Protocol of the Session on November 7, 2012

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Farid Müller GRÜNE)

Das Wort bekommt Frau Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe geglaubt, dass wir in dieser Legislaturperiode über Schule gar nicht mehr diskutieren müssen, weil wir doch diesen ominösen Schulfrieden haben. Was ist aber festzustellen? Wir haben die Schullaufbahnentwicklung anders interpretiert und haben Änderungen am laufenden Band. Frau von Berg hat eben vier genannt, ich nenne außerdem die Überführung der

(Dr. Stefanie von Berg)

gymnasialen Oberstufe in die Profiloberstufe. Wir haben ständig irgendwelche Änderungen, und es werden im regelmäßigen Takt Änderungen am Schulgesetz vorgeschlagen. Diese vielen neuen Aufgaben – das ist völlig richtig und das schreiben Sie auch alle in Ihren Anträgen – schaffen nicht die Entlastungen, die es eigentlich geben müsste. Insbesondere, was die Inklusion anbetrifft, ist die Mehrbelastung enorm. Die Lehrer gehen auf dem Zahnfleisch und haben sich deshalb an die Schulbehörde und an die GEW gewandt. Sie haben deutlich gemacht, dass Entlastungen hermüssen, weil es sonst einfach nicht mehr zu schaffen ist.

Nun hat Herr Senator Rabe gesagt, dass er Entlastung für die Lehrerinnen und Lehrer schafft. Er hat ungefähr ein Dutzend Vorschläge gemacht. Diese haben alle eines gemeinsam: Sie kosten kein Geld und stellen einzelne Anregungen dar, die zu einem Konzept zusammengebunden sind. Die Wirksamkeit ist sehr gering. Ich will nur einige Beispiele nennen.

Sie sagen, dass wir weniger Hauptschulprüfungen brauchen. Wir sind gerade in der Vorbereitung von Lernentwicklungsgesprächen jeden Schüler in jeder Klasse durchgegangen und haben uns dabei ernsthaft Gedanken darüber gemacht, ob dieser Schüler oder diese Schülerin eine Hauptschulprüfung machen muss oder nicht. Wenn wir jetzt sagen, dass das nicht sein muss, und dieses Kind schafft später die Realschulprüfung nicht, dann steht es am Ende ohne Schulabschluss da. Das ist ganz gefährlich und da sollte man sehr, sehr vorsichtig sein. Wir machen lieber eine Hauptschulprüfung mehr als eine weniger. An diesem Punkt ist eine Entlastung völlig falsch.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

Das Zweite. Sie sagen, dass die Abi-Arbeiten jetzt sowieso alle zentral kommen und wir daher nur noch einen Gutachter brauchen würden. Der Zweitgutachter solle nur noch einmal schauen, ob der Erstgutachter das richtig gemacht hat. Ich kann Ihnen aus meinen Erfahrungen mit Abiturarbeiten nur sagen: Wenn es nicht zwei Gutachter gegeben hätte, dann hätte es völlig schiefe Noten gegeben. Es ist ein Kardinalfehler, bei Abiturprüfungen von zwei Gutachtern auf einen zurückzugehen, das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der CDU und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Dann haben Sie ausgerechnet, dass alle Vorschläge zusammen genommen für die Lehrer eine Entlastung von zwei Tagen bedeuten. Herr Rabe sagt, dass es eine Entlastung von zwei Arbeitstagen für die Lehrer gibt und dass einer der Präsenztage gestrichen wird. Das ist wirklich eine tolle Methode.

(Dirk Kienscherf SPD: Neulich fanden Sie's noch gut!)

Erstens haben wir dieses Arbeitszeitmodell, und dann sind die drei Präsenztage überhaupt nicht im Arbeitszeitmodell berücksichtigt. Die Lehrer und Lehrinnen arbeiten schon drei Tage im Jahr mehr, als sie eigentlich müssten. Das kann man überall nachlesen. Nun kürzen Sie einen Tag, und die anderen Maßnahmen ergeben zwei Tage. Und was ist die Ersparnis? – Null. Sie bieten den Lehrern ein Nullsummenspiel an.

