Protocol of the Session on November 28, 2012

Es kann nicht angehen, dass in Hamburg 36 000 Menschen trotz Beschäftigung auf Transferleistungen angewiesen sind, 8000 davon sogar bei Vollzeitbeschäftigung. Laut der Gewerkschaft ver.di gibt es in Hamburg mindestens 10 000 prekär beschäftigte Leiharbeiter in öffentlichen Unternehmen. Sie sind Staatsdiener zweiter Klasse. Nach dem Lohnskandal in der Leiharbeit in öffentlichen Unternehmen, beispielsweise bei der Stadtreinigung Hamburg und deren Tochtergesellschaft WERT GmbH, ist es dringlicher denn je, jetzt zu handeln. Es darf nicht sein, dass die Stadt Hamburg für die gleiche Arbeit unterschiedliche Löhne bezahlt.

(Jens-Peter Schwieger SPD: Genau!)

Der Mindestlohn gehört eigentlich nicht in ein Landesgesetz. Wenn wir auf Bundesebene eine Politik hätten, die sich für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einsetzen würde, dann bräuchten wir heute diese ganze Diskussion nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN – Dirk Kienscherf SPD: Das stimmt!)

Aber da dies vor einem Regierungswechsel im Bund nicht möglich wird, können wir in einzelnen Bundesländern wie jetzt in Hamburg im Rahmen unserer Möglichkeiten einen Landesmindestlohn einführen. Mit dem Hamburger Mindestlohngesetz verpflichtet sich die Stadt Hamburg, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern existenzsichernde Löhne zu zahlen und schöpft dafür die Spielräume der Landesgesetzgebung aus. Mit diesem Gesetz soll sichergestellt werden, dass da, wo öffentliches Geld einfließt, ein Mindestlohn von 8,50 Euro gezahlt wird. Der Mindestlohn ersetzt nicht die Branchenmindestlöhne, die über 8,50 Euro liegen. 8,50 Euro sind die unterste Grenze, darunter geht es nicht; das muss allen klar sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

(Dr. Friederike Föcking)

Sie haben das Gesetz aus Bremen fast kopiert. Das ist keine Kritik, bei unseren Anträgen im April haben wir das genauso gemacht.

(Beifall bei Anja Hajduk GRÜNE)

Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden, aber Ihr Gesetzentwurf hat Lücken. Einige wichtige Punkte im Gesetz aus Bremen haben Sie leider weggelassen.

(Dirk Kienscherf SPD: Doch nicht nur ko- piert!)

Wir haben im Oktober ein Expertengespräch zum hamburgischen Mindestlohngesetz mit der Gewerkschaft der Diakonie, dem PARITÄTISCHEN, den Innungen und der Arbeitnehmerkammer Bremen geführt. Auch die Expertinnen und Experten haben folgende Punkte an Ihrem Gesetzentwurf bemängelt: Der Hamburger Entwurf sieht keine Landesmindestlohnkommission vor. Senator Scheeles Aussage, die Höhe des Mindestlohns alle zwei Jahre über eine Ermächtigungsverordnung anzupassen, reicht hier nicht aus. Hamburg sollte dem Beispiel Bremens folgen und eine Landesmindestlohnkommission im Gesetz festschreiben. Das beste Gesetz nützt nichts, wenn keine Kontrollmechanismen existieren und Verpflichtungen nur auf dem Papier bestehen. Der Senat muss eine Beratungs- und Beschwerdestelle für Betroffene einrichten und regelmäßig kontrollieren, ob das Gesetz eingehalten wird. Die Politik kann sich dieser Verantwortung nicht entziehen und die Kontrolle allein den Gewerkschaften überlassen.

Auch müssen bei der Vergabe besonders Unternehmen, die mit Subunternehmen arbeiten, besser kontrolliert werden. Hier ist es sehr wichtig, die Haftung des Generalunternehmens im Gesetz festzulegen.

(Glocke)

Frau Demirel, kommen Sie zum Schluss, bitte?

– Ja.

Bekanntlich verlässt kein Gesetz die Gremien so, wie es hineingekommen ist. Wir sind als GRÜNE Fraktion bereit, den Weg mitzugehen.

(Glocke)

Allerdings sehen wir den Bedarf, dass Sie unsere Änderungen und Ergänzungen mit hineinnehmen. Wir werden noch einmal darüber diskutieren. – Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun hat Herr Dr. Kluth das Wort.

Meine Damen und Herren! Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, wenn die SPD eine Aktuelle Stunde zum Mindestlohn unter der Überschrift "Wir halten Wort" anmeldet. Ich dachte bislang, dass Wort halten bedeutet, dass man das, was man sagt, anschließend auch tut,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Richtig!)

dass man also ein Mindestlohngesetz für den öffentlichen Sektor nicht nur ankündigt, sondern auch schon beschlossen hat. Beschlossen haben wir bislang aber gar nichts.

(Ksenija Bekeris SPD: Kommt noch, Herr Kluth, kommt noch!)

Wir haben nicht einmal mit den parlamentarischen Beratungen begonnen. Insofern müsste die Überschrift eigentlich nicht "Wort gehalten", sondern allenfalls "Versprechungen gemacht" oder vielleicht noch zutreffender "Wieder einmal Versprechungen gemacht" heißen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Im Übrigen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, zeugt dieser Titel von einer gewissen Respektlosigkeit gegenüber dem parlamentarischen Beratungsprozess.

