Protocol of the Session on April 18, 2012

(Jens-Peter Schwieger SPD: Arbeiterführer Dr. Kluth!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Angesichts der Anträge von SPD und GAL ist mir der Gedanke gekommen, ob ich in dieser Debatte nicht einmal etwas Gutes für meine Partei tun könnte und sollte; wie Sie wissen, sind unsere Umfragewerte durchaus ausbaufähig.

(Matthias Albrecht SPD: Mindestumfrage- werte! – Dr. Andreas Dressel SPD: Also, die FDP steht nicht bei 8,50!)

Die SPD fordert einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, DIE LINKE und die GAL fordern 10 Euro. Warum also nicht gleich 12 Euro fordern – die FDP war bekanntlich immer für besseres Verdienen. Ich tue das deshalb nicht, weil ich die etwas altmodische Auffassung vertrete, dass man politisch zu dem stehen sollte, was man in der Sache für richtig hält,

(Jörg Hamann CDU: Klassische FDP-Politik! – Heiterkeit bei der SPD)

anstatt danach zu gehen, was der Partei nutzt oder schadet.

Das ist für mich schon eine etwas gespenstische Vorstellung: Die Politik setzt die Löhne fest und die Parteien betreiben einen Überbietungswettbewerb. Die SPD fordert 8,50 Euro, DIE LINKE und die Grünen 10 Euro

(Zurufe von der GAL: Nein!)

und die Piraten demnächst vielleicht 12,50 Euro.

(Glocke)

Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Sudmann?

Frau Sudmann, bitte.

Ich möchte nur wissen, ob Sie den Antrag der GAL

(Phyliss Demirel)

gelesen haben, denn die GAL fordert 8,50 Euro und nicht 10 Euro; da haben wir ein Alleinstellungsmerkmal.

Ich bin gerne bereit, das zu korrigieren. Vielen Dank für den Hinweis.

(Jens Kerstan GAL: Danke an DIE LINKE für die Klarstellung!)

Das muss man sich einmal vorstellen: in Wahlkampfzeiten dann vielleicht immer ein bisschen mehr. Bezahlen sollen das die Unternehmen, aber ausbaden müssen es letztlich die Arbeitnehmer, nämlich durch Jobverlust.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Altersarmut!)

Deshalb lehnt die FDP gesetzliche branchenübergreifende Mindestlöhne ab.

(Beifall bei der FDP)

Keine Frage, es kann niemanden politisch befriedigen, wenn ein geringer Teil von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen trotz Vollzeittätigkeit auf ergänzende Transferleistungen angewiesen ist.

(Beifall bei Heike Sudmann DIE LINKE)

Hieran gibt es nichts zu beschönigen, aber daran durch einen Mindestlohn etwas ändern zu wollen, ist nach unserer Auffassung der falsche Weg.

(Beifall bei der FDP)

Schauen Sie sich etwa die Studie des ifo Instituts an, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro voraussichtlich 1,2 Millionen Arbeitsplätze und etwa 740 000 Minijobs kosten wird. Treffen würde das also besonders Menschen, die als Geringverdiener oder Hartz-IV-Empfänger auf einen Zuverdienst angewiesen sind. Die Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns ist daher eine unsoziale Arbeitsmarktpolitik, weil sie Arbeitsplätze vernichtet und mehr Menschen von Transferleistungen abhängig macht und nicht weniger.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP ist aber nicht nur gegen die Einführung eines politisch festgesetzten Mindestlohns, sondern lehnt auch das vorgeschlagene Mindestlohngesetz für Hamburg ab. Wer neue Gesetze oder Verordnungen einführen will, der muss auch deren Notwendigkeit begründen, denn alles andere bedeutet nur mehr Bürokratie. Es findet sich aber weder im Antrag der LINKEN noch im Antrag der Sozialdemokraten eine konkrete Angabe darüber, wie viele Beschäftigte der Stadt oder in städtischen Unternehmen überhaupt weniger als 10 Euro beziehungsweise 8,50 Euro die Stunde verdienen. Wir wissen also gar nicht, wie viele Beschäftigte das Gesetz überhaupt betrifft, wir wissen nicht einmal, ob überhaupt ein regelungsbedürftiges Problem

besteht. Wenn ein solches bestehen sollte – was wir, wie gesagt, nicht wissen –, dann stellt sich auch die Frage, was für Tarifverträge ver.di da eigentlich vereinbart hat; aber das nur am Rande.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren von den antragstellenden Fraktionen: Machen Sie zunächst einmal Ihre Hausaufgaben. Die FDP jedenfalls lehnt beide Anträge ab und legt Ihnen stattdessen einen Zusatzantrag vor, in dem die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns abgelehnt wird. Herr Kollege Schwieger hat den Inhalt im Wesentlichen schon richtig dargestellt, nur natürlich politisch falsch gewürdigt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Kluth. – Das Wort hat Herr Golke.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben recht – man muss Ihnen etwas zu meckern lassen, bevor Sie gar nichts mehr zu meckern haben –: Dieser Antrag ist in größeren Teilen aus Bremen übernommen, und nicht nur der Antrag. Der Abgeordnete, der vor Ihnen steht, hat viele Jahre seines Lebens, nämlich 19, dort verbracht. So lange wollen wir mit einem Mindestlohn nicht mehr warten.

