Die Rehabilitation ist unzureichend. Zeitgleich steigen die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen, Therapieplätze aber sind rar, und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gibt es zu wenige. Es fehlt völlig an Strategien für altersgerechtes Arbeiten, und damit meine ich nicht die Rentnerinnen und Rentner, die zum Beispiel Budnikowsy oder Otto jetzt wieder zurück in die Betriebe holt. Ich meine diejenigen, die auch als Babyboomer-Generation bezeichnet werden, die geburtenstarken Jahrgänge, die heute zwischen 40 und 50 sind. Was tun die Betriebe ganz konkret, damit diese Generation bis zum Erreichen des Rentenalters gut arbeiten kann? Wer über Fachkräftemangel klagt, muss sich auch und vor allem an die eigene Nase fassen.
Dazu gehört auch das altersgerechte Lernen. Ältere lernen anders als Jüngere, das ist eine Binsenweisheit. Die Große Anfrage enthält aber keinen Hinweis darauf, was hier konzeptionell geschieht. Auch hier sieht die Links-Fraktion akuten Redebedarf, und es besteht noch mehr unbedingter Handlungsbedarf.
Es geht weiter mit den Frauen. Dazu wird eine Menge ausgeführt und das begrüßen wir ausdrücklich. Es gibt Quotenregelung, Kita-Ausbau und Berufsrückkehrerinnen-Programme, aber es geschieht nur sehr, sehr wenig bei jenen, die die größte Armutsgefährdung haben und es deswegen
besonders schwer haben, eine gute Arbeit zu finden. Das sind nämlich die Alleinerziehenden; Frau Demirel hat es eben schon ausgeführt.
Fast ein Fünftel aller Frauen wird zudem unter ihrer Qualifikation beschäftigt. Auch hier besteht mehr Handlungsbedarf. Der von der Links-Fraktion geforderte Landesaktionsplan "Gute Arbeit für Frauen" enthält hier wichtige Vorschläge, und das ist auch in großen Teilen von SPD und GRÜNEN unterstützt worden.
Es besteht weiterhin Handlungsbedarf bei den Migrantinnen und Migranten. Es kann doch beispielsweise nicht sein, dass Flüchtlinge ein Arbeitsverbot haben. Erstens stigmatisiert sie das, zweitens ist es menschenunwürdig und drittens werden Chancen vertan, sie an der Wertschöpfungskette teilhaben zu lassen.
Der Senat führt richtigerweise auf, dass gute Arbeitsbedingungen und attraktive Löhne nötig sind, um Fachkräfte zu gewinnen. Das hat mir besonders gut an dieser Großen Anfrage gefallen. Deswegen sollten sich die Betriebe selbstkritisch fragen, wie attraktiv die Arbeit bei ihnen ist. Tarifflucht, Leiharbeit, Befristung, unbezahlte Überstunden und ein gläserner Deckel für Frauen sind beispielsweise keine geeigneten Mittel, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.
Wenn wir vom Arbeitsmarkt sprechen, dann bedeutet das immer Angebot und Nachfrage. Wer schlechte Angebote macht und nur auf die schnelle Verwertung einer Arbeitskraft setzt, schafft selbst das Phänomen des Fachkräftemangels. Und damit komme ich für meine Fraktion zu dem Schluss, dass es den Fachkräftemangel sehr wohl gibt, dass er aber nicht sein müsste.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will die Frage ein bisschen aufklären, ob es einen Fachkräftemangel aus Sicht des Senats gibt oder nicht.
Es ist fast alles richtig, was heute vorgetragen wurde. Wir haben eine gute Zeit bis 2020, in der wir steigende Schülerabgangszahlen und ein steigendes Erwerbspersonenpotenzial haben. Das führt natürlich nicht dazu, dass es in jeder Branche gleichmäßig gut aussieht. Insofern ist die These richtig, dass wir keinen strukturellen Fachkräftemangel haben, sehr wohl aber in einzelnen Branchen. Wir wollen den Hamburger Arbeitsmarkt in diesen acht Jahren, die ihm gegeben sind, weil er gut aufgestellt ist, weil Hamburg eine attraktive
Stadt ist und steigende Schülerzahlen hat – Herr Schwieger hat darauf hingewiesen, dass es nach diesen verbleibenden acht Jahren stagnierende Zahlen gibt –, so aufstellen, dass wir keinen durchgreifenden Fachkräftemangel in Hamburg zu verzeichnen haben werden. Das ändert nichts daran, dass es Stellenbesetzungsschwierigkeiten in einzelnen Branchen geben kann; wir haben über Erzieherinnen und Erzieher gesprochen. Aber es gibt in Hamburg aus Sicht des Senats angesichts der offensichtlichen Entwicklung und dem, was uns die Statistiker mitteilen, zurzeit diesen Mangel nicht. Und wir müssen die nächsten acht bis zehn Jahre nutzen, damit der Fachkräftemangel nicht wirklich eintritt.