(Beifall bei Robert Heinemann CDU)

Die GEW hat im Frühjahr eine Onlinebefragung in der Lehrerschaft gemacht und im Netz veröffentlicht, welche Probleme Lehrer bei ihrer Arbeit am meisten belasten. Wenn man das mit dem vergleicht, was Sie als Entlastung anbieten, dann bleibt das weit hinter dem zurück, was dort zu sehen ist.

Nun zu den Lernentwicklungsgesprächen. Diese sind in Paragraf 44 Absatz 3 des Schulgesetzes veröffentlicht. Ich möchte nur daran erinnern, dass von mindestens zwei Lernentwicklungsgesprächen gesprochen wurde. Nach dem Schulentscheid haben wir mit "Wir wollen lernen!", mit Schüler-, Eltern- und Lehrerkammer in sechs Sitzungen à vier Stunden zusammengesessen. Da gab es tatsächlich die Idee, zumindest in der vierten Klasse drei Lernentwicklungsgespräche zu machen, und das haben wir auf zwei heruntergedrückt. Jetzt soll es auf ein Lernentwicklungsgespräch reduziert werden, ohne dass das im Schulausschuss beraten wird.

Wenn die FDP sich darüber aufregt, kann ich nur sagen, dass Sie das Spiel auch schon mit uns gespielt haben. Sie haben einen Antrag eingebracht, dass es ein Recht auf Halbtagsschule geben müsse. Es gab keine Überweisung an den Schulausschuss und der Antrag war beschlossen. Wir lehnen das ab und sind dafür, das intensiv zu beraten.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Robert Heinemann CDU)

Was sind Lernentwicklungsgespräche? Das ist eine pädagogische Errungenschaft ersten Grades. Bei diesen Lernentwicklungsgesprächen ist Bedingung, dass alle Eltern mit ihren Kindern zu dem Gespräch mit den Klassen- und Fachlehrern kommen. Herr Rabe sagt, dass wir nur ein Gespräch brauchen und dass es auch noch die Elternsprechtage gebe. Das sind aber zwei völlig verschiedene Welten. Zu den Elternsprechtagen – und das wird jeder, der hier sitzt und Lehrer ist, bestätigen können – kommen nur ein Drittel der Eltern, und zwar genau die Eltern, die eigentlich gar nicht kommen müssten. Die Eltern hingegen, zu denen man Kontakt bräuchte – Frau von Berg hat darauf hingewiesen, dass man die pädagogische Verantwortung ans Elternhaus zurückgeben muss – und mit denen man reden müsste, kommen nie. Deshalb hal

ten wir es für eine enorme pädagogische Errungenschaft, dass es diese Lernentwicklungsgespräche gibt, und wir halten es für absolut fatal, wenn das zurückgedreht wird.

Ich habe hier viel zu den Themen Leistung, Noten und wo das Kind steht gehört. Bei den Lernentwicklungsgesprächen geht es aber auch darum, dass Eltern und Lehrer dem Kind Hilfestellungen geben, wie es sein Lernverhalten verändern und sich besser entwickeln kann. Es geht nicht nur um Noten.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Dr. Isabella Vértes-Schüt- ter SPD)

Ich selbst habe einen sehr guten Vorschlag, wie man die Belastung der Lehrer, der Kinder und auch der Eltern mindern könnte. In Paragraf 44 des Schulgesetzes gibt es auch den Absatz 4, der eben nur kurz gestreift wurde. Dort steht ganz klar, dass bezüglich der Klassen 5, 7, 8 und 9 des Gymnasiums oder in den Klassen 5, 7 und 8 der Stadtteilschule in der Schulkonferenz beschlossen werden kann, dass es in diesen Klassen nicht zwei Zeugnisse pro Jahr gibt, sondern nur eins. Das wäre eine sehr große Entlastung, und es würde den Druck von den Schülern nehmen. Denn was ist tatsächlich zurzeit an den Schulen los? Es gibt nicht zwei Zeugnisse, sondern vier. Wir haben die Quartalsnoten, die die Eltern ohne Kommentar unterschreiben müssen, und dann gibt es noch das Halbjahres- und das Jahreszeugnis. Ein Schüler hat zu mir gesagt, dass ihm durch die Quartalsnoten nun viermal im Jahr der Kopf abgehauen werde. Das ist Notenterror und muss aufhören. Wir müssen den Druck rausnehmen, auch aus dieser Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir lehnen den SPD-Antrag ab, das konnte man eindeutig hören, weil das, was Sie dort sagen, überhaupt keine Entlastung darstellt. Man kann ein Lernentwicklungsgespräch nicht mit einem Elternsprechtag gleichsetzen. Das sind zwei völlig verschiedene Sachen, und die pädagogische Errungenschaft des Lernentwicklungsgespräches, dass alle Eltern kommen müssen, ist unglaublich wertvoll.