(Beifall bei der LINKEN)

Fragen wir einmal – Herr Dr. Kluth hat das auch gerade gefragt –, wie viele Beschäftigte das eigentlich betrifft. Das ist eine spannende und auch eine schwierige Frage, da gebe ich Ihnen gern recht. Nach Schätzungen, die wir nicht alleine gemacht haben – wir haben mit den Gewerkschaften gesprochen –, sind etwa 6000 Beschäftigte im Bewachungs- und Reinigungsgewerbe betroffen. Es geht nicht nur um städtische Beschäftigte und Betriebe im öffentlichen Dienst, sondern auch um Zuwendungs- und Vergabeempfänger und -empfängerinnen. Von daher ist das Ganze schwer zu überblicken. In diesem Sinne Richtung CDU ein kleines Chapeau von mir; Sie wollen genau das herausfinden und dieses Ansinnen ist durchaus nachzuvollziehen.

Es wurde schon gesagt, dass der Tarifvertrag im Sicherheitsgewerbe momentan auf unterster Stufe – das ist nicht das Ultimo, es gibt Zulagen und zum Teil höhere Löhne – einen Lohn von 7,31 Euro vorsieht. Dafür arbeiten Menschen in Museen oder Gefängnissen, als Reinigungspersonal in Behörden – vielleicht auch in Ihren Büros – und für Caterer bei Veranstaltungen.

(Glocke)

Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Herr Abgeordneter, einen Moment bitte.

(Heike Sudmann)

Meine Damen und Herren! Es redet nur Herr Golke, und sonst niemand. – Fahren Sie bitte fort.

Der Senat kauft sich bei Empfängen zum Teil Fremdfirmen ein, und es geht um die Menschen, die uns hier vor unliebsamen Dingen beschützen, nämlich die Menschen, die unten stehen und den Einlass kontrollieren. Das sind "contro" und "Securitas" und die sind Teil dieses Tarifvertrags.

Wenden wir uns einmal von den Betroffenen ab und richten unseren Blick auf einen anderen Aspekt dieser spannenden Frage, es geht um Existenzsicherung. Es ist nun einmal so, dass bei einem Vollzeitarbeitsverhältnis von 40 Stunden in der Woche bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro nur 1360 Euro brutto herauskommen und bei einem Mindestlohn von 10 Euro – das ist leichter auszurechnen – 1600 Euro. Netto nach Steuern und Sozialversicherung sind das in Steuerklasse 1 bei einem Stundenlohn von 8,50 Euro 1008,23 Euro. Das liegt für Alleinstehende ohne irgendwelche Sonderbedarfe knapp über Hartz-IV, aber auch wirklich nur ganz knapp. Für Alleinerziehende, die in Lohnsteuerklasse 2 sind und etwas mehr, nämlich 1034,71 Euro bekommen würden, liegt es darunter. Das hilft also an der Stelle nicht weiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Da sind wir auch nicht wesentlich besser mit den 10 Euro, die wir fordern, das kann man deutlich sagen, denn die bedeuten in Lohnsteuerklasse 1 ein Nettoeinkommen von 1136,62 Euro und in Lohnsteuerklasse II von 1174,24 Euro. Das schützt gerade eben vor Hartz-IV oder einem Aufstocken, es schützt nicht davor, Wohngeldansprüche oder Ähnliches in Anspruch nehmen zu müssen. Es schützt auch Alleinerziehende unter Umständen noch nicht vor Hartz-IV, dafür wäre ein Mindestlohn von 10,78 Euro notwendig, den wir gar nicht fordern.

So viel zum Thema, in welchen Größenordnungen wir uns in diesem Parlament bewegen und in welchen Größenordnungen sich diese Gesellschaft bewegt. Wenn der öffentliche Dienst es hinbekommen hat, Tarifverträge abzuschließen, die unter diesen Werten liegen, dann ist das im Zuge des Stichworts "Gute Arbeit", das der Senat auch vertritt, schlicht und ergreifend traurig.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt weitere Argumente; ein wesentliches ist die Altersarmut. Nach einer ziemlich alten Untersuchung – Quelle sind der Bundestag und die Deutsche Rentenversicherung im Bund – müsste für eine Nettorente von 684 Euro, und das ist wahrlich nicht viel, über 45 Versicherungsjahre hinweg – ich gebe zu, das ist ein ziemlich akademischer Rentner – ein Mindestlohn von 10 Euro gezahlt werden.

Das geht nicht mit 8,50 Euro. 8,50 Euro in der Stunde sind, wenn man das einmal hochrechnet, nicht alterssichernd.

Von allen Beschäftigten arbeiteten nach deutschlandweiten Zahlen – Zahlen für Hamburg alleine gibt es nicht – im Jahr 2010, wie uns freundlicherweise die Hans-Böckler-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem IAQ erklärt hat, 16,7 Prozent für unter 8 Euro und sogar 19,9 Prozent für unter 8,50 Euro.