Es hat in den letzten Wochen zwei Veranstaltungen gegeben, jeweils gemeinsam mit dem IAB. Am Montag ist darauf hingewiesen worden durch Professor Möller, das letzte Mal durch Dr. Walwei, zwei erfahrene Arbeitsmarktexperten in Deutschland, dass dieser Befund des Senats richtig ist, dass Hamburg anders als andere Regionen in Deutschland deutlich besser aufgestellt ist und wir diese Zeit nutzen müssen.
Ich habe erst gestern Abend einen Vortrag bei UVNord im Hafenclub gehalten. Danach haben wir diskutiert und sind uns da mit dem Verband und den Arbeitgebern in allen Fragen der Strategie, wie wir diesem Fachkräftebedarf entsprechen wollen, weitgehend einig. Jedenfalls haben Herr Wachholtz und Herr Fröhlich die Veranstaltung damit beendet, dass wir uns einig wären, nur nicht beim Mindestlohn. Das verstehe ich, damit habe ich auch nicht gerechnet. Aber in der Strategie sind wir uns einig.
Und wir werden im März nächsten Jahres ein Fachkräftekonzept in die Bürgerschaft einbringen. Es wird aus vier Bestandteilen bestehen, aus Qualifizierung, aus Erhöhung der Erwerbsbeteiligung, aus Zuwanderung – die werden wir in verstärktem Maße brauchen – und aus der Frage der guten Arbeit. Auch Unternehmen müssen einen Beitrag im Wettbewerb um die klügsten Köpfe leisten und gute Arbeitsbedingungen bieten und faire Löhne zahlen.
Ich nenne kurz einige Dinge, damit Sie sehen, dass wir auch etwas tun. Wenn man das Thema Qualifizierung betrachtet, dann will ich auf den Punkt Anerkennungsgesetz hinweisen. Das läuft mit den zuständigen Stellen und der zentralen Anlaufstelle recht gut. Es gehen Anträge ein, und wir haben insbesondere in der BGV bei Gesundheitsberufen starken Zulauf. Wir kommen dort voran, das funktioniert, es kommt jedoch nicht ganz von selbst, man muss daran arbeiten. Aber ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Ich nenne auch das Beispiel Jugendberufsagentur. Hier müssen Jugendliche beim Übergang Schule/ Beruf so begleitet werden, damit sie, auch wenn
sie es schwerer haben, von Klasse 10 in eine duale Ausbildung kommen. Auch da sind wir auf einem guten Wege, zum Beispiel im Bereich Qualifizierung.
Dann der Punkt der höheren Erwerbsbeteiligung. Wir haben vorhin eine interessante Debatte über das Betreuungsgeld erlebt, in dem Fall ist es eine Reduzierung der Erwerbsbeteiligung. Das kann man auch anders machen, nämlich wie der Hamburger Senat, indem man Krippen und Kitas ausbaut und jungen Frauen eine faire Chance schafft, Karriere, Berufstätigkeit und Kinder ins Einvernehmen zu bringen.
(Vereinzelter Beifall bei der SPD – Dietrich Wersich CDU: Sagen Sie doch mal, seit wann es das gibt! Nicht immer nur die Erbla- sten!)
Herr Wersich, lassen Sie mich doch ausreden. Haben wir den Rechtsanspruch ab zwei Jahren eingeführt oder Sie? Ich meine, das waren wir.
Wir sehen, dass gerade bei jüngeren Frauen in puncto Erwerbsbeteiligung, wenn sie denn möchten, noch etwas zu tun ist.
Der zweite Aspekt ist die höhere Erwerbsbeteiligung von älteren Kolleginnen und Kollegen. Wir kommen zwar inzwischen bis zum Lebensalter von 60 Jahren einigermaßen klar, danach nimmt sie jedoch drastisch ab. Daran gibt es viel zu arbeiten. Frau Demirel hat darauf hingewiesen, dass ich dazu etwas gesagt hätte. Ich glaube nämlich, dass es sich lohnt, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass bei der BA und im SGB III etwas passiert, damit langjährig Versicherten, die vielleicht 50 oder 45 Jahre alt sind, eine zweite Berufsausbildung ermöglicht wird, denn sie haben noch 20 Jahre im Beruf vor sich. Da muss man auch ein zweites Mal mit einem körperlich leichteren Beruf starten können.
