Meine Damen und Herren! Uns geht es bei diesem Thema um eine Grundsatzposition. Nach unserer Auffassung – das haben wir schon geäußert – entsprechen Staatsverträge mit Kirchen oder Religionsgemeinschaften nicht einem freiheitlichen Weltbild. Wir wollen die größtmögliche Trennung von Staat und Kirche. Deshalb hält die FDP als einzige Bürgerschaftsfraktion dieses Regelwerk nicht für selbstverständlich
und auch grundsätzlich nicht für erforderlich. Verwaltungsvereinbarungen oder gesetzliche Regelungen reichen nach unserer Auffassung aus, so wie zum Beispiel in diesem Hause in Kürze eine Feiertagsregelung für islamische Mitbürger als Gesetz vorliegen wird; dem können wir zustimmen.
Wir sehen aber auch einige Inhalte des Staatsvertrags nach wie vor kritisch. Was laut Senat weitgehend nur deklaratorischen Charakter haben soll, kann aus unserer Sicht zur Grundlage für politische und auch juristisch relevante Ansprüche werden, und zwar vor allem deshalb, weil die Formulierungen des Vertrags vielfach leider unpräzise sind. Sie laden zu unterschiedlicher Auslegung oder zu juristischen Auseinandersetzungen geradezu ein, etwa wenn es wortwörtlich heißt, das ist heute schon zitiert worden– ich zitiere noch einmal –:
"Dies schließt das Recht muslimischer Frauen und Mädchen ein, nicht wegen einer ihrer religiösen Überzeugung entsprechenden Bekleidung in ihrer Berufsausübung ungerechtfertigt beschränkt zu werden."
Was bedeutet das? Hinter dieser gewundenen Formulierung verbirgt sich ein in Hamburg bis jetzt noch politisch ungelöster Konflikt. Wenn nämlich eine gläubige muslimische Lehrerin in der Schule das Kopftuch als Ausdruck ihrer persönlichen Religionsfreiheit trägt, kann ein Schulgesetz dies dann trotzdem gerechtfertigt beschränken? Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2003 grundsätzlich dazu geurteilt: Ja. Wir in Hamburg haben aber dazu bis heute noch keine Regelung im Schulgesetz. Klar scheint deshalb jetzt jedenfalls nur eines: Dieser Passus des Vertrags kann und wird als Grundlage für politische Ansprüche bewertet werden, um religiös motivierte Bekleidung auch im öffentlichen Dienst durchzusetzen. Das lehnen wir ab, insbesondere an Schulen.
Ähnlich problematisch sind übrigens auch die Regelungen zum Religionsunterricht. Sie festigen unserer Ansicht nach nämlich nicht das Kleinod des Hamburger Modells eines überkonfessionellen Unterrichts, wie der Bürgermeister meint. Das sehen
wir nicht so. Verfassungsrechtlich wird ein religions- statt konfessionsübergreifender Unterricht mit staatsvertraglich gesicherter Einflussnahme der muslimischen Verbände kaum haltbar sein; so urteilen auch Verfassungsexperten. Dieser Vertrag könnte damit das Ende des erfolgreichen Hamburger Religionsunterrichts einläuten. Das wollen wir nicht und ich glaube, das will keiner hier.
Schließlich sind Form wie Verhandlungsprozess dieses Staatsvertrags für uns inakzeptabel. Der Vertrag ist praktisch unkündbar. Entwicklungen, die eine Veränderung oder Aufkündigung nötig erscheinen lassen, sind nicht vorgesehen. Stattdessen wird am Schluss nur vage formuliert, das Ganze solle nach zehn Jahren auf den Prüfstand gestellt werden. Und dem Parlament wird nach fünfjährigen Verhandlungen mit einer großen Inszenierung ein fertiges Papier vorgelegt mit der Botschaft: Das ist jetzt so. Der Ausschluss der Volksvertretung aller Hamburger aus dem Verhandlungsprozess eines Staatsvertrags ist grundsätzlich nicht hinnehmbar.
Meine Damen und Herren! Wir sagen deshalb auch, Hamburg soll beim wirklich Selbstverständlichen bleiben, dem seit Jahrzehnten guten Miteinander mit unseren Mitbürgern islamischen Glaubens – ohne Staatsvertrag. – Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Die LINKE hatte bereits in der letzten Debatte und in weiteren Stellungnahmen deutlich gemacht, dass wir den Vertrag der Freien und Hansestadt Hamburg mit dem DITIB Landesverband Hamburg, der SCHURA und dem Verband der Islamischen Kulturzentren sowie den Vertrag mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland unterstützen.