(Beifall bei Norbert Hackbusch und Christia- ne Schneider, beide DIE LINKE)

Da bekommt man schon eher den Eindruck, dass sich die SPD und der SPD-geführte Senat gleich dreimal feiern lassen wollen, einmal zu Beginn, einmal während und einmal am Schluss der parlamentarischen Beratungen.

(Dirk Kienscherf SPD: Aller guten Dinge sind drei! – Jens-Peter Schwieger SPD: Da se- hen Sie mal, wie wichtig das für uns ist!)

Das wiederum, Herr Schwieger, stellt die Folgefrage, wie gering eigentlich die politischen Erfolge nach zwei Jahren SPD-Senat sind, wenn Sie sich für ein Gesetz, das in der Praxis so gut wie keine Folgen haben wird, gleich dreimal abfeiern möchten.

(Beifall bei der FDP)

Warum wird dieses Gesetz so gut wie keine Folgen haben? Das können Sie in der Senatsdrucksache zum Mindestlohngesetz selbst nachlesen.

Für die Beschäftigten der Stadt selbst ist eine Vergütung oberhalb des angestrebten Mindestlohns von 8,50 Euro brutto pro Stunde bereits sichergestellt, weil die niedrigste Stufe der niedrigsten Entgeltgruppe bereits heute 8,78 Euro beträgt. In den öffentlichen Unternehmen liegt die Vergütung, wie auf Seite 3 der Senatsdrucksache ausgeführt wird, ebenfalls bereits heute oberhalb des angestrebten Mindestlohns. Somit bleiben allenfalls noch die Beschäftigten von Unternehmen und Einrichtungen,

(Phyliss Demirel)

die Zuwendungsempfänger oder Auftragnehmer der Stadt sind. Und auch hier wage ich die Prognose, dass ein hamburgisches Mindestlohngesetz nur für ganz wenige Beschäftigte wirklich Auswirkungen haben wird, einerseits aufgrund der veränderten Situation auf dem Arbeitsmarkt – Mindestlohndebatte war gestern, Fachkräftemangel ist heute –,

(Dr. Andreas Dressel SPD: War gestern? Dann gucken Sie mal nach Berlin! Wir sind die Letzten, die das in Berlin blockieren!)

andererseits, weil eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen schon heute branchenspezifischen Mindestlöhnen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz, dem Tarifvertragsgesetz oder dem Mindestarbeitsbedingungsgesetz unterliegt. Es ist schon erstaunlich, dass sich die SPD hier selbst für einen Gesetzentwurf abfeiert, aber in der dazugehörigen Senatsdrucksache sich an keiner einzigen Stelle auch nur ein Wort oder eine Zahl dazu finden lässt, wie viele Menschen von diesem Gesetz begünstigt werden. Meine Prognose ist, dass es nur ganz wenige sein werden, und daher ist das auch nur eine weitere Initiative mit hohem populistischem Symbolwert, aber mit wenigen, möglicherweise keinen konkreten Auswirkungen in der Realität,

(Dirk Kienscherf SPD: Stimmen Sie zu?)

mit anderen Worten die Lösung für ein Problem, das es in der Realität kaum noch gibt.

(Beifall bei der FDP)

Dass das so ist, sehen Sie auch an den wenigen konkreten Zahlen in der Senatsdrucksache. Frage: Um welchen Betrag erhöhen sich die Personalaufwendungen der öffentlichen Unternehmen durch das Mindestlohngesetz? Antwort: um gerade einmal 475 000 Euro.

(Dirk Kienscherf SPD: Für Sie ist das natür- lich kein Geld!)

Frage: Wie viele Unternehmen sind tatsächlich betroffen? Antwort: gerade einmal sechs, darunter zwei Tochterunternehmen des Berufsförderungswerks und der "hamburger arbeit", die Sie gerade mit Millionenbeträgen auf Kosten der Steuerzahler vor der Pleite bewahren wollen. Man braucht sehr wenig Fantasie, um sich die Auswirkungen Ihres Mindestlohngesetzes bei diesen Trägern vorzustellen.

Meine Damen und Herren! Es kann niemanden politisch zufriedenstellen, das habe ich bereits in der letzten Mindestlohndebatte in diesem Hause gesagt, wenn ein geringer Anteil von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen trotz einer Vollzeitstelle auf ergänzende Transferleistungen angewiesen ist.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und Ihre Konse- quenz ist dann, nichts zu tun!)

Kein Zweifel, daran gibt es nichts zu beschönigen, aber hier durch einen Mindestlohn etwas ändern zu wollen, ist der falsche Weg. Lohnfindung ist und bleibt Aufgabe der Tarifvertragsparteien. Allgemeinverbindliche Mindestlöhne, ob durch Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit oder durch Ausweitung des Entsendegesetzes, dürfen in einer sozialen Marktwirtschaft nicht der Regelfall sein, sondern müssen die Ausnahme bleiben. Wir werden daher das Mindestlohngesetz ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Nun hat Herr Golke das Wort.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will an dieser Stelle, das wurde in Teilen auch schon gemacht, zunächst darauf eingehen, warum wir nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen.