Protocol of the Session on September 13, 2012

Die einzelnen Lehrkräfte haben in Teams monatelang an der Profilbildung von Schulen gearbeitet. Sie sind zornig, dass sie jetzt eine zentrale Prüfung machen sollen. Zum Beispiel müssen sie in Chemie ihr ganzes Profil wieder umstoßen, weil sie nun nicht nur Kunststoffe machen dürfen, sondern auch noch Farbstoffe und andere Stoffe. Die Lehrer und Lehrerinnen gehen auf die Palme, weil kurz nach Einführung der Profiloberstufe jetzt wieder eine neue – wie war das noch, Herr Scheuerl – Reform-Sau durchs Dorf getrieben wird.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und bei Dr. Walter Scheuerl CDU)

Abgesehen davon habe ich mich gefragt, was überhaupt so toll an einem zentralen Abitur ist und mir die angeführten Argumente angeschaut. Das erste Argument kam von unserem Schulsenator. Wenn wir ein Zentralabitur haben, dann gibt es eine höhere Aussagekraft für das Abitur. Nun sind wir nicht unbeleckt, 12 von 16 Bundesländern haben bereits zentrale Abiturprüfungen, meistens in drei Fächern, entweder Mathe, Englisch und Bio oder Deutsch, Englisch und Chemie oder Ähnliches. Der Punkt ist, dass das immer nur drei Fächer gewesen sind, und Frau von Berg hat gesagt, dass von diesen zentralen Prüfungen acht Prozent in die Abi-Durchschnittsnote eingegangen sind. Ich habe heute intensiv mit meiner Schulleitung gesprochen und mir erklären lassen, wie eigentlich die Abiturnote bei den Fächern, die zentral sind, ermittelt wird. Erstens braucht man dafür einen Doktortitel, zweitens ein Programm, das die Note ausrechnet, und drittens weiß ich von der GEW, dass es ungefähr 25 Prozent sind. Wenn man allerdings neue Kurse hinzuwählt, sind es noch ein

mal 8 Prozent. Letztendlich ist also das, was zentral erhoben wird, marginal für die gesamte Durchschnittsnote des Abiturs. Insofern kann ich nicht verstehen, warum die Aussagekraft des Abiturs dadurch besser wird.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Zweitens wird immer gesagt, dass die Leistungen bundesweit besser vergleichbar sein müssen. Wenn das nur in drei Fächern möglich ist, ist das richtig schwierig. Aber selbst wenn wir das in allen Fächern machen, zählt natürlich immer auch die zweijährige Kursarbeit. Sonst könnten wir den Unterricht in der Schule schmeißen, wenn das keine Rolle mehr spielt und nur noch die Note vom Abitur zählt, wie das in einigen anderen Ländern der Fall ist. Dann haben wir den Effekt, dass die Schülerinnen und Schüler überhaupt nicht mehr am Unterricht teilnehmen und die gesamte Reflexion und das Sich-Heranarbeiten an Themen überhaupt nicht mehr stattfindet. Insofern kann das nicht funktionieren.

(Beifall bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Drittens will man gleiche Standards zwischen den Bundesländern haben. Man argumentiert, dass es zwischen den Bundesländern, was das Abitur anbetrifft, Wissensabstände von ungefähr einem Jahr gibt. Wir hatten einmal einen sehr guten Staatsrat, der Vieluf hieß und in Hamburg mehrere Vergleichstests gemacht hat. Er hat festgestellt, dass es im gleichen Schultypus und selbst an ein und derselben Schule Wissensunterschiede von ein bis zwei Jahren in einer Klasse gibt. Das ist so und das werden wir auch nicht ändern, schon gar nicht durch ein Zentralabitur.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Das nächste Argument ist, dass wir ein Zentralabitur brauchen, damit es gerechter zugeht. Weil die Aufgaben alle gleich sind, können die Lehrer die Themen nicht so gestalten, dass die eigenen Schüler bevorteilt werden. Aber wenn das wirklich gerecht sein soll, dann müsste auch gewährleistet sein, dass die Schülerinnen und Schüler aller Schulen auch den Maßstäben in gleichem Maße gerecht werden können, und das heißt, dass die Schulen alle gleich gut sein müssten. Davon sind wir Lichtjahre entfernt.

