Protocol of the Session on August 16, 2012

sie Aufstiegsmöglichkeiten für alle und überhaupt die Möglichkeit einer Integration im Sinne von Partizipation bietet. … Wir brauchen einfach gesellschaftspolitische Förderung und Anerkennung, Zugänge und Möglichkeiten, aber es bedarf auch Menschen, die diese Herausforderung dann annehmen. Und das wiederum macht auch anderen Menschen wieder Mut!"

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Diesen Mut hat Hamburg bewiesen, ihn hat damals Ole von Beust gehabt, als er 2007 auf die Muslime und die Aleviten zuging. Und ich freue mich, dass dieser Senat die Verhandlungen zu einem guten Ergebnis geführt hat und dies auch anderen Bundesländern Mut machen könnte.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der LIN- KEN)

Aber lassen sie mich einen Blick auf die historische Genese dieser Verträge und der Kirchenstaatsverträge werfen, da Sie als FDP leider ein wenig ahistorisch agieren.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja, das kann man so ausdrücken!)

2002 hatte Innensenator Schill es abgelehnt, mit der Nordelbischen Kirche Verhandlungen über einen Staatsvertrag zu führen.

"Ein Hamburger kniet vor niemandem nieder, auch nicht vor der Kirche"

habe ich noch als unsägliches Wort in Erinnerung. Mit einem Kniefall hat das nichts zu tun. Die Kirchen erfüllen Aufgaben für diese Gesellschaft, von der Gefangenenseelsorge bis hin zur Altenpflege und der Arbeit in den Kitas. Sie sind als gesellschaftliche Kraft nicht wegzudenken, das gilt auch für die Flüchtlingspolitik, bei sozialen Konflikten und Fragen der Gleichstellung. Auf dieses Engagement wollten und wollen wir nicht verzichten.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD, der CDU und der LINKEN – Erster Vi- zepräsident Frank Schira übernimmt den Vorsitz.)

Dann aber kam es auf Initiative der FDP – vor allem durch den von mir sehr geschätzten Kollegen Soltau – doch zum Senatsantrag, Verhandlungen aufzunehmen, dem wir Grüne auch zugestimmt haben, obwohl uns grundsätzlich, da sind wir uns vielleicht sogar ähnlich, die Regelungen berechtigter Anliegen der Kirchen wie Feiertage, Denkmalschutz und so weiter durch die bestehenden Gesetze gereicht hätten. Uns hätte eine Erweiterung und Ergänzung der Gesetze gereicht, alles andere ist eigentlich ein bisschen mittelalterlich.

Die Kirchenstaatsverträge kamen dann 2005 und 2006 in die Bürgerschaft, waren aber einseitige Exklusivverträge nur mit den beiden Kirchen. Das

(Dietrich Wersich)

heißt, dies wurde nicht den Anforderungen einer pluralistischen Gesellschaft gerecht und war auch kein Integrationssignal in Richtung der muslimischen und alevitischen Communities und anderer Religionsgemeinschaften. Dieser Schritt kam damals nicht, und darum haben wir Grüne, um historisch korrekt zu sein, den Kirchenstaatsverträgen mit Mehrheit nicht zugestimmt. Wir wollten dieses Signal auch in Richtung der muslimischen Community senden.

(Robert Bläsing FDP: Also Ihre verquere Ar- gumentation!)

Die FDP hat das damals eigentlich auch gewollt, schauen Sie mal nach.

Der Fortgang der Geschichte ist bekannt: Wir schreiben mit den Verträgen ein neues Kapitel der Gleichberechtigung, auch gegen Rassismus und Ausgrenzung. Meine Damen und Herren von der CDU – Herr Wersich müsste sich eigentlich erinnern, weil er gemeinsam mit mir zweieinhalb Jahre lang in der politischen Begleitrunde gesessen hat –, seien Sie doch nicht so hasenfüßig und werden zu Bedenkenträgern wegen des Kopftuchs. Meine Vorgängerin in der Schulbehörde hatte damit zuzeiten Ihrer Alleinregierung über vier Jahre hinweg auch keine Probleme; es gibt Einzelfälle. Da sollten Sie wirklich ein bisschen mutiger voranschreiten.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der LIN- KEN)

Wir sollten im demokratischen und republikanischen Sinne die Religionsfreiheit hoch schätzen und damit verbunden auch die Kleiderfreiheit. Wir alle sind gefordert, die Einwanderungsgesellschaft in allen Bereichen zu gestalten und verschiedene Religionen nicht als Risiko, sondern als Chance zu begreifen. Wir sind gefordert, das Zusammenleben immer wieder neu zu gestalten, neu zu leben, auch zu streiten und Missverständnisse auszuräumen. Das ist anstrengend, aber unverzichtbar in unserer Demokratie und auch für den sozialen Frieden in unserer Stadt. Deshalb sind die Verträge ein Schritt hin zur Gleichberechtigung, und das sollte uns Mut machen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der LIN- KEN)

Danke schön. – Das Wort hat Herr Jarchow.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon sehr viel Richtiges gesagt worden in dieser Debatte. Erlauben Sie mir aber, aus Sicht der SPD …

(Heiterkeit und vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ja, ich weiß. Es ist mir auch peinlich, langsam hat sich das festgesetzt.

(Zuruf von der SPD: Beim nächsten Mal gibt es ein Eintrittsformular!)

