesunde Unternehmen stets mit Krediten wirtschaften. Wir müssen sie allerdings immer bedienen können."

In diesem Sinne für ein solidarisches und demokratisches Hamburg.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt der Erste Bürgermeister.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Wahlergebnis der letzten Bürgerschaftswahl hat es nicht nur möglich gemacht, dass die Sozialdemokratische Partei die Mehrheit dieses Parlaments stellt und dass sie den Bürgermeister wählen kann und einen Senat, der von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten getragen wird. Es hat auch möglich gemacht, dass es vier Oppositionsparteien gibt. Ich will ausdrücklich sagen, dass es eine Übung in Langmut und Sanftmut ist, wenn man vier unterschiedliche Positionen zu der Frage hört, wie man das Geschehen in Hamburg auch betrachten kann. Ich bin dankbar für dieses Privileg.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD)

Das Schöne an einer solchen Debatte ist aber auch, dass jedes Argument, das der eine oder die andere vorgetragen hat, von einer oder einem anderen schon widerlegt worden ist, sodass man eigentlich sagen kann: Nehmen Sie den Mix aus allem und wählen Sie in Zukunft SPD.

(Beifall bei der SPD)

Zu den Kuriositäten dieser Debatte gehört aber auch, dass wir soeben eine der härtesten Kritiken an der zehnjährigen CDU-Regierungszeit gehört haben, und zwar ausgerechnet vom Fraktionsvorsitzenden der CDU hier in der Bürgerschaft.

(Beifall bei der SPD)

Härter und unerbittlicher als Herr Wersich kann man mit den zehn Jahren Regierungszeit der CDU nicht ins Gericht gehen.

(Dietrich Wersich CDU: Damit kommen Sie nicht durch, das ist zu billig!)

Das gilt ganz besonders für die Haushaltspolitik der letzten Jahre und für die Verschuldung, die in diese Zeit fällt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Sie lesen und hören überall und merken außerdem an den Wahlergebnissen, dass die Bürgerinnen und Bürger Seriosität bevorzugen. Dazu gehört auch, offen von einem Richtungswechsel zu sprechen, wenn man ihn vornimmt; zu sagen, dass man etwas ganz anders sieht, als man es vorher gesehen hat, und nicht zu behaupten, dass das, was man jetzt sagt, das Gleiche sei wie das, was man vorher gesagt hat. Aber das haben wir heute gehört.

(Beifall bei der SPD – Dietrich Wersich CDU: Damit kennen Sie sich ja gut aus! – Robert Heinemann CDU: Gut gebrüllt, Löwe!)

Es gibt eine Reihe von Fragen, die in unserer Stadt diskutiert werden und die die Bürgerinnen und Bürger bewegen, die aber auch in Deutschland insgesamt diskutiert und debattiert werden und mit denen wir uns auseinandersetzen sollten. Die eine Frage ist, wie wir mit der allgemeinen Entwicklung der Staatsschulden umgehen, hier in Hamburg, in Deutschland, in Europa und in der Welt. Wie falsch es wäre, das nicht ernst zu nehmen, können wir an der Staatsschuldenkrise einiger südeuropäischer Länder sehen, die nicht mehr ein noch aus wissen bei der Frage, wie sie ihr Budget für die Zukunft ausrichten sollen. Sie haben auch das Problem, dass sie die Hoheit über ihre Haushalte, ihre Steuerpolitik, ihre Finanzpolitik und über das, was sie machen wollen und können, immer mehr verloren haben. Für mich ist die Staatsschuldenkrise in Europa die dringendste Mahnung, dass so etwas in Hamburg nicht passieren darf und wir deshalb gut beraten sind, eine konsequente Haushaltskonsolidierung zu betreiben.

(Beifall bei der SPD – Robert Heinemann CDU: Machen Sie das auch und sagen Sie es nicht nur!)

Das bedeutet ebenso, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass die Schuldenbremse, die mittlerweile im Grundgesetz verankert ist, auch in Deutschland eingehalten wird. Ich sage ausdrücklich – auch durchaus im Gegensatz zu dem einen oder anderen, der in Deutschland darüber diskutiert –, dass diese Schuldenbremse im Grundgesetz bleiben muss, und ich werde mich dafür einsetzen, dass sie eingehalten wird. Das bedeutet, dass die Länder ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen dürfen.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens wird es für den Bundeshaushalt viel schwieriger, als wir es gegenwärtig den Haushalts

(Dora Heyenn)

entwürfen und Vorstellungen der Bundesregierung entnehmen können. Diese hat sich nicht ausreichend mit den Konsequenzen des am Freitag mit dem Ausführungsgesetz noch einmal zur Debatte stehenden Fiskalpaktes auseinandergesetzt. Der Bundesrat wird darüber beschließen. Der Fiskalpakt sieht vor, dass Deutschland insgesamt nur 0,5 Prozent seines Bruttosozialprodukts als Schulden machen darf. Das ist das, was die Ausgaben der Länder und Gemeinden, des Bundes und der Sozialversicherung zusammen ausmachen. Trotz der guten Steuerentwicklung, die wir gegenwärtig haben, funktioniert dieser Saldo gegenwärtig oder auch in absehbarer Zukunft nur deshalb, weil es zum Beispiel große Überschüsse bei den Sozialversicherungen gibt. Deshalb hat auch der Bund größere Probleme, als mit seinen Haushaltsentwürfen gegenwärtig dargestellt.

(Beifall bei der SPD und bei Jens Kerstan GRÜNE)

Die Lösung der Probleme der Länder erwächst nicht aus künftigen Veränderungen im Bund. Wir brauchen diese zwar und auch das, was an Einnahmeverbesserungen diskutiert wird, aber eines ist klar: Auch wenn das passiert, werden wir in Hamburg unsere Hausaufgaben machen müssen. Wir müssen dazu beitragen, dass die Schuldenbremse, die wir in die Hamburger Verfassung geschrieben haben, eingehalten werden kann.

(Beifall bei der SPD – Dietrich Wersich CDU: Wir wollten das noch früher!)

Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den GRÜNEN und der FDP dafür bedanken, dass sie zusammen mit der sozialdemokratischen Fraktion dazu beigetragen haben, dass wir jetzt eine solche Schuldenbremse in der Hamburger Verfassung haben, die sogar ein wenig ehrgeiziger ist als das, was der Bund sich vorgenommen hat. Gut, dass wir das gemacht haben, und wir werden das auch einhalten.