Dann wird gesagt, dass ein Zentralabitur mehr Objektivität aufweise. Man verweist auf klar festgelegte Kriterien. Ich will gar nicht vom Deutschunterricht und von Abiturklausuren im Thema Deutsch sprechen. Wie will man klare Kriterien haben, wenn es um Interpretationen geht? Ich habe meine eigenen Erfahrungen in zentralen Biologiearbeiten gemacht, da gibt es den sogenannten Erwartungshorizont. Ob es klare Kriterien gibt, kann man auslegen, wie man will, und deshalb gibt es manchmal sogar große Auseinandersetzungen bis hin zu

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

Drittkorrekturen. Klare Kriterien sehe ich nirgendwo, schon gar nicht in Deutsch und in Fremdsprachen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Walter Scheuerl CDU)

Danke schön, Herr Scheuerl.

Weiter heißt es, wenn wir ein Zentralabitur haben, dann ermöglichen wir, dass die einzelnen Schülerinnen und Schüler zu mehr Wissen kommen. Wenn ich aber in bestimmten Fächern ein Zentralabitur haben will, dann muss ich einen sogenannten Mindeststandard einführen. Das ist der Grund, warum Bayern gar nicht so gern möchte, dass es ein Zentralabitur gibt. Man hat in Hamburg festgestellt, dass in den drei Fächern, in denen es das Zentralabitur bereits gibt, die Abiturnoten nicht schlechter, sondern eher besser geworden sind, während der Standard und die Anforderungen heruntergegangen sind, weil man natürlich dafür sorgen muss, dass auch wirklich alle Schülerinnen und Schüler die Fragen beantworten können. Daher ist genau das Gegenteil der Fall, das Anforderungsprofil wird eher geringer als höher.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das Problem beim Zentralabitur ist noch ein anderes, ich habe das in Biologie mehrere Jahre lang erlebt. Was haben wir im letzten Schuljahr gemacht, als das Abitur anstand? Das erste halbe Jahr hat man noch unterrichtet, im nächsten halben Jahr sind die Prüfungen. Alle Biologie-Lehrer in Hamburg haben ihr Internet angeschmissen und sich sämtliche Biologie-Prüfungen von allen möglichen Bundesländern heruntergeladen, und die Schüler haben nur noch gebimst, damit sie in Ökologie, Verhaltensforschung und Genetik den Standards gerecht wurden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Gebimst?)

Gepaukt, einfach nur auswendig gelernt. Das hat auch Ihre Kollegin gesagt. Man muss es einfach nur lernen. Das hat aber mit Bildung und Aneignung leider gar nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Dr. Walter Scheuerl CDU)

Dadurch hat man viel verschenkt. Man hat verschenkt, dass die Schüler in ein Thema ein bisschen tiefer einsteigen können, und man hat vor allen Dingen verschenkt, dass sie sich Arbeitstechniken aneignen, die sie auch anschließend brauchen, um erfolgreich studieren zu können. Das geht alles verloren, wenn man immer nur für einen Test oder eine Klausur lernt. Das ist überhaupt nicht nachhaltig.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das einzige Argument, dem ich zustimme und dem auch die GEW zustimmt, ist, dass die Einführung des Zentralabiturs zu einer Entlastung der Lehrer führen würde.

(Dirk Kienscherf SPD: Das dürfen Sie gar nicht sagen, Sie sind ja selber Lehrerin!)

Aber ich möchte ganz deutlich sagen, und da gebe ich Herrn Scheuerl recht: Wenn wir bei den Prüfungen keinen Zweitkorrektor haben, dann geht das in die Hose. Das habe ich x-mal erlebt.

Bisher haben wir in 12 von 16 Bundesländern jeweils drei Fächer, die geprüft werden. Nun sagt die Schulbehörde, sie wolle das Zentralabitur in allen Fächern einführen. Da frage ich mich natürlich, ob die Schulbehörde eigentlich in der Lage ist, für alle Fächer zentrale Prüfungsaufgaben zu erstellen. Dazu kann ich nur sagen: Nachtigall, ick hör dir trapsen. Da sind dann Prüfungskommissionen und kommerzielle Testinstitute im Anmarsch – das haben wir in den Niederlanden, in England und in den USA – und die Qualitätsstandards werden in Zukunft nicht mehr von staatlichen Stellen, sondern von kommerziellen Unternehmen hergestellt. Diese Privatisierung im Bildungsbereich ist sowieso schon viel zu weit fortgeschritten, was die Qualitätsstandards und die Nachhilfe anbetrifft. Wahrscheinlich ist beabsichtigt, die Prüfungen durch kommerzielle Institute durchzuführen;

(Robert Heinemann CDU: Das ist eine Ge- spensterdebatte!)

