Protocol of the Session on August 16, 2012

Ich will etwas zum Erfordernis der sachlichen Debatte sagen. Kürzlich, wie schon erwähnt, ging es um die Abschiebung der Roma-Familie nach Mazedonien. Die Aussage von Senator Neumann, auch im Innenausschuss, ist aus unserer Sicht unterstützungswert. Er sagte, es könne nicht sein, dass Medien und Parlamentarier öffentlich Vorverurteilungen vornehmen und über Strafbarkeit von in die Abschiebung einbezogenen Beamten speku

(Antje Möller)

lieren. Für uns gilt weiterhin eins zu eins die Unschuldsvermutung.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich schließe mit einem ausdrücklichen Appell, auch an den Eingabenausschuss und die Härtefallkommission. Eine unnötige Emotionalisierung der Debatte hilft uns allen nicht weiter und am wenigsten hilft sie den Betroffenen. Lassen Sie uns unserer Verantwortung bewusst sein und das Ganze sachlich und Recht und Gesetz entsprechend angehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Nun hat das Wort Innensenator Neumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Achtung der Menschenrechte, wie Sie es in Ihrer Themenanmeldung gefordert haben, gibt es ernsthaft keine Alternative, weder rechtlich noch moralisch. Ich glaube, auch hier im Haus zwischen Bürgerschaft und Senat sind wir darüber einer Auffassung. Das gilt in unserem Rechtsstaat selbstverständlich auch für Menschen auf der Flucht. Menschen, die Schutz vor politischer Verfolgung oder sonstigen konkreten Gefahren für Leib und Leben oder für ihre Freiheit suchen, haben einen verfassungsrechtlichen Anspruch, dass Ihre Schutzbedürftigkeit in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft und dass ihnen der erforderliche Schutz natürlich gewährt wird. Dafür stehen in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als zuständige Behörde und im Falle einer ablehnenden Entscheidung des Bundesamts die Verwaltungsgerichte unseres Landes. Allein das Bundesamt und die Gerichte sind nach unserer Rechtsordnung für die Feststellung der Schutzbedürftigkeit berufen, nicht einzelne Mitglieder von Bürgerschaftsfraktionen, nicht engagierte Bürgerinnen und Bürger oder Vertreter von Flüchtlingsorganisationen. An die Entscheidung des Bundesamts und der Gerichte sind die Ausländerbehörden, auch die in Hamburg, gesetzlich zwingend gebunden, im Falle der Anerkennung von Schutzgründen genauso wie im Falle ihrer Ablehnung. Ich will die Frage einmal zurück stellen. Wollen Sie also immer im Falle eines negativen Entscheids des Bundesamts und der Verwaltungsgerichte davon abweichen, im positiven Fall dem folgen? Das kann auch in die andere Richtung gehen, und das wollen wir, will ich, ausdrücklich nicht. Rechtsstaatlichkeit ist der Maßstab.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der FDP und bei Nikolaus Haufler CDU)

Sollte am Ende dieses rechtsstaatlichen Verfahrens die Feststellung stehen, dass eine Schutzbe

dürftigkeit nicht besteht und gibt es auch sonst keine rechtlichen Gründe für einen weiteren Aufenthalt in unserem Land, sind die Betroffenen bundesgesetzlich zur Ausreise verpflichtet. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, hat die Ausländerbehörde den verfassungsrechtlichen und bundesgesetzlichen Auftrag, diese Pflicht durchzusetzen unter Wahrung aller rechtlichen Vorgaben einschließlich der Menschenrechte und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das sind schwere Entscheidungen, das ist ein schwerer Vollzug von Verwaltungsakten, wie es manchmal technisch klingen mag, aber es ist notwendig, dass dieses Gesetz am Ende auch vollzogen wird.

Zwar habe ich persönlich außerordentliche Zweifel und mache keinen Hehl daraus, ob es eine gute bundesgesetzliche Regelung ist, dass die Ausländerbehörde die Entscheidung einer anderen Behörde, nämlich des Bundesamtes, zu vollziehen hat. Es gibt aber keinen Zweifel daran, dass dies nach geltendem Recht zum jetzigen Zeitpunkt schlichtweg ihr Auftrag ist, und das kann sich weder die Behörde, die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter noch der Innensenator aussuchen. Von daher ist dieser Auftrag klar formuliert, und wenn der Innensenator oder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich nicht des Gesetzesbruches schuldig machen wollen, dann müssen sie am Ende diesen Auftrag, der ihnen gesetzlich vom Parlament in Berlin übergeben worden ist, auch vollziehen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Deshalb ist es auch nicht richtig, die Ausländerbehörde als quasi Überbringer der schlechten Nachricht des Bundesamtes oder gegebenenfalls der Entscheidung der Verwaltungsgerichte öffentlich zur Richtbank zu führen, wie dies immer wieder gerne versucht wird. Tatsächlich haben sich die in Rede stehenden Anschuldigungen gegenüber einer Mitarbeiterin und Mitarbeitern, die hier auch wieder angesprochen worden sind, nach einer sorgfältigen Aufarbeitung, zu der wegen der strafrechtlichen Relevanz der gegen die Behördenmitarbeiter öffentlich erhobenen Vorwürfe auch Ermittlungen der zuständigen Strafverfolgungsbehörden gehörten, allesamt als völlig haltlos erwiesen. Ich habe den Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft hierüber am 2. August in öffentlicher Sitzung ausführlich informiert. Ich sage noch einmal Danke an das Parlament, dass ich die Gelegenheit hatte, diese Fakten dort einmal vorstellen zu können, und die mittlerweile abgeschlossenen erweiterten Vernehmungen haben genau dieses Ergebnis bestätigt. Angebliche Augenzeugen haben im Nachhinein zugestanden, dass sie doch nicht vor Ort waren, versehen mit dem Hinweis, sie würden aber jemanden kennen, der Augenzeuge gewesen sei. Und auf die Frage, ob man mit dem einmal sprechen könne, wurde gesagt, der Mann