Lassen Sie mich bitte trotzdem aus Sicht der FDP, der Freien Demokratischen Partei, den teilweise etwas pathetischen Tonfall aus dieser Debatte nehmen und diesen Staatsvertrag und die Realität der 1,8 Millionen Hamburger betrachten. Zu ihnen gehören rund 200 000 Menschen muslimischen oder alevitischen Glaubens, vielfach Hamburger in der zweiten oder dritten Generation. Diese Muslime haben häufig einen deutschen Pass, zahlen Steuern und wählen wie alle anderen auch. Andere Muslime sind erst vor Kurzem zu uns gekommen, lernen Deutsch, bauen ihre Existenz auf. Wieder andere Muslime unterstützen mit Energie neue Freiheitsbewegungen in ihren Heimatländern und manche – nur wenige – hängen auch dem Salafismus an. Viele dieser 200 000 Muslime gehen zum Beten in ihre Moschee oder wollen ihre Toten nach uralten Ritualen bestatten.

Meine Damen und Herren, Herr Bürgermeister! Das alles gibt es in dieser Stadt seit mehr als vier Jahrzehnten. Wir verkennen nicht, dass das Miteinander der angestammten Hamburger und der neu dazugekommenen nicht immer einfach war. Dennoch hat eine weltoffene Stadt wie Hamburg dies gemeistert mit respektvollem Umgang, mit praktikablen Lösungen und mit allgemeinverträglichen Regelungen. So haben wir einen Moscheebau an einer prominenten Stelle an der Außenalster erhalten, haben seit 1995 auf städtischen Friedhöfen die Bestattung nach muslimischen Regeln ermöglicht und auch das Kopftuch in mindestens einem Fall bei einer angehenden Lehrerin im Unterricht hingenommen – eine aus unserer Sicht diskutable, aber eine offenbar an der betreffenden Schule vor Ort akzeptierte Regelung. Der Prozess von Miteinander und Integration war und ist also auf einem guten Weg.

2007 meinte Ole von Beust – offenbar auch zur Überraschung einiger seiner Parteifreunde –, dies nun in einen Staatsvertrag mit muslimischen Verbänden fassen zu müssen. Wir Liberale sehen Staatsverträge mit allen Konfessionen oder Religionsgemeinschaften kritisch.

(Beifall bei der FDP – Barbara Duden SPD: Das ist kein Staatsvertrag! – Jens Kerstan GAL: Das ist ein Vertrag, das ist kein Staats- vertrag!)

Wir tun das auf der Grundlage eines freiheitlichen Weltbildes, das die weitestmögliche Trennung zwischen Religionen beziehungsweise Kirchen und Staat befürwortet.

(Jens Kerstan GAL: Aber das ist ein Vertrag, Herr Jarchow!)

(Christa Goetsch)

Allein deshalb erscheint uns auch dieser Vertrag unnötig; Verwaltungsvereinbarungen oder gesetzliche Regelungen hätten ausgereicht.

Form und Verhandlungsprozess dieses Staatsvertrags – oder Vertrags, wie Sie gerne sagen – sehen wir aus zwei Gründen sehr kritisch. Erstens: Dieser Vertrag ist praktisch unkündbar.

(Barbara Duden SPD: Dauer: Zehn Jahre!)

Entwicklungen, die eine Veränderung oder gar Kündigung nötig erscheinen lassen, sind nicht vorgesehen. Stattdessen wird am Schluss vage formuliert, das Ganze nach zehn Jahren auf den Prüfstand stellen zu wollen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist doch wunderbar!)

Es ist ja schön, wenn das für Sie wunderbar ist. Sie erlauben mir aber eine andere Meinung?

(Dr. Andreas Dressel SPD: Selbstverständ- lich!)

Vielen Dank.

Zweitens: Fünf Jahre lang wurde verhandelt. Jetzt wird dem Parlament nach großer Inszenierung mit den Partnern ein fertiges Papier vorgelegt. Aus Sicht der SPD … FDP-Fraktion …

(Heiterkeit bei der SPD – Zurufe aus dem Plenum – Glocke)

also auf meinem Manuskript steht FDP-Fraktion –, aus Sicht der FDP-Fraktion ist eine Einbindung der Volksvertretung selbstverständlich. Wir fordern erneut, die Bürgerschaft in den Prozess des Aushandelns derartiger Verträge deutlich früher einzubinden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das war sie ja!)

Dies ändert nichts daran, dass wir mit den muslimischen und alevitischen Gemeinden weiter an konkreten, alltagstauglichen Regelungen für bessere Integration und größeres Miteinander in Hamburg arbeiten wollen,

(Beifall bei der FDP)

so wie das in Hamburg seit Jahrzehnten zum Wohle der Stadt geschehen ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke. – Frau Schneider hat das Wort.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Als Mitglied einer Partei, die für die strikte Trennung von Kirche und Staat eintritt, kann ich auf einer sehr allgemeinen Ebene die Einwände, die Sie vorgetragen haben, Herr Jarchow, gut verstehen. Aber es geht nicht um eine allgemeine Debatte, sondern es geht um

einen sehr konkreten Vorgang, nämlich um den Abschluss eines Vertrages, der die Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaft bedeutet und damit die Benachteiligung, ja Diskriminierung einer großen Religionsgemeinschaft gegenüber anderen großen Religionsgemeinschaften im Grundsatz beendet.