Protocol of the Session on May 9, 2012

Die Kritik aus den öffentlichen Anhörungen, dass der Netzdeal mit der Energiewende nichts zu tun hat und dass die öffentlichen Investitionen sowieso getätigt werden müssten, haben Sie in keiner Weise berücksichtigt.

Ich will inhaltlich nicht mehr darauf eingehen. Es geht heute um das Verfahren, mit dem diese Verträge in zweiter Lesung im Parlament abgestimmt werden sollen. Das offenbart mangelnden Respekt vor dem Parlament und zeigt nicht, dass die Regierung und die Mehrheitsfraktion Verantwortung für die Stadt übernehmen wollen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Aber Sie mit Ih- ren 2,2 Milliarden Euro!)

Es fehlt an Transparenz und einer umfassenden Risikoabwägung für die Zukunft dieser Verträge, die immerhin 20 Jahre dauern.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und was ist mit Ihrer Risikoabwägung?)

Bürgermeister Scholz hat letzte Woche angekündigt, da habe ich mir die Augen gerieben, dass er mehr Bürgerbeteiligung wolle. Das ist der Gipfel der Unglaubwürdigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

In Geheimverträgen wurde über Monate ein Energiedeal in Höhe von fast 544 Millionen Euro mit einer Laufzeit von 20 Jahren mit den Energiekonzernen ausgehandelt und nicht einmal der Bürgerschaft in Gänze zur Kenntnis gegeben, wenn ich an die Due Diligence und Nebenabreden denke. Nicht einmal die Initiative "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ" durfte Einsicht in die Verträge nehmen, und von den Hamburgerinnen und Hamburgern will ich gar nicht sprechen. Nun kurz vor dem Abschluss von mehr Bürgerbeteiligung zu sprechen, ist Zynismus.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

Herr Quast, Sie sprechen von Transparenz. 100 Fragen im Netz zu beantworten ist etwas völlig anderes, als der Initiative und den Bürgerinnen und Bürgern die Essentials der Verträge vorzulegen. Sie wissen nicht, was Transparenz bedeutet.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ist sogar noch transparenter! Das würden die Piraten aber anders sehen!)

Es gibt täglich mehr Anzeichen, das ist auch vom CDU-Redner gesagt worden,

(Andy Grote SPD: Ist alles schon mal gesagt worden!)

dass diese Verträge erhebliche finanzielle Risiken für die Stadt haben und dass das alles andere als gut für unsere Stadt ist.

Die SPD und der Senat verweigern die vollständige Transparenz. Wir bekommen die Nebenabsprachen immer nur zu sehen, wenn wir sie entdecken, und das auch nur im Datenraum. Wenn Sie sagen, dass Sie als Mehrheitspartei und als die Partei, die die Regierung trägt, Unterlagen freiwillig bereitgestellt hätten, dann haben Sie noch nicht verstanden, dass der Senat verpflichtet ist, der Opposition die Informationen zur Verfügung zu stellen; das ist keine Gnade.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Die SPD und der Senat nehmen die Bedenken nicht ernst, die an allen Orten geäußert werden, und wollen die zweite Lesung heute durchpeitschen – ich sage ganz bewusst durchpeitschen. Die Bedenken, dass die Verträge mit E.ON Hanse und Vattenfall die Stadt teuer zu stehen kommen, sind auch von den Experten in der Anhörung genannt worden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und 2,2 Milliar- den sind billig, nicht wahr, Frau Heyenn?)

Die SPD und der Senat ignorieren nicht nur die Meinung der Experten, die in der Anhörung gesagt haben, Sie würden der Bürgerschaft empfehlen, den Verträgen auf gar keinen Fall zuzustimmen. Erst vor wenigen Tagen hat der Senat auf Anfrage von Dr. Kluth eingeräumt, dass ein längerfristiges Risiko bei diesen Verträgen durchaus bestehe.

(Andy Grote SPD: Bei einem 100-prozenti- gen Kauf gibt es kein Risiko?)