Bertelsmann scharrt schon mit den Hufen. Wenn man die Einheit von Unterricht und Prüfung aufhebt, dann schwächt man auch die Position der Lehrerinnen und den Lernerfolg; deswegen geht das nicht.

(Vereinzelter Beifall bei der LINKEN)

Das Thema befindet sich im Spannungsfeld von Einheitlichkeit und Differenzierung. Einheitlichkeit brauchen wir, um Gerechtigkeit herzustellen, Gerechtigkeit für alle im demokratischen Sinn, das heißt, Gerechtigkeit für alle Schüler. Dafür muss man Kriterien haben, man braucht aber keine zentralen Prüfungen. Differenzierung brauchen wir, weil alle Kinder unterschiedlich sind, Gott sei Dank. Ein pädagogischer Spruch heißt: Man holt die Kinder dort ab, wo sie sind. Man muss mit diesen sehr individuellen Unterschieden arbeiten und kann es nicht über einen Kamm scheren.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das hat doch nicht DIE LINKE gerade gesagt?)

Sie haben ein Bild von den LINKEN, das in keiner Weise richtig ist.

Natürlich muss man dafür sorgen, dass es bestimmte Kapazitäten, Kompetenzen und Mindeststandards gibt. Aber das ist bereits der Fall. Wir

haben jede Menge Vergleichstests und diese wird es auch weiterhin geben.

Weder aus TIMSS noch aus PISA lässt sich ableiten, dass zentrale Prüfungen zu besseren Leistungen führen. Zum Beispiel hat man bei TIMMS im flämischen Teil von Belgien, wo es keine zentralen Prüfungen gibt, die besten Ergebnisse erzielt. Auch im Mittel der europäischen Staaten mit zentralen Prüfungen kann man keineswegs feststellen, dass die Länder, in denen es zentrale Prüfungen gibt, besser sind, ganz im Gegenteil.

Unserer Auffassung nach ist das Zentralabitur der falsche Weg, nicht nur wegen der Profiloberstufe, und zwar sowohl 2012 als auch 2014. Herr Senator, Sie düsen mit Volldampf in die falsche Richtung, bitte kehren Sie um.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Dr. Walter Scheuerl CDU)

Vielen Dank, Frau Heyenn.

Meine Damen und Herren! Bitte denken Sie daran, dass nur der Redner spricht. Ich schaue vor allem in diese Richtung des Hauses.

Nun hat Herr Senator Rabe das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat soll es ab dem Jahr 2014 in Hamburg schriftliche Abiturprüfungen mit zentralen Prüfungsaufgaben in allen Fächern geben. Schon jetzt gibt es zentrale Prüfungsaufgaben in Deutsch, Mathe und der ersten Fremdsprache, meistens Englisch. Wir wollen das auch auf die anderen Fächer ausdehnen. Hamburg vollzieht damit einen längst überfälligen Schritt und verlässt seinen bisherigen Sonderweg. Ich will gern begründen, warum das aus meiner Sicht eine richtige Entscheidung ist. Nach der Debatte habe ich erst recht den Eindruck, denn eigentlich erwarte ich von der Opposition, dass sie sagt, was sie stattdessen möchte. Ich habe sorgfältig zugehört und bin ein bisschen überrascht über die Einlassungen. Die Einzige, die ich klar verstanden habe, war Frau Heyenn. DIE LINKE will kein Zentralabitur. Bei den GRÜNEN habe ich vernommen, dass sie vielleicht ein Zentralabitur wollen, zunächst aber eine wissenschaftliche Evaluation und dann eine ausführliche Konzeptdiskussion mit den beteiligten Kammern. Die FDP will ein Zentralabitur, ich habe aber nicht genau verstanden, warum nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Dann haben Sie nicht zugehört!)

Die CDU wollte schon immer ein Zentralabitur, hat es sogar selbst eingeführt, traut sich aber nicht in ihre alte Politik zurück, die sie aufgegeben hat, weil

sie nicht weiß, ob Herr Heinemann oder Herr Scheuerl der schulpolitische Sprecher ist.

(Beifall bei der SPD – Glocke)

Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Scheuerl?

Na klar.

Herr Senator Rabe, haben Sie in meiner Rede eben vernommen, dass wir uns ausdrücklich für externe Zweitkorrekturen und gegen die Verwässerung des Zentralabiturs ausgesprochen haben?

Dann habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie das Zentralabitur möchten. Das nehme ich gern zur Kenntnis,