Jetzt zum Antrag der GRÜNEN. Wir sehen wirklich nicht ein, dass wir beschließen müssen, das Schulgesetz nicht zu ändern.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt!)

Das muss man nicht beschließen.

Das Zweite ist genau das, was die Lehrer auf die Palme bringt. Wir sollen schon wieder evaluieren und die Ergebnisse aus der Schulinspektion, die gar keine sind, auch noch einbeziehen. Das ist Mehrarbeit für die Lehrer und bringt überhaupt nichts. Auch das lehnen wir ab.

Dann sagen Sie, dass standardisierte Verfahren entwickelt werden müssen. Was meinen Sie denn, was in den Schulen passiert? Glauben Sie, dass die Klassenlehrer sich hinsetzen und warten, bis die Eltern kommen und nett mit ihnen sprechen? Die Lehrer haben natürlich vorbereitete Bögen und wissen, dass sie hinterher etwas abgeben müssen. Die Eltern und die Schüler müssen das unterschreiben und es kommt in die Schülerakte. Da müssen wir nichts Neues machen, das ist alles völlig in Ordnung. Insofern ist Ihr Antrag überflüssig.

Das Grundübel in Hamburg ist das Arbeitszeitmodell. Die GEW und die GRÜNEN möchten eine grundsätzliche Überprüfung. Wir von der LINKEN lehnen das ab. Eine echte Entlastung wäre es, zurück zu normalen Stundenzahlen von 24 Stunden und nicht von 29 bis 32 Stunden zu finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Senator Rabe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorredner haben recht, wenn sie sagen, dass Lernentwicklungsgespräche sinnvoll sind. Das will ich nicht bezweifeln, wie so vieles in der Schule sinnvoll ist, was wir uns gemeinsam ausdenken. Allerdings vergessen wir dabei immer, diese Dinge zu Ende zu denken.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Das stimmt!)

Wer das Lernentwicklungsgespräch eingeführt hat, hätte folgende Berechnung anstellen müssen:

(Dora Heyenn DIE LINKE: Da waren Sie da- bei!)

160 000 Schülerinnen und Schüler in den allgemeinbildenden Schulen, zwei Lernentwicklungsgespräche, mindestens eine halbe Stunde pro Schüler – die Lehrerinnen und Lehrer behaupten, mit Vor- und Nachbereitung eine Dreiviertelstunde, ich lasse es bei der halben Stunde. Hätte man das durchgerechnet, wären allein 88 Stellen für diese segensreiche Einrichtung nötig gewesen. Das ist eine Sache, die Schulpolitik regelhaft falsch macht: Sie erfindet gute Sachen, aber sie kümmert sich nicht darum, wie das dann gehen soll.

(Beifall bei der SPD – Glocke)

Herr Senator, wollen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Heyenn beantworten?

Ich will mich nicht drücken, bin aber stimmlich sehr angefasst. Diese eine, aber dann würde es mich freuen, wenn wir nicht in einen Gesamtdialog treten. Bitte.

(Dora Heyenn)

Sie müssen auch nur mit Ja oder Nein antworten. Können Sie sich noch daran erinnern, dass Sie als Oppositionsschulpolitiker in den Sitzungen zur Änderung des Schulgesetzes gesessen haben, wo es um die Lernentwicklungsgespräche ging? Sie waren dafür und ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass man in der vierten Klasse wegen des Zeitaufwandes nicht drei Gespräche machen kann. Wir alle zusammen, also alle Fraktionen außer der FDP, haben beschlossen, dass es mindestens zwei Lernentwicklungsgespräche geben soll, und zwar aus dem einzigen Grund, weil dann alle Eltern kommen müssen.

