Protocol of the Session on May 23, 2012

(Beifall bei der FDP)

Frau Schneider, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Ich fürchte, dass ich jetzt nicht so viel Beifall bekomme wie bei meiner ersten Rede.

Die geltenden Polizeigesetze sind vor sieben Jahren von der CDU-Bürgerschaftsfraktion beschlossen worden. Sie galten damals als die schärfsten Polizeigesetze Deutschlands – Herr Münster, Sie hatten es gesagt –, so rühmte sich jedenfalls die CDU.

(Olaf Ohlsen CDU: Ja, Gott sei Dank!)

Sie zeichnen sich durch den drastischen Ausbau der Polizeibefugnisse und durch die nicht minder

(Carl-Edgar Jarchow)

drastische Beschränkung von Freiheitsrechten aus. Etliche Regelungen dieses Gesetzes sind in den vergangenen Jahren durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Allein aus diesem Grund ist die Reform des Hamburger Polizeirechts also seit Jahren überfällig.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach unserer Auffassung ist es dringend geboten, auf dem Weg, den die CDU damals forciert hat, umzukehren. Die Gesetzesnovelle, die der SPDSenat vorgelegt hat, korrigiert Details und hebt ganz offensichtlich verfassungswidrige Bestimmungen auf, doch die Anforderungen einer dringend notwendigen Reform des Polizeirechts erfüllt die Novellierung des SOG und PolDVG, die heute beschlossen werden soll, nicht. Sie schöpft das verfassungsrechtlich Zulässige bis an die äußerste Grenze aus und geht teilweise darüber hinaus, wie dem Senat selbst auch bewusst ist – das kann man im Protokoll nachlesen –, denn sie setzt nicht nur die bisherige Linie fort, sondern sieht sogar Verschärfungen vor.

Ich will nur einige nennen: Die Polizei soll in den Waffenverbotszonen zusätzlich die Befugnis erhalten, verdachtsunabhängig Personen zu durchsuchen. Die längerfristige Observation, die bisher nur zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person durchgeführt werden durfte, soll zukünftig bereits zur, sehr vage formuliert, Abwehr einer Gefahr erfolgen. Hier sehen wir die für das ganze Gesetzeswerk typische Herabstufung des Gefahrenbegriffs, der dieses Kernstück des traditionellen Polizeirechts noch weiter aushöhlt, als es schon ausgehöhlt ist, und ihn damit faktisch beerdigt. Das ist in rechtstaatlicher Hinsicht ein riesiges Problem, denn die Staatsgewalt greift in wachsendem Ausmaß in die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern ein, die nicht sogenannte Störer sind, also weder einer Straftat verdächtig noch für eine bestimmte Gefahr verantwortlich sind.

Weiter: Beim großen Lauschangriff darf die automatische Aufzeichnung von Gesprächen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, fortgesetzt werden. Das strikte Verbot der staatlichen Überwachung in einer Zone des Höchstpersönlichen wird so umgangen. Der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung ist damit eben nicht mehr unangetastet.

(Katja Suding FDP: Schlimm ist das!)

Die strikte Grundrechtsbindung, auch bei privater Überwachung, wird preisgegeben.

Der Einsatz verdeckter Ermittler soll durch eine Herabstufung des Gefahrenbegriffs erleichtert und zur Verhütung von Straftaten statt wie bisher zur vorbeugenden Bekämpfung erlaubt werden. Durch beides sind die Eingriffsgrenzen so weit gedehnt, dass sie faktisch beseitigt werden. Die Polizei hat

de facto ein uneingeschränktes Wahlrecht beim Einsatz verdeckter Ermittler. Das ist rechtsstaatlich umso problematischer, da der Einsatz verdeckter Ermittler nicht unter Richtervorbehalt steht. Hier entscheidet nur die Polizei, die Exekutive, und sie wird dabei weder von der ersten noch von der dritten Gewalt kontrolliert. Die Befugnisse der Polizei zum Abhören von Telefongesprächen durch Telekommunikationsüberwachung werden ausgeweitet, indem der Gefahrenbegriff herabgestuft wird und die Sachverhalte und der Kreis der möglichen Zielpersonen ausgeweitet werden. Die Quellentelekommunikationsüberwachung wird eingeführt und die Polizei zur Veränderung informationstechnischer Systeme ermächtigt. Damit wird dieses wichtige Grundrecht, und es handelt sich um ein Grundrecht, der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme verletzt. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass hier das Startzeichen für die Einführung der Onlinedurchsuchung gegeben wird. Personenbezogene Daten sollen im Rahmen der polizeilichen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten der EU in Schengen-assoziierten Staaten an öffentliche Stellen sowie an Agenturen oder Einrichtungen übermittelt werden, datenschutzrechtliche Fristen dürfen aufgehoben werden, wenn die Daten zur Verhütung von Straftaten benötigt werden. Damit wird noch unüberschaubarer, wo welche Daten von wem aus welchem Grund zu welchem Zweck in welcher Datei mit welchen Löschfristen gespeichert sind. Die vorliegende Novelle setzt also die seit Jahren vorherrschende Tendenz fort, traditionelle Begrenzungsmechanismen polizeilicher Befugnisse und polizeilicher Macht zu beseitigen.