Ich habe damals gesagt und möchte das bekräftigen, dass der Abschluss der Verträge den großen Veränderungen, die die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten erfahren hat, Rechnung trägt. Mit dem Abschluss dieser Verträge erkennt Hamburg die kulturelle und religiöse Vielfalt der Gesellschaft an. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass es auch umgekehrt gilt, nämlich die islamischen und die alevitischen Vertragspartner verstehen sich damit ausdrücklich als Teil unserer gemeinsamen demokratischen, pluralen und vielfältigen Gesellschaft.
Ich möchte mich heute nicht mehr mit den Einzelheiten des Vertrags befassen, sondern auf die Argumente der Gegnerinnen und Gegner sowie auf den Vorschlag der CDU eingehen, die eine gemeinsame Entschließung der Bürgerschaft anstrebt.
Die FDP hält als Verfechterin der Trennung von Kirche und Staat den Staatsvertrag mit den Muslimen für unnötig, so wie sie auch die anderen Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften für unnötig hält. Dem könnten wir folgen, wenn wir ganz am Beginn dieses Prozesses stünden. Doch Tatsache ist, dass es die Staatsverträge mit den anderen Religionsgemeinschaften, mit der Nordelbischen Kirche, mit dem Heiligen Stuhl und mit der Jüdischen Gemeinde seit Jahren gibt. Mit den jetzigen Verträgen mit den muslimischen Religionsgemeinschaften wird ein Zustand der Ungleichbehandlung beendet. Diese Beendigung der Ungleichbehandlung ist ein Gebot der staatlichen Neutralität – Frau von Treuenfels, ich spreche Sie jetzt direkt an –, damit ist sie aber auch eine Stärkung der staatlichen Neutralität und eine Stärkung der Trennung von Kirche und Staat.
Ich möchte ein weiteres Argument anführen, das ich sehr interessant finde, weil ich es aus den Gutachten gewonnen habe. Es gibt in den islamisch geprägten Ländern keine kirchenähnlichen Institutionen. Eine kirchenähnliche Institution ist nach dem traditionellen islamischen Religionsverständnis nicht vorgesehen. Das heißt, dass in den islamisch geprägten Ländern der Staat auch kein Gegenüber, keine ansprechbare religiöse Repräsentationsstruktur vorfindet. Von einer Trennung zwischen Kirche und Staat kann in den allermeisten islamisch geprägten Ländern eben nicht die Rede sein. Aber in Deutschland – und mit einer gewissen Vorreiterrolle hier in Hamburg – haben die Muslime nach und nach repräsentative Vertretungsorgane herausgebildet. Diese repräsentativen Vertretungsorgane gewinnen durch die Anerkennung der muslimischen Verbände als Religionsgemeinschaften an Festigkeit. Das ist für die Entwicklung des Islam in Deutschland und in Europa von allergrößter Bedeutsamkeit.
Indem die Verbände als Repräsentanten der muslimischen Gemeinden mit der Freien und Hansestadt Hamburg den Vertrag abschließen, bekennen sie sich sehr deutlich zur Trennung von Kirche und Staat. Mit ihrem Nein springen Sie deshalb, verehrte Abgeordnete der FDP, deutlich zu kurz. Ich bitte Sie deshalb, Ihre Haltung noch einmal zu überdenken und dem Vertrag zuzustimmen.
Wir sehen es als positiv an – Herr Wersich, da wende ich mich an Sie –, dass die CDU-Fraktion in ihrer Mehrheit dem Antrag von Herrn Haufler nicht gefolgt ist. Und obwohl ich zu erheblichen Teilen Ihrer Rede Differenzen hätte und andere Argumente anbringen würde, habe ich Ihre Rede mit Respekt gehört, Herr Wersich.
Das ist nicht selbstverständlich, wenn man ganz konträrer Ansicht ist, und das möchte ich auch ausdrücklich einmal gesagt haben.
Auch wenn uns bewusst ist, dass Sie einige Anstrengungen leisten, um konservative Gegner der Verträge doch noch einzubinden, können wir Ihrem Anliegen einer gemeinsamen Entschließung der Bürgerschaft nicht folgen. Die Verträge sind eine Angelegenheit unterschiedlicher Vertragspartner; zu den verschiedenen Artikeln gibt es noch erläuternde Protokollerklärungen. Eine Entschließung der Bürgerschaft, wie Sie sie vorschlagen, ist dagegen eine einseitige Angelegenheit,
die sozusagen eine Interpretation des Vertrags liefert, zu der die Vertragspartner auf der anderen Seite nichts zu sagen haben. Das finde ich nicht in Ordnung. Sie machen zudem mit Ihrem Entschließungsantrag, so wie Sie ihn vorschlagen, indirekt einen Unterschied zwischen den Staatsverträgen mit der Nordelbischen Kirche, dem Heiligen Stuhl und der Jüdischen Gemeinde auf der einen und dem Vertrag mit den islamischen Religionsgemeinschaften und den Aleviten auf der anderen Seite. Sie setzen damit die Ungleichbehandlung der verschiedenen Religionsgemeinschaften auf eine etwas andere Weise, als sie bisher bestand, fort. Oder wurde hier eine ähnliche Entschließung zu den vorherigen Staatsverträgen verabschiedet?