Deswegen haben wir gemeinsam mit allen vier Oppositionsparteien ein Aktenvorlageersuchen gemacht, und alle vier Oppositionsparteien haben in der letzten Bürgerschaftssitzung das Quorum getragen, damit der Landesrechnungshof gebeten wird, doch bitte den Energiedeal zu überprüfen. Diese Argumente sprechen dafür, eine zweite Lesung zu verschieben.

(Jan Quast SPD: Ändern Sie Ihre Meinung!)

Nur bei umfassender Datenlage und Abwägung der Risiken kann man Beschlüsse verantwortungsvoll fassen.

Herr Quast, wenn Sie erklären, warum diese Verträge für eine strategische Mehrheit von 25,1 Prozent in Höhe von 544 Millionen Euro abgeschlossen wurden, dann kommt unter dem Strich heraus, dass Sie das nur getan haben, um Gerichtsverfahren zu vermeiden. Was ist das für ein Politikverständnis? Ich habe immer gedacht, auch Sozialdemokraten wollen gestalten. Vattenfall und E.ON

können doch nicht den Fahrplan des Parlaments bestimmen nach dem Motto, wenn bis dann und dann die Verträge nicht durch die Bürgerschaft sind, dann geht es nicht mehr. Das Parlament hat zu entscheiden, wann wir Entscheidungen treffen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja, und das ent- scheidet eben auch mal eine Mehrheit!)

und die parlamentarischen Mindeststandards werden von der SPD und dem Senat in diesem Punkt ständig missachtet. Nur bei einer vollständigen Risikoabwägung kann man guten Gewissens überhaupt dafür stimmen. Ihnen als SPD ist überhaupt nicht klar, worüber Sie eigentlich abstimmen sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir bitten Sie, auf die zweite Lesung zu verzichten, bis die Daten vorliegen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Jetzt hat Senator Dr. Tschentscher das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Beteiligung der Stadt an den Energienetzen ist eine Entscheidung von großer Tragweite, darüber sind sich alle einig. Je weitreichender eine Entscheidung ist, umso wichtiger ist es, zwischen Grundfragen und Details zu unterscheiden. Über beides muss man sprechen, und über beides wurde in den Ausschüssen, bei Senatsbefragungen, Expertenanhörungen und in Bürgerschaftsdebatten beraten. Man kann dabei immer weiter in die Einzelheiten vordringen und fragen, welche Anlage welcher Unterlage zu welchem Zeitpunkt wem vorgelegen hat und so weiter. Das ist kein Vorwurf. Es lohnt sich fast immer, sich auch mit Einzelheiten zu beschäftigen. Mir gefällt aber das Vorgehen nicht, ganz spezielle Detailfragen auf völlig unlogische Art und Weise zu benutzen, um Grundentscheidungen in Zweifel zu ziehen, die einem von Anfang an nicht gepasst haben. Zwei Oppositionsfraktionen wollen sich an überhaupt nichts beteiligen und zwei andere Oppositionsfraktionen wollen möglichst alles kaufen. Das kann man jeweils so sehen, aber dabei sollte man sich nicht hinter konstruierten Details und angeblich offenen Fragen verstecken.

(Beifall bei der SPD)

Der Senat hält beide Extremforderungen der Opposition für falsch, weil wir mit beiden Haltungen energiepolitisch nichts erreichen, sondern beim Ausstieg aus der Atomkraft wichtige Zeit verlieren, und weil wir mit der 100-Prozent-Kauf-Variante ein enormes wirtschaftliches Risiko eingehen würden, das wir als Stadt nicht kontrollieren können.

(Beifall bei der SPD)

Da helfen auch gemeinsame Pressekonferenzen nichts, die Forderungen der Opposition sind völlig gegensätzlich und haben nur den einen gemeinsamen Nenner: das Handeln des Senats zu blockieren. So wurden in der letzten Woche trotz aller Unterlagen, Antworten und Erklärungen, die wir gegeben haben, immer wieder neue Einzelpunkte herausgehoben und zu Grundsatzfragen erklärt. Wir haben alle angeblich skandalösen Punkte der Reihe nach erläutert und entkräftet, auch, warum die sogenannte Due Diligence nicht auf irgendeine Weise, die Herr Kerstan vorgibt, sondern so durchgeführt wurde, wie es für die vorgesehene Transaktions- und Beteiligungsstruktur angemessen und erforderlich ist. Wir haben dargelegt, wie die konzerninternen Dienstleistungsbeziehungen bei der Unternehmensbewertung aufbereitet und berücksichtigt wurden.