Im Übrigen haben wir "Das Demographie Netzwerk" nach Hamburg geholt, um im Rahmen von best practice etwas im Unternehmenskreis selbst auszutauschen. Ich glaube, dass wir auch da auf einem vernünftigen Weg sind.
Zur Zuwanderung möchte ich sagen, dass wir das Hamburg Welcome Center haben, das sich insbesondere an höher qualifizierte Menschen wendet, der es ihnen erleichtern soll, in gewisser Weise einen privilegierten Zugang in die Stadt zu finden. Die Formalitäten werden im Übrigen schnell erledigt. Hier haben wir etwas, mit dem wir auch im Ausland werben können. Aber ich will gern konzedieren, dass man da noch mehr tun kann, weil wir, selbst wenn wir alle Erwerbspotenziale ausschöpfen, trotzdem mehr Zuwanderung sowohl im Inland als auch aus dem Ausland brauchen. Ich will nicht
Ein letzter Aspekt ist die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Unternehmen selbst. Da sind wir auf einem guten Wege; ich denke zum Beispiel an das Hamburger Familiensiegel zusammen mit den Kammern. Dann sitzen wir zusammen mit Unternehmen, die familiengerechte Arbeitsplätze schaffen und die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gut ermöglichen. Auch da gibt es gute Beispiele dafür, dass Hamburger Unternehmen manches Mal attraktiver sind als andere. Wer den Senatsempfang zum 100-jährigen Bestehen von Budnikowsky erlebt hat, hat dort ein Unternehmen gesehen, das solche Arbeitsplätze bereitstellt. Insofern sind wir auch bei der vierten Säule auf einem guten Weg.
Wir haben jetzt vor, ein Hamburger Fachkräftenetzwerk zu gründen. Kammern, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und die zuständigen Fachbehörden und alle Agenturen für Arbeit arbeiten zusammen daran, weil die Fachkräftestrategie eine Querschnittsaufgabe ist, die sowohl die Hochschulen, die Wirtschaftsbehörde als auch meine Behörde betrifft. In diesem Netzwerk wird gemeinsam gearbeitet. Dazu haben wir eine Auftaktveranstaltung gehabt, darauf ist hier auch hingewiesen worden. Dort haben Arbeitgeber, Wissenschaft und Gewerkschaften geredet und ihre Beiträge geleistet.
Ich habe den Eindruck, dass wir ein Setting gefunden haben, bei dem alle, die etwas dazu zu sagen haben, an einem Tisch sitzen und an einem Strang ziehen. Dort werden wir auch diese Fachkräftestrategie diskutieren. Und dann werden wir im März nächsten Jahres eine entsprechende Drucksache einbringen, die wir in diesem Haus, aber auch in den zuständigen Fachausschüssen, diskutieren werden. Ich denke, das ist sinnvoll. Wir sind gern bereit, von allen Fraktionen etwas aufzunehmen und etwas zu lernen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Senator, die steigenden Schulabgängerzahlen nützen natürlich nur dann etwas, wenn diese Schüler auch eine Lehrstelle bekommen, wenn sie ausbildungsreif sind. Wir haben am Montag bei der Ausbildungsplatzbilanz der Arbeitsagentur hören können, dass knapp 400 Lehrstellen bei der Handelskammer und rund 300 Lehrstellen bei der Handwerkskammer unbesetzt geblieben sind, weil die richtigen Schüler fehlen.
Aber warum ich eigentlich nach vorn gekommen bin, ist Ihre Aussage, Herr Schwieger. Sie haben eben ein sehr ungewöhnliches Angebot gemacht. Sie wollen die Überweisung ablehnen, uns aber eine Debatte über die Große Anfrage ermöglichen, wenn die Fachkräftestrategie des Senats an die Ausschüsse – und wir sprechen vom Wirtschaftsausschuss und Sozialausschuss – überwiesen wird. Dieses Angebot nehmen wir sehr gern an, Herr Schwieger, und wir werden Sie und die Vorsitzenden der Ausschüsse dann daran erinnern, falls es an formalen Dingen scheitern sollte. – Vielen Dank.
Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/5380 federführend an den Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien und mitberatend an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration zu? –Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist dann mehrheitlich abgelehnt.
Wir kommen zu Punkt 6, Drucksache 20/5379, Große Anfrage der GRÜNEN Fraktion: Lärmschutz und Lärmaktionsplanung in Hamburg.