(Finn-Ole Ritter)

oder die Frau habe Angst, eine Aussage zu machen.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Können wir mal zum Thema kommen? – Gegenruf von Dr. Andreas Dressel SPD: Genau das ist das Thema! – Zurufe aus dem Plenum – Glocke)

Meine Damen und Herren! Der Innensenator Neumann hat das Wort. Herr Hackbusch, Sie dürfen sich gerne für eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung melden.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Mehr habe ich nicht gemacht, die anderen haben ge- brüllt wie Löwen!)

Fahren Sie fort.

Ich gehe jedenfalls davon aus, dass sich diejenigen Abgeordneten, die sich durch offenkundig falsche beschuldigende Tatsachenbehauptungen hervorgetan haben, bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen entschuldigen werden und zukünftig die in der deutschen Sprache wunderbar vorhandene Form des Konjunktivs benutzen werden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Auch Abgeordnete tragen Verantwortung für ihr Handeln und für ihre Aussagen. Das gilt nicht nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, sondern auch für Abgeordnete dieses Hauses und für Senatsmitglieder. Ich appelliere an Sie, diese Verantwortung wahrzunehmen und nicht für eine schnelle Schlagzeile die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Behörde zu opfern. Das ist nicht in Ordnung. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD, ver- einzelt bei der FDP und bei Olaf Ohlsen CDU)

Nun hat erneut Frau Schneider das Wort.

Ich stelle fest, Herr Senator Neumann, dass Sie zu dem Vorwurf, dass Sie ein Wort gegeben und eine Zusage gemacht haben, Einzelfälle mit großem Augenmaß zu prüfen – und Sie kennen Einzelfälle, wo sich eine Abschiebung oder eine Rückführung verbietet –, nicht Stellung genommen haben, und Ihr Schweigen dazu ist beredt.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben gesagt, Herr Ritter, Ihr Maßstab sei das Gesetz. Herr Voet van Vormizeele, Sie haben relativ ausführlich über die allgemeine Gesetzeslage

gesprochen, und ich möchte daran erinnern, dass das Gesetz nicht vom Himmel gefallen ist. Die Asylgesetzgebung ist in den Jahren 1992 folgende geändert worden, sie ist verschlechtert und de facto abgeschafft worden. Die SPD hat übrigens viele Mitglieder darüber verloren.

(Frank Schmitt SPD: Und Sie kennen auch den Hintergrund!)

Deshalb gehört natürlich die Kritik des Gesetzes dazu. Natürlich gilt das Gesetz, aber es gehört dazu, dass man dieses Gesetz kritisieren kann.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Aha! Natürlich gilt das Gesetz! Wenn wir uns darauf einigen könnten, wären wir schon mal weiter!)

Dazu kann ich gerne etwas ausführen.

Worauf ich aber in meiner Rede abgehoben habe und wer Ohren hatte zu hören, hat es auch gehört, ist, dass der Senat und die Behörde die Spielräume, die sie haben, nicht genutzt haben.

(Zuruf von Finn-Ole Ritter FDP)

Ich habe über das Gesetz gesagt, dass es nach Rostock-Lichtenhagen … Soll ich Sie an die Asylkampagne erinnern, die die CDU zur Abschaffung des Asylrechts gemacht hat? Soll ich Ihnen sagen, wie das auf der Straße gewirkt hat? Rostock-Lichtenhagen, Mölln, das wissen wir alle.

(Zurufe von der CDU)

Soll ich daran erinnern, dass Herr Verheugen von der SPD damals gesagt hat, sie würden diese Asylgesetzgebung mit verabschieden, es sei ein schreckliches Gesetz, aber dann hätte man wenigstens das Thema von der Straße? Das alles ist doch wahr, das darf man doch nicht vergessen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Problem ist doch Folgendes: Es gibt das Gesetz, aber es gibt die konkreten Menschen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das kann man leider nicht voneinander trennen!)

Der Maßstab der Kritik der Gesetze ist für mich das Schicksal dieser Menschen, die unter diesem Gesetz buchstäblich leiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe mich gefreut, welche große Solidarität es gegeben hat. Sie wissen alle, dass das im Fall der Roma schwierig ist und der Antiziganismus in der Gesellschaft verbreitet ist. Ich habe mich gefreut, wie viele Menschen mit den Roma solidarisch gewesen sind.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Was hat das mit- einander zu tun?)

Das ist eine Eigenschaft, über die wir froh sein können, dass sie in dieser Gesellschaft vorhanden

(Senator Michael Neumann)

ist, und das müssen wir fördern und das dürfen wir nicht zerstören.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch etwas zur Achtung der Menschenrechte sagen. Hannah Arendt hat in ihrem großen Text über den Totalitarismus ein sehr eindrückliches Kapitel verfasst über die Menschenrechte und darüber, dass die Menschenrechte daran gebunden sind, dass irgendein Staat sie tatsächlich schützt. Sie hat über das Schicksal der Staatenlosen, der Minderheiten und der Displaced Persons geschrieben und beklagt, dass dieses ganze Konzept der Menschenrechte nichts tauge, wenn sie niemand schützt.

(Olaf Ohlsen CDU: Das ist aber populi- stisch!)