(Thilo Kleibauer CDU: Ja, gar nicht!)

Wir haben die Arbeitsplatzvereinbarungen so verhandelt, dass am Ende die Betriebsräte beider Unternehmen zugestimmt haben. Schon in der Drucksache wurde beschrieben, Herr Kluth, für welche Zeiträume die Garantiedividende vertraglich gesichert ist und welche Option die Stadt jeweils hat, Anschlussvereinbarungen zu treffen. Und wir kaufen im Falle der Stromgesellschaft keineswegs eine leere Hülle, wie behauptet wurde, sondern beteiligen uns an einer Gesellschaft mit 135 Mitarbeitern, der das gesamte Stromverteilungsnetz im Hamburger Konzessionsgebiet gehört.

(Thilo Kleibauer CDU: Wow!)

Ein Stromnetz mit einer Gesamtlänge von 27 000 Kilometern, 5500 Netzstationen und 1 Million Zähl- und Messeinrichtungen ist keine leere Hülle.

(Beifall bei der SPD)

Gestern erklärte die grüne Fraktion per Pressemitteilung plötzlich zur alles entscheidenden Frage, ob die Wirtschaftsprüfer von BDO eine Wertermittlung der Gasnetze hätten durchführen sollen. Hintergrund dieses Vorwurfs ist die in der Tat rechtlich strittige Frage, nach welcher Wertermittlungsmethode die Übernahme von Netzen im Rahmen eines Konzessionsverfahrens erfolgen muss. Diese Frage ist in unserem Fall aber nicht entscheidend, weil wir kein isoliertes Netz im Rahmen eines Konzessionsverfahrens übernehmen, sondern uns an einem Unternehmen beteiligen. Nach welcher Methode eine Unternehmensbewertung zu erfolgen hat, ist eine ziemlich klare und häufige Angelegenheit. Das haben Ihnen unsere Anwälte, die Geschäftsführer und die Wirtschaftsprüfer ausführlich und mehrfach dargestellt. Wir haben alle Unternehmen nach dem dafür akzeptierten Standard der Wirtschaftsprüfer bewerten lassen und eine vertragliche Vereinbarung geschlossen, diese Bewertung nach Ablauf von fünf Jahren tatsächlicher Ge

(Dora Heyenn)

schäftstätigkeit erneut zu überprüfen, um dann gegebenenfalls die Kaufpreise anzupassen.

(Jens Kerstan GAL: Bei 10 Prozent ge- deckelt!)

Das alles ist geschehen, um die wirtschaftlichen und finanziellen Risiken der Stadt so weit und so langfristig wie möglich abzusichern und mit dem praktischen Ausstieg aus der Atompolitik, also mit der Energiewende, in Hamburg zu beginnen. Darüber hat Frau Senatorin Blankau in der letzten Bürgerschaftssitzung berichtet. Mit der 25-Prozent-Beteiligung an den Netzgesellschaften für Gas, Strom und Fernwärme und vor allem mit den damit verbundenen energiepolitischen Vereinbarungen erhalten wir ab sofort einen wichtigen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen und sichern ein Investitionsvolumen von 1,6 Milliarden Euro in Hamburg.

(Beifall bei der SPD)

Wir erreichen mehr, als wir in jahrelangen rechtlichen Auseinandersetzungen über Konzessionsund Endschaftsregelungen hätten erreichen können. Und wir vermeiden ein milliardenschweres finanzielles Risiko für einen 100-Prozent-Rückkauf der Netze, mit denen wir bei allen unternehmerischen Risiken energiepolitisch wenig bis gar nichts anfangen können.

Deshalb ist es eine gute Entscheidung für unsere Stadt, die 25-Prozent-Beteiligung der HGV an den Netzgesellschaften auch in zweiter Lesung zu bestätigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)