Den sowieso schon üppigen Möglichkeiten der Überwachung und Datensammlung werden mit der Novelle weitere hinzugefügt. Das rechtsstaatliche Prinzip der Transparenz polizeilichen Handelns wird noch stärker als bisher schon durch das Prinzip des Geheimen abgelöst. Das ist ein verhängnisvoller Weg, und es gibt renommierte Kritiker wie den Strafrechtler Peter-Alexis Albrecht, die die Polizei auf dem Weg zur Geheimpolizei sehen. Die Überwachungstechnologien, die der Polizei zur Verfügung stehen und weiter zur Verfügung gestellt werden, mögen Ihnen im Einzelnen, zumindest teilweise, als begrenzte und wenig einschneidende Eingriffe erscheinen, aber in ihrer Summe verursachen sie sehr hohe bürgerrechtliche Kosten, die all jene zu tragen haben, die zu Objekten heimlicher Ausforschung, verdeckter Datenerhebung und unsichtbarer Kontrollpolitik gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das kann, so weit sind die Regelungen gefasst, jeden Bürger und jede Bürgerin treffen, ganz unabhängig von ihrem Verhalten.

Besonders schlimm ist, dass in der Praxis ausufernder Überwachung auch rechtliche Regelungen umgangen werden. So ist die Zahl der stillen SMS, die dem richterlichen Vorbehalt unterliegt, stark gestiegen. Nachdem aber die Amtsgerichte 2008 und 2009 entsprechende Anordnungen oft verweigert haben, wurden die Anordnungen fast nur noch durch den Polizeipräsidenten getroffen. Die gesetzlich dann verpflichtende und eben nicht ins Belieben der Polizei gestellte nachträgliche Bestätigung wurde in 94 Prozent der Fälle nicht eingeholt. Diese Missachtung rechtlicher Bindungen durch die Exekutive ist inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das oberste Gebot in einem demokratischen Rechtsstaat ist das einer transparenten Polizei, die durch Offenheit den Bürgerinnen und Bürgern Vertrauen vermittelt. Da die vom Senat vorgelegte Gesetzesnovelle diesem Gebot in keiner Weise genügt, weil sie die Begrenzungsmechanismen für polizeiliches Handeln weiter aufweicht, haben wir eigene Gesetzentwürfe mit den folgenden Eckpunkten vorgelegt: Wir wollen die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Polizei stärken. Wir wollen die Möglichkeit verdachtsunabhängiger und zielgruppenspezifischer Kontrollen von Personengruppen in Gefahrengebieten und Durchsuchungen von Personen in Waffenverbotszonen sowie die Möglichkeit, in solchen Gebieten Aufenthaltsverbote zu verhängen, aufheben. Bei Ingewahrsamnahmen muss unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden. Der Einsatz von verdeckten Ermittlern wird aus dem Gesetz gestrichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Gefahrenbegriff wird wieder geschärft und die zu schützenden Rechtsgüter werden abschließend benannt. Bei erheblichen Grundrechtseingriffen wollen wir die unmittelbar bevorstehende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person als Voraussetzung normieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Transparenz und Kontrolle der Polizei müssen hergestellt werden. Unsere Gesetzentwürfe sehen deshalb die individuelle Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten vor

(Olaf Ohlsen CDU: Auch im Einsatz?)

sowie einen parlamentarischen Kontrollausschuss der Bürgerschaft, um verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zu kontrollieren.

Ich möchte noch ein Wort zu dem FPD-Antrag sagen. Den Entwurf des Senats gibt es seit, fast auf den Tag genau, sieben Monaten. Es gab drei Beratungen, bei denen die FDP nicht unbedingt immer vertreten war, und wenn sie vertreten war, hat sie nichts gesagt. Wenn einen Tag vor der Lesung ein Antrag kommt, der auch noch von den Grünen

abgeschrieben ist, dann finde ich das ein Armutszeugnis für eine Partei, die sich bürgerrechtlich nennt. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Herr Senator Neumann hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf des Senats werden das Gesetz über die Datenverarbeitung unserer Polizei, PolDVG, und das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, SOG, geändert. Damit werden insbesondere die überfälligen Anpassungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts endlich auf den Weg gebracht; das war Auftrag des Parlaments an den Senat. Wir haben dem Parlament dementsprechend eine Vorlage zugesandt und die Beratungen sind, wie gerade angesprochen wurde, nach sieben Monaten jetzt beendet.