Ich kann mich daran erinnern, Frau Heyenn, dass wir zusammengesessen haben zu einer Vielzahl, zu Hunderten von Maßnahmen, in denen wir nach der Volksabstimmung versucht haben, zu retten, was zu retten ist. Da war das auch ein Thema, das ist richtig und daran kann ich mich erinnern. Aber lassen Sie mich fortfahren, um deutlich zu machen, worum es geht.

Das erste Problem war, etwas Gutes einzuführen, aber nicht zu erläutern, wer das wann wie machen soll.

Das Zweite ist, dass man sich auch hätte fragen können, ob es eigentlich in der schulischen Welt einen Platz dafür gibt. Damals wurde uns erklärt, dass der Unterricht selbstverständlich nicht ausfallen solle. Dieses Gespräch solle parallel stattfinden, denn es fällt, wie wir alle wissen, nicht gerade wenig Unterricht aus, und das sollte nicht noch dazukommen. Tatsache ist aber, dass regelhaft alle mir bekannten Lernentwicklungsgespräche während der Unterrichtszeit stattfinden. Das bedeutet in der Regel, dass mindestens zwei Tage im Schuljahr, meistens sogar vier – ich kenne das so, dass es montags beginnt, bis abends geht und am Dienstag noch den Vormittag –, der Unterricht tangiert wird. Auch darüber ist im Vorfeld nicht sorgfältig nachgedacht worden.

Einen dritten Punkt muss man berücksichtigen, und da bin ich ein bisschen erstaunt über die Debatte. Sie tun so, als ob an dieser Frage, ob es zwei Lernentwicklungsgespräche oder eines plus X gibt, die gesamte Elternbeteiligung hänge. Ich frage mich im Ernst, auch gerade an die CDU gerichtet, wie es denn überhaupt möglich gewesen ist, dass vor 2009 in Hamburg Schule und Elternarbeit stattgefunden hat, wo doch angeblich nur dieses eine Schlüsselerlebnis die Elternbeteiligung sicherstellt.

(Zuruf von Robert Heinemann CDU)

Die Wahrheit ist doch, dass wir eine Vielzahl von Formaten haben, um Eltern in die schulische Arbeit einzubeziehen. Es gibt die Elternsprechtage; Sie

haben sie selber genannt. Diese fallen nicht aus und laufen auch noch, übrigens aus gutem Grund, denn beim Elternsprechtag können Fachlehrer gesprochen werden. Genau das schließen Lernentwicklungsgespräche aus. An einer weiterführenden Schule haben die Eltern häufig ein großes Interesse daran, den Physiklehrer zu sprechen. Im Lernentwicklungsgespräch hingegen führen sie einen Dialog mit dem Klassenlehrer, der vorher den Physiklehrer fragt und dann über den Physikunterricht nur mittelbar Auskunft geben kann. Wegen dieser Umständlichkeit gibt es nach wie vor jede Menge Elternsprechtage. Das ist nur ein mögliches Rückmeldeformat.

Ich will einen weiteren Punkt nennen. Die Zeugnisse sind mehrfach angesprochen worden. Ich finde die Notendebatte an dieser Stelle schlicht fehl am Platze, aber ich will auch darauf hinweisen, dass wir eine Vielzahl engagierter Pädagogen haben, die sich die größte Mühe mit diesen Zeugnissen geben. Wer glaubt, dass dort nur Noten stehen, der muss sich genauer anschauen, was die Schulen mittlerweile für einen Aufwand treiben, um dem Kind und den Eltern genauestens zu erläutern, wie sich das Arbeits- und Sozialverhalten, die Zusammenarbeit mit dem Schüler und das gesamte Auftreten des Schülers darstellen. Es ist nicht so, dass Eltern völlig im Unklaren gelassen werden, wo ihre Kinder stehen. Es gibt eine Vielzahl von Schulen, die die Eltern über Lerntagebücher beinahe im Wochenrhythmus genauestens über das informieren, was die Schülerinnen und Schüler machen, ganz zu schweigen von Elternabenden und zahllosen Einzelgesprächen. Wer den Eindruck erweckt, Lehrer würden sich in Hamburg einbunkern, dem rate ich, sich die Praxis genau anzuschauen.