Es bedarf, um ein Beispiel zu geben, keiner Klarstellung durch die Bürgerschaft – ich zitiere aus Ihrem Vorschlag –:
"[…] dass ein Bekenntnis zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen und deren organisierte Umsetzung mit den Verträgen nicht vereinbar ist".
Das ergibt sich nämlich aus den Verträgen selbst. Eine solche Feststellung durch die Bürgerschaft unterstellt indirekt, dass die muslimischen und alevitischen Vertragsparteien das eine unterschreiben und das andere womöglich tun.
Ich finde es auch sehr problematisch – jetzt bin ich ein bisschen auf einem gefährlichen Eis, aber ich möchte es trotzdem sagen –, dass Sie nicht die gleiche Messlatte anlegen. Zum Beispiel kann ich mich nicht daran erinnern, dass es im Jahr 2009 einen Entschließungsantrag gab, der vom Heiligen Stuhl, von der katholischen Kirche gefordert hätte,
die gerade wieder aufgenommene Piusbruderschaft wieder zu exkommunizieren. Und die Piusbruderschaft ist extremistisch, wenn ich diesen Begriff nehmen darf, sie ist gegen die Gleichberechtigung der Frauen, sie ist gegen die Religionsfreiheit
Auch versuchen Sie mit Ihrem Entschließungsantrag eine einseitige Interpretation von Artikel 2. Dort ist nämlich in der Protokollerklärung von dem Recht muslimischer Frauen und Mädchen die Rede, – ich zitiere –,
"[…] nicht wegen einer ihrer religiösen Überzeugung entsprechenden Bekleidung in ihrer Berufsausübung ungerechtfertigt beschränkt zu werden."
"die Beschränkung des Tragens religiöser Bekleidungen gerechtfertigt ist, soweit Staatsbedienstete hoheitliche Aufgaben wahrnehmen."
Und das ist nicht dasselbe. Wir hatten eine wichtige Debatte um den Hijab und haben darüber sehr sachlich geredet. Dieser Konflikt ist gelöst worden. Wir haben damals festgestellt – ich glaube, da haben auch Sie nicht widersprochen –, dass der Schulfrieden dadurch nicht gestört wird. Und das ist das Entscheidende, ob der Schulfrieden gestört und das Ausüben hoheitlicher Aufgaben dadurch behindert wird oder nicht.
Nach unserer Auffassung sprechen die Verträge für sich selbst und bedürfen keiner klarstellenden einseitigen Interpretation durch die Bürgerschaft. Im Verfassungsausschuss besteht die Gelegenheit, ausführlich die verschiedenen Vertragsbestimmungen zu diskutieren. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte aus Sicht der SPD-Fraktion noch ein paar Teilaspekte benennen, die uns ganz besonders wichtig sind, wenn wir über diesen Punkt diskutieren. Die Verträge mit den islamischen Religionsgemeinschaften und der Alevitischen Gemeinde haben eine große Bedeutung, die weit über Hamburg hinausgeht. Es wird ein Fundament dafür gelegt, wie künftig mit musli
mischen Religionsgemeinschaften und der Alevitischen Gemeinde im gesamten Bundesgebiet umgegangen wird. Dafür leisten wir Pionierarbeit und das Ganze hat dann auch Vorbildcharakter.
Dieses Vorhaben ist von vielen Beteiligten aus diesem Hause gestartet worden und steht nun kurz vor dem Abschluss, nachdem der Verfassungsausschuss eine Expertenanhörung veranstaltet hat, auf der alle die Fragen, die jetzt auch aufgeworfen wurden, geklärt werden. Aber uns geht es in erster Linie auch um ein politisches Signal an unsere muslimischen und alevitischen Mitbürger. Mein Eindruck ist, dass auf dieses Signal gewartet und dass sehr genau hingesehen wird, wie wir mit diesem Thema umgehen und wie wir diskutieren: Zeigen wir uns verantwortlich in dem, was wir diskutieren und wie wir den Vertragstext interpretieren, oder kann man den Eindruck gewinnen, dass plötzlich sachfremde Themen diskutiert werden, die bei der Lektüre des Vertrags eigentlich gar nicht aufkommen dürften, weil sie nicht Bestandteil dieses Vertragstextes sind und auch nicht sein müssen?