Seit 2005 hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen Anforderungen an die Ausgestaltung von polizeilichen Eingriffsgrundrechten und -grundlagen gestellt. Das im Moment noch geltende PolDVG hat diese bisher nicht erfüllt, das war nicht nur durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt worden, sondern auch durch den Arbeitsauftrag, den Beschluss der Bürgerschaft. Es handelt sich dabei im Einzelnen um den Kernbereichsschutz bei verdeckten Überwachungen mit technischen Mitteln, um automatisierte Kennzeichenlesesysteme und die Rasterfahndung. Und diese Regelungen werden wir mit der Vorlage, die heute debattiert und hoffentlich im Anschluss auch beschlossen wird, anpassen.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus enthält der Entwurf weitere Änderungen im PolDVG, die die polizeiliche Arbeit auf klare, verlässliche und berechenbare Rechtsgrundlagen stellen, und das sind die Regelungen für die Datenerhebungen bei Notrufen, die lageabhängige Durchsuchungsbefugnis in Waffenverbotszonen, eindeutige Regelungen bei der sogenannten Quellenkommunikationsüberwachung, die Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben im Bereich der polizeilichen Datenverarbeitung, die den Datenaustausch zwischen den Polizeibehörden der EU-Mitgliedstaaten im Rahmen des datenschutzrechtlich Zulässigen erleichtern, und Regelungen zur gefahrenabwehrenden Öffentlichkeitsfahndung.

Im SOG wird die Höchstdauer der Ingewahrsamnahme und des Aufenthaltsverbots jeweils eingeschränkt, und zwar wird das Aufenthaltsverbot von maximal einem Jahr auf sechs Monate reduziert und die Ingewahrsamnahme von 14 Tagen

(Christiane Schneider)

auf 10 Tage. Hier war der Vorgängersenat über das erforderliche Maß hinausgegangen,

(Antje Möller GAL: Das ist falsch!)

das ist vom Senat korrigiert worden und liegt heute der Bürgerschaft zur Entscheidung vor.

Zur Abwehr von Gefahren in sozialen Beziehungen wird darüber hinaus ein Kontakt- und Näherungsverbot eingeführt und schließlich wird der Einsatz von hamburgischen Polizeivollzugsbeamten im Ausland nun auch endlich ausdrücklich geregelt. Die parlamentarische Kontrolle wird dabei gestärkt durch eine jährliche Berichtspflicht des Senats gegenüber der Hamburgischen Bürgerschaft über getroffene Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung und über erfolgte Einsätze ausländischer Polizeibediensteter in Hamburg, aber eben auch hamburgischer Polizeivollzugsbeamter im Ausland.

Nach allem lässt sich aus meiner Sicht und aus Sicht des Senats nunmehr feststellen, dass das Hamburgische Polizeirecht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf unter Berücksichtigung der Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung einerseits, aber auch der Erfordernisse für eine effektive Gefahrenabwehr andererseits fortentwickelt wird. Auch wenn man rechtspolitisch an der einen oder anderen Stelle eine andere Auffassung vertreten kann – das ist auch angesprochen worden hinsichtlich der Forderungen nach einem einheitlichen Polizeigesetz, das hatte der Kollege Jarchow angesprochen, der Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten oder der Höchstdauer des Gewahrsams –, so hat doch die Sachverständigenanhörung ergeben, dass der Gesetzentwurf des Senats den Vorgaben der Rechtsprechung entspricht. Soweit vonseiten der Sachverständigen klarstellende Empfehlungen, wie bei der Datenerhebung im öffentlichen Raum durch Videoüberwachungen von öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen, ausgesprochen wurden, habe ich bereits im Innenausschuss deutlich gemacht, dass vonseiten des Senats nichts dagegen spricht, diese Veränderung vorzunehmen, und dies hat der Innenausschuss dann auch mehrheitlich so beschlossen.

Ich stelle zu guter Letzt fest: Wir regeln die für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger erforderlichen polizeilichen Befugnisse rechtsstaatlich einwandfrei. Ich hoffe, dass die Bürgerschaft mit einer breiten Mehrheit die Rechtsgrundlage schafft, um den Kolleginnen und Kollegen gesicherte und rechtsstaatlich einwandfreie Rechtsgrundlagen zur Verfügung zu stellen, und dass die Drucksache des Innenausschusses auf Vorschlag des Senats auch in Hamburg endlich wieder ein verfassungskonformes Polizeirecht herstellt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung, zunächst zum Antrag der FDP-Fraktion aus Drucksache 20/4243. Die GAL-Fraktion möchte Ziffer 9 des Antrags separat abstimmen lassen.

Wer möchte dem FDP-Antrag aus Drucksache 20/4243 mit Ausnahme der Ziffer 9 seine Zustimmung geben? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dies abgelehnt.

Wer möchte nun Ziffer 9 des FDP-Antrags annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist auch dies abgelehnt.

Nun zum Bericht des Innenausschusses aus Drucksache 20/4102.

Wer möchte Ziffer 1 der Ausschussempfehlung